Der Prager Frühling 1968. Zivilgesellschaft – Medien – Politische und kulturelle Transferprozesse

Der Prager Frühling 1968. Zivilgesellschaft – Medien – Politische und kulturelle Transferprozesse

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, Institut für Zeitgeschichte (IfZ) an der tschechischen Akademie der Wissenschaft in Prag, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Ort
Prag
Land
Czech Republic
Vom - Bis
15.06.2008 - 17.06.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Hedwig Richter

Der Rahmen entsprach dem offensichtlich auch politischen Anspruch der Tagung, die begrüßenswerter Weise dem Ost-West-Dialog dienen sollte: Die Vorträge fanden in den feierlichen Gewölben des Senatssaals der Tschechischen Republik statt; zwischendurch gab es einen Theaterabend mit einer Collage zum Prager Frühling, bei dem neben tschechischen und deutschen Konferenzteilnehmern auch Václav Havel dozierte; und den Abschluss bildete die Ausstellungseröffnung über den Prager Frühling und Lettland mit zahlreichen Reden zur Völkerverständigung. Die Veranstalter waren das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) an der tschechischen Akademie der Wissenschaft in Prag, das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Doch der wissenschaftliche Ertrag ließ Wünsche offen. Etliche Referenten glänzten mit einer erstaunlichen Faktenlastigkeit ohne jeden analytischen Ehrgeiz. Das mag auch, wie junge tschechische Wissenschaftler anmerkten, an der ost- und mitteleuropäischen geschichtswissenschaftlichen Tradition seit 1989/90 liegen, die sich in scheinbar größter Distanz zu jeder „Ideologie“ der reinen Empirie verschrieben habe.

Der Auftakt mit den Eröffnungsvorträgen war gleichwohl vielversprechend. VÁCLAV PAČES, der Präsident der tschechischen Akademie der Wissenschaften, schlug in seiner Begrüßung den Bogen von den 1960er-Jahren in der Tschechoslowakei, die kulturell außerordentlich reich gewesen seien, bis in die Gegenwart. Der Einmarsch der sowjetischen Truppen traumatisiere die Tschechen und Slowaken bis heute, so seine provokante Grundaussage. MARTIN SABROW, Direktor des ZZF in Potsdam, sprach in seinen einleitenden Worten die Erwartung aus, die Tagung möge die Europäisierung der Geschichtsschreibung befördern – ein Wunsch, der sich selten erfüllen würde.

In seinem Eröffnungsvortrag stellte CHRISTOPH KLEßMANN (ZZF Potsdam) die westlichen und östlichen Perspektiven von 1968 dar und bot eine kritische Auseinandersetzung mit den Ereignissen. Ein Schwerpunkt seiner Analyse war eine der „Leerstellen“ des viel bearbeiteten Themas 1968: die Beziehungen zwischen Ost und West. Dabei unterstrich Kleßmann die enorme Kluft zwischen den medienspektakulären Revolten im Westen und dem existenziellen, teuer bezahlten Aufbegehren im Osten. Das Thema dieser Diskrepanz sollte einen der Kernpunkte der Tagung bilden. Während in der Bundesrepublik viele der bereits vor 1968 entwickelten Forderungen des „privilegierten Protests“ von Willy Brandt aufgegriffen worden seien, habe für die Protestler der Tschechoslowakei die Auflehnung fatale Konsequenten gehabt. Auch das jeweilige politische Programm sei gänzlich verschieden gewesen, denn im Osten habe man um elementare Rechte gekämpft, die im Westen vielmals wenig geschätzt worden seien. Ein einigendes Element immerhin sei die Suche der Prager nach einem Dritten Weg gewesen, der sich auch viele linke Intellektuelle im Westen verschrieben hätten.

Im zweiten Eröffnungsvortrag setzte sich der Direktor des Prager IfZ, OLDŘICH TŮMA, mit den Zielen des Prager Frühlings auseinander: Zwar sei es tatsächlich nicht um die Abschaffung des Kommunismus, sondern um seine Reformierung gegangen, doch wäre ein anderes Ziel und ein Agieren außerhalb der Partei damals undenkbar gewesen. Die Gesellschaft jedoch sei mit ihrer Sehnsucht nach Freiheit vielmals weiter gegangen als die politischen Reformer.

Die Themenvorgaben der nun folgenden Sektionen waren verheißungsvoll. So widmete sich die erste der Frage nach der Zivilgesellschaft und der Reichweite der gesellschaftlichen Liberalisierung. Doch bedeutete schon dieser methodische Rahmen eine Überforderung. Auch die kulturellen und medialen Dimensionen, die beziehungsgeschichtlichen Aspekte (zweites und drittes Panel) sowie die Kontinuitäten und Brüche bis 1989 (viertes Panel) wurden nur teilweise herausgearbeitet. JITKA VONDROVÁ (IfZ, Prag) und JOZEF ŽATKULIAK (Historisches Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, Bratislava) widmeten sich der Rolle der Kommunistischen Partei bzw. der slowakischen Gesellschaft. Ihre Vorträge gehörten wie die von DAINA BLEIERE (Historisches Institut der Lettischen Akademie der Wissenschaften) über die Rolle des Prager Frühlings im Baltikum und STEPHAN KRUHL (Berlin), der über das Theater sprach, zu den Beiträgen mit zentralen Themen, die jedoch in keinen größeren Zusammenhang eingeordnet wurden und deren Bedeutung für den Prager Frühling daher undeutlich blieben. JIŘÍ HOPPE (IfZ Prag) nahm sich der Funktion der Medien an, referierte über bekannte Ereignisse des Prager Frühlings und erklärte, die von der Zensur befreiten Medien seien eine bedeutende Kraft gegen das kommunistische Machtmonopol gewesen. MARKÉTA SPIRITOVÁ (Universität Regensburg) wiederum erzählte in ihrem Vortrag von den Niederungen des Dissidentenalltags nach 1968 und von den Alltagsstrategien der Dissidenten und ihrer Ehefrauen, mit einem degradierten Arbeitsleben als Heizer oder Nachtwächter zurecht zu kommen.

Dessen ungeachtet und dank einiger analytisch starker Vorträge ließen sich in der Konferenz drei Schwerpunkte erkennen: Zum einen der Transfer zwischen Ost und West, dann der breite Graben zwischen westlicher und östlicher Auflehnung, schließlich die ideologische Diskrepanz zwischen Kommunismusreform und Antikommunismus.

Eine aufschlussreiche Darstellung zum Transfer zwischen Ost und West bot der Vortrag von PAVEL KOLÁŘ (ZZF Potsdam), der über den Prager Frühling als Schnittstelle des europäischen Transfers sprach. Während des Aufbruchs von 1968 in der Tschechoslowakei sei es zum Kräftemessen zwischen zwei Wissenschaftskonzepten gekommen: Zum einen dem Glauben an die Machbarkeit einer besseren Gesellschaft mit Hilfe der Wissenschaften; zum anderen der tiefen Skepsis gegenüber der Wissenschaft und der Verneinung des Projektes der Moderne. Beide Seiten seien wesentlich von westlichen Denkern geprägt gewesen: So habe einerseits Antonio Gramscis Forderung nach einer Politisierung der Geisteswissenschaften den optimistischen, veränderungsfreudigen Flügel beeinflusst, während auf der anderen Seite Michel Foucault Pate gestanden habe – sein pessimistisches „Les mots et les choses“ sei bereits im Frühjahr 1968 auf Tschechisch veröffentlicht worden. Kolář führte aus, wie der intellektuelle Diskurs in der Tschechoslowakei nun seinerseits auf den Westen wirkte. So sei Radovan Richtas (1924-1983) „Zivilisation am Scheideweg“ auf große Resonanz im Westen gestoßen, wurde gar von Zeitgenossen als „‚Das Kapital’ des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Diese „Meistererzählung des Wissenschaftsoptimismus“ sei der kommunistischen Utopie verpflichtet geblieben. Doch sei der „Richta-Report“ mit den Krisen der 1970er-Jahre in Vergessenheit geraten und habe damals wie das ganze wissenschaftliche Fortschrittsmodell an Glaubwürdigkeit verloren. Als Gegenbeispiel und Vertreter der grundlegenden Wissenschaftsskepsis führte Kolář den Mediävisten František Graus an, der eine Reihe von Aufsätzen vorgelegt habe, in denen er den Glauben an den Wissenschaftsfortschritt ablehnte: Die Geschichte, so Graus, sei ein Friedhof versäumter Möglichkeiten. Diese „Krisenaufsätze“ seien ebenfalls im Westen breit rezipiert worden und eine wesentliche Anregung beispielsweise für Hayden White gewesen. Während des Prager Frühlings hätten diese Auseinandersetzungen um das Wissenschaftsverständnis ihren Höhepunkt gefunden, womit der Freiheitskampf 1968 zu einem Scheideweg zwischen utopischem und antiutopischem Denken geworden sei.

Zahlreiche Details konnte man wieder aus den Vorträgen von MARTIN FRANC (IfZ, Prag) über den Einfluss des westlichen Lebensstils in den 1960er-Jahren und von PETER BUGGE (Universität Aarhus, Dänemark) über die Adaption der westlichen Popkultur in der Tschechoslowakei erfahren. Bugge, der eingestand, zum Prager Frühling wenig sagen zu können, stellte die These auf, die Westimporte seien in vielfacher Weise mit der tschechoslowakischen und sozialistischen Kultur verschmolzen. Auch ROBERT GILDEA (Universität Oxford) verwies mit britischer Nonchalance darauf, keine Ahnung vom Prager Frühling zu haben, und beleuchtete damit einen der misslichen Umstände der Tagung: Es waren Namen, Institutionen, wissenschaftspolitisch relevante Herren geladen und darüber die Wissenschaft etwas vernachlässigt worden. So stellte Gildea in seinem Vortrag über die Möglichkeit eines gesamteuropäischen Zugangs zu 1968 fest, es habe sich 1968 in ganz Europa sowohl um eine kulturelle als auch um eine politische Revolution gehandelt, wobei es den Akteuren möglich gewesen sei, an beiden teilzunehmen.

Dem zweiten Schwerpunkt, dem Graben zwischen westlicher und östlicher Auflehnung, war der Vortrag von JÜRGEN DANYEL (ZZF Potsdam) gewidmet: 'Schwierigkeiten der westdeutschen Linken mit dem tschechoslowakischen Experiment'. Während die tschechoslowakischen Studenten fasziniert und neugierig nach West-Berlin und in die USA geschaut hätten, seien die westlichen Studenten ihrerseits an den Vorgängen in Prag wenig interessiert gewesen und hätten dem Anliegen der östlichen Nachbarn mit großem Unverständnis gegenüber gestanden. Rudi Dutschke immerhin war in Prag – Dank seines Engagements in der Ökumene und einer Einladung zu der von Moskau geförderten Prager Christlichen Friedenskonferenz 1968. Wie Danyel darlegte, erinnern sich Dutschkes Zeitgenossen vor allem an die abendlichen ausgedehnten Dinners im Hotel „Esplanade“. Gleichwohl habe der Revolutionär vor den Prager Studenten eine seiner berüchtigten unverständlichen Reden gehalten, diese jedoch mit einer klaren Botschaft geendigt: Das System der westlichen Demokratie sei keinesfalls eine Alternative zum Staatssozialismus. Dutschkes Auftritt sei nach den Erinnerungen der Zeitgenossen typisch für die wenigen Westler in Prag gewesen: Sie kamen als die versierten Marxisten und Chefdenker, die den Brüdern im Osten die Lehre erklärten, sie hatten die hippere Kleidung und scharten die (meist ohne Stimme bleibenden) jungen Frauen um sich; zudem erlaubte ihnen der günstige Wechselkurs ein bourgeoises Leben. Wenig erstaunlich daher: Auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag reagierten die westlichen Revolutionäre irritiert. Sie seien, so führte Jürgen Danyel aus, für Veränderungen in der Dritten Welt oder in den USA, nicht jedoch an einer Erneuerung des Staatssozialismus interessiert gewesen. Ulrike Meinhof habe gar geurteilt, die Tschechen und Slowaken seien zu konsumorientiert, zu entpolitisiert, interessiert nur an billiger Unterhaltung, und sie hätten es versäumt, sich international aufzustellen und gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. In einer Publikation des Konkret-Verlags sei der Prager Frühling als „Konterrevolution“ apostrophiert worden. Die westliche Linke habe sich, so Danyel, mit diesem Verdikt in großer Überseinstimmung mit Walter Ulbricht befunden.

Auch FRANCESCO CACCAMO (d’Annunzio Universität, Chieti-Pescara) zeigte in seinem Vortrag über Italien auf, wie wenig Verständnis die westliche Linke für den Prager Frühling aufbringen konnte, und das trotz der besonders intensiven Beziehungen der italienischen Kommunisten zur Tschechoslowakei. Verschiedene Redner, wie der bereits genannte Jozef Žatkuliak oder JAROSLAV PAŽOUT (Nationalarchiv Prag), der die Rolle der Studenten in Ost und West untersuchte, betonten die Bedeutung des nationalen Aspekts für die Aufständischen. Vor allem für die Slowaken ging es im Prager Frühling auch um ihre nationale Identität. Gerade wegen dieser nationalen Intention blieb den West-Studenten oftmals nur Verachtung für die ihnen als hinterwäldlerisch erscheinenden Tschechoslowaken, die so wenig Sinn für die internationale Revolution bewiesen. RAINER ECKERT, der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, dessen Thema die ostdeutsche 68er-Generation und ihre Erfahrungen mit dem Prager Frühling gewesen war, betonte – mit autobiographischen Hinweisen – ebenfalls die Irritation der westlichen Linken gegenüber dem Anliegen der ost- und mitteleuropäischen Dissidenten.

In einem anregenden Referat setzte sich MAUD BRACKE (Universität Glasgow) mit der Rolle des Prager Frühlings in den Debatten westlicher, insbesondere französischer Marxisten auseinander. Die Historikerin interpretierte 1968 nicht nur als Krise des Kalten Krieges, sondern auch als Krise des Marxismus. Die westlichen Akteure seien jedoch kaum am Prager Frühling interessiert gewesen. Die französische Linke habe in der Grundsatzfrage „Reform oder Revolution“ zur Revolution geneigt und daher die Reformbemühungen in Prag als eine Art der Sozialdemokratie abgelehnt. Erstaunlicher Weise sei der Prager Frühling jedoch in den 1970er Jahren zu einem Mythos geworden – und dann von den westlichen Intellektuellen als ein Modell des demokratischen Sozialismus gefeiert worden.

Damit hatte Bracke bereits wichtige Hinweise für den dritten Schwerpunkt gegeben: der ideologischen Diskrepanz zwischen Reformern des Kommunismus und seinen Fundamentalgegnern. Den entscheidenden Vortrag dazu hielt MICHAL KOPEČEK (IfZ, Prag). Er untersuchte die Reflexion des Prager Frühlings bis Ende der 1970er-Jahre im Diskurs ostmitteleuropäischer Intellektueller. Für die Reformer sei der Prager Frühling eine Alternative zum liberal-demokratischen Modell gewesen; wie Pavel Kolář verwies auch Kopeček darauf, dass es dabei um den marxistischen Versuch gegangen sei, den Sozialismus den neuen Verhältnissen anzupassen. Georg Lukács etwa habe im Revolutionsjahr – über 80jährig – noch eine leidenschaftliche Verteidigung des Marxismus geschrieben. Hingegen waren die Kritiker des Kommunismus der Überzeugung, der Prager Frühling habe scheitern müssen, weil er etwas reformieren wollte, das sich nicht reformieren ließe: den Sozialismus, den sie für grundsätzlich antidemokratisch, antiliberal und antimodern hielten. Doch blieb Kopeček bei seiner Analyse nicht bei dieser Dichotomie stehen. Er stellte bei den Entwicklungen nach 1968 übergreifend neben einem politisch-strategischen auch einen historischen Diskurs fest. Wichtiger sei der konkrete, politische Aspekt gewesen. Doch hätten die Intellektuellen erst 1976/77 zu einer neuen Strategie gefunden, die sich dann beispielsweise bei Adam Michnik („neuer Evolutionismus“) oder bei der Charta 77 gezeigt habe. Im zweiten, historisch angelegten Diskurs sei es den Intellektuellen darum gegangen, den Prager Frühling, wie er von den tschechoslowakischen Reformkommunisten voran getrieben worden sei, gegen die Propaganda des Husak-Regimes, aber auch gegen radikale Kritik der Anti-Kommunisten zu verteidigen.

Der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Prager Frühling in der Sowjetunion war der Vortrag von SVETLANA SAVRANSKAYA (National Security Archive, Washington, D.C.) gewidmet. Der Prager Frühling, so ihre Hypothese, sei für die kritischen Intellektuellen in der Sowjetunion ein Wendepunkt gewesen. Viele von ihnen hätten während der Ereignisse 1968 Tschechisch gelernt, um sich über die Aufbrüche in Prag informieren zu können. Savranskaya stellte dann sehr unterschiedliche Reaktionen auf die Niederschlagung des Prager Frühlings vor: Einige Intellektuelle hätten zynisch erklärt, man müsse sich anpassen; einige hätten weiterhin darauf gehofft, den Staatssozialismus verbessern zu können – und sich auf das Erbe von Prag berufen. Die Reformer in der Kommunistischen Partei jedoch vertraten häufig den Standpunkt, der Prager Frühling sei keine Frage der Reform, sondern eine nationale Frage, die unmittelbar die Sicherheit der Sowjetunion betreffe. Daraus folgerten sie die Notwendigkeit einer Intervention.

Deutlich wurden die ideologischen Gräben auch in dem Vortrag von PETER HEUMOS, der über die Rolle der tschechoslowakischen Arbeiterschaft referierte. Diese habe dank der informellen Machtverhältnisse in den Betrieben eine starke Position innegehabt. Ihre Wertorientierung sei auf einen kollektivistischen Gleichheitsanspruch ausgerichtet gewesen, antiliberal und antizentralistisch. Ein Großteil der reformerischen Bemühungen von 1968 aber hätten sich direkt gegen dieses Wertesystem gerichtet, indem eine Stärkung des Managements, Schwächung des Egalitarismus und die Koppelung des Lohns an Leistung forciert worden seien. Daher sei die Masse der Arbeiterschaft 1968 weit davon entfernt gewesen, sich der Reformbewegung anzuschließen.

Am Schluss hatten nochmals fünf Männer aus wichtigen Institutionen die Gelegenheit, allgemeine Statements abzugeben: VILÉM PREČAN vom Tschechoslowakischen Dokumentationszentrum in Prag, THOMAS BLANTON vom National Security Archive in Washington, D.C., WOLFGANG EICHWEDE von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, VÁCLAV KURAL aus Prag und der stellvertretende Vorsitzende des Senats der Tschechischen Republik, PETR PITHART. Zur angekündigten Diskussion blieb dann keine Zeit mehr. Einer der Hauptveranstalter der Konferenz, Oldřich Tůma, gestand am Ende der Tagung, in Sachen Frauen habe sich seit 1968 wenig getan: Die Vorträge hätten die Männer gehalten, während im Hintergrund die Frauen die Organisatorinnen gewesen seien.

Kurzübersicht:

15. Juni 2008

Begrüßung durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Senats der Tschechischen Republik Petr Pithart und des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik Václav Pačes

Eröffnungsvorträge:
Christoph Kleßmann (ZZF-Potsdam): 1968 aus westlicher und östlicher Perspektive
Oldřich Tůma (Institut für Zeitgeschichte Prag): Pražské jaro: mezi komunistickou reformní politikou a emancipací společnosti [Der Prager Frühling im Spannungsfeld zwischen kommunistischer Reformpolitik und gesellschaftlicher Emanzipation]

Sektion 1: Die Wiedergeburt der Zivilgesellschaft. Trägergruppen und Reichweite der gesellschaftlichen Liberalisierung.

Moderation: Martin Sabrow (ZZF-Potsdam)
Jaroslav Pažout (Nationalarchiv Prag): Českoslovenští studenti jako jedna z hnacích sil liberalizace 60. let a jejich vztah ke studentskému hnutí na Západě [Die tschechischen Stundenten als Motor der Liberalisierung und ihr Verhältnis zu den Studentenprotesten im Westen]
Jitka Vondrová (Institut für Zeitgeschichte Prag): Stranická základna KSČ mezi politickými reformními úmysly a společenským tlakem na změny [Die Parteibasis der KSČ zwischen politischen Reformvorgaben und gesellschaftlichem Veränderungsdruck]
Peter Heumos (München): Die reformierte Klasse? Die tschechoslowakische Arbeiterschaft 1968
Josef Žatkuliak (Historische Institut der Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava): Jiná emancipace. Pražské jaro a slovenská společnost [Die andere Emanzipation. Der Prager Frühling und die slowakische Gesellschaft]

Sektion 2: Kulturelle und mediale Dimensionen des Prager Frühlings

Moderation: Clemens Vollnhals (HAIT, Dresden)
Jiři Hoppe (Institut für Zeitgeschichte Prag): Pražské jaro v médiích [Der Prager Frühling in den Medien]
Martin Franc (Institut für Zeitgeschichte Prag): Na cestě ke konzumní společnosti? Československé obyvatelstvo mezi plánovaným hospodářstvím a západními způsoby života [Auf dem Weg in die Konsumgesellschaft? Die ČSSR-Bevölkerung zwischen planwirtschaftlicher Askese und westlichen Lebensstilen]
Peter Bugge (Universität Aarhus, Dänemark): Swinging Sixties made in Czechoslovakia. Der Durchbruch der westlichen Popkultur und ihre Anverwandlung in der tschechoslowakischen Gesellschaft
Stephan Kruhl (Berlin): Laterna magica & Co. Die tschechoslowakische Kulturoffensive der 1960er-Jahre in Europa
Pavel Kolář (ZZF-Potsdam): Der Prager Frühling als Schnittpunkt des europäischen intellektuellen Transfers

Themenabend zu 1968 im Theater Archa

17. Juni 2008

Sektion 3: Die offene Gesellschaft und ihre Freunde: Beziehungsgeschichtliche Aspekte des Prager Frühlings

Moderation: Janos M. Rainer (56er-Institut Budapest)
Jürgen Danyel (ZZF-Potsdam): Dutschke in Prag oder die Schwierigkeiten der westdeutschen Linken mit dem tschechoslowakischen Experiment
Rainer Eckert (Zeitgeschichtliches Forum Leipzig): Der Blick nach Prag. Die ostdeutsche 68er-Generation und ihre Erfahrungen mit dem Prager Frühling
Daina Bleire (Historisches Institut der Lettischen Akademie der Wissenschaften): Impact of the Prague Spring and Its Defeat on Society and Authorities in Latvia, Lithuania and Estonia [Reaktionen auf den Prager Frühling im Baltikum]
Robert Gildea (University of Oxford): From subjectivity to transnationalism: a collective approach to 1968 in Europe?
Francesco Caccamo (G. d ́Annunzio Universität, Chieti-Pescara): Italská komunistická strana, italská levice a Pražské jaro [Die italienische Linke und der Prager Frühling]
Svetlana Savranskaya (National Security Archive, Washington D.C.): The Legacy of Prague spring in the Soviet Society

Sektion 4: Vom Prager Frühling zum Umbruch von 1989. Kontinuitäten und Brüche

Moderation: Oldřich Tůma (Institut für Zeitgeschichte Prag)
Markéta Spiritová (Universität Regensburg): Nach 68. Brüche und Kontinuitäten im Alltag von Intellektuellen in der Zeit der Normalisierung
Michal Kopeček (Institut für Zeitgeschichte Prag): Bod obratu. Společenská a intelektuální reflexe roku 1968 v Československu a východní Evropě [Wendepunkt. Die gesellschaftliche und intellektuelle Verarbeitung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei und Ostmitteleuropa]
Maud Bracke (Universität Glasgow): The Failure of Reform Communism? The Prague Spring and Debates in Western Marxism

Podiumsdiskussion: Vom Prager Frühling zur samtenen Revolution. Die ostmitteleuropäischen Gesellschaften nach dem 21. August 1968

Moderation: Vilém Prečan (Tschechoslowakisches Dokumentation Zentrum Prag).
Teilnehmer: Thomas Blanton (National Security Archive, Washington, D.C.), Wolfgang Eichwede (Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen), Václav Kural, Dušan Kováč (Historische Institut der Slowakische Akademie der Wissenschaften, Bratislava)


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