Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft

Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft

Organisatoren
Historisches Institut der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
01.05.2008 - 03.05.2008
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Von
Christoph Mauntel (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg), Nils Bock und Bastian Walter (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Nach einem bekannten Merkspruch verlor der letzte Valois-Herzog von Burgund, Karl der Kühne (reg. 1467-1477), „in Grandson das Gut, in Murten den Mut, in Nancy das Blut“. Was sich als Gedächtnisstütze für die drei entscheidenden Schlachten zwischen dem burgundischen Herzog Karl dem Kühnen und den Eidgenossen anbietet, zeigt zugleich, wie eng das Schicksal eines der bedeutendsten Fürsten des 15. Jahrhunderts mit der Eidgenossenschaft verwoben ist.

Anlässlich einer beeindruckenden Ausstellung über Karl den Kühnen in Bern, in der unter anderem Teile der den Eidgenossen 1476 in Grandson in die Hände gefallenen „Burgunderbeute“ zu sehen sind, veranstaltete die Abteilung für Mittelalterliche Geschichte (Klaus Oschema und Rainer C. Schwinges) des Historischen Instituts der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bern vom 1.-3. Mai 2008 das Internationale Kolloquium „Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft“. Dabei sollten die schillernde und facettenreiche Persönlichkeit Karls einerseits und seine Beziehung zur Eidgenossenschaft andererseits aus einer interdisziplinären Perspektive beleuchtet und die aktuellen Ergebnisse der Forschung zusammengetragen werden. In seiner Einleitung stellte RAINER CHRISTOPH SCHWINGES (Bern) Karl den Kühnen als herausfordernd polarisierende Persönlichkeit heraus, die es verstanden habe, binnen kürzester Zeit den gesamten rheinischen Großraum einschließlich der Eidgenossenschaft nicht nur in Aufregung, sondern auch in Bewegung zu versetzen. Noch heute ist die Bewegung in Bern zu spüren, denn selbst höchste Vertreter Berns von Burgergemeinde und Großem Rat des Kantons Bern ließen es sich nicht nehmen, im Einleitungsteil zu sprechen und sich Karls zu erinnern. Die Tagung wurde unterstützt durch die Burgergemeinde Bern, die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung.

Strukturiert wurden die Vorträge durch die Einteilung in fünf Sektionen, die fließend ineinander übergingen.

Sektion I – Vorgeschichte

Die erste Sektion eröffnete WERNER PARAVICINI (Paris/Kiel) mit einem Vortrag über die Perspektive Frankreichs, aus dessen Sicht es galt, einen neuen Staat „Burgund“ zu verhindern. Mit Rückblick auf das 14. Jahrhundert stellte er die traditionell eher guten Beziehungen zwischen Burgund und Frankreich dar. Einen Wendepunkt in den Beziehungen und damit den Wechsel Burgunds auf die Seite Englands bewirkte die Ermordung des burgundischen Herzogs Johann Ohnefurcht mit Wissen des Dauphins 1419. Zwar habe sich Johanns Sohn, Philipp der Gute, noch um einen Ausgleich mit König Karl VII. bemüht, der Philipp als Zeichen der Sühne 1435 in Arras weit reichende Zugeständnisse gemacht habe, doch seien diese größtenteils leerer Buchstabe geblieben. Mit Karl dem Kühnen habe dann die burgundische Bereitschaft geendet, sich Frankreich unterzuordnen. Quellenreich schilderte Paravicini die zahlreichen Schritte, die Karl auf dem Weg zur erhofften, aber nicht erreichten Souveränität unternahm, bis das „Schweizer Abenteuer“ diese ambitionierten Pläne dann abrupt beendete. Auf lange Sicht sei es den französischen Königen schließlich gelungen, die neu entstehenden Staaten auf Territorien außerhalb Frankreichs zu beschränken.

GUY MARCHAL (Basel) nahm in seinem Vortrag die Perspektive der Eidgenossen ein. Diese hätten zwar ihr Gebiet durch Pfandleihschaften erfolgreich vergrößern können, seien sich aber des Problems der Wiedereinlösbarkeit dieser Territorien durch ihre eigentlichen Herren bewusst gewesen. So habe die 1474 mit den Habsburgern geschlossene „ewige Richtung“ primär ihren territorialen Besitzstand gesichert und sei erst sekundär gegen Karls expansive Politik gerichtet gewesen. Wahre Kühnheit sei demnach Bern zuzuschreiben, da es den mit Karl dem Kühnen einhergehenden Politikwechsel Burgunds erkannt und rechtzeitig ein Bündnis mit Habsburg geschlossen habe, das bis dahin als Feindbild die divergierenden Interessen der Eidgenossen überbrückt habe.

Sektion II – Der „Mensch Karl“ – Einflüsse und Prägungen

Mit einem Vortrag über die Jugend und Ausbildung Karls des Kühnen begann KLAUS OSCHEMA (Heidelberg/Bern) die zweite Sektion. In einer knappen Darstellung des bisherigen Forschungsstandes bezüglich der frühen Jahre Karls hob der Referent zunächst die Vielzahl der mitunter sehr frühen öffentlichen Auftritte Karls hervor. Unterricht und soziale Einbettung des jungen Fürsten wiesen auf eine sorgfältige Erziehung und Ausbildung hin, wie sie auch für Königssöhne typisch sei. Oschema widmete sich dann der Frage der Deutung der Erkenntnisse und plädierte entgegen der älteren Forschung dafür, nicht nur die generell erkennbaren Wesenzüge, sondern auch die frühe Prägung Karls als Mittelpunkt eines europaweit attraktiven Hofes als biographisches Argument gelten zu lassen. Die Grundlage für Karls spätere Entwicklung sei in diesen Jahren gelegt worden. In der sich anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Forschung zwar einzelne Personen (Lehrer, Amme) aus Karls frühem Umfeld bekannt seien, weniger aber die Inhalte, die diese vermittelt hätten. Für ein vollständiges Bild der Sozialisierung seien zudem auch die Bilder der ihn umgebenden Tapisserien und die den Hof prägende Musik in den Blick zu nehmen.

Mit dem Blick auf die Karl umgebenden Frauen stellte MONIQUE SOMMÉ (Arras) einen weiteren Aspekt des Menschen Karl vor. Prägend sei vor allem seine Mutter Isabella von Portugal gewesen, der er sich wegen Differenzen mit dem Vater stark verbunden gefühlt habe. Auch Karls dritte Frau, Margarethe von York, habe sich mit seiner Mutter gut verstanden, was durch zahlreiche gemeinsame Reisen zu belegen sei

In ihrem gemeinsamen Vortrag beleuchteten BARBARA WELZEL (Dortmund) und BIRGIT FRANKE (Münster) aus kunsthistorischer Sicht die Heldenwelt Karls des Kühnen. Ausgehend von einem berühmten Reliquiar, das Karl 1468 Lüttich schenkte, nahm Welzel das Georgsbild des Burgunderherzogs in den Blick. Das Reliquiar zeigt Karl kniend, vom Heiligen Georg als Patron empfohlen. Die Identität der Gesichtszüge lasse sich als Bekenntnis Karls zu Georgs Tugenden deuten – der Herzog kämpfte auch in Georgs Namen und unter Standarten mit dem Bild des Heiligen. Welzel wies nachdrücklich auf die Bedeutung von Erzählungen hin, die alle Lebensbereiche durchzogen. Daran anknüpfend zeigte Franke, wie sehr sich Karl eben dieser in Bilder gefassten Erzählungen als Medium der Repräsentation bedient habe. Ihm habe Magnifizenz als oberste Fürstentugend gegolten. Beliebt seien in diesem Zusammenhang vor allem Tapisserien mit Alexander- und Caesar-Zyklen gewesen, deren antike Protagonisten aber zeitgenössische burgundische Kleidung trugen – ein deutliches Zeichen für die weithin bekannte Identifikation Karls mit den dargestellten antiken Figuren.

HUGO VAN DER VELDEN (Harvard) schrieb Karl dem Kühnen eine „volkstümliche Frömmigkeit“ zu, wobei er diese nicht negativ verstanden wissen wollte. So habe Karl vornehmlich in Burgund selbst oder in dessen Einflussbereich gestiftet, wobei es sich meistens um situationsbezogene Votivgaben handelte: Karl habe Heilige als Verbündete angesehen, für deren Hilfe er spendete. In diesem Kontext sah van der Velden das Lütticher Reliquiar als „Geste der Macht“ an: Die Schenkung an Lüttich war erfolgt, nachdem Karl die aufständische Stadt geschleift und zerstört hatte.

Dem scheinbaren Widerspruch zwischen Ritterschlägen und Kanonen in den Burgunderkriegen wandte sich MALTE PRIETZEL (Berlin) zu. Die teuren und in der Herstellung aufwändigen Kanonen stellte er als Ausdruck der modernen burgundischen Armee heraus und erklärte damit auch deren Beliebtheit als Siegessymbol auf eidgenössischer Seite. Historiographisch seien die burgundischen Geschichtsschreiber angesichts der Niederlagen nicht umhin gekommen, ihren Herzog zu kritisieren. Dies führte Prietzel am Beispiel Jean Molinets aus, der Karl dafür rügte, Warnungen ignoriert zu haben. Auf eidgenössischer Seite habe man sich hingegen zugeschrieben, „ritterlich“ gekämpft zu haben. In diesem Kontext wies Prietzel auf zahlreiche Ritterschläge vor und nach den Schlachten hin. In der anschließenden Diskussion war umstritten, ob die Eidgenossen damit die Ideale ihrer Gegner übernommen hätten, oder ob „ritterlich“ nur im Sinne von „ehrlich“, „mannhaft“ oder „redlich“ zu verstehen sei.

Sektion III – Die Politik Herzog Karls

Am Beginn der dritten Sektion sprach MARTIN KINTZINGER (Münster) über die Außenpolitik des letzten Burgunderherzogs. In deren Zentrum habe das Streben nach Souveränität gestanden, das auch in den Caesarabbildungen auf verschiedenen Tapisserien deutlich werde: So habe Caesar – mit dem sich Karl identifiziert habe – nicht nur zeitgenössische burgundische Kleidung, sondern auch eine Bügelkrone getragen, die stark an die Reichskrone erinnerte. Folgerichtig habe Karl die französische Lehnshoheit bestritten und Ludwig XI. die Anrede als „mon souverain seigneur“ verweigert. Seinen zweiten Lehnsherrn, Kaiser Friedrich III., habe er dazu bewegen wollen, ihn zum König zu krönen. Das berühmte Treffen des Jahres 1473 in Trier sei aber an der allzu großen Prachtentfaltung Karls, die den ranghöheren Kaiser beleidigt und zur Abreise bewegt habe, gescheitert. Kintzinger schloss damit, dass Burgund über eine effektive Administration verfügt habe, nicht aber über ein fest gefügtes System von Diplomaten und Gesandten. Diese seien vielmehr nach Eignung für bestimmte Missionen ausgewählt worden.

Der Frage, warum die burgundischen Herzöge sich seit Philipp dem Guten verstärkt dem Reich zuwandten und wie die französische Krone darauf reagierte, ging HERIBERT MÜLLER (Frankfurt am Main) nach. De facto seien die burgundischen Herzöge königsfähig und -mächtig gewesen, so Müller. Davon legten bereits die 1436 auf dem Basler Konzil von burgundischen Gesandten eingeklagten Rang- und Sitzansprüche und Diskussionen um die im Raum stehende friesische Königskrone für Burgund Zeugnis ab. Für den Kaiser sei jedoch nur ein Lehnkönigtum in Frage gekommen, was Philipp der Gute kategorisch abgelehnt habe. Das Herrschertreffen Karls mit Friedrich III. in Trier charakterisierte Müller als Höhepunkt der burgundischen Bemühungen um eine Königskrone. Diese endeten aber durch die ablehnende Haltung der Kurfürsten und die überraschende Abreise des Kaisers am 25. November mit einer Niederlage für Karl den Kühnen. Obgleich der Herzog nie ein eigenes burgundisches Königtum propagiert habe, sei er darum bemüht gewesen, die Geschichte seines Hauses jeweils mit „interessegeleiteter Flexibilität“ (Müller) mit Königshäusern in Verbindung zu setzen. So habe er seine Abstammung direkt von Karl dem Großen hergeleitet. Um seine Ansprüche zu untermauern, sei er zudem bei öffentlichen Auftritten in königsgleicher Kleidung erschienen. Dies deutete Müller im Sinne der burgundischen Bemühungen um eine Königskrone, die sich vor allem gegen den französischen König gerichtet hätten. Dessen Reaktion sei jedoch nicht das Spannen eines Netzes gegen Burgund gewesen, sondern eine Politik des aufmerksamen Abwartens. Trotz der Schwächen des Reichs (generell) wie der französischen Krone (seit dem Hundertjährigen Krieg) seien beide Gebilde in ihren Strukturen zu fest formiert gewesen, um ein Kunstgebilde in Form eines burgundischen Königtums zwischen ihnen zu akzeptieren.

SONJA DÜNNEBEIL (Wien) setzte sich in ihrem Vortrag mit der Rolle Karls des Kühnen als Herr und Ordensbruder im „Orden vom Goldenen Vlies“ auseinander. In diesem Zusammenhang ging sie zunächst der Frage nach, welche Stellung die Statuten des Ordens für Karl den Kühnen vorsahen, dessen Wirken darauf abzielte sich ein Vorrecht bei der Auswahl neuer Mitglieder zu sichern. Auf der ersten Kapitelsitzung wirkte er zudem darauf hin, die Ordensgerichtsbarkeit zu beschränken: Unter seinem Vater Philipp dem Guten wurde der Orden als Schiedsgericht noch stark frequentiert, jetzt sollte er nur noch in Ehrensachen angerufen werden dürfen. Auch das herausstechende Element der „Sittenrüge“ habe Karl intensiver als sein Vater genutzt. Dies alles spreche dafür, dass Karl den Orden als Instrument einer politisch ausgerichteten Sozialkontrolle genutzt habe. Daraufhin wandte Dünnebeil sich den unter Karl aufgenommenen neuen Mitgliedern zu und stellte die Aufnahmen von auswärtigen Machthabern als Indikator für außenpolitische Trends und Wünsche nach Bindungen heraus. Sie unterstrich, dass Karl den Orden zur Darstellung seiner Magnifizenz instrumentalisiert habe, unter anderem durch die präzise Planung öffentlicher Auftritte.

Über das schwierige Verhältnis Karls des Kühnen zu den Städten, insbesondere den flandrischen, referierte MARC BOONE (Gent). Schon der Beginn von Karls Herrschaft sei durch einen Zwischenfall gezeichnet gewesen: Die „joyeuse entrée“ in Gent (1467) wurde von den Forderungen der Bürger überschattet, die seit der Unterdrückung einer Revolte durch Karls Vater Philipp unter einer erhöhten Steuerlast und der Konfiskation der Zunftfahnen litten, und deren Unmut sich nun in einem Aufstand äußerte. Der Fall Lüttich 1468 habe den Höhepunkt in der Unterdrückung der gegen den burgundischen Herzog aufbegehrenden Städte gebildet. Boone zeigte eindrucksvoll, dass gerade die Zerstörung von Lüttich und ihre mediale Auswertung die letzten pro-burgundischen Tendenzen der Städte allgemein und der Städte am Oberrhein im Besonderen ausgelöscht habe. Wie sich im Gegenzug jedoch auch einige Städte mit den burgundischen Herzögen arrangiert hätten, zeigten die Beispiele von Brüssel, Lille, Mechelen und Antwerpen.

Sektion IV – Kultur und Hof

KARL-HEINZ SPIEß (Greifswald) untersuchte in seinem die vierte Sektion einleitenden Vortrag den Schatz Karls des Kühnen als politisches Medium. Ein von ihm dazu untersuchtes Inventar der Schatzkammer in Lille verzeichnet rund 1350 Einträge, es sei aber davon auszugehen, dass die Zahl der einschlägigen Objekte in Karls Besitz tatsächlich größer gewesen sei. Zudem handele es sich um eine Momentaufnahme der sich 1468 in Lille befindlichen Gegenstände, die Karl von seinem Vater Philipp geerbt habe – die ständige Fluktuation der Gegenstände mache eine genaue Taxierung unmöglich. Immerhin habe Karl über deutlich größeren Besitz verfügen können als etwa die Kurfürsten, wenngleich in einzelnen Bereichen, etwa beim Tafelgeschirr, Parallelen zu zeigen seien. Funktional habe der Schatz als Medium der Politik schon durch seine bloße Existenz die Zahlungsfähigkeit Karls des Kühnen demonstrieren können; als Reservoir für großzügige Gaben diente er zur Darstellung seiner Freigebigkeit. Auch seine öffentliche Zurschaustellung habe eine enorme politische Breitenwirkung entfaltet. Auf dem 1473 stattfindenden Treffen mit Kaiser Friedrich III. habe Karl Kleidung getragen, die mit Schmuckstücken aus seinem Schatz bestückt gewesen sei, so dass er diesen buchstäblich am Körper trug. Für Spieß verprellte bei diesem Anlass nicht die öffentliche Inszenierung von Karls Reichtum die Kurfürsten, vielmehr seien für das Scheitern der Verhandlungen deren politische Haltung und die Reichsverfassung verantwortlich gewesen. Schließlich habe es, so Spieß, keine Vorschrift gegeben, nach der Rangniedere ihren Reichtum nicht hätten zeigen dürfen.

ODILE BLANC (Lyon/Paris) widmete ihren bilderreichen Vortrag der Kleidung Karls des Kühnen, von deren Pracht man sich in der Ausstellung im Historischen Museum Bern überzeugen konnte. Nach einer aufschlussreichen Einführung in die verschiedenen verwendeten Stoffe und Bearbeitungs- und Verzierungstechniken kam sie auf die Mode Karls des Kühnen zu sprechen. In einem Vergleich von Abbildungen und Realia kam sie dabei zu dem Schluss, dass Karl in seiner Farb- und Kleidungswahl seinem Vater Philipp dem Guten treu geblieben sei. Dabei sei die Farbe Schwarz als Ausdruck der Trauer über seinen Vater zu einer Familientradition geworden.

Der Kunsthistoriker PETER KURMANN (Fribourg) setzte sich mit der These auseinander, nach der die Baukunst unter den burgundischen Herzögen restaurativ-konservativ zu bewerten sei. Er verifizierte diese anhand der 1200 in Frankreich entstandenen „klassischen Kathedrale“, die außerhalb Frankreichs nur in den Niederlanden – vornehmlich in Brabant und Flandern – späte Nachahmung gefunden habe. Dort sei sie bis ins 16. Jahrhundert hinein in der so genannten „brabantischen Gotik“ aktuell geblieben. Man könne aber die Übernahme einiger neuer Stilelemente nachweisen, die wahrscheinlich über die engen Handelskontakte aus England in die Niederlanden gelangt seien. Die Gründe für das Verharren der stilgeschichtlichen Mittel der „brabantischen Gotik“ im 14. Jahrhundert müsse man in der in Burgund vorherrschende Konzentration auf Frankreich suchen, die ihren Ausdruck in retrospektiv gestalteter Architektur gefunden habe.

Der Frage, ob Karl der Kühne ein „bibliophiler Mäzen“ gewesen sei, ging DAGMAR THOSS (Wien) in ihrem Vortrag nach. Die Expertin für burgundische Buchmalerei führte anhand von zahlreichen Dedikationsminiaturen aus burgundischen Chroniken die Unterschiede zwischen dem Mäzenatentum Philipps des Guten und dem Karls aus. So sei letzterer nicht so markant wie sein Vater als Mäzen in Erscheinung getreten. Vielmehr seien es die weiblichen Personen in seinem Umfeld, wie beispielsweise seine Tochter Maria oder seine Ehefrau Margarethe von York, gewesen, die sich als solche besonders hervorgetan hätten. Ausnahmen hätten jedoch administrative Schriften gebildet, von denen Thoss die „Statuten des Ordens vom Goldenen Vlies“ sowie die „Stallmeisterordnungen“ eingehend vorstellte, die als beispielhaft für Karls persönliches Mäzenatentum gelten könnten.

Sektion V – Nachleben und Nachwirkungen Karls des Kühnen

Für CLAUDIUS SIEBER-LEHMANN (Basel) belegten die zahlreichen, überwiegend negativ konnotierten Beinamen für den letzten Burgunderherzog in verschiedenen europäischen Ländern in seinem die fünfte Sektion einleitenden Vortrag, dass Karl eine Person gewesen sei, welche die Menschen damals wie heute polarisiere. Vergleiche man jedoch die Herrschaftspraxis Karls etwa mit Machiavellis knapp vierzig Jahre später entstandenem „Principe“, könne man zahlreiche Parallelen ausmachen. Daher plädierte Sieber-Lehmann dafür, Karl in kritischer Distanz in den damals zeitgenössischen Kontext von Fürstenherrschaft einzubetten. Der Herzog habe sich „mediterran“ verhalten, was in erster Linie auf seine Mutter Isabella von Portugal zurückzuführen sei. Dafür spreche auch, dass er italienisch, portugiesisch und lateinisch gesprochen und enge Kontakte zum Herzogtum Mailand gepflegt habe. Doch habe das „Mittelalterliche“ an Karl Jacob Burckhardt in seiner „Cultur der Renaissance“ gehindert, in ihm einen Renaissancefürsten zu sehen. Auch in Huizingas „Herbst des Mittelalters“ werde der Herzog als Exponent einer Zeit des Verfalls der ritterlichen Ideale behandelt. Sieber-Lehmann schlug dagegen vor, den letzten Burgunderherzog als Vertreter einer „Renaissance des Nordens“ zu sehen, wobei die Frage nach der Unterscheidung zwischen nördlicher und südlicher Renaissance vorerst offen blieb.

Das Nachleben Karls des Kühnen in der Propaganda des lothringischen Hofes stand im Mittelpunkt des Vortrags von CHRISTOPH BRACHMANN (Berlin). Der Sieg über Karl den Kühnen und dessen Tod in der Schlacht von Nancy (1477) fanden nicht sofort Eingang in die lothringische Propaganda, sondern erst nach Ende der Regierungszeit des Schlachtensiegers René II. von Lothringen. Dessen größte Sorge sei primär die Sicherung des angiovinischen Besitzes gewesen. Als erste spontane Reaktion auf den Sieg über Burgund könne man die Errichtung eines Lothringerkreuzes auf dem Schlachtfeld sehen; dann erst folgten im Medium von Schrift und Buchmalerei die „Chronique de Lorraine“ und der „Songe du Pastourel“, wobei gerade letzterer den Tod Karls des Kühnen als Gottesurteil rechtfertigen sollte. Erst im Jahr 1501 sei eine erste Prozession in Nancy durchgeführt worden, deren Aufgabe es gewesen sei, den durch die Burgunderkriege erlittenen Schaden zu memorieren. 1505 wurde dann im Neubau der Hofkirche in Nancy ein Kenotaph für Karl errichtet. Bachmann wies auf die Bedeutung der Memoria für ein protonationalistisches Geschichtsbild in Lothringen hin, die ihren symbolischen Ausdruck im Lothringerkreuz, in der „Nancéide“ des Pierre de Blarru (1518) und noch in Eugène Delacroix’ Gemälde „Die Schlacht von Nancy“ fand.

Ausblick

ANDRÉ HOLENSTEIN (Bern) behandelte den engen Zusammenhang zwischen „Heldensieg und Sündenfall“ im Zusammenhang mit dem Sieg über Karl den Kühnen in der kommunal-republikanischen Erinnerungskultur der Eidgenossen. Um diesen zu verdeutlichen, griff er den eingangs zitierten Spruch zu „Gut – Mut – Blut“ auf und stellte fest, dass die hier evozierten Elemente bereits 1477, kurz nach Karls Tod, in einer eidgenössischen Chronik aufgetaucht seien. Dass in ihm nur die Demütigungen des Gegners genannt seien, der Gewinn der Sieger aber übergangen werde, erklärte er mit dem Bedürfnis der Eidgenossen, ihre selbst empfundenen moralisch-politischen Verluste im Gefolge der Burgunderkriege zu verdrängen. So sei die Eidgenossenschaft bereits kurze Zeit später in eine politische Krise gestürzt, die jedoch überwunden werden konnte. In einer schwerwiegenden Sinn- und Legitimitätskrise sei die Eidgenossenschaft aber auch „kulturell verunsichert und mental verstört“ (Holenstein) worden – einen Hinweis bietet die zeitgenössische Wahrnehmung als „geldgierige „Kampfmaschinen“ in ganz Europa. Bereits im 1514 entstandenen „Lied von den alten Eidgenossen“ und anderen Medien seien „alte“ und „junge“ Eidgenossen einander gegenübergestellt worden, wodurch ihnen die Brüchigkeit ihrer eigenen Legitimation vor Augen geführt worden sei; die Deutung der Niederlage von Marignano (1515) als Strafe Gottes wird damit nur konsequent. Die Reformatoren hätten vor diesem Hintergrund den neuen Glauben als Wiederherstellung einer „alten“ Eidgenossenschaft propagieren können. Auch im Kontext des drohenden Verfalls der Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert habe man sich auf die Tugenden der „alten“ Eidgenossen rückbesonnen, um diese für eine entsprechende politische Erziehung zu konzeptualisieren. Demgegenüber habe im 19. Jahrhundert eine ambivalente Sicht auf die Burgunderkriege vorgeherrscht. Während die einen diese als wahre Berufung des Kleinstaates angesehen und damit militaristische Strömungen bedient hätten, hätten andere eine Fiktion entworfen, nach der sie als Lektion für die Neutralität der Schweiz angesehen werden müsste. Insgesamt stellte Holenstein fest, dass die Burgunderkriege zu einem gefährlichen Kontrapunkt im Gründungsmythos der Eidgenossen geworden seien, der seit den 1520er-Jahren als Narrativ zur Verfügung gestanden habe und seitdem intensiv genutzt worden sei.

Öffentlicher Abendvortrag

In einem öffentlichen Vortrag schilderte ARNOLD ESCH (Rom) den Weg in die Burgunderkriege aus der Perspektive Berns. Er wies daraufhin, dass noch Philipp der Gute sehr freundlich in Bern empfangen worden sei, sein Sohn Karl die Eidgenossen aber durch seine expansive Politik beunruhigt habe. Der 1469 zwischen Österreich-Habsburg und Burgund geschlossene Vertrag von Saint-Omer habe diese Empfindungen noch verstärkt. Schon fünf Jahre später sei es den Eidgenossen aber gelungen, den österreichischen Herzog Sigmund mit der „ewigen Richtung“ auf ihre Seite zu ziehen. Esch unterstrich, dass Karls Beiname „le Hardi“ (der Dreiste) eigentlich dem Berner Schultheißen Nikolaus von Diesbach gebühre, der den diplomatischen Wandel eingefädelt habe, während Karl selbst hingegen nur „téméraire“ (kühn) gewesen sei. Innerhalb der Eidgenossenschaft sei es Bern gewesen, das nun zielstrebig den Weg der Eskalation beschritten habe, was Esch anhand der intensiven Tätigkeit der Berner Kanzlei nachwies. Die Festnahme des burgundischen Landvogts Peter von Hagenbach und dessen Hinrichtung hätten Karl den Kühnen provoziert. Auf dem Weg in die Burgunderkriege, so Esch, habe Bern „nicht geschoben und nicht gezogen“ werden müssen, auch wenn in der zeitgenössischen Historiographie oft die französische Seite als kriegstreibend erscheine.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Tagung zahlreiche wertvolle Einblicke und neue Perspektiven auf die unterschiedlichen Facetten des letzten burgundischen Herzogs, seine Politik und die Rezeption durch die Nachwelt bot. Dass die Organisatoren Klaus Oschema und Rainer C. Schwinges bewusst einen interdisziplinären Weg gewählt haben, um auf diese Weise sowohl religions- und kunst-, als auch politikgeschichtliche Burgundexperten zusammenzuführen und in ein Gespräch zu bringen, sei besonders hervorgehoben. Der häufig eingeforderte Dialog zwischen den einzelnen Disziplinen erwies sich in diesem Zusammenhang als bereichernd und war für den Zuhörer in jeder Diskussion greif- und erlebbar. Eine zeitnahe Veröffentlichung der Beiträge ist geplant und uneingeschränkt wünschenswert.

Kurzübersicht:

Rainer C. Schwinges (Bern): Einleitung

Sektion I (Vorgeschichte)
Werner Paravicini (Paris/Kiel): Einen neuen Staat verhindern: Frankreich und Burgund im 15. Jahrhundert
Guy Marchal (Basel): Ein Staat werden: Die Eidgenossen im 15. Jahrhundert

Sektion II (Der „Mensch Karl“. Einflüsse und Prägungen)
Klaus Oschema (Heidelberg/Bern): Das Werden eines neuen Alexander? Jugend und Ausbildung Karls des Kühnen
Monique Sommé (Arras): Charles le Téméraire et les femmes: présence et influence
Birgit Franke (Münster), Barbara Welzel (Dortmund): Bildsozialisation und Bildpolitik – die Heldenwelt Karls des Kühnen
Hugo van der Velden (Harvard): Charles´ Religion
Malte Prietzel: Ritterschläge und Kanonen. Heere, Kriegführung und Erinnerung bei Burgundern und Eidgenossen

Sektion III (Die Politik Herzog Karls)
Martin Kintzinger (Münster): Caesar, der Staat und die Nation. Die Außenpolitik Karls des Kühnen
Heribert Müller (Frankfurt a. M.): Der Griff nach der Krone – Karl zwischen Frankreich und dem Reich
Sonja Dünnebeil (Wien): Das Goldene Vlies und die Beherrschung des Adels – Karl als Herr und Ordensbruder?
Marc Boone (Gent): Charles le Téméraire face au monde urbain: ennemis jurés et fatals?

Sektion IV (Kultur und Hof)
Karl-Heinz Spieß (Greifswald): Karls Schatz als Medium der Politik
Odile Blanc (Lyon/Paris): Charles et ses parures
Peter Kurmann (Fribourg): Herbst der Kathedrale. Zur Kirchenbaukunst im Herrschaftsbereich Karls des Kühnen
Dagmar Thoss (Wien): Le Téméraire/Der Tollkühne – ein bibliophiler Mäzen?

Sektion V (Nachleben und Nachwirkungen Karls des Kühnen)
Claudius Sieber-Lehmann (Basel): Charles le Téméraire, le Hardi, le Travaillant. Der letzte „Grands Ducs de Bourgogne“ im Spiegel der Geschichtsschreibung
Christoph Bachmann (Berlin): „A la fois qui tout veult, tout pert“: Karls Nachleben in der Propaganda des lothringischen Hofes

Ausblick
André Holenstein (Bern): Heldensieg und Sündenfall. Der Sieg der Eidgenossen über Karl den Kühnen in der kommunal-republikanischen Erinnerungskultur

Öffentlicher Abendvortrag
Arnold Esch (Rom): Karl der Kühne und die Burgunderkriege aus der Sicht Berns


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