Herrschaft und Sozialstrukturen im Mittelalter östlich der Elbe

Herrschaft und Sozialstrukturen im Mittelalter östlich der Elbe

Organisatoren
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe “Gentes trans Albiam – Europa östlich der Elbe im Mittelalter“; Aleksander Paron, Polnische Akademie der Wissenschaften (Breslau); Sébastien Rossignol, Universität Göttingen und Universität Lille 3; Bartlomiej Sz. Szmoniewski, Polnische Akademie der Wissenschaften (Krakau); Grischa Vercamer, Deutsches Historisches Institut in Warschau, Wroclaw/Breslau
Ort
Wrocław
Land
Poland
Vom - Bis
26.06.2008 - 27.06.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Aleksander Paroń, Instytut Archeologii i Etnologii Polskiej Akademii Nauk, Wrocław; Sébastien Rossignol, Department of History, York University, Toronto; Bartłomiej Sz. Szmoniewski, Instytut Archeologii i Etnologii Polskiej Akademii Nauk, Kraków; Grischa Vercamer, Deutsches Historisches Institut Warschau

Das zweite Treffen der Arbeitsgruppe „Gentes trans Albiam – Europa östlich der Elbe im Mittelalter“ hat am 26./27. Juni 2008 in Breslau stattgefunden und wurde von der Mission Historique Française en Allemagne, vom Verein der Altertumsfreunde in Breslau, vom Institut für Archäologie und Ethnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften, vom Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, vom Deutschen Historischen Instituts in Warschau sowie von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit finanziert. Besonders das Institut für Archäologie und Ethnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften sowie das Deutsche Historische Institut Warschau traten darüber hinaus durch aktive Beteiligung und Mitorganisation hervor. Im Mittelpunkt des Workshops stand die Beschäftigung mit Herrschaftsformen und sozialen Strukturen. Damit griff das Thema auf Aspekte des ersten Treffens 2007 „Mittelalterliche Eliten und Kulturtransfer östlich der Elbe“ zurück. Diesmal sollten aber vor allem die gegenseitigen Wechselwirkungen von Herrschaft und sozialen Strukturen betrachtet werden. Für die Geschichte des frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa hat die Frage der herrschaftlichen Organisation immer eine zentrale Rolle in der Forschung gespielt. Dies gilt ebenso für die Bedeutung der gentes wie für die Ausbildung politisch-herrschaftlicher Verbände und Dynastien. Insbesondere erwünscht waren daher Beiträge zur Problematik der Entstehung sowie Legitimation von Herrschaft vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten und Ordnungskonfigurationen. Der Workshop war grundsätzlich interdisziplinär angelegt, d.h. historische und archäologische Themen wurden nebeneinander behandelt. Auch vergleichende Beiträge über jeweils nationale Forschungstraditionen (insbesondere Deutschland und Polen) haben reichhaltiges Diskussionspotenzial geboten.

Nach den Grußworten von LECH LECIEJEWICZ, SŁAWOMIR MOŹDZIOCH (beide Breslau) und RALF NITZ, Konsul für kulturelle Angelegenheiten (Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschlands in Breslau) hat SÉBASTIEN ROSSIGNOL (Göttingen-Lille) in seinem Impulsreferat die Notwendigkeit unterstrichen, die Vorstellungen der Menschen vergangener Epochen von denen der heutigen Forscher zu unterscheiden sowie zwischen der Analyse der Quellen und den Konzepten der Forschung zu differenzieren. Das Bewusstsein der eigenen wissenschaftlichen Tradition ermögliche, internationale Diskussion zu erleichtern – und dies sei eine der Aufgaben, welche sich die von ANNE KLAMMT (Göttingen) und ihm gegründete Arbeitsgruppe „Gentes trans Albiam“ gestellt habe.

THOMAS SAILE (Bamberg), ausgebildeter Prähistoriker und Spezialist der Siedlungsarchäologie der Westslawen, präsentierte die verschiedenen Gesellschaftsmodelle, anhand deren Archäologen die interne Organisation der untersuchten menschlichen Gruppierungen klassifizieren und erklären können. Dabei hat er unterstrichen, dass die Grenzen zwischen den diversen Stufen stets fließend sind und dass eine der Hauptschwierigkeiten darin besteht, die Übergänge zu identifizieren – so zwischen Ranggesellschaft und stratifizierter Gesellschaft, oder zwischen stratifizierter Gesellschaft und frühem Staat. Außerdem sei in letzter Zeit in der Forschung die evolutionistischen Paradigmen stark erschüttert worden. Anschließend hat er mit Beispielen aus dem Bereich der Westslawen exemplifiziert, welche konträre Deutungen von den Forschern geäußert werden konnten und somit hat er, angesichts meistens schwieriger Quellenlage, zur Vorsicht geboten.

STANISŁAW ROSIK (Breslau) hat in seinem Beitrag den Versuch gemacht, die Quellen des Religionssynkretismus, der als Ergebnis der Christianisierung des Westslawentums im 10. und 11. Jahrhundert hervorgegangen war, zu identifizieren. Dieses Phänomen begreift Rosik, wie man aus seinem Vortrag folgern kann, als Vorhandensein von Einflüssen der alten, d.h. der heidnischen, wie auch der neuen Religion in derselben Gemeinschaft. Die Quellen von diesem Sachzustand sieht der Forscher in der Christianisierungsstrategie, die gegenüber den Stämmen des Westslawentums angewendet wurde. Die Mission sei auf zwei Etappen geteilt worden: eine offizielle, die institutionelle und symbolische (abrenuntiatio diaboli) Eingliederung der gegebenen Gesellschaft in die christliche Gemeinschaft, sowie eine individuelle, verbunden mit der persönlichen Bekehrung (confessio fidei), die zwangsläufig eine Nachwirkung von den langwierigen Missionsbestreben sein musste.

Einem anderen Aspekt des Christianisierungsprozesses hat PRZEMYSŁAW KULESZA (Breslau) sein Referat gewidmet. Der Forscher versuchte, in Anlehnung an Vergleichsmaterial vom frühmittelalterlichen Dänemark (10.-11. Jahrhundert), die in der polnischen Historiographie herrschenden Meinungen über den Rezeptionsprozess der christlichen Religion im Land der frühen Piastenmonarchie zu erschüttern. Seiner Auffassung nach hätten in der ersten Christianisierungsphase, besonders auf dem Gebiet Südpolens (Schlesien, Kleinpolen), die lokalen Stammeseliten eine wesentliche Rolle gespielt. Im Polen, wie in Dänemark hätte die regierende Dynastie kein Monopol auf die Ausbreitung des neuen Glaubens gehabt.

HEIKE KENNECKE (Wünsdorf), Mitarbeiterin des DFG-Projektes „Slawen an der unteren Mittelelbe“ hat in ihrem Beitrag über die Burg von Lenzen an der Elbe dargestellt, wie schwierig es in einem Grenzbereich ist, die Ethnizität der Bauherren einer Anlage mit den aus den Schriftquellen bekannten Völkern zu identifizieren. Da die verschiedenen Bauphasen der besprochenen Burganlage dank der Dendrochronologie exakt datiert sind, konnte Kennecke diese Phasen historisch einbetten und Erklärungen vorschlagen, wie sie am wahrscheinlichsten mit aufeinanderfolgenden Herrschaftsperioden der einheimischen Slawen, der Sachsen und der Abodriten über dieses Gebiet in Einklang zu bringen sind.

DONAT WEHNER (Kiel) zeigte in seinem Beitrag über die Entwicklung von Herrschaft am Seehandelsplatz von Wolin, dass frühmittelalterliche, multiethnische Seeplätze nicht unbedingt eine Burg in nächster Nachbarschaft bräuchten (wie beispielsweise in Groß Strömkendorf oder Menzlin). Die Siedlung war selbst mit Wällen umgeben und die örtlichen Machthaber werden wohl dort gelebt haben, obgleich sich aus dem Fundmaterial keine Hinweise auf soziale Differenzierung ergaben. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts und im 11. Jahrhundert existierte dort aber ein größeres Gebäude, was aufgrund der Funde (Pferdestatur, Idol) als Tempel gedeutet werden könne. Im 11./12. Jahrhundert verlor der Platz an Bedeutung, obgleich noch 1140 ein Bistum in Wolin errichtet wurde, das aber bald nach Kammin verlegt wurde.

KARIN REICHENBACH (Leipzig) zeigte in ihrem Vortrag über die funktionale Deutung von Burgwällen in der schlesischen Archäologie des 20. Jahrhunderts, wie vieldeutig archäologische Hinterlassenschaften sein können – je nach dem, in welcher Forschungstradition sie interpretiert werden. Die Forscher sind niemals aus dem herrschenden politischen System (Kaiserzeit, Drittes Reich, Kommunismus, Kapitalismus) loszulösen. So wurden die Burgen mal als Fliehburgen, mal als Häuptlingssitze interpretiert; mal kam der auslösende Faktor zum Burgenbau von innen (Hermann: Verteidigung gegen Nachbarn), mal von außen (Henning: sächsische Invasion). Die Terminologie (z.B. ‚Gauvölker’) muss, wie die Diskussion gezeigt hat, aus der Zeit betrachtet werden. Der jeweilige Forscher könne also nicht per se für eine Wortwahl seiner Zeit verantwortlich gemacht werden. Der Beitrag setzt sich dafür ein, den Schriftquellen bei der Interpretation noch andere Konzepte gegenüberzustellen.

LAURENCE LELEU (Paris) hat in ihrem Referat über die Adelsfamilien Sachsens in der Ottonenzeit erläutert, welche Strategien die sächsischen Adeligen in ihren Beziehungen zu den Eliten der benachbarten slawischen Völkern bevorzugen konnten. Obwohl die Slawen in den sächsischen Chroniken oft mit Vorurteilen und negativen Topoi beschrieben worden seien, konnte Leleu zeigen, dass sie durchaus enge und kooperative Beziehungen mit den slawischen Eliten eingegangen seien. Dies zeige sich in Heiratsbeziehungen sowie in mehreren Beispielen von sächsischen Adeligen, die es für erstrebenswert hielten, die slawische Sprache zu erlernen. Mit einer detaillierten Rekonstruktion der Familie des Chronisten Thietmar von Merseburg konnte sie außerdem beispielhaft die Familienverbindungen eines sächsischen Adeligen darstellen.

GRISCHA VERCAMER (Warschau) wies in seinem Beitrag über die Strukturen vom Polen Bolesławs I. und vom Deutschen Reich Ottos III. hauptsächlich auf Parallelen der Entwicklung im Reich und in Polen hin. Beide herrschaftlichen Gebilde erwuchsen aus Stammesgesellschaften mit denen beide auch noch im 11. Jahrhundert zu tun hatten. Während es für das Reich im 10./11. Jahrhundert zahlreiche Beispiele von Königskonflikten mit mächtigen Adeligen gab, kamen diese in Polen (weder bei Thietmar noch bei Gallus Anonymus) zur Zeit Bolesławs Chrobry nicht vor. Ein Beweis für die unter den Mächtigen Polens anerkannte königliche Stellung Bolesławs seit 1000 n. Chr. und somit ein neuer Annährungsweg zu dem altbekannten Forschungsproblem (Krönung Bolesławs im Jahre 1000)?

PRZEMYSŁAW WISZEWSKI (Breslau) stellte in seinem Vortrag die Frage nach der Organisation des politischen Raumes im frühpiastischen Polen (bis 1138). Dem Forscher nach sei die Regierung von Kazimierz dem Erneuerer (1038-1058) ein kritischer Punkt gewesen, ab dem man über eine Befestigung von der politischen Topographie der Piastenmonarchie sprechen könne. Von dieser Zeit an hätten die piastischen Herrscher ihren Herrschaftsraum um zwei (Krakau, Gnesnen), evtl. drei (noch Posen) Machtzentren organisiert. Die neuen Plätze der Machtmanifestation seien nicht geschaffen worden, eher die schon existierenden befestigt worden. Es scheint, dass in der früheren Periode (vor der Hälfte des 11. Jahrhunderts) die Piasten ein extensiver entwickeltes Netz der Machtzentren gehabt hätten, das nicht nur aus den im Zentrum (Gnesnen, Posen, Ostrów Lednicki, Giecz), sondern auch aus den an den Staatsgrenzen gelegenen Residenzen (Kałdus, Przemyśl) bestanden hätte.

MAIKE SACH (Warschau) stellte anhand der Periode des Seniorats in Polen (1138-1320) eine Ordnungskonfiguration vor, die mehr einer gedachten als einer real existierenden Ordnung entspräche. Die Zeitgenossen, die auf dem Boden des ehemals geeinten Herrschaftsraums der Polonia lebten, nahmen Polen als regnum wahr, obgleich es de facto keinen polnischen rex gab. Es handele sich bei dem regnum Poloniae um ein geteiltes Reich, ein regnum divisum, welches aber trotz der Separationsbestrebungen weiterbestand. Sach betonte, dass der regnum-Begriff anhand von anderen Beispielen vertieft werden müsse, damit er ohne Vorbehalte auf Polen angewendet werden könne.

ALEKSANDER PAROŃ (Breslau) wies in seinem Beitrag auf das Problem der Entstehung und der Desintegration von hochentwickelten politischen Einheiten (Staaten, Imperia), die von den Nomaden der euroasiatischen Steppen geschaffen wurden, hin. Paroń negierte zwar nicht die Bedeutung der sozialen Differenzierung - die wichtigste Rolle spiele jedoch (im Fall der Nomaden im Prozess der Staatsgründung) eine gelungene Expansion. Ihre Hemmung stehe meistens in Verbindung mit dem Anstieg von zentrifugalen Kräften, welcher dann zur Desintegration des ganzen Gebildes geführt habe. Anhand von Beispielen politischer Komplexe, die von den Nomaden im frühmittelalterlichen Europa gegründet wurden (Awaren, Chazaren, Bulgaren und Ungarn), hat er auch gezeigt, von welch großer Bedeutung für den Fortbestand von diesen politischen Organismen die Beziehungen mit den unterworfenen Sesshaften gewesen sei. Der Integrationsgrad von den beiden sozialen Gruppen hätte die Dauerhaftigkeit der gegebenen politischen Einheit bestimmt, dennoch auch den Weg der praktisch vollkommenen Akkulturation der Nomaden bereitet.

ANDREI MĂGUREANU (Bukarest) beschäftigte sich in seinem Vortrag “Archaeological Proofs of Power in the Extra Carpathic area (6th – 7th centuries)” mit den Funden an der unteren Donau und den östlichen Karpaten. Er konzentrierte sich dabei auf Fibeln, Ohrringe und hohle Tonformen zum Herstellen von Schmuck und Waffen. Mache dieser Funde können als Prestigeobjekte der örtlichen Machthaber gewertet werden. Die Gegenden an der unteren Donau standen unter starken Einfluss von Byzanz, was für die Extra-Karpaten-Gebiete nicht gesagt werden kann. Daraus resultiert, dass letztgenannten weniger mächtig waren.

BARTŁOMIEJ SZYMON SZMONIEWSKI (Krakau) stellte in seinem Vortrag „Stronghold at Pastirs’ke (Ukraine) – Centre of Power in the Forest-Steppe Belt” den Burgwall von Pastirs'ke in seiner frühsten Phase im frühen Mittelalter vor. Er verglich die Burgwälle von Prag, Kolotchin und Tushemla, welche zur Bantserovshchina Kultur gehören mit dem Burgwall von Pastirs'ke. Der Autor analysierte einen Teil der Innenbebauung, welche ausgegraben wurde. Drei lange Strukturen konnten herausgearbeitet werden, die womöglich einen Zentralplatz befestigten, wo der lokale Machthaber saß. Ob dieser Machthaber einer der Antean 'Archon' war, vielleicht ein Bruder von Mezamir oder eben ein auswärtiger Herrscher bleibt eine offene Frage.

DANIELA TĂNASE (Timişoara/Rumänien) konnte in ihrer Darstellung von Schmiedegräbern und deren Ausstattung aus der Awarenzeit (6./7. Jahrhundert) im südöstlichen Europa (Serbien, Rumänien, Ungarn) aufzeigen, dass die Schmiede (und unter ihnen besonders die Goldschmiede) einen hohen Rang in der awarischen Gesellschaft einnahmen. Es kann durchaus angenommen werden, dass die Schmiede teilweise dem hohen Adel entstammten. Ihre Lehrzeit haben sie oftmals bei byzantinischen Meistern verbracht – hier sind eindeutig Kontakte belegbar. Es weist außerdem vieles darauf hin, dass die Schmiede Wanderhandwerker waren, die sich frei bewegten. Keineswegs handelte es sich um unfreie Handwerkern welche an die Fürstenburgen gebunden waren. Die Vielfalt und Filigranität der Werkzeuge in den Gräbern zeige die hohe Kunst und Ausbildung der Schmiede.

BOGDAN CIUPERCĂ (Ploeşti/Rumänien) stellte in seinem Vortrag “Centres of Power at the Lower Danube in 8th-10th centuries. The case of Slon’s fortifications (Prahova County)." das Beispiel des Burgwalls Slon vor. Dieser Burgwall diente der strategischen Kontrolle des Salzhandels entlang der Donau und des Tyrnovo. Es handelte sich dabei allerdings um ein Einzelbeispiel, da eine Kette von Burgwällen (bisher) nicht nachgewiesen werden konnte.

Mit einem Beitrag über die Einsetzung und die Herrschaftsübernahme der Bischöfe von Dorpat, Ösel und Kurland hat HENRIKE BOLTE (Berlin) die Aufmerksamkeit auf das spätmittelalterliche Baltikum gelenkt. Anhand von konkreten Beispielen hat sie die Schwierigkeiten geschildert, mit denen Kandidaten zum Bischofsamt von ihrer Ernennung bis zum tatsächlichen Beginn ihrer Regierung konfrontiert gewesen seien. Dabei hat sie die Beziehungen der Bischöfe zum Deutschen Orden erläutert sowie den Verwaltungsapparat beschrieben, mit dem die Bischöfe umgeben waren. Es ist ihr dabei gelungen aufzuzeigen, wie ein sozialer Aufstieg von Söhnen bürgerlicher Familien über diese Ämter im Baltikum einfacher als im Reich zu vollbringen war.

LUDOVIC VIALLET (Clermont-Ferrand) zeigte in seinen Ausführungen zum franziskanischen Fall im deutschsprachigen Raum im 15. Jahrhundert, wie die unterschiedlichen franziskanischen Strömungen am Ende des Mittelalters (Konventualen, Observanten und Reformanten) miteinander um Einfluss rangen und die Klöster in den Städten (besonders am Beispiel Görlitz vorgeführt) dadurch unmittelbar in die städtische Politik hineingezogen wurden. Die Frage nach Reformation (propositum) der Klöster und Wirtschaft sowie bürgerliche Identität (bonum commune) in der städtischen Gesellschaft – besonders an dem Beispiel des Besitzes von Geld der Mönche auf Reisen vorgeführt– könne nicht gesondert voneinander betrachtet werden.

DOMINIK NOWAKOWSKI (Breslau) hat ebenfalls das spätmittelalterliche Schlesien behandelt. Der interdisziplinär arbeitende Archäologe hat mit großer Detailkenntnis die graduelle Besitzakkumulation einer Ritterfamilie im Laufe mehrerer Generationen rekonstruiert. Es ist ihm gelungen, mehrere der Burgen und Residenzen aus dem Familienbesitz zu identifizieren und, wo archäologische Ausgrabungen stattgefunden haben, die Bau- und Restaurierungsphasen mit den Wechseln der Besitzverhältnisse zu verknüpfen. Nowakowski hat uns damit einen Einblick in die Möglichkeiten der Konfrontation von Schrift- und Sachquellen für die Rekonstruktion von Besitz-, Macht- und Repräsentationsstrategien gegeben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Programm zwar sehr heterogen war, trotz der Schwerpunkte auf den Westslawen und Polen im Frühmittelalter sowie auf dem Gebiet des heutigen Rumänien, aber dennoch die Diskussion über grundsätzliche Probleme des Nachweises von Herrschaft anhand von archäologischen Quellen sowie der Interpretation von Machtverhältnissen im Rahmen gegebener Sozialstrukturen auf Grund von Schriftquellen ermöglichte. Es hat sich gezeigt, dass die gesellschaftlichen Strukturen im Laufe des Mittelalters immer komplexer wurden, da immer mehr gesellschaftliche Schichten hinzukamen, die wiederum nach eigenem Anteil an der Herrschaft strebten. Dieser Befund mag angesichts der steigenden Anzahl von schriftlichen Quellen nicht weiter überraschen, kann aber auch völlig losgelöst davon betrachtet werden. Die frühmittelalterliche Gesellschaft scheint in sich geschlossener und homogener als die spätmittelalterliche. Herrscher mussten sich also in der spätmittelalterlichen Phase mit wesentlich mehr Faktoren auseinandersetzen, um ihre Herrschaft zu halten, als ihre Vorgänger in früheren Zeiten.
Insgesamt hat sich als besonders fruchtbar die Gegenüberstellung von archäologischen und schriftlichen Quellen ergeben – sei es in Beiträgen, die beide Disziplinen vereinigten (Wiszewski, Nowakowski) oder in Referaten, die gezielt den Aussagemöglichkeiten des eigenen Faches gewidmet wurden (u.a. Saile, Reichenbach, Leleu, Tănase).

Aus den Beiträgen des Treffens wird ein Tagungsband vorbereitet, der am Institut für Archäologie und Ethnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften erscheinen wird .

Konferenzübersicht:

Lech Leciejewicz (Breslau), Sławomir Moździoch (Breslau), Ralf Nitz (Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland), Grußwort

Sébastien Rossignol (Göttingen-Lille), Von den Quellen zu den Ergebnissen über die Interpretation – methodische Überlegungen als einführende Worte

Thomas Saile (Bamberg), Sozialpolitische Organisationsformen westslawischer Gesellschaften im Vergleich

Stanisław Rosik (Breslau), Christianisierung und Sozialwandel im Westslawentum im 10.-11. Jahrhundert. Zeit der Kompromisse und Geburt des Synkretismus

Przemysław Kulesza (Breslau), Christianisation Policy of Rulers and Elite in 10th Century Denmark and Poland – Outline of the Problem

Heike Kennecke (Wünsdorf), Die Burg von Lenzen: ein slawisches oder ein sächsisches Herrschaftszentrum?

Donat Wehner (Berlin), Zur Entwicklung von Herrschaft am Seehandelsplatz Wolin

Karin Reichenbach (Leipzig), Burgwälle und ihre funktionale Deutung in der schlesischen Archäologie des 20. Jahrhunderts

Laurence Leleu (Paris), Nobiles utraeque ripae Albiae. On Both Sides of the Elbe: Saxon élites Facing Slavs in the Ottonian Age

Grischa Vercamer (Warschau), Das Polen Bolesławs I. – Das Deutsche Reich Ottos III. – Welche Struktur wurde um die Jahrtausendwende angestrebt und wie veränderte sich diese nach dem Tod Ottos III.

Przemysław Wiszewski (Breslau), Historiograpy, Archaeology and Reality of Power. Conceptions of Territorial-political Divisions of Poland (10th c. up to 1138). An Essay

Maike Sach (Warschau), Wahrnehmung und Darstellung politischer Ordnung(en) im Kontext des Zerfalls des Piastenreiches und der Vereinigung der Teilfürstentümer im Königreich Polen

Aleksander Paroń (Breslau), From Tribe to State and Back. Power in the Nomadic Societies of Eurasia in Middle Ages

Andrei Măgureanu (Bukarest), Archaeological Proofs of Power in the Extra Carpathic Area (VIth – VIIth Centuries)

Bartłomiej Sz. Szmoniewski (Krakau), Stronghold at Pastirs’ke (Ukraine) – Centre of Power in the Forest-Steppe Belt

Zsuzsana Hajnal (Budapest), Germanic and Slavic Influences on the Avar Period Material Culture: Spatial Analysis and Open Questions

Daniela Tănase (Timişoara), Gräber mit Goldschmiede- und Schmiedewerkzeugen aus der Awarenzeit. Ein Zeichen von Macht oder ein Hinweis für das Ausüben des Handwerks

Bogdan Ciupercă (Ploieşti), Centres of Power at the Lower Danube in VIIIth – Xth Centuries. The Case of Slon’s Fortifications (Prahova County)

Henrike Bolte (Berlin), Einsetzung und Herrschaftsübernahme der Bischöfe von Dorpat, Ösel und Kurland

Ludovic Viallet (Clermont-Ferrand), Universitas, ordo, propositum: Überlegungen anhand des franziskanischen Falls (deutschsprachiger Raum, 15. Jahrhundert)

Dominik Nowakowski (Breslau), Grundherrschaft und Sozialstrukturen im mittelalterlichen Schlesien. Adlige Eigenwirtschaft im Fürstentum Glogau am Beispiel der Karriere der Ritterfamilie von Rechenberg

Aleksander Paroń, Sébastien Rossignol, Bartłomiej Sz. Szmoniewski, Grischa Vercamer, Schlussbemerkungen