Dynastie, Rétablissement, Revolution. Xaver von Sachsen (1730-1806) und das albertinische Fürstenhaus in Europa. Internationales wissenschaftliches Kolloquium

Dynastie, Rétablissement, Revolution. Xaver von Sachsen (1730-1806) und das albertinische Fürstenhaus in Europa. Internationales wissenschaftliches Kolloquium

Organisatoren
Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Technischen Universität Chemnitz; in Zusammenarbeit mit dem Schlossbergmuseum Chemnitz
Ort
Chemnitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.07.2008 - 05.07.2008
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Von
Annekathrin Lehmann, Kristin Lesch, Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz

Sachsen erlebte im 18. Jahrhundert seine wohl „europäischste“ Zeit. Diese verdankte das Land nicht nur der polnischen Königswürde, die Kurfürst Friedrich August I. (1694-1733) 1697 mit dem Ziel der Expansion nach Ostmitteleuropa erworben hatte, sondern auch dem traumatischen Erlebnis des Siebenjährigen Krieges (1756-1763), aus dem Sachsen ebenso wie das mit ihm verbündete Frankreich als Verlierer hervorging. Mit der Niederlage in diesem großen europäischen Krieg verlor Sachsen die erst siebzig Jahre vorher mit erheblichen finanziellen und materiellen Aufwendungen erkaufte polnische Königskrone und wurde allen Großmachtambitionen zum Trotz endgültig in die zweite Reihe der deutschen Mittelstaaten verwiesen. Andererseits jedoch markierte das Jahr 1763 den Beginn umfassender Staats- und Verwaltungsreformen, bekannt geworden als das sächsische Rétablissement, in dessen Folge sich das vom Krieg verwüstete und bankrotte Land binnen kurzer Zeit zu einer der wirtschaftlich bedeutendsten Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wandelte. Nicht nur mit dem Siebenjährigen Krieg, sondern auch mit jenem Reformwerk untrennbar verbunden ist das Lebenswerk des Prinzen und Administrators Xaver von Sachsen (1730-1806), der wie kein anderer eben diese „europäische“ Zeit des Kurfürstentums repräsentierte und damit Namensgeber des internationalen Kolloquiums war. FRANK-LOTHAR KROLL (Chemnitz) betonte in seinem Eröffnungsvortrag, dass diese Tagung keinesfalls nur Bilanz zu diesem einzigartigen Kapitel der sächsischen und europäischen Geschichte ziehen sollte. Vielmehr diente sie der Vorbereitung zu einer Ausstellung, die ab 2009 im Schlossbergmuseum Chemnitz zu sehen sein wird. Dabei folgen das Kolloquium und die Ausstellung, wie BERNHARD NAUCK (Chemnitz) in seinem Grußwort hervorhob, nicht nur der komplementären thematischen Ausrichtung der historischen Studien an der Technischen Universität Chemnitz auf die spezifisch sächsische wie auch auf die europäische Geschichte insgesamt, sondern leisten zugleich einen Beitrag zur dynastischen Forschung, die erst seit den 1990er-Jahren wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist.

Dem Titel des Kolloquiums gerecht werdend setzte sich THOMAS NICKLAS (Erlangen) zunächst mit der Person Xavers von Sachsen auseinander und skizzierte ihn als einen einsamen diplomatischen Akteur, der zeitlebens zwischen den europäischen Mächten agierte. Weder als Administrator Kursachsens noch als Fürst im europäischen Mächtekonzert gelang es ihm dabei, sich dauerhaft eine Machtposition zu erarbeiten. Vor dem Hintergrund des Agierens Xavers von Sachsen im Kurfürstentum und Europa wurde das politische Geschehen in Folge der Zäsur von 1763 näher beleuchtet. WINFRIED MÜLLER (Dresden) stellte in diesem Zusammenhang die besondere Verbindung des jungen sächsischen Hofes mit dem progressiven Bürgertum im Rétablissement heraus. Durch diese ständeübergreifende Konvergenz – beruhend auf einem gemeinsamen Wertesystem und dem Patriotismus verpflichtet – erfolgte ein praxis- und reformorientierter Sinneswandel. Ohne diesen wäre die erfolgreiche Restaurierung und Reformierung des Landes und somit die Erneuerung des kursächsischen Staatswesens nicht möglich gewesen. Dem Hof bzw. den Fürsten selbst wurde bei diesem Prozess eine katalysatorische Wirkung zugesprochen. Die Untersuchungen von REINER GROß (Chemnitz) bezogen sich auf die regionalen Auswirkungen des Rétablissements, in deren Zuge er seine ganze Aufmerksamkeit Chemnitz widmete. Der Stadt, die während des Siebenjährigen Krieges stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, schenkte die kurfürstliche Restaurierungskommission nur wenig Beachtung, weshalb der Wiederaufbau hier nur langsam voranschritt und ein Aufschwung – vor allem auf wirtschaftlicher Ebene – erst um 1780 einsetzte. Demnach ging das Rétablissement in Chemnitz direkt in das industrielle Zeitalter über. Mit der kulturellen Blüte Kursachsens um die Mitte des 18. Jahrhunderts wiederum beschäftigte sich HARALD MARX (Dresden). Mit seiner Diavorführung zu Gemälden aus dieser Zeit gelang es ihm, das barocke Dresden dem Publikum näher zu bringen. Die Residenzstadt an der Elbe entwickelte sich zum Treffpunkt für Künstler aus ganz Europa. Namen wie die der Maler Louis de Silvestre, Bernardo Bellotto (Canaletto) oder Anton Raphael Mengs waren eng mit dem „alten“ Dresden verbunden. Ihre von überragender Qualität zeugenden Werke veranschaulichen die damals handelnden Personen und geben ein – wenn auch idealisiertes – Bild vom Kurfürstentum.

Die europäische Dimension Kursachsens griff sogleich LUCIEN BÉLY (Paris) in seinen Ausführungen über die Beziehungen zwischen dem bourbonischen und dem albertinischen Adelsgeschlecht wieder auf. Die dauerhaften und traditionell guten Verbindungen der beiden Herrscherhäuser beruhten vor allem auf persönlichen Kontakten, wobei die Diplomatie stets den dynastischen Annäherungen folgte. Allerdings kam es in der Polenfrage mehrmals zu Interessenskonflikten. Und auch darüber hinaus vertraten sie unterschiedliche Absichten: Während für die Bourbonen das Land Sachsen als Pufferstaat gegen Russland und das Habsburger Reich fungierte, versuchten die Albertiner durch eine geschickte Heiratspolitik mit dem bourbonischen Königshof den Stand des sächsischen Kurfürstentums in den Kreisen der europäischen Adelswelt zu stärken und zu erweitern. Ein ganz ähnliches Bild zeichnete auch ALOIS SCHMID (München) von den Verbindungen der Wettiner und Wittelsbacher. Ebenso wie im sächsischen Fürstenhaus gehörte die gezielte Verheiratung der Söhne und Töchter in die mächtigsten Herrscherhäuser Europas zur wittelsbachischen Familien- und Hauspolitik. Durch die Erlangung der polnischen Königskrone gehörte der Wettinerhof zu Dresden im 18. Jahrhundert zu den bevorzugten Dynastien der Wittelsbacher. Bestätigung fand dies in den im Jahr 1747 vollzogenen Vermählungen von Kürfürst Maximilian III. Joseph von Bayern (1745-1777) mit Maria Anna Sophie von Sachsen (1728-1797) sowie des sächsischen Kronprinzen Friedrich Christian (1763) mit der bayerischen Prinzessin Maria Antonia Walpurgis (1724-1780), die nach dem Tod ihres Gemahls als vormundschaftliche Regentin zusammen mit ihrem Schwager Prinz Xaver die Politik des Rétablissements in Sachsen wesentlich mitbestimmte.

Nicht nur europäische Heiratspolitik, sondern auch Fürstenreisen durch Europa kennzeichneten die Tradition der sächsischen Dynastie. Der ungeheuren Mobilität Prinz Xavers im Besonderen ging FRANÇOISE KNOPPER (Toulouse) nach. Seine stets sorgfältig vorbereiteten Reisen unternahm er – oftmals inkognito – nach Frankreich, Italien, Katalonien und in die Schweiz. Auf seinen Touren gelang es dem sächsischen Prinzen stets, seine allumfassenden Studien geschickt mit dem Angenehmen zu verbinden. Xaver von Sachsen erwies sich als polyglotter europäischer Reisender des 18. Jahrhunderts, der durch Reiseberichte und unzählige Briefe seine Familie am Erlebten teilhaben ließ. Erstaunlicherweise gibt es – trotz seiner hohen Reisetätigkeit – sowohl im europäischen Ausland als auch in seiner Heimat nur einen kleinen Fundus an Darstellungen des Fürsten. Abbildungen seiner Frau und Kinder lassen sich noch schwieriger finden. Zur Erklärung dieses Umstandes stellte FRANÇOISE PUPIL (Paris) zwei Thesen auf. Zum einen könnte die geringe Anzahl von Bildnissen mit der Auflösung der ursprünglichen Sammlung durch die Zerstörung in diversen Kriegen oder mit dem Übergang in Privatbesitz begründet werden, zum anderen aber auch den zweitrangigen Platz des Prinzen in der Geschichte widerspiegeln.

Wiederholt Bezug nehmend auf die sächsischen Reformbestrebungen unter Xaver von Sachsen untersuchte THORSTEN PFLITTNER (Chemnitz) eingehend die 1764 eingeleitete wirtschaftsorientierte Forstreform in der Montanregion Sachsen, deren Wälder vor allem durch den Bergbau ausgebeutet wurden. Im Zuge der auf langfristige Sicherung der Primärressource Holz angelegten Neugestaltung des Forstressorts setzte Xaver, der – wie Pflittner bemerkte – nur wenig Interesse an der Jagd zeigte, an Stelle des Oberhofjägermeisters den Oberlandforstmeister Carl Ludwig von Lassberg ein. Letztendlich scheitete Lassberg jedoch an der unzureichenden Unterstützung seiner Person und seines Programms zur nachhaltigen Nutzung des Waldes 1777 durch intrigante Jagdliebhaber am kurfürstlichen Hof und erlitt damit ein ganz ähnliches Schicksal wie sein Auftraggeber. MICHAEL WALTER (Graz) legte zudem dar, dass während des Rétablissements auch die Oper in Dresden einer Wirtschaftsprüfung unterzogen wurde – mit dem Ergebnis ihrer endgültigen Abschaffung aufgrund der zu hohen Kosten. Im 17. Jahrhundert am sächsischen Hof als Mittel zur Repräsentation von Macht und Einfluss eingeführt und durch ihre Exklusivität durchaus konkurrenzfähig mit den kulturellen Zentren München und Wien diente die italienische Oper unter Friedrich August II. (1733-1763) fast ausschließlich dem Amüsement der Fürsten. Nach dem Siebenjährigen Krieg erfüllte ein Impresario-Theater zunehmend die Funktion des Hoftheaters, hatte im gesamteuropäischen Vergleich allerdings nur mehr ein antiquarisches Repertoire aufzuweisen. Im Grunde stand der Bedeutungsverlust der Dresdner Oper in engem Zusammenhang mit dem des sächsischen Hofes selbst.

Obwohl Prinz Xaver von Sachsen als ein „europäischer“ Fürst zu betrachten ist und sich für mehr als zwei Jahrzehnte in Frankreich niederließ, kehrte er seiner sächsischen Heimat nie ganz den Rücken zu. Augenscheinlichsten Ausdruck fand dies nach JEAN-LUC LIEZ (Troyes) in der Einrichtung von Schloss Zabeltitz, welches Xaver 1768 übereignet worden war und ihm nach seiner Flucht aus dem von der Revolution erschütterten Frankreich als Alterssitz diente. Dass sein Engagement insbesondere in Frankreich durchaus auch Ressentiments hervorrief, machte LUDOLF PELIZAEUS (Mainz) in seiner Untersuchung zum Verhältnis des Fürsten zum Krieg deutlich. So war dem Prinzen, während des Siebenjährigen Krieges Chef de la Division de Bretagne – eines in französischen Diensten stehenden sächsischen Heeres –, wiederholt die Abwesenheit vom Feld zum Vorwurf gemacht worden. Tatsächlich bemühte sich Xaver – Kriegsherr mit Leib und Seele –, die Interessen seines Korps bestmöglich auch in Versailles zu vertreten. Nach dem Ende des Krieges konzentrierte Xaver seine Anstrengungen auf die Reform des Militärs, scheiterte jedoch am Widerstand des Kurfürsten, der Stände und führenden Minister. Neben militärischen Fragen weckten vor allem Bücher das Interesse des Prinzen. Ein Großteil seiner rund 7.000 Werke zu Architektur, Kunst und Politik, aber auch erotische Literatur und Schlüsseltexte der Aufklärung befinden sich heute gemäß den Darlegungen ISABELLE DE CONIHOUTs (Paris) in der Bibliothèque Mazarine, der größten Bibliothek Frankreichs.

Stellvertretend für die sächsischen Fürstinnen im 18. Jahrhundert beschrieb CONSTANZE JESTAEDT (Dresden) das Leben und Wirken Maria Josephas (1699-1757), der Mutter Xavers. 1719 war die habsburgische Prinzessin mit Kurprinz Friedrich August von Sachsen vermählt worden. Während die Frage nach ihrem Mitwirken in der kurfürstlichen Politik bis heute nicht vollends beantwortet werden kann, ist ihr Einfluss auf den Kampfeswillen und das Durchhaltevermögen der Dresdner Bevölkerung im Siebenjährigen Krieg zweifelsfrei belegt. Denn während sich der Kurfürst und seine Berater bei Beginn der Kampfhandlungen zuerst nach Königstein und schließlich nach Warschau zurückzogen, blieb Maria Josepha im umkämpften Dresden zurück. Der Krieg indessen gestaltete sich nicht nur zu einer Bewährungsprobe für alle Menschen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, sondern auch zu einem Medienereignis in einem bisher unbekannten Ausmaß. ULRICH ROSSEAUX (Dresden) setzte sich in diesem Zusammenhang mit den publizistischen Strategien Preußens auseinander. Durch gezielte Personalisierung, Nationalisierung und Konfessionalisierung des Konfliktes galt es, eine Legitimationsbasis für den Krieg zu schaffen. Ergänzt wurden diese Taktiken durch eine gezielte Desinformation der Bevölkerung. HENDRIK THOß (Chemnitz) referierte abschließend über die sächsische Identität und das Bild vom Haus Wettin im Nationalsozialismus wie auch in der DDR und stellte damit die Verbindung zwischen der Agenda des Kolloquiums und der jüngeren Geschichte Sachsens her. Obwohl regionale Kultur und Identität sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR in offiziellen Darstellungen zugunsten regionenübergreifender systemkonformer Symbole und Identifikationsmuster in den Hintergrund gerieten, fanden und nutzten die Akteure auf regionaler und lokaler Ebene immer wieder Handlungsspielräume für die Bewahrung und Erforschung sächsischer Kunst, Kultur und Geschichte.

Bis in die heutige Zeit hinein ist die Erinnerung an das einstige Herrscherhaus der Wettiner lebendig geblieben. Das Kolloquium verdeutlichte am Beispiel des Prinzen Xaver von Sachsen vor allem die europäische Dimension sächsischer Dynastiegeschichte im 18. Jahrhundert und damit eines kulturellen Erbes, das bis heute weit über die sächsischen, ja sogar über die Grenzen Deutschlands hinaus weist und so auch eine besondere Facette der deutsch-französischen Beziehungen erhellt. Die spezifische Herangehensweise an die Thematik eröffnete ferner den Blick auf zukünftige Forschungsfelder. Einen wesentlichen Beitrag dazu soll die Publikation der Tagungsbeiträge im Katalog zur Chemnitzer Ausstellung über das Leben und Wirken Xavers von Sachsen leisten, für die seine noch immer in Frankreich archivierten Schätze eine Zeit lang nach Sachsen zurückkehren werden.

Konferenzübersicht:

Frank-Lothar Kroll: Eröffnungsvortrag
Bernhard Nauck: Grußwort
Thomas Nicklas: Xaver von Sachsen: Fürst zwischen Mächten
Winfried Müller: Bürgertum und Fürstenhaus im Rétablissement
Reiner Groß: Das kursächsische Rétablissement und die Stadt Chemnitz
Harald Marx: Die Fürsten und die Kunst: Dresden um 1750
Lucien Bély: Les Bourbons et la branche albertine
Alois Schmid: Maria Anna Sophie, die unbekannte Wettinerin auf dem bayerischen Kurfürstenthron
Françoise Knopper: Fürstenreisen: Prinz Xaver als Reisender
François Pupil: Fürsten im Porträt: Xaver von Sachsen und seine Familie
Torsten Pflittner: Die wirtschaftsorientierte Forstreform von 1764
Michael Walter: Oper in Dresden: Vom Sammlungsgegenstand zum antiquarischen Repertoire (1743-1793)
Jean-Luc Liez: Ein Prinz und sein Archiv: Xaver von Sachsen und Zabeltitz
Ludolf Pelizaeus: Prinz Xaver: Krieg und Reform
Isabelle de Conihout: Die Bibliothek des Prinzen Xaver: Vom Schloss Pont in die Bibliothèque Mazarine
Constanze Jestaedt: Sächsische Fürstinnen im 18. Jahrhundert – oder Maria Josepha, habsburgische Kaisertochter und sächsische Großmutter Europas
Ulrich Rosseaux: Der Siebenjährige Krieg als Medienereignis
Hendrik Thoß: Sächsische Identität und das Bild von Sachsens Fürsten im Nationalsozialismus und in der DDR


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