Christians/Poles and Jews in Mutual Perception in Poland - an Archeology of Divided Memory

Christians/Poles and Jews in Mutual Perception in Poland - an Archeology of Divided Memory

Organisatoren
Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig in Kooperation mit dem Jüdisch-Historischen Institut Warschau
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.03.2003 - 07.03.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Kai Struve, Herder-Institut Marburg/Leipzig

Der Workshop fand im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsvorhabens des Leipziger Simon-Dubnow-Instituts und des Warschauer Jüdisch-Historischen Instituts (Zydowski Instytut Historyczny) statt, das Repräsentationen der gemeinsamen Geschichte im polnischen und jüdischen kulturellen Gedächtnis vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart untersuchen soll.

Der polnisch-jüdische Fall scheint paradigmatisch für historische Gedächtniskonflikte zu sein. Die differierenden jüdischen und polnischen Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs stehen dabei im Mittelpunkt. So ist für die jüdische Erinnerung an die Geschichte der Juden in Polen und die polnisch-jüdischen Beziehungen das Ereignis des Holocaust in hohem Maße bestimmend. Die kurze Periode, in der die Ermordung der Juden stattfand, wird gewissermaßen zu einer "gestauten Zeit" (Dan Diner), für das aus dem Ereignis selbst heraus kein seiner Bedeutung im jüdischen Gedächtnis angemessenes Narrativ erzeugt werden kann. Daher wird die vorhergehende Geschichte der polnisch-jüdischen Beziehungen in die jüdische Erzählung des Holocaust einbezogen, wird also gewissermaßen zu seiner Vorgeschichte, obwohl der Mord an den Juden unter deutscher Herrschaft stattfand. Das polnische nationalgeschichtliche Narrativ ist dagegen letztlich weiterhin durch den Messianismus der polnischen Romantik imprägniert, der Polen einerseits als Opfer (durch das Unrecht der Teilungen) und andererseits als Vorkämpfer der Freiheit der Völker ("Christus der Völker") stilisierte. Die polnischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs lassen sich mühelos in diese Erzählstruktur integrieren und haben sie damit gestärkt. Die polnische Geschichtserzählung und das damit zusammenhängende Selbstbild sind jedoch unvereinbar mit der jüdischen Erzählung.

Der Workshop sollte der langfristigen Entwicklung der Wahrnehmung der jeweils anderen Gruppen und deren Bedeutung für die jeweils eigene Identitätsbestimmung nachgehen. Besonderes Gewicht sollte dabei auf die Frage gelegt werden, welche Bedeutung Erinnerungen an vergangene Beziehungen für die jeweils aktuellen Beziehungen besaßen. Ein solches Vorgehen, also gewissermaßen eine "Archäologie der Erinnerungen", verspricht im Resultat eine polnisch-jüdische Beziehungsgeschichte als Gedächtnisgeschichte. Der Workshop diente der Etablierung eines entsprechenden Forschungszusammenhangs und der Diskussion laufender oder geplanter Forschungsvorhaben.

Im einleitenden Vortrag stellte Alina Cala (Warschau) polnische Wahrnehmungen von Juden und jüdische Wahrnehmungen von Polen gegenüber. Die Referentin stützte sich dabei vorwiegend auf volkskulturelle und autobiographische Materialien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Ihr Vortrag machte deutlich, dass bei einer polnisch-jüdischen Gedächtnisgeschichte auch nach schichtspezifischen Deutungsmustern des Verhältnisses zur jeweils anderen Gruppe und spezifisch volkskulturellen Wegen der Vermittlung und entsprechenden Speicherformen des kulturellen Gedächtnisses gefragt werden muss. Cala zeigte zugleich die Vielschichtigkeit und Ambivalenz der gegenseitigen Wahrnehmung, indem sie auf vielfältige kulturelle Transfers zwischen beiden Gruppen aufmerksam machte, die bei fortbestehender gegenseitiger Wahrnehmung als "Fremde" stattfanden.

In der der Frühen Neuzeit gewidmeten Sektion des Workshops skizzierte Jürgen Heyde (Warschau) ein Forschungsprojekt zum Begriff des "jüdischen Ghettos". Der Begriff des Ghettos, so der Referent, sei in Polen in der Frühen Neuzeit nicht verwendet, sondern erst von der Historiographie im 19. Jahrhundert eingeführt worden. Die Ausgangsthese des Vorhabens bestehe darin, dass dieser Begriff eine stärkere Trennung von Juden und Nichtjuden suggeriere, als es der historischen Realität der Frühen Neuzeit entsprochen habe. So solle die Begriffsgeschichte von "Ghetto" als zentraler Kategorie zur Beschreibung der Situation von Juden in der Historiographie und Publizistik seit dem 19. Jahrhundert analysiert und nach Kontexten und möglichen gegenwartsbezogenen Absichten bei seiner Einführung gefragt werden.

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit bildeten religiöse Zugehörigkeiten zentrale Kategorien für Unterscheidungen zwischen "fremd" und "eigen". Da Gruppenidentitäten in hohem Maße religiös bestimmt waren, standen die Abgrenzung entlang religiöser Trennlinien sowie Versuche, sie zu überwinden, bei den folgenden Vorträgen zu frühneuzeitlichen Themen im Mittelpunkt. Judith Kalik (Jerusalem) behandelte in ihrem Vortrag die Haltung von Angehörigen des katholischen Klerus in Polen gegenüber Juden im 18. Jahrhundert und analysierte u.a. von Klerikern entwickelte Reformkonzepte gegenüber den Juden als Teil der gesamtpolnischen Reformdiskussionen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Im anschließenden Vortrag beschrieb Jan Doktór (Warschau) die messianische Bewegung Jakob Franks als Beispiel gegenseitiger Faszination und damit eines besonderen Falls der gegenseitigen Wahrnehmung von Christen und Juden. Die schließlich zum Christentum konvertierten Frankisten und ihre messianischen Ideen beeinflussten die polnische Romantik, u.a. Adam Mickiewicz. Damit zogen sie aber auch die besondere Aufmerksamkeit antisemitischer Publizisten der Zwischenkriegszeit auf sich, die entsprechende Einflüsse aus der polnischen Kultur entfernen wollten. Unter dem Gesichtspunkt einer polnisch-jüdischen Gedächtnisgeschichte zeigte sich hier, wie Faszination in Ablehnung umschlug.

Eine weitere Sektion der Tagung behandelte unterschiedliche Speichermedien des kulturellen Gedächtnisses. Ewa Geller (Warschau) und Jürgen Hensel (Warschau) gingen der Frage nach, wie Sprache die Geschichte der Beziehungen von Polen und Juden zueinander reflektiert sowie Haltungen beeinflusst und wie in sprachlichen Strukturen und in der Lexik kollektive Erinnerungen über die Zeit transportiert werden. Ewa Geller untersuchte dies am Beispiel gegenseitiger sprachlicher Einflüsse von Polnisch und Jiddisch. Jürgen Hensel behandelte semantische Konnotationen des Worts Zyd/zyd (Jude). Er beschrieb verschiedene erfolglos gebliebene Versuche, vor allem im 19. Jahrhundert, diese Bezeichnung durch andere zu ersetzen, und widersprach der Ansicht, dass Zyd/zyd gegenwärtig keine negativen Konnotationen mehr enthalte. Er belegte diese These damit, dass als zydówka/zydowski eine Reihe von Erscheinungen in der Botanik, Biologie, Medizin oder Mineralogie bezeichnet werden, die durchweg unästhetisch und wenig ansprechend sind. Auch eine vermeintlich wertneutrale Verwendung des Begriffs würde solche negativen Konnotationen immer mittransportieren.

Den Gegenstand der folgenden Vorträge bildeten zwei zentrale hochkulturellen Speichermedien, nämlich die belletristische Literatur und die Historiographie. Eugenia Prokop-Janiec (Krakau) skizzierte ein Forschungsprojekt zur polnischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, das die Bilder von Juden und der christlich/polnisch-jüdischen Beziehungen untersuchen und Themen und Motive der belletristischen Literatur in den Kontext des weiteren Diskurses über die christlich/polnisch-jüdischen Beziehungen einordnen soll. Die jüdische Seite der Beziehungen zwischen den zwei Gruppen behandelte der Vortrag von Maria Dold (Tübingen/Leipzig). Sie stellte ein Forschungsvorhaben zum Bild der Christen und der christlich/polnisch-jüdischen Beziehungen in der jüdischen Historiographie in Polen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1939 vor.

Die folgende Sektion war der Zeit der Zweiten Republik gewidmet, die zusammen mit dem Zweiten Weltkrieg als Schlüsselepoche für die gegenwärtigen, kontrastierenden kollektiven Erinnerungen von Polen und Juden an die gemeinsame Geschichte gelten kann. Klaus-Peter Friedrich (Marburg) umriss ein Projekt zur Erforschung des Stereotyps der zydokomuna, des "jüdischen Bolschewismus", also der Vorstellung, dass der Kommunismus eigentlich jüdisch sei und die Sowjetunion von Juden beherrscht werde. Der Frage, inwieweit Gewalt gegen Juden von polnischer Seite in den polnischen Ostgebieten während des Zweiten Weltkriegs durch Kollaboration von Juden mit den sowjetischen Besatzern oder durch das Stereotyp der zydokomuna ausgelöst worden sei, kommt in den Kontroversen um das polnisch-jüdische Verhältnis während des Zweiten Weltkriegs zentrale Bedeutung zu. Gedächtnisgeschichtlich wäre hier von besonderem Interesse, welche Rolle Erinnerungen an die Konflikte nach dem Ersten Weltkrieg in dieser Region für die Gruppenbeziehungen während des Zweiten Weltkriegs hatten.

Hanna Kozinska-Witt (Leipzig/Dresden) beschrieb in ihrem Vortrag ein Forschungsprojekt zu den Beziehungen zwischen Christen und Juden in der städtischen Selbstverwaltung Krakaus zwischen den Weltkriegen. Im Mittelpunkt dieser lokalen Studie stand die Frage, inwieweit es ein gemeinsames städtisches, die religiösen und nationalen Differenzen übergreifendes Identitätsbewusstsein gab und welche Relevanz es gegebenenfalls für die städtische Politik hatte. Orientierte die städtische Erinnerungspolitik sich an der Betonung der Gemeinsamkeiten oder an der Separierung der beiden Gruppen? Hatten auch die Juden einen Platz in der städtischen Selbstdarstellung? Und welche Erinnerungen der Geschichte der Stadt und der christlich/polnisch-jüdischen Beziehungen in Krakau besaßen die Juden und zeigen Krakauer jüdische Geschichtsdarstellungen?

Im Mittelpunkt der letzten Sektion standen der Zweite Weltkrieg und die Erinnerung an ihn als Faktor in den gegenwärtigen polnisch-jüdischen Beziehungen. In dem einleitenden Vortrag analysierte Joanna Michlic (Jerusalem) die Entwicklung des Bildes der Juden als "andere" in der polnischen Gesellschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und dessen Bedeutung für die polnische Haltung gegenüber den Juden in der Zeit des Krieges. Sie stellte fest, dass sich immer mehr ethnisch-nationale Vorstellungen polnischer Identität durchsetzten, die die Juden, aber auch weitere, nicht der polnischen ethnisch-nationalen Gemeinschaft zugerechneten Minderheiten ausschlossen. Dies habe sich dann während des Krieges verschärft. Die ethnische Homogenisierung sei allerdings erst während und nach dem Krieg durch den Mord an den Juden unter deutscher und die Vertreibungen und Umsiedlungen unter sowjetischer Herrschaft realisiert worden.

Andrzej Zbikowski (Warschau) untersuchte in seinem Beitrag die Ereignisse des Sommers 1941 in Ostpolen, vor allem in den nordöstlichen Regionen Bialystok und Lomza, als es hier nicht nur in Jedwabne, sondern auch an vielen weiteren Orten in den ersten Wochen der deutschen Besatzung zu Gewalttaten gegen Juden von seiten der nichtjüdischen Bevölkerung kam. Er beschrieb diese Periode auf der Grundlage von jüdischen und polnischen Erinnerungen und zeigte so auch Ursprünge der kontrastierenden polnischen und jüdischen kollektiven Erinnerungen an diese Periode. Piotr Weiser (Warschau/Lublin) stellte anschließend ein Forschungsprojekt vor, das der "offiziellen Haltung" des polnischen Untergrundstaates gegenüber dem Mord an den Juden, ihrer Entstehung und ihrem Wandel nachgehen soll. Während Zbikowski die lokale Erinnerung behandelte, geht es in Weisers Vorhaben darum, wie die lokalen Ereignisse in den Institutionen des Untergrundstaates in einem durchaus von kontroversen Ansichten gekennzeichneten Prozess zu einem Bild der Ereignisse umgeformt wurden, das den jeweiligen politischen Intentionen entsprach. Zu fragen wäre auch, inwieweit hier schon die Grundlage für die spätere Erinnerung der polnischen Gesellschaft an die Zeit des Zweiten Weltkriegs gelegt wurde.

Die Erinnerung der polnischen Gesellschaft an den auf polnischem Boden begangenen Judenmord und an die polnisch-jüdischen Beziehungen behandelten die zwei abschließenden Beiträge. Thomas Strobel (Leipzig) untersuchte die entsprechenden polnischen Diskussionen der letzten eineinhalb Jahrzehnte als innerpolnische Diskurse über polnische Schuld. Jehuda Jakubowski-Jeshay (Leipzig) präsentierte eine kritische Analyse der polnischen Jedwabne-Diskussion. Jakubowski-Jeshay stellte fest, dass die überwiegende Reaktion der polnischen Gesellschaft nicht die traditionellen Muster eigener polnischer Identitätsbestimmung gegenüber anderen verlassen habe, da es vorwiegend um die Frage der Stellung Polens als Opfer gehe.

Insgesamt zeigte die Tagung, dass die Verbindung von beziehungs- und gedächtnisgeschichtlichen Ansätzen fruchtbar sein kann. Sie ist allerdings in der geschichtswissenschaftlichen Forschung methodisch noch nicht sehr weit entwickelt worden. Das Anliegen der mit dieser Tagung begonnenen Forschungskooperation besteht darin, auch dazu einen Beitrag zu leisten.

Kontakt

Dr. des. Kai Struve
Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig
Goldschmidtstr. 28
04103 Leipzig
Tel.: 0341-2173550
Fax: 0341-2173555
e-mail: struve@dubnow.de


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