Umweltgeschichte und Umweltzukunft. Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin

Umweltgeschichte und Umweltzukunft. Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin

Organisatoren
Bernd Herrmann (Universität Göttingen), in Zusammenarbeit mit Dorothee Brantz, Christof Mauch, Joachim Radkau, Frank Uekotter und dem DFG-Graduiertenkolleg „Interdisziplinäre Umweltgeschichte“
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.07.2008 - 17.07.2008
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Von
Lars Kreye, Markus Schwarzer, DFG-Graduiertenkolleg 1024 "Interdisziplinäre Umweltgeschichte", Georg-August-Universität Göttingen

Die fächerübergreifend angelegte Tagung „Umweltgeschichte und Umweltzukunft“ vom 16. bis 17. Juli 2008 in Göttingen widmete sich unterschiedlichen Facetten der Relevanz von Umweltgeschichte. Hierbei standen konzeptuelle und institutionelle Fragen im Vordergrund.

Die umwelthistorische Erforschung der Wechselwirkungen menschlichen Gesellschaften mit materiellen und symbolischen Aspekten von Natur zeigt, dass Phänomene wie Klimawandel, Artensterben oder Naturkatastrophen keinesfalls neu sind. Diese werden jedoch in populären Debatten zumeist als neuartig wahrgenommen. Dagegen vermag die umweltgeschichtliche Perspektive aufzuzeigen, dass Umweltprobleme historisch erst als ein Produkt menschlichen Verhaltens und Handelns angemessen zu verstehen sind. Trotz dieser Leistung kann von einer Etablierung der Umweltgeschichte als wissenschaftliche Disziplin in Deutschland noch nicht die Rede sein. Während „Environmental History“ in den USA als Denomination von Professuren mittlerweile durchaus verbreitet ist, kann wegen der mangelnden institutionellen Verankerung für Deutschland eher von einem „Forschungszusammenhang“ gesprochen werden. Das betonte BERND HERRMANN (Göttingen) in seinem Einführungsvortrag zum Workshop, den er in Zusammenarbeit mit Dorothee Brantz, Christof Mauch, Joachim Radkau und Frank Uekotter sowie dem Graduiertenkolleg „Interdisziplinäre Umweltgeschichte“ organisierte. 1

Weiter hob Herrmann die Bedeutung eines inhaltlichen Grundkonsenses über den Gegenstandsbereich der Umweltgeschichte hervor. Einer Erörterung des Umweltbegriffs bei von Uexküll folgten als Anknüpfung einige Aspekte der Kulturtheorie Ernst Cassirers. Herrmann favorisierte eine im Lehrbuch von Winiwarter und Knoll aufgegriffene (auf Sieferle und ihn zurückgehende) Definition von Umweltgeschichte, welche die „Rekonstruktion von Umweltbedingungen in der Vergangenheit“ sowie die „Rekonstruktion von deren Wahrnehmung und Interpretation durch die damals lebenden Menschen“ umfasst. 2

Visuelle Repräsentationen von Umwelt standen im Zentrum der beiden folgenden Referate. Das Verhältnis von landschaftlicher Ikone und Politik nahm CHRISTOF MAUCH (München) an Beispielen aus den USA des 19. und 20. Jahrhunderts in den Blick. Er zeigte, wie gerade Bilder einer unberührt erscheinenden Natur politisch instrumentalisiert wurden. Die Landschaftsgemälde insbesondere von Cole und der Hudson River School prägten sowohl den nordamerikanischen Naturschutzgedanken als auch die touristische Erschließung. Solche Repräsentationen avancierten im späten 19. Jahrhundert zu gesellschaftlichen Leitbildern und beeinflussten nicht zuletzt auch die Gestaltung von Aussichtspunkten in Naturparks. Durch eine explizite Darlegung der Methodik seiner Interpretation hätte die eindruckvolle Analyse der Bilder noch an Transparenz gewonnen.

JOACHIM RADKAU (Bielefeld) behandelte die Öko-Ikonographie von Titelseiten des SPIEGELs der letzten 40 Jahre. In einer eher assoziativen Interpretation wies er darauf hin, dass diese Bilder nicht bloß als zeitgenössische Spiegelungen der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Umweltproblemen zu betrachten sind. Vielmehr stünden gesellschaftliche Wahrnehmung und mediale Repräsentation von Umweltthemen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Welche Bedeutung visuelle Quellen in der Umweltgeschichte haben können, bedarf jedoch noch einer weiteren methodischen Vertiefung.

Der Themenblock „Aus der Geschichte lernen“, den man auch spezifisch „Aus der Umweltgeschichte lernen“ hätte nennen können, versammelte Beiträge typischer umweltgeschichtlicher Themenfelder. Hier standen Naturkatastrophen, Viehseuchen und umweltpolitische Reglementierungen, aber auch das aktuell stark diskutierte Thema der Invasion biologischer Spezies im Mittelpunkt.

MANFRED JAKUBOWSKI-TIESSEN (Göttingen) stellte heraus, dass bis in das 18. Jahrhundert hinein schwere Naturkatastrophen als gottgewollte Schicksalsschläge hingenommen wurden, weshalb auch keine Prävention gegen solche Ereignisse existierte. Erst als sich im Zuge der Aufklärung die Vorstellung durchsetzte, die Natur sei kausalgesetzlich erklärbar und technisch beherrschbar, konnten weitreichende Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dies führte jedoch auch zu der Illusion von Sicherheit, so dass mögliche Schäden unterschätzt wurden und die katastrophalen Auswirkungen von naturalen Extremereignissen bis heute groß sind. Daher komme, laut Jakubowski-Tiessen, der kollektiven Erinnerung der potentiellen Gefährdungen eines Gebietes eine wichtige Aufgabe zu. Neben der Eindämmung von Naturkatastrophen kann hierdurch die Anhäufung von Schadenspotentialen zukünftig vermieden werden.

Auch DOROTHEE BRANTZ (Berlin) wies in ihrem Vortrag auf menschliches Handeln als Ursache von Katastrophen wie Viehseuchen hin. In ihrem Überblick über die Bekämpfung von Viehseuchen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart erläuterte sie, dass sich die Bekämpfung von Fall zu Fall zur flächendeckenden Prävention im 19. Jahrhundert gewandelt habe. In Europa begann sich seit der Frühen Neuzeit auch in diesen Fragen eine wissenschaftliche Expertenkultur herauszubilden. Brantz kritisierte in ihrem recht überblicksartigen Vortrag, dass auch heute noch menschliches Fehlverhalten, wie das Verfüttern von Abfällen oder tierischen Produkten an Wiederkäuer, dominante Ursachen von Maul- und Klauenseuchen oder BSE sind. Mit Blick auf die Beruhigung der Verbraucher komme es oftmals zu medial wirksamen Lösungen wie Massenverbrennungen, die jedoch rational unbegründet seien.

JOSEF REICHHOLF (München) wies darauf hin, dass die Invasion biologischer Arten zumeist eine nicht intendierte Folge menschlichen Handelns sei. Beispielsweise fördern die hohen Stickstoffeinträge in Fließgewässer durch intensive landwirtschaftliche Nutzung das üppige Wachstum eingewanderter Arten. Aus naturschützerischer Sicht ist es Reichholf zufolge falsch und durchaus problematisch, fremde Arten, nur weil diese bisher nicht heimisch waren, grundsätzlich zu verteufeln. Stattdessen müsse man die industriegesellschaftlichen Ursachen und die Auswirkungen der Invasionen untersuchen. Schließlich müsse sich der Naturschutz bei der politischen Bekämpfung der Ursachen bewusst sein, dass er selbst als Interessengruppe und nicht im Sinne eines allgemeinen Wohls handelt. Nur wenn er parteilich argumentiert, kann er seinem Akzeptanzdefizit entgegenwirken und politisch glaubwürdig agieren.

Am Beispiel von Luftverschmutzung thematisierte FRANK UEKÖTTER (München), wie umweltpolitische Reglementierungen historisch funktionieren. Sein Beitrag spannte das Feld zwischen staatlichen Regulierungsversuchen zur Emissionsminderung und deren Umsetzungsproblemen seit dem 19. Jahrhundert auf. Es bestand, so Uekötter, grundsätzlich das Problem, die Umsetzung der staatlichen Normen zu kontrollieren, was zu Vollzugsdefiziten führte. Er vertrat die These, dass internationale und zentralstaatliche „top-down“-Modelle der Steuerung umweltrelevanten Verhaltens, wie diese für Deutschland noch heute typisch seien, historisch nicht zum gewünschten Erfolgt geführt hätten. Stattdessen schlug er vor, die Instrumente des Kyoto-Prozesses mit „bottom-up“-Modellen zu ergänzen, die auf lokaler und regionaler Ebene zur Bewältigung von Umweltproblemen ansetzen sollten.

Dieser Vorschlag stand in einem gewissen Widerspruch zu den Ausführungen der früheren Umweltministerin von Schleswig-Holstein, EDDA MÜLLER (Speyer). Sie versuchte in ihrem Vortrag zu zeigen, dass gerade die internationale Politik und die bundesstaatliche Verwaltung treibende Kräfte bei der Implementierung umweltrelevanter Regulierungen in Deutschland seit den 1970er-Jahren gewesen seien. Dabei stellte laut Müller die Einführung nationaler Umweltprogramme in Deutschland während der frühen 1970er-Jahre eine neue Stufe der Umweltpolitik dar. Insofern hob Müller den Ansatz der „top-down“-Steuerung als ein Erfolgsmodell hervor.

Die unterschiedliche Sichtweise von Müller und Uekötter zeigt, dass das Verhältnis und das Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen bei umweltrelevanten Steuerungsfragen noch weiterer Forschungen bedürfen.

In einem Block zu den „fast vergessenen Debatten der Umweltgeschichte“ wurden das Waldsterben, das Tempolimit und die Gartenstadt zum Thema gemacht. BIRGIT METZGER (Freiburg) und ROLAND SCHÄFER (Freiburg) zogen das Fazit, dass die Waldsterbensdebatte heute weniger als Sachdebatte zu betrachten sei, sondern für die 1980er-Jahre als Speerspitze eines themenübergreifenden Diskurses zur Implementierung von Umweltschutzmaßnahmen zu sehen sei. Dabei ging es letztlich auch darum, in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz für Maßnahmen des Umweltschutzes zu schaffen. In seinem prägnanten Überblick über die Geschichte des Tempolimits in Deutschland vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er-Jahre stellte KURT MÖSER (Mannheim) heraus, dass es auch beim Tempolimit weniger um die Sache als solche ging, sondern um übergeordnete politische Interessen. Die Debatte um das Tempolimit sei immer ideologisch geführt und mit Fragen der Verkehrssicherheit, des Ressourcenschutzes oder anderen politischen Erwägungen verknüpft worden. GISELA METTELE (London) stellte die grundlegenden Ideen des stadtplanerischen Konzeptes der Gartenstadt vor, das seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Antwort auf die problematischen Wohnverhältnisse infolge der Industrialisierung gewesen ist. Sie hob insbesondere die aktive Nutzerbeteiligung dieser neuen, genossenschaftlich organisierten Lebens- und Wohnform hervor. Während in Deutschland derzeit gerade bei der Umnutzung postindustrieller Gebiete vor allem auch auf die Nachbarschaftsidee der Gartenstadt zurückgegriffen wird, finden im Mutterland der Gartenstadt, in England, Anknüpfungen meist nur oberflächlich und ohne Partizipationsprozesse künftiger Nutzer statt.

Im Themenblock „Umweltgeschichte im Bildungssystem“ stellte BODO VON BORRIES (Hamburg) Vermittlungsprobleme von Umweltgeschichte in der Schule dar. Die Umweltgeschichte sei in Lehrplänen nur unzureichend vertreten und in Schulbüchern mitunter ideologisch dargestellt. Umweltgeschichtliche Themen sind auch oft dem Fach Erdkunde als historische Geographie zugeordnet. Deshalb müsse das Fach Geschichte hier noch um seine Kompetenz streiten.

Der Vortrag der Stipendiaten des Graduiertenkollegs „Interdisziplinäre Umweltgeschichte“, der von MARKUS SCHWARZER (Göttingen) und OLE SPARENBERG (Göttingen) gehalten wurde, thematisierte die Frage, warum wir Umweltgeschichte studieren und erforschen. Hier wurde nicht nur die Bedeutung kultureller Faktoren und materieller Grundlagen für die Umweltgeschichte betont, sondern auch exemplarisch das Verhältnis der Umweltgeschichte zu den Herkunftsdisziplinen der Stipendiaten beleuchtet. Dabei stellten Schwarzer und Sparenberg heraus, dass umweltgeschichtliche Fragen in den geistes-, natur- und ingenieurwissenschaftlichen Herkunftsdisziplinen der Stipendiaten meist nur eingeschränkt behandelt wurden.

In der Abschlussdiskussion wurde mit Blick auf die institutionelle Etablierung von Umweltgeschichte konstatiert, dass die Euphorie der 1980er-Jahre zur Entwicklung des Themenfeldes zwar vorbei sei, jedoch in letzter Zeit unter anderem durch die gegründete „European Society for Environmental History“ Erfreuliches geleistet wurde. Obwohl die umweltgeschichtliche Etablierung in den USA Vorbildcharakter habe, wurde darauf hingewiesen, dass diese für die zukünftige akademische Entwicklung des Fachs in Deutschland kein direktes Vorbild seien könne. Im Gegensatz zu den USA, wo der hohe Grad akademischer Differenzierung eigene Lehrstühle für Umweltgeschichte erlaubt, wird in Deutschland die Umweltgeschichte wohl immer im Zusammenhang mit anderen Themenschwerpunkten an den Lehrstühlen verschiedener Disziplinen vertreten sein. Hierdurch bestehe einerseits die Gefahr einer Zerfaserung des Fachs, doch wird andererseits die Verknüpfung mit anderen Themenfeldern erleichtert.

Insgesamt lässt sich in einer kurzen Bilanz zur Tagung sagen, dass in einer anregenden Atmosphäre wichtige umwelthistorische Themen angesprochen und diskutiert wurden. In einzelnen Beiträgen wurde auch auf die für Historiker eher problematische Frage nach der Umweltzukunft eingegangen. Mit den Fragen nach der disziplinären Etablierung und gesellschaftlichen Relevanz von Umweltgeschichte wurde eine wichtige Diskussion angestoßen, die es weiterzuführen gilt.

KURZÜBERSICHT DES TAGUNGSABLAUFS

Einführungsvorträge

Bernd Herrmann, Göttingen
Umweltgeschichte wozu? Zur gesellschaftlichen Relevanz einer jungen Disziplin.

Christof Mauch, München
Bilder, die die Umwelt bewegten. Zum Verhältnis von Ikone und Politik in der Geschichte.

Joachim Radkau, Bielefeld
Scharfe Konturen für das Ozonloch: „Zur Öko-Ikonographie des SPIEGEL.“

Was macht eigentlich …? Fast vergessene Debatten in der Umweltgeschichte

Birgit Metzger und Roland Schäfer, Freiburg
Was macht eigentlich … das Waldsterben?

Kurt Möser, Mannheim
Was macht eigentlich … das Tempolimit?

Gisela Mettele, London
Was macht eigentlich … die Gartenstadt?

Aus der Geschichte lernen I

Frank Uekötter, München
Das Kyoto-Protokoll – oder: funktionieren Reglementierungen historisch?

Manfred Jakubowski-Tiessen, Göttingen
Naturkatastrophen. Wurde aus ihnen gelernt?

Abendvortrag Göttinger Umwelthistorisches Kolloquium

Edda Müller, Speyer
„Innenwelt der Umweltpolitik – Zur Geburt und Aufstieg eines Politikbereichs.“

Aus der Geschichte lernen II

Josef Reichholf, München
Invasive Arten: Freisetzungsexperimente in Vergangenheit und Gegenwart.

Dorothee Brantz, Berlin
Viehseuchen als historisches und aktuelles Problem.

Umweltgeschichte im Bildungssystem

Bodo von Borries, Hamburg
Wie vermittelt man Umweltgeschichte in der Schule?

Markus Schwarzer und Ole Sparenberg, Göttingen
Warum wir Umweltgeschichte studieren und erforschen.

Anmerkungen:
1 Es ist geplant, die Beiträge im Universitätsverlag Göttingen zu publizieren.
2 Winiwarter, Verena; Knoll, Martin: Umweltgeschichte. UTB 2521. Böhlau: Köln, Weimar, Wien. 2007, S. 14 f.


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