Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in der Bundesrepublik in historischer und aktueller Perspektive

Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in der Bundesrepublik in historischer und aktueller Perspektive

Organisatoren
Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V., LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.07.2008 - 11.07.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Christine Witte, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster

Am 10. und 11. Juli 2008 veranstaltete die Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V. (FVSG), das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in Kiel eine Tagung zum Thema „Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in der Bundesrepublik in historischer und aktueller Perspektive“. Die Tagung bildete den Abschluss eines zeithistorischen Forschungsprojekts, in dem Historiker und Historikerinnen die Gebiets- und Funktionalreform in verschiedenen Bundesländern aus verwaltungs-, sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive untersuchten.

Die historischen Studien widmeten sich mehrheitlich den Jahren zwischen 1960 und 1980, um über die Kernzeit hinaus auch die Vorgeschichte und die Nachwirkungen der Reformen in den Blick zu nehmen. Sowohl die Reform „von oben“ als auch die Partizipationsforderungen von Bürgern und Interessenverbänden wurden in die Analyse einbezogen. Die historische Perspektive des Projektverbundes wurde auf der Konferenz um Diskussionen und Fragen zur Verwaltungsreformen in der Gegenwart erweitert. Dabei rückten derzeitige Neuordnungsdiskussionen und -pläne in Schleswig-Holstein sowie in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern in den Mittelpunkt der Betrachtung. Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen waren und sind ein kontrovers diskutiertes Thema. So stehen Ziele wie die Effizienzsteigerung der Verwaltung dem Wunsch nach Erhalt historisch gewachsener, traditioneller Gebietsstrukturen gegenüber.

BERND WALTER (Münster) gab in der Begrüßung einen kurzen Überblick über die bisherige Forschung zur Gebiets- und Funktionalreform. Insbesondere wies er auf unterschiedliche, fachspezifische Zugänge hin. JÜRGEN REULECKE (Gießen) führte dann in die Sektion „Politische Planung und neuer Bürgersinn in den 1960er und 1970er Jahren“ ein. Er hob dabei die lange Tradition kommunaler Neuordnungen in der deutschen Geschichte hervor und benannte fünf Stufen eines Reformprozesses: Herausforderungslage, Problemerkennung, Mittelsuche, Reformierungsprozess und Wirkung.
Die beiden folgenden Sektionsbeiträge thematisierten den politik- und gesellschaftsgeschichtlichen Rahmen des Tagungsthemas und wurden der am Nachmittag folgenden historischen Sektion zum Zweck der Kontextualisierung vorangestellt.
MICHAEL RUCK (Flensburg) skizzierte den Verlauf der politischen Planung in der Bundesrepublik von ihrem Beginn mit einer Phase diskursiver Enttabuisierung und Endideologisierung des Planungsdenkens über eine Phase des Planungsbooms seit Ende der 1960er-Jahre und die anschließende Ernüchterung in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre bis hin zur Stückwerk-Technik seit Mitte der 1970er-Jahre. Die Überzeugung von der prosperitätssteigernden und -sichernden Wirkung politischer Steuerung habe die Planungsbegeisterung gefördert und Skeptiker in die Defensive gedrängt, so Ruck. Der wirtschaftspolitische Kurswechsel hin zu einer Politik der Globalsteuerung unter Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller habe mit der Überwindung der Rezession von 1966/67 die Ausbreitung des Planungsansatzes auch in andere Politikbereiche begünstigt. Mit Beginn der 1970er-Jahre zeigte sich dann der konfliktträchtige Widerspruch zwischen ausgreifenden Planungsszenarien und bürgerlichen Partizipationsansprüchen zunehmend durch das Auftreten zivilgesellschaftlicher Protestbewegungen. Ruck sprach diesbezüglich von einem Konfliktdreieck „Planung – Prosperität – Partizipation“. Er bezeichnete die Geschichte der Verwaltungsreform während der Planungsdekade 1965-1975 als anschauliches Beispiel für das spannungsgeladene Aufeinandertreffen von Planungsdenken und Partizipationsansprüchen.

HABBO KNOCH (Celle/Göttingen) widmete sich in seinem Vortrag “Demokratie machen. Bürgerschaftliches Engagement in den 1960er und 1970er Jahren“ den wachsenden Partizipationsansprüchen aus den Reihen der Zivilgesellschaft. Knoch warf einen strukturellen Blick auf die Zeit von 1968 bis 1977 und verwies auf die Folgen und Auswirkungen des Strukturwandels. Er erläuterte verschiedene Ausformungen partizipatorischer Kultur wie politische Systemaktivitäten, kommunale Mitgestaltung oder auch die politische Radikalisierung bis hin zur politischen Gewalt. Die deutliche Ausweitung politischer Partizipations- und Protestformen in dieser Zeit waren ein sichtbares Zeichen für die zunehmenden Mitspracheforderungen und -absichten der Bevölkerung. Unter dem Einfluss der sozialliberalen Reformkultur der Ära Brandt habe die bürgerschaftliche Beteiligung an Planungsprozessen zugenommen und es sei zu einer Politisierung der Lebenswelt gekommen, resümierte Knoch. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Sozialstruktur und die Generationenzugehörigkeit der Akteure und die damit verbundenen Einstellungen und Motivationen zur Partizipation thematisiert.

In der zweiten, von Michael Ruck moderierten Sektion zur „Gebietsreform in historischer Perspektive“ wurden die fünf geschichtswissenschaftlichen Projektstudien zur Gebiets- und Funktionalreformen in verschiedenen westdeutschen Bundesländern präsentiert.

SABINE MECKING (Düsseldorf/Münster) nahm unter der Fragestellung „Neues Bürgerbewusstsein im Bürgerstaat?“ das Verhältnis von staatlicher Planung und bürgerschaftlichem Eigensinn am Beispiel der Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen in den Blick. Anhand räumlich und zeitlich unterschiedlich im Neuordnungsprozess zu verortender Stadtregionen (Bielefeld, Bochum-Wattenscheid und Köln-Leverkusen-Opladen) legte sie den seit den 1960er-Jahren festzustellenden neuen Aushandlungsprozess zwischen Staat und Bürger dar. Es wurde deutlich, wie unbequem das neue Bürgerengagement aus Sicht der institutionalisierten Entscheidungsgremien und der Bürokratie sein konnte. Insbesondere in städtisch geprägten Regionen seien Bürger und Bürgerinnen immer weniger bereit gewesen, den Neuordnungsvorgaben und Entscheidungen der Behörden sowie den verfassten Entscheidungsgremien unkritisch zu folgen. So initiierte die landesweite Protestinitiative „Aktion Bürgerwille“ schließlich das erste Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen gegen die Gebietsreform. War das Volksbegehren auch erfolglos und konnten zahlreiche Bürgerinitiativen und Aktionsbündnisse ihre Forderungen nicht durchsetzen, so blieb das Handeln – wie Mecking ausführte – dennoch nicht wirkungslos. Nicht nur das kommunalpolitische Kompetenzbewusstsein der Bevölkerung habe zugenommen, sondern auch die Bereitschaft zum gemeinsamen politischen Handeln zur Durchsetzung bürgerschaftlicher Interessen.

Im folgenden Vortrag von JAN NIKOLAS DICKE (Münster) wurde das Thema „Politik, Verwaltung, Bürger: Kommunale Akteure zwischen Gemeinsinn und Eigeninteressen, dargestellt anhand der Gebietsreform im neuen Kreis Borken“ behandelt. Ins Zentrum seiner Forschung stellte Dicke die Frage, inwiefern Politik und Verwaltung das Ziel verfolgten, die Interessen der Bürger zu vertreten und inwiefern sich die Bürger selbst aktiv in die Neugliederungsauseinandersetzungen einmischten. Laut Referent war die Initiative zur Neugliederung im ländlich strukturierten neuen Kreis Borken zu Beginn stark von der Verwaltung ausgegangen, die vor dem Hintergrund der Wahrung eigener Interessen (z.B. eigene Karriere) schnell handeln wollte, um sich die Entscheidungen nicht von der Politik aus der Hand nehmen zu lassen. In der zweiten Neugliederungsphase, in der dann auch die Kommunalpolitik eine größere Aktivität entfaltete, hätten dann sowohl die Politik als auch die Verwaltung die Öffentlichkeit als Instrument im Streit um die Neugliederung entdeckt. Beide Seiten seien anfangs grundsätzlich bestrebt gewesen, die Bürger aus der Entscheidungsfindung rauszuhalten und sie nur dann zu beteiligen, wenn es politisch sinnvoll erschien. Dicke hielt resümierend fest, dass bei den damaligen Borkener Bürgerinitiativen nicht von Initiativen der Bürger gesprochen werden könne. Zu ihrer Bildung sei es ausschließlich auf Initiative von Politik oder Verwaltung zum Zweck der Instrumentalisierung gekommen. Dennoch verdeutliche dieser Umstand die Bedeutungszunahme artikulierten Bürgerwillens, so Dicke.

AXEL BERNSTEIN (Flensburg/Kiel) untersuchte exemplarisch anhand der Kreise Nordfriesland und Segeberg die „Kreisgebietsreform in Schleswig-Holstein unter besonderer Berücksichtigung partizipatorischer Ansätze“. Mit der Auswahl der genannten Kreise stellte Bernstein einer strukturschwachen Region in Randlage einen ehemals ländlichen Kreis gegenüber, der mit der Kreisgebietsreform zum Hamburger Umlandkreis wurde. Der Referent skizzierte die Umsetzung der schleswig-holsteinischen Kreisgebietsreform der 1960er und 1970er-Jahre und wies auf die wesentliche Fortentwicklung im Verfahrensgang hin. In verwaltungs- und partizipationsgeschichtlicher Hinsicht sprach er von einer Katalysatorfunktion. Bürgerlich strukturierte Initiativen hätten sich in Schleswig-Holstein nur punktuell und nicht kreisübergreifend zusammen gefunden. Außerdem lösten sie sich zumeist schnell wieder auf. Obwohl die Landesadministration eigentlich nicht als Schrittmacher einer institutionalisierten Partizipation bezeichnet werden könne, habe sie durch die Einberufung von Anhörungsterminen im Reformverlauf die Partizipationsmöglichkeiten der Eliten dennoch verstärkt.

JOHANNES KOENIG (Limburg) behandelte in seinem Vortrag die Frage: „Stadt Lahn – Musterbeispiel oder Sonderfall der kommunalen Gebietsreform in Hessen?“. Detailliert und anschaulich legte der Referent die Entwicklung des Lahnstadt-Projektes dar. Vor dem Hintergrund der damaligen fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Presse und Lahnstadt-Gegnern stellte er dabei die Berichterstattung der lokalen und überregionalen Tageszeitungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Gegen das Neuordnungsziel, aus Wetzlar und Gießen ein großstädtisches Oberzentrum in Mittelhessen zu bilden, habe sich Wetzlar vor allem mit Argumenten bezüglich der Namensgebung, der Missachtung der historischen Bedeutung Wetzlars, des Identitätsverlusts und des Verlusts einer bürgernahen Verwaltung gewehrt. Als weiteres Argument habe das generell schwierige Verhältnis zwischen beiden Städten, das als traditionsreiche Konkurrenz beschrieben wurde, gedient. Obwohl die Proteste aus Wetzlar von den Zeitgenossen stärker als die aus Gießen dargestellt und wahrgenommen wurden, habe auch Gießen den Zusammenschluss abgelehnt. Koenig sprach der Namensdiskussion eine zentrale Bedeutung für den Prozess der Bildung und noch stärker für die spätere Auflösung der Stadt Lahn zu. Der Gegenstand der Namensgebung habe sich ausgezeichnet publikums- und medienwirksam instrumentalisieren und emotionalisieren lassen. Für Koenig war die Diskussion um die Lahnstadt repräsentativ für die Verwaltungsreform in Hessen. Das Lahn-Projekt sei ein Musterbeispiel für die Planungseuphorie jener Jahre gewesen. Gleichzeitig spiegele der Widerstand gegen den Zusammenschluss die auch anderenorts in Hessen festzustellenden, auf historisch gewachsenen Abneigungen basierenden Einwände gegen die Reform wider. In der anschließenden Diskussion unterstrich Johannes Rosenplänter (Kiel), wie unsensibel die Planer der Lahnstadt mit den Identitätsempfindungen der Bürger umgegangen seien, wenn sie mit Namensvorschlägen wie „Lahn 2“ für Wetzlar operierten.

CHRISTINA STEINBICKER (Bonn) betrachtete in ihrer vergleichenden Untersuchung „Modernisierungsprozesse in der Debatte um die Kreisentwicklung in der rheinland-pfälzischen Gebietsreform“ den landwirtschaftlich strukturierten Kreis Bitburg-Prüm und den industriell geprägten Kreis Ludwigshafen. Sie hob die räumliche, wirtschaftliche, religiöse und politische Zweiteilung des Landes Rheinland-Pfalz als ein wesentliches Charakteristikum hervor. Entgegen der bisherigen Forschung zur rheinland-pfälzischen Verwaltungsreform setzte die Referentin ihren Schwerpunkt auf die Untersuchung der gesellschaftspolitischen Prozesse hinter der Neugliederungsdebatte und fragte nach Motiven, Reaktionen, neuen Aktionsformen, Argumenten und Strategien der verschiedenen Akteure des Neuordnungsprozesses. Ein zentraler Punkt in der Untersuchung war die Frage nach dem Stellenwert regionaler Identitäten in den Diskussionen um die Kreisneugliederung. In der öffentlichen Diskussion seien gezielt identitätsstiftende Argumente genutzt worden, um die Bevölkerung zur Teilnahme zu mobilisieren. Steinbickers Ausgangsthese, große Unterschiede im Umgang mit der Reform zwischen dem ländlichen und dem industriell geprägten Raum feststellen zu können, bestätigte sich durch ihre Untersuchung letztlich nicht. Sie führte dies auf die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen jener Zeit zurück, die – wenngleich auch in sehr unterschiedlicher Intensität – überall spürbar waren.

Die öffentliche Abendveranstaltung begann mit Grußworten des Präsidenten der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft HANS TIETMEYER (Königstein) und des Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags MARTIN KAYENBURG (Kiel). Anschließend sprach MAXIMILIAN WALLERATH (Bonn) zu „Aufgaben – Raum – Struktur. Steuerung des Wandels durch kommunale Gebiets- und Funktionalreformen“. Wallerath hatte als Mitglied des Landesverfassungsgerichts des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen der Rechtsprechung 2007 erheblichen Einfluss auf die dortige Gebietsreform genommen. Mit seinem Vortrag leistete er aus juristischem Blickwinkel einen Brückenschlag zwischen historischer und verwaltungswissenschaftlicher Betrachtung des Tagungsthemas. Er unterstrich die Notwendigkeit einer polyperspektivischen Auseinandersetzung mit Gebiets- und Funktionalreformen. Damit eine Reform überhaupt erfolgreich sein könne, bedürfe sie eines eingehenden kontextgebundenen Abwägungsvorgangs und einer angemessenen Erfassung der Umsetzungsbedingungen.

Am zweiten Konferenztag führte HANS-GÜNTER HENNEKE (Berlin) inhaltlich in die Sektion „Kommunale Gebietsreformen in aktueller Perspektive“ ein. BERND KREGEL (Magdeburg) zeichnete mit seinem Vortrag „Was lange währt, wird endlich ...? Struktur- und Funktionalreformen in Sachsen-Anhalt“ in chronologischer Abfolge von 1990 bis zur Gegenwart die Veränderungen in der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsstruktur Sachsen-Anhalts nach. Wesentliches Motiv der Reformen sei die demographische Entwicklung gewesen. Zum Zweck der Effizienz- und Leistungssteigerung seien in den verschiedenen Wahlperioden schrittweise Maßstabsvergrößerungen vorgenommen worden. Ziel sei es gewesen, flächendeckend Einheitsgemeinden zu bilden, für die eine Mindesteinwohnerzahl vorgegeben wurde. Mit Blick auf die Reformphase(n) formulierte Kregel Erkenntnisse, die aus den Erfahrungen mit der Gebiets- und Funktionalreform in Sachsen-Anhalt gewonnen werden könnten. Zusammenfassend betonte er, kommunale Gebietsreformen bedürften einer gründlichen Vorbereitung mit klarer Zielsetzung und müssten von einer breiten politischen Mehrheit getragen werden. Eine Umsetzung der Reform über einen länger als zwei Wahlperioden dauernden Zeitraum sei zu vermeiden. Außerdem müssen bei der Planung und Umsetzung die sachliche Zusammengehörigkeit von Gebiets- und Funktionalreform sowie ihre Einflüsse auf andere politische und funktionale Bereiche berücksichtigt werden.

Im folgenden Vortrag referierte HUBERT MEYER (Hannover) zum Titel „Gebiets- und Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern – Zum Scheitern verurteilt?“. Vor dem Hintergrund des Urteils des Greifswalder Landesverfassungsgerichtes vom 26. Juli 2007 hinterfragte er, ob die Reform zu ihrem Schicksal „verurteilt“ worden sei. Indem es die Überschaubarkeit der Gebietsstrukturen und den Stellenwert des ehrenamtlichen Mandats hervorhob, habe das Landesverfassungsgericht den Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung gestärkt. Als Argument für die Funktionsfähigkeit der alten Verwaltungsstrukturen des Landes hob der Referent den strukturell ausgeglichenen Landeshaushalt des Jahres 2007 hervor, der unter alten Strukturen erreicht worden war. Als Antwort auf seine Eingangsfrage stellte Meyer fest, dass die Gebiets- und Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern nicht zum Scheitern verurteilt sei. Vielmehr könne sie auf Basis des Gerichtsurteils einen wertvollen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Landes leisten.
In der anschließenden Diskussion äußerte Jürgen Reulecke Kritik an dem mangelnden Vergangenheitsbewusstsein der aktuellen Reformplaner. So würden die Menschen bei einer leistungs- und effizienzgesteuerten Planung zu häufig nicht hinreichend bedacht und ihre traditionelle Verbundenheit mit einer Gemeinde oder einem Kreis schlicht ausgeblendet.

UTZ SCHLIESKY (Kiel) widmete sich in seinem Vortrag der „Strategie der Verwaltungsmodernisierung in Schleswig-Holstein“. Er sprach von einem Paradigmenwechsel in der Verwaltungswissenschaft. Verwaltung werde heute nicht mehr aus der Sicht des Staates, sondern aus Sicht des Bürgers organisiert. Er erläuterte einige europäische und bundesdeutsche Rahmenbedingungen für eine Verwaltungsmodernisierung und stellte strategische Ansätze zur Qualitätssteigerung und Modernisierung der Verwaltung vor. Als zentrale Aspekte dieses Strategieplans bezeichnete Schliesky das Ziel der Schaffung einer professionellen, wirtschaftlichen und bürgerorientierten Verwaltung, in der dem kommunalen Ehrenamt wieder mehr Gestaltungsspielraum eingeräumt werden solle. Des Weiteren müsse eine „Entbürokratisierung“ angestrebt werden und Vorschriften und Regeln einer Überprüfung unterzogen werden, um zukünftige Bearbeitungsverfahren zu beschleunigen. Zur Erleichterung, Modernisierung und landes- wie europaweiten Vernetzung der Verwaltung sei der Einsatz von E-Government-Technologien unerlässlich. Immer wieder betonte Schliesky die Bedeutung der EU-Dienstleistungsrichtlinie und stellte heraus, dass Schleswig-Holstein bei deren Umsetzung eine Vorreiterrolle spiele.
Der anschließend kurzfristig eingeschobene Vortrag von FRANK LUBOWITZ (Aabenraa/DK) zur Gebiets- und Funktionalreform in Dänemark bot dann einen Blick über die deutsche Grenze hinaus. Insbesondere in Schleswig-Holstein war die Neuordnung des nördlichen Nachbarn aufmerksam beobachtet worden, wie die aktuelle Reformdiskussion gezeigt hatte.

In seinem Schlusswort stellte KARL TEPPE (Münster) heraus, dass die Erkenntnisinteressen der Historiker sich deutlich von denen der aktuellen Akteure aus dem Verbands- und Verwaltungssektor unterschieden. Die Historiker hätten sich in ihrem Forschungsinteresse stärker mit den Auswirkungen der Reformen auf die betroffene Bevölkerung befasst. Die Verwaltungsjuristen thematisierten dagegen primär die Möglichkeiten und Grenzen von Verwaltungsreformen. Dennoch sei der Dialog zwischen den beiden Disziplinen zu suchen, um ergänzende Erkenntnisse aus der Sichtweise des jeweils anderen gewinnen zu können.

Die Kieler Tagung hat einen breiten Einblick in die Forschung zu Gebiets- und Funktionalreformen in Vergangenheit und Gegenwart ermöglicht. Die in den Diskussionen angemerkte fehlende Betrachtung von kommunalen Neuordnungen in Süddeutschland und ein möglicher Vergleich mit west- oder norddeutschen Reformen kann eine weiterführende Forschungsperspektive für die Zukunft sein. Ein grenzübergreifender Blick auf ähnliche Reformen in europäischen Nachbarländern konnte bei dieser Tagung mit dem Beitrag zu Dänemark nur am Rande erfolgen, böte aber weitere interessante Ansätze für die Forschung.
Die Tagungsbeiträge werden in der wissenschaftlichen Publikationsreihe des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte „Forschungen zur Regionalgeschichte“ unter der Herausgeberschaft von Sabine Mecking und Janbernd Oebbecke voraussichtlich 2009 veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

10. Juli 2008

Begrüßung: Bernd Walter (Münster)

Sektion I: Politische Planung und neuer Bürgersinn in den 1960er und 1970er Jahren
Einführung und Moderation: Jürgen Reulecke (Gießen)

Michael Ruck (Flensburg)
Gesellschaft gestalten. Politische Planung in den 1960er und 1970er Jahren

Habbo Knoch (Celle/Göttingen)
Demokratie machen. Bürgerschaftliches Engagement in den 1960er und 1970er Jahren

Sektion II: Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in historischer Perspektive
Moderation: Michael Ruck (Flensburg)

Sabine Mecking (Düsseldorf/Münster)
Neues Bürgerbewusstsein im Bürgerstaat? Staatliche Planung und bürgerschaftlicher Eigensinn am Beispiel Nordrhein-Westfalens

Jan Nikolas Dicke (Münster)
Politik, Verwaltung, Bürger: Kommunale Akteure zwischen Gemeinsinn und Eigeninteresse, dargestellt anhand der Gebietsreform im neuen Kreis Borken

Axel Bernstein (Flensburg/Kiel)
Kreisgebietsreform in Schleswig-Holstein unter besonderer Berücksichtigung der Weiterentwicklung partizipatorischer Ansätze

Johannes Koenig (Limburg)
Stadt Lahn – Musterbeispiel oder Sonderfall der kommunalen Gebietsreform in Hessen?

Christina Steinbicker (Bonn)
Modernisierungsprozesse in der Debatte um die Kreisentwicklung in der rheinland-pfälzischen Gebietsreform. Die Beispiele Bitburg-Prüm und Ludwigshafen

Öffentlicher Abendvortrag
Begrüßung: Hans Tietmeyer (Königstein)
Grußwort: Martin Kayenburg (Kiel)

Maximilian Wallerath (Bonn)
Aufgaben – Raum – Struktur. Steuerung des Wandels durch kommunale Gebiets- und Funktionalreformen

11. Juli 2008

Sektion III: Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in aktueller Perspektive
Einführung und Moderation: Hans-Günter Henneke (Berlin)

Bernd Kregel (Magdeburg)
Was lange währt, wird endlich ...? Struktur und Funktionalreformen in Sachsen- Anhalt

Hubert Meyer (Hannover)
Gebiets- und Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern – Zum Scheitern verurteilt?

Utz Schliesky (Kiel)
Strategie der Verwaltungsmodernisierung in Schleswig-Holstein

Frank Lubowitz (Aabenraa/DK)
Gebiets- und Funktionalreform in Dänemark und die Auswirkungen auf die deutsche Volksgruppe in Dänemark

Schlusswort: Karl Teppe (Münster)


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts