Zwischen Zeremoniell und Zerstreuung. Adel am Münchner Hof (17./18. Jh.)

Zwischen Zeremoniell und Zerstreuung. Adel am Münchner Hof (17./18. Jh.)

Organisatoren
Institut für Bayerische Geschichte
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.04.2008 -
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Von
Georg Schulz, Institut für Bayerische Geschichte, LMU München

Am 11. April 2008 veranstaltete das Institut für Bayerische Geschichte mit Unterstützung der Michael-Doeberl-Stiftung und der Universitätsgesellschaft in München ein Kolloquium zum Thema „Zwischen Zeremoniell und Zerstreuung – Adel am Münchner Hof (17./18. Jh.)“. Hierzu hatten die Organisatoren BRITTA KÄGLER und STEFAN PONGRATZ (beide LMU München) sieben (Kunst-)HistorikerInnen aus dem In- und Ausland eingeladen, die sich in ihren Dissertationen mit dem europäischen Hofadel der Frühen Neuzeit befassen. Damit richtete sich der interdisziplinäre Fokus neben dem Münchner auch auf andere europäische Höfe und ermöglichte Vergleiche, was Austausch und Diskussion im fachkundigen, internationalen Publikum anregte.

Bei seiner Begrüßung hob der Leiter des Instituts, FERDINAND KRAMER, das Anliegen des Kolloquiums hervor, junge, zum Thema international promovierende HistorikerInnen zusammenzubringen, erwähnte aber auch die von ihnen teils geleistete „Grundlagenarbeit“ für die bevorstehende Bayerische Landesausstellung „Adel in Bayern“ (26. April bis 05. Oktober 2008 in Aschau im Chiemgau und Rosenheim).

BRITTA KÄGLER bezog sich in ihrer folgenden Einführung auf die aktuelle Allgegenwärtigkeit des adligen Hoflebens – sei es speziell im Alltag am Tagungsort durch die diesjährige 850-Jahr-Feier der Residenzstadt München oder ganz allgemein und besonders in der (kunst-)historischen Forschung. In dieser erlebe die Auseinandersetzung mit den Fürstenhöfen und ihren adligen Vertretern gar eine „Renaissance“, wobei das Augenmerk von einzelnen Akteuren bis hin zu ganzen Gruppen, von deren Netzwerken bis hin zur Adelskultur an sich reiche. Dabei biete laut Kägler auch die jüngste geschlechtergeschichtliche Forschung zu weiblichen Netzwerken neue inhaltliche wie methodische Ansatzpunkte und Erkenntnispotenziale. Den theoretischen Ausgangspunkt für das Kolloquium markierte somit auch die Grundannahme, dass „am Hofe“ Räumlichkeit, soziales Handeln und Kommunikation in einem starken Wechselverhältnis zueinander standen.

Die erste Sektion begann mit einem Vortrag von GRITT BROSOWSKI (Universität Göttingen) über „Die Witwensitze der Elisabeth von Dänemark in Braunschweig-Wolfenbüttel (1613-1626)“, der mit „Am Rande des Fürstentums“ überschrieben war: Damit bezog sich die Referentin vordergründig auf die geographische Randlage jener Witwensitze im welfischen Herrschaftsgebiet. Sie spielte aber auch an auf die in der Forschung noch gängige Interpretation dieses in der Neuzeit allgemeinen Rand-Phänomens: Die adligen Witwen seien auf solch abgelegene Sitze „abgeschoben“ worden, weil sie als Frau ihre Hauptaufgabe, die Sicherung der Dynastie mit Hilfe von „Reproduktion“, mit dem Tod des Gatten nicht länger erfüllen konnten. Mit dieser reduzierten Vorstellung von der Funktion der Frau bzw. Witwe am Hof aber bricht Brosowski in der Tradition von Pauline Puppel: Am Beispiel der Elisabeth von Dänemark legte sie überzeugend dar, dass fürstliche Witwen nicht allein vor dem Hintergrund damals dominierender männlicher Lebensformen zu begreifen sind, gleichsam als „Opfer“ der männlichen Verwandten und der ihr Leben vorstrukturierenden Witwenversorgung. Stattdessen müssten sie als eigenständig denkende und handelnde Akteurinnen wahrgenommen werden, deren Handlungsspielräume, Lebensführung, ja Identität sich nicht nur aus der Witwenschaft, sondern auch und besonders aus den Verhältnissen schon während der Ehe und zu Familienmitgliedern ergäben. Wenn also die adligen Ehefrauen bzw. Witwen, wie Elisabeth, die vorkehrende Witwenversorgung bis zum eigentlichen Umzug in die Witwensitze und darüber hinaus weit selbstständiger und aktiver gestalteten, dann kann auch die Forschung die geographische Randlage der Witwensitze nicht länger mit einer sozio-politischen „Abschiebung“ gleichsetzen. In der anschließenden Diskussion blieb aber strittig, inwieweit die Witwenschaft Elisabeths als erste Tochter König Friedrichs II. von Dänemark für das Schicksal übriger adliger Witwen an europäischen Höfen der Frühen Neuzeit stehen kann.

Daraufhin referierte Kägler über „Das italienische Gefolge der Kurfürstin Henriette Adelaide am Münchner Hof (1651-1676)“, was damals „Welten aufeinander prallen“ habe lassen. Denn, so Kägler, gerade das strenge spanisch-burgundische Zeremoniell Münchens habe für den italienischen Hofstaat der neuen Kurfürstin, der das leichtere französische Turins gewohnt war, ein Feld potenzieller Konflikte dargestellt: Wurde bei zeremoniellen Verstößen der Kurfürstin selbst noch nach Konfliktlösungen gesucht, statuierte der kurbayerische Hof sonst – etwa bei Verletzungen der vorgeschriebenen strengen Anredeformen bzw. Zugangsrechten zum Frauenzimmer der Kurfürstin – Exempel mit hohen Strafen. In der Folge wurde am Münchner Hof das obendrein große italienische Gefolge als Fremdkörper empfunden, demgegenüber gar Ressentiments laut und in zeremoniellen Fragen eben keine Kompromisse gemacht wurden. Jedoch habe das kulturelle Engagement der Kurfürstin die bayerische Hofgesellschaft für bestimmte italienische Traditionen geöffnet, besonders für Musik, Ballett, Theater und gerade die Falkenjagd. Ebenso habe die Kurfürstin durch ihre Bereitschaft, sich an bayerische Bräuche wie etwa Essgewohnheiten anzupassen, ihre italienischen Amtsträger „nachziehen“ lassen. Zusammenfassend und verallgemeinernd hielt Kägler fest, dass kulturelle Unterschiede und daraus resultierende Konflikte am Münchner Hof umso ausgeprägter zu erkennen waren, wenn Heiratsverbindungen der Wittelsbacher über den deutschen Sprachraum hinausreichten. Den sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten bzw. Missverständnissen am kurbayerischen Hof widmete sich der sonst sehr anschauliche Vortrag Käglers nur am Rande.

Im Anschluss daran eröffnete BIANCA LINDORFER (Europäisches Hochschulinstitut Florenz) die zweite Sektion mit einem Beitrag über „Adel und Kulturtransfer im 17. Jahrhundert am Beispiel spanischer Einflüsse am Kaiserhof“. Dabei sprach sich die Referentin zunächst für eine Nutzbarmachung der Kulturraumforschung auch für das 17. Jahrhundert aus, da Kulturräume und -transfer nach Bernd Roeck nicht auf Nationalkulturen beschränkt sein müssen. Kulturtransferforschung fragt für Lindorfer nach den in die eigene Kultur übernommenen Objekten und Praktiken, nach deren Selektion und dahinter liegender Motivation, wobei die Rolle und Funktion der Vermittlerfiguren in diesem Prozess zentral sind. Bezüglich des Wiener Kaiserhofs im 17. Jahrhundert hielt die Referentin fest: Grundlegend prägten die dynastischen Beziehungen zwischen der österreichischen und spanischen Habsburgermonarchie und die damit verbundene Anwesenheit vieler Spanier sowohl das Leben am Hof wie auch das Stadtbild Wiens. Dies zeigte die Referentin an bestimmten Speisen und Rezepten wie der „Spanischen Suppe“, an der spanischen Sprache, Musik und am Hoftheater, aber auch an Straßennamen mit spanischen Bezügen. Davon ausgehend konzentrierte sich Lindorfer auf die Rolle des Adels und aristokratischer Netzwerke, allen voran die der adligen Botschafter Wiens in Madrid. Wie „Unternehmer in Sachen Kultur“ hätten Letztere an vorderster Stelle Objekte (wie Gemälde und Literatur) und darüber Moden, Ideen und Inhalte nicht nur spanischer Kultur nach Österreich vermittelt (zum Beispiel Schokolade und deren Genuss). Dazu sei der Adel geradezu prädestiniert gewesen – wegen seines Strebens nach Distinktion, Luxus, Prestige und Rang inner- und außerhalb seines Standes, was ihm eben gerade über den Kulturtransfer gelang, so die These Lindorfers. All diese interessanten Ausführungen der Referentin konnten am Ende allerdings nicht über ihre – wie generelle – Schwierigkeit hinwegtäuschen, dabei eine Grenze zwischen höfischem und „nationalem“ Kulturtransfer zu ziehen.

Es folgte der Vortrag „Ich habe die gnat höchstselben die hand zu küssen…“ von BARBARA KINK (LMU München) über „Beziehungsmuster des Landadels zum Münchner Hof im 18. Jahrhundert am Beispiel des Freiherrn von Pemler (1718-1772)“. Mit Pemler konzentrierte sich Kink auf den Sohn einer klassischen Aufsteigerfamilie, die 1692 in den Freiherrnstand und damit in den landsässigen Adel erhoben wurde und mit nur einer Hofmark zur relativen Mehrheit von 30 Prozent aller Freiherrn in Kurbayern gehörte. Auf der Grundlage der Schreibkalender Pemlers schilderte Kink dessen Sorgen und Nöte im eben nicht alltäglichen Umgang mit dem Kurfürstenhof. Dieser häufte sich erst mit Pemlers Erwerb des Kammerschlüssels und der damit verbundenen Hoffahrt, die der Freiherr als „Gnade“ empfand. Die unmittelbaren „Kontaktzonen“ Pemlers mit dem Kurfürsten blieben aber auch von da an überschaubar: etwa beim Gottesdienst oder sonstigen gesellschaftlichen Ereignissen in der Residenzstadt München oder der Sommerresidenz Lichtenberg. Damit kam Kink zu dem Fazit, dass die sozialen Beziehungen des Landadels auf den Kurfürsten als Landesherrn einem Zentrum gleich zuliefen und umgekehrt die Residenz eine integrative Klammerwirkung auf den heterogenen Landadel ausübte: Dieser wurde auf diese Weise zugleich homogenisiert und privilegiert. Kink wandte sich abschließend aber auch gegen die alte These des vom Hof ausstrahlenden „gesunkenen Kulturgut“: Vielmehr hätte den Landadel der alltägliche Kontakt mit der Volkskultur in dessen Hofmarken mindestens ebenso geprägt.

Die dritte Sektion begann mit einem kontrastierenden Einblick von JOACHIM BRÜSER (Universität Tübingen) in „Bürgerliche Ehrbarkeit und landfremder Adel. Der württembergische Hof in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“. So unterschied sich das Herzogtum Württemberg stark vom Kurfürstentum Bayern. In seiner Sozialstruktur fehlte der landsässige Adel völlig, wogegen das Bürgertum eine dominante Position im Herrschaftsgefüge des Herzogtums innehatte. Es hatte alle wichtigeren geistlichen und weltlichen Ämter monopolisiert und weit reichende politische Mitbestimmungsrechte garantiert bekommen. Demzufolge hatte auch der Stuttgarter bzw. Ludwigsburger Hof ein völlig anderes Gesicht als der Münchner – gleichsam ein adliger „Fremdkörper“ im bürgerlichen Württemberg. Um das Renommee seines Hofes zu heben, holte Herzog Eberhard Ludwig verstärkt Adel meist des Freiherren- und Grafenstandes aus dem ganzen Reich in sein Herrschaftsgebiet, wodurch er seine eigene Position gegenüber der Ehrbarkeit erfolgreich festigte. Der Hof in Ludwigsburg erreichte unter seiner Herrschaft die Größe von etwa 400, unter seinem Nachfolger Karl Eugen sogar 2.000 Personen, wobei sich dem landfremden Adel sehr gute Karrierechancen boten. Den württembergischen Herzögen des 18. Jahrhunderts gelang eine glänzende Hofhaltung, die durchaus dem Standard eines mittleren Hofes der Zeit entsprach – trotz des bürgerlichen Rahmens und des fehlenden landsässigen Adels, lautete Brüsers Resümee. Auf dahingehende Nachfrage wollte Brüser die Funktion der württembergischen Hofhaltung auch nicht im Sinne des Elias’schen Konzepts als Domestizierung des Adels, sondern wenn überhaupt, dann als „Domestizierung“ des Bürgertums verstanden wissen.

„Mit der wällischen Scheßa…“ hatte Pongartz seinen Vortrag über „Hofalltag und Mobilität in und um München aus der Perspektive Max IV. Emanuel von Preysing-Hohenaschau (1687-1764) überschrieben. Damit widmete er sich im Gegensatz zu Kink dem Angehörigen eines alten und reichen altbayerischen Adelsgeschlechts, der selbst zum engsten Umfeld des späteren Kurfürsten und Kaisers Karl Albrecht gehörte und vom Oberstallmeister bis zum Konferenzminister unter Kurfürst Max III. Joseph aufstieg. Für die Jahre von 1717 bis 1763 hinterließ Preysing in Schreibkalendern nüchtern gehaltene Tagebuchnotizen, die Pongratz’ Dissertation ein Bild von dessen alltäglicher Lebenswelt zeichnen lassen, das auch Aussagen über den kurfürstlichen Hof Münchens im 18. Jahrhundert erlaubt. In seinem Vortrag konzentrierte sich Pongratz auf den Aspekt der Mobilität im Münchner Hofalltag, verstanden als räumliche Positionsveränderungen. Dabei versuchte er sich an einer Typologie der von Preysing notierten Ortsveränderungen – von regelmäßigen, kleineren über größere bis hin zu exemplarisch ausgewählten Fernreisen nach Frankreich und in die Niederlande 1725. Pongratz unterschied detailreich Fortbewegungsmittel, Reiseanlass, -zweck, -ziel, -dauer und -teilnehmer, räumte aber auch ein, dass solch strenge Kategorisierung sich am Ende als nicht förderlich für die Erkenntnis des historischen Alltags erweise. Gleichfalls problematisch sei die konsequente Kargheit der Notate Preysings, da sie teils – auch durch weiteres Quellenstudium und Sekundärliteratur – nicht auflösbare Verständnisschwierigkeiten des damaligen Hofalltags bedinge. Pongratz resümierte schließlich, dass Alltag und Mobilität am Münchner Hof des 18. Jahrhunderts eng zusammen hingen. Dabei diente der wiederholte Ortswechsel unter anderem nicht nur der Zerstreuung der Herrschaft und des umfangreichen Hofstaats, sondern hatte auch zeremoniellen Zweck im Sinne einer „repraesentatio maiestatis“.

MARIA HILDEBRANDT (Bayerisches Hauptstaatsarchiv) schloss die Sektion ab mit ihrer Einführung in eine bisher wenig ergründete Quellengattung, die – soeben repertorisiert – nun die Erforschung des Münchner Hoflebens ergänzen kann. Hierbei handelt es sich um Jahresrechnungen des kurbayerischen Hofzahlamts von 1551 bis 1803 samt Belegen, die Einnahmen und Ausgaben des Hofes enthalten (seit 1763 nur noch die Ausgaben). Sucht man nach entsprechenden Informationen über das Münchner Hofleben, fange man laut Hildebrandt am besten mit den Ausgaben für die kurfürstliche Familie an, die auch die ersten Posten in der Ausgabenabteilung bilden. Dies demonstrierte die Referentin an einem Rechnungsband Rubrik für Rubrik. Dabei wies sie unter anderem auf die Rubrik der „Kammerausgaben des Kurfürsten“ als sehr reiches Untersuchungsfeld hin oder zeigte anhand der Rubrik „Hofämter über Land“ exemplarisch die ungeahnten Erkenntnismöglichkeiten der Quellengattung auf: So verraten diese Ausgaben von Küchen-, Keller- und Futtermeisteramt für Reisen der kurfürstlichen Familie etwas über den Zweck, die Wege samt Stationen, Teilnehmer (gar mit Namen) und eingenommenen Mahlzeiten der jeweiligen Reise. Die Rubrik „Komödie, Ballett, Turnier und Ritterspiel” wiederum bietet reichlich Informationen über die verschiedenen Lustbarkeiten am Münchner Hof. Hildebrandts Ausführung zur praktischen Bestellung der Hofzahlamtsrechnungen im Hauptstaatsarchiv beendete ihren Vortrag über diese für die Alltagsgeschichte am Münchner Hof aufschlussreiche Quellengattung.

Die letzte Sektion leitete CORINA BASTIAN (Universität Bern) mit einem Beitrag über „Die Princesse des Ursins zwischen Versailles und Madrid – Kammerdame und Botschafterin (1700-1715)“ ein. Dabei zeigte Bastian schlüssig auf, wie die Princesse – offiziell Erste Kammerdame am Hof Philipps V. von Spanien und zugleich inoffizielle Botschafterin Ludwigs XIV. – dessen Einflussbereich in Madrid geschickt sichern und ausbauen half. Gerade durch diese zwei Rollen bzw. Identitäten, die die Princesse nach Bedarf wechselte bzw. konstruierte, sei ihr diplomatischer Handlungsspielraum flexibler gewesen als der offizieller, männlicher Botschafter – bei expliziten Anweisungen aus Versailles. Dies konkretisierte Bastian am Status der Princesse als „Grande de España“, ihrer Lebenserfahrung und Kenntnisse des spanischen Hofs, ihrer Einbindung in Netzwerke, ihrer „Nähe zum Herrscher“ bzw. zur Herrscherin sowie an der Informalität ihrer diplomatischen Mission. Dabei betonte die Referentin mehrfach, dass das „Frausein“ der Princesse nur eine untergeordnete Bedeutung bezüglich der Form und Grenzen ihres unterm Strich großen Einflusses gehabt habe. Damit sieht Bastian die jüngsten Ergebnisse der Geschlechtergeschichte bestätigt, wonach in der Frühen Neuzeit das Geschlecht wohl nicht die gesellschaftsstrukturierende Wirkung wie schließlich im 19. Jahrhundert hatte. In Anlehnung an Michaela Hohkamps „Kaleidoskop-Konzept“ zur Beschreibung und Analyse historischer Situationen schloss Bastian mit der Erkenntnis, dass die Princesse diplomatische Akteurin war „nicht obwohl Frau, sondern als Frau“.

Der gleiche diskurstheoretische Kontext wurde von VERONIKA HAIN (KU Eichstätt-Ingolstadt) in ihrem Schlussvortrag über „Die drei Querelles des femmes-Kontroversen im Mundus Christiano-Bavaro Politicus. Ein Barometer für das innerhöfische Beziehungsgeflecht“ vertieft. Hain deutete diese Kontroversen um die politische Rolle der Frau kritisch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Mundus: Der Autor dieses „politischen Ratgebers“ aus dem beginnenden 18. Jahrhundert – mit hoher Wahrscheinlichkeit Franz Kaspar von Schmid – habe sich damit beim bayerischen Kurfürsten Max-Emanuel um ein Hofamt bewerben wollen, ohne aber die Kurfürstin mit seinen eher negativen Bewertungen der politischen Rolle der Frau zu verärgern. Formal verteilen sich die Kontroversen im Mundus auf drei seiner vier Bände: Die Herrschaftsfähigkeit der Frau wird im Band über den Fürsten, ihre politische Partizipation in dem über den Minister und ihre Gesandtentätigkeit im gleichnamigen mehr oder eher minder kontrovers reflektiert. Inhaltlich verdeutliche laut Hain gerade die zweite Kontroverse mit Schmids zwiespältiger Bewertung, welch schwierige Gratwanderung es für Frauen am Hofe gewesen sei, an der Regierung zu partizipieren: Wenn Schmid auch für die Beteiligung von „Ausnahmefrauen“ plädiere, so überwiege doch insgesamt sein „misogyner“ Ton, wollte er doch seinen Kurfürsten vor bestimmten „Frauenzimmern“ warnen. Dass sich Schmid in der dritten Kontroverse so ganz eindeutig für eine strikte Rollentrennung der Geschlechter in der Außenpolitik ausspricht, führte Hain darauf zurück, dass der dritte Band als zuletzt entstandener schon auf die sich damals allmählich abzeichnende Rollentrennung geantwortet habe. Bei allen Auslegungsschwierigkeiten der drei Mundus-Passagen lautete Hains Fazit: In jedem Fall hätten Männer ein Interesse gehabt, den weiblichen Handlungsspielraum am Hof zu begrenzen, wozu sie zu unterschiedlichen Mitteln gegriffen hätten – und sei es in Form eines politischen Ratgebers für den Fürsten.

In der abschließenden Zusammenfassung des Kolloquiums lenkte Kägler die Aufmerksamkeit noch einmal schlagwortartig auf das alle Vorträge verbindende Element: den Raum. Ihn sah sie über das Gegensatzpaar Zentrum/Peripherie in Brosowskis Vortrag über die vermeintlich „abgeschobenen“ Witwen direkt angesprochen wie indirekt in diejenigen von Brüser und Pongratz über die Frage nach landsässigem oder fremdem Adel bzw. nach den Modi der Durchdringung des Raumes. Lindorfers und ihren eigenen Beitrag habe der Kulturtransfer verbunden, was „einmal mehr vor Augen geführt“ habe, dass die adlige Hofgesellschaft stets von außen beeinflusst wurde. Und schließlich sei über die Referate von Hain und Bastian das Mit- oder vielmehr Gegeneinander von Norm und Praxis bzgl. der politischen Rolle der adligen Frau in der frühen Neuzeit im Frauenzimmer deutlich geworden. Eine Schlussdiskussion dessen entfiel dann – nicht aus Müdigkeit der Referenten oder des Publikums, bei dem mehrheitlich der Eindruck einer rundum gelungenen Tagung hängen blieb. Und wollte man wirklich Kritik an den Organisatoren und Veranstaltern üben, was freilich immer möglich ist, so wäre allein eine schlüssigere Zuordnung der Vorträge zu den einzelnen Sektionen wünschenswert gewesen. Aber jenseits dessen gelang es den Verantwortlichen, gar fachfremdes und Laien-Publikum anzuziehen und über Stunden „lauschen“ zu lassen.

Kurzübersicht:

09.00-09.15 Prof. Dr. Ferdinand Kramer
Begrüßung
Britta Kägler M.A.
Einführung

Moderation: Stefan Pongratz
09.15-10.00 Gritt Brosowski M.A. (Göttingen)
Am Rande des Fürstentums. Die Witwensitze der Elisabeth von Dänemark in Braunschweig-Wolfenbüttel (1613-1626)
10.00-10.45 Britta Kägler M.A. (München)
Welten prallen aufeinander Das italienische Gefolge der Kurfürstin Henriette Adelaide am Münchner Hof (1651-1676)
10.45-11.15 Kaffeepause

Moderation: Britta Kägler
11.15-12.00 Bianca Lindorfer M.A. (Florenz)
Adel und Kulturtransfer im 17. Jahrhundert am Beispiel spanischer Einflüsse am Kaiserhof
12.00-12.45 Dr. Barbara Kink (München)
„Ich habe die gnad höchstselben die hand zu küssen...” Beziehungsmuster des Landadels zum Münchner Hof im
18. Jahrhundert am Beispiel des Freiherrn von Pemler (1718-1772)
12.45-14.00 Mittagspause

Moderation: Gritt Brosowski
14.00-14.45 Joachim Brüser M.A. (Tübingen)
Bürgerliche Ehrbarkeit und landfremder Adel. Der württembergische Hof in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts
14.45-15.30 Stefan Pongratz M.A. (München)
„mit der wällischen Scheßa…“ Hofalltag und Mobilität in und um München aus der Perspektive
Max IV. Emanuels von Preysing-Hohenaschau (1689–1764)
15.30-16.00 Maria Hildebrandt M.A. (München)
Hofzahlamtsrechnungen, eine bisher wenig ergründete Quellengattung zur Erforschung des Münchner Hofes
16.00-16.30 Kaffeepause

Moderation: Britta Kägler/Stefan Pongratz
16.30-17.15 Corina Bastian M.A. (Bern)
Kammerdame und Botschafterin. Die Princesse des Ursins zwischen Versailles und Madrid (1700-1715)
17.00-18.00 Veronika Hain (Eichstätt)
Die drei Querelles des femmes-Kontroversen im Mundus Christiano-Bavaro-Politicus. Ein Barometer für das
innerhöfische Beziehungsgeflecht

18.00-18.30 Zusammenfassung und Abschlussdiskussion


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