Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und ihre Rezeption (1450-1550)

Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und ihre Rezeption (1450-1550)

Organisatoren
Oliver Auge, Ralf-Gunnar Werlich (beide Greifswald) und Gabriel Zeilinger (Kiel)
Ort
Salzau (bei Kiel)
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.03.2008 - 29.03.2008
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Von
Immo Warntjes, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald

Die Tagung „Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und ihre Rezeption (1450-1550)“ fand vom 27. bis 29. März 2008 im Landeskulturzentrum Schloss Salzau bei Kiel statt. Die Organisatoren, Oliver Auge und Ralf-Gunnar Werlich vom Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, sowie Gabriel Zeilinger vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel, haben es somit verstanden, dieser Tagung nicht nur einen herrschaftlichen, ihrem Thema entsprechend „fürstlichen“ Rahmen zu bieten, sondern die Abgeschiedenheit des Ortes gab der Veranstaltungen einen durchweg angenehmen, für den wissenschaftlichen Austausch fruchtbaren Klausurcharakter, zumal das straffe Programm keine Zeit für lange Wege, geschweige denn intensive Ruhephasen in anderer Umgebung, zugelassen hätte.

Der Problemhorizont der Tagung wurde bereits eindrucksvoll durch den Eingangsvortrag von STEPHAN SELZER (Halle) und die darauffolgende Diskussion abgesteckt. Welche Berechtigung hat der biographische Ansatz? Welche Rolle kommt dem Individuum, dem Fürst, im Gegensatz zu seinem sozialen Umfeld, dem Hof, zu? Muss der Fürst als Individuum nicht eher im Kontext seines Hofes betrachtet werden, vor allem im Falle der Unmündigkeit des Fürsten? Inwieweit spiegelt „fürstliches Handeln“ Entscheidungen des Individuums wider und nicht eher seiner Berater, seiner Räte? Nach welchen Maßstäben sollten die Leistungen, und somit die Bedeutung eines Fürsten beurteilt werden? Retrospektiv aufgrund der Wirkungsmächtigkeit der Handlungen oder zeitgenössisch im Kontext des Handlungsspielraums des Fürsten? Aus welcher Perspektive sollte sich dem Phänomen des Fürsten und des Fürstenhofes genähert werden? Rein vertikal, im Vergleich zu seinen dynastischen Vorgängern und Nachfolgern? Oder doch horizontal, im Vergleich zu seinen Zeitgenossen im Reich, wenn nicht in Westeuropa?

Im ersten Teil der Tagung wurde sich diesen Fragestellungen problemorientiert genähert, während im zweiten dann exemplarisch auf individuelle Fürstenbiographien eingegangen wurde. REINHARD BUTZ (Dresden) analysierte Fürstenlob und –kritik bezüglich ihrer integrativen oder selektiven Wirkung am Fürstenhof, vornehmlich auf Grundlage von höfischer Historiographie. Diese Quellengattung wurde dann von BIRGIT STUDT (Freiburg im Breisgau) aufgenommen, anhand welcher sie die Spannungsverhältnisse zwischen Land und Dynastie, Gruppe und Person, sowie Panegyrik und Fürstenspiegel thematisierte, und den sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts vollziehenden Wandel in der höfischen Geschichtsschreibung skizzierte.
Der folgende Abendvortrag von MATTHIAS MÜLLER (Mainz) betrachtete die Fürsten, vielmehr ihre Porträts, aus kunsthistorischer Perspektive. Inwieweit spiegelt ein fürstliches Porträt die individuellen Züge des Portraitierten wider? Oder, aus der zeitgenössischen Perspektive des Künstlers gesehen, wie viel Natürlichkeit verträgt ein zur Zeitenwende entstandenes fürstliches Porträt? Am Beispiel Lukas Kranachs des Älteren gelang es Müller eindrucksvoll, die unterschiedlichen Typisierungen des Künstlers hervorzuheben und somit zu verdeutlichen, dass vermeintliche Individualität einen nicht unerheblichen Teil der Arbeitstechnik des Künstlers schuldete.

Der zweite Konferenztag begann dann mit einer Sektion aus dem Bereich der Historischen Hilfswissenschaften. HARM VON SEGGERN (Kiel) stellte die These auf, dass die Einführung des Drucks, zumindest in den ersten Jahrzehnten, keine Medienrevolution für die Ausfertigung von Urkunden weltlichen Inhalts bedeutete. RALF-GUNNAR WERLICH (Greifswald) argumentierte, dass die Aufbrechung der spätmittelalterlichen Tradition der Wappenvierung durch die Einführung von neunfeldrigen Wappen im Reich eine heraldische Entwicklung des späten 15. Jahrhunderts war, die ihren Anfang im Nordosten nahm. In der folgenden Sektion wurde das Verhältnis zwischen der Gruppe und dem Individuum thematisiert. Hierin analysierte HEINZ KRIEG (Freiburg im Breisgau) zunächst die einander entgegengesetzten Perspektiven anhand der vom Niederadel geprägten Turnierbücher auf der einen Seite, welche eine gruppenidentitätsstiftende Funktion einnahmen, und anhand der biographischen Werke Maximilians, welche unter anderem zur Stilisierung des Herrschers als idealtypischen Turnierkämpfer, seiner ritterlichen Tugenden dienten. MATTHIAS STEINBRINK (München) diskutierte anschließend die für jeden Fürsten virulente Problematik des Ausgleichs zwischen finanzieller Potenz und dem Erhalt seiner gesellschaftlichen Stellung.

Damit endete der problemorientierte Teil der Tagung, und es wurde zu den Biographien einzelner Fürsten übergegangen. JÖRG SCHWARZ (Freiburg im Breisgau) stellte Friedrich den Siegreichen von der Pfalz im Spiegel der wesentlichen politischen Konzepte eines Fürsten des 15. Jahrhunderts vor, nämlich der Konfrontation, der Kooperation und der Kompensation; als entscheidendes Ereignis zur unumkehrbaren Konfrontation Friedrichs mit dem Kaiser wurde der Reichstag von Regensburg 1471 ausgemacht. Choreographisch passend wurde Friedrich dem Siegreichen sein Widersacher, Albrecht Achilles, von GABRIEL ZEILINGER (Kiel) entgegengestellt, wobei Zeilingers Fokus auf der zeitgenössischen und modernen Rezeption dieses Fürsten lag, besonders auf der Bewertung seiner Kaisertreue. In der dann folgenden Sektion waren die Antipoden geographischer Natur. OLIVER AUGE (Greifswald) problematisierte die zu Beginn des 16. Jahrhundert aufkommende Anwendung des Titels pater patriae auf Fürsten aus dem Nordosten des Reiches, während STEPHAN LANG (Tübingen) die Charaktereigenschaften Eberhards im Bart von Württemberg beleuchtete. Im letzten Vortrag des Tages widmete sich EVA SCHLOTHEUBER (Münster) dem noch recht vernachlässigten Feld der Fürstinnen als Entscheidungsträgerinnen und Lenkerin der politischen Geschicke eines Fürstentums; anhand des Beispiels der Elisabeth von Calenberg wurden die Spezifika des Handlungsspielraums einer Fürstin und die Grenzen der Übertragung des fürstlichen Rollenmodells auf die Herrschaft einer Frau diskutiert.

Am letzten Konferenztag wurde der biographische Ansatz anhand dreier Beispiele weiter vertieft, jedoch aus grundsätzlich unterschiedlichen Perspektiven und methodischen Zugängen. SINA WESTPHAL (Kiel) analysierte die fürstliche Präsentation und Selbstdarstellung in den Münzen und Medaillen Friedrichs des Weisen. ANDREAS RÜTHER (Giessen) konstruierte ein Persönlichkeitsprofil Philipps von Hessen in Bezug auf dessen Familiensinn, Glaubenseinstellung und Machtgebaren, sowie die unterliegenden Denkmuster, Handlungsweisen und Ausdrucksformen. Im letzten thematischen Vortrag beleuchtete HARRIET RUDOLPH (Trier) dann die verschiedenen Strategien zur Lancierung eines Fürstenbildes, vor allem auf architektonischer und ikonographischer Ebene, am Beispiel Moritz von Sachsens; besonders hervorgehoben wurde, dass sich Moritz in seiner Selbstinszenierung bewusst von den Ernestinern abhob und dass die Ursachen für die weite Verbreitung seiner religiös geprägten Negativdarstellung in der umfangreichen Nutzung des Druckes durch seine Widersacher lagen. Die Tagung endete dann mit einer äußerst prägnanten und pointierten Zusammenfassung von JAN HIRSCHBIEGEL (Kiel), in welcher die Interpendenz zwischen den Fürsten und ihren Höfen besonders betont und veranschaulicht wurde.

Als grundsätzliche Ergebnisse und Leitlinien der Tagung lassen sich folgende Aspekte zusammenfassen: Einig waren sich die Vortragenden wie auch das Plenum, dass Fürsten nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrem Kontext bewertet werden müssen: Fürsten waren auf ihren Hof angewiesen, materiell, repräsentativ, wie auch intellektuell, wohingegen der Hof selbst seine eigentliche Existenzberechtigung erst durch den Fürsten erhielt. Gleichzeitig muss fürstliches Handeln im dynastischen Zusammenhang interpretiert werden; das vor allem in der Forschung des 19. Jahrhunderts als Interpretationsbasis benutzte Konzept des fürstlichen Territoriums tritt im zeitgenössischen Kontext klar hinter dynastischen Überlegungen zurück, es muss vielmehr als ein Teil dieser Überlegungen verstanden werden. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass auch ein Hof bzw. eine Dynastie nicht in Isolation verstanden werden kann: Handlungsspielräume eines Fürsten definierten sich nicht einzig durch seinen Hof und lassen sich nicht allein aus dynastischen Überlegungen erklären. Fürstenhäuser standen in ständiger Konkurrenz, unter ständigem Druck, ihren Status gegenüber und relativ zu anderen Fürstenhäusern zu beweisen, was besonders auf die Finanzpolitik eines Fürsten starken Einfluss hatte. In diesem Spannungsfeld entwickelten verschiedene Fürsten unterschiedliche politische Konzepte, und aus diesem Spannungsfeld müssen sie erklärt werden.

Schwieriger gestaltete sich eine eindeutige Begriffs- und Definitionsfindung als Ausgangspunkt für zukünftige Forschung, was zu der Frage führte, ob sich überhaupt eine stimmige Typologie für den Personenkreis der Fürsten finden lasse. Methodisch wurde vor allem darauf verwiesen, dass eine zeitgenössische Perspektive die erfolgversprechendsten Ergebnisse zu liefern scheint, der Rahmen jedoch nicht nur vertikal, innerhalb der verschiedenen Generationen einer Dynastie, gesteckt werden dürfe, sondern vor allem auch horizontal, im Vergleich zu anderen Dynastien des Reiches, wenn nicht darüber hinaus im westeuropäischen Kontext.

Schlussendlich sei noch darauf verwiesen, dass die Publikation der Beiträge in einem Tagungsband in Kürze zu erwarten ist.

Kurzübersicht:

Donnerstag, 27. März 2008:

1. Sektion: „Fürstenbilder“ I

Stephan Selzer (Halle): Zum Problem von Individuum und Gruppe im deutschen Hochadel um 1500
Reinhard Butz, (Dresden): Fürstenlob und Fürstenkritik durch die Zeitgenossen
Birgit Studt (Freiburg im Breisgau): Neue Fürsten – neue Geschichte? Zum Wandel höfischer Geschichtsschreibung

Abendvortrag:
Matthias Müller (Mainz): Individualität in Fürstenporträts der Zeit

Freitag, 28. März 2008:

2. Sektion: „Fürstenbilder“ II

Harm von Seggern (Kiel): Neue Formen fürstlicher Propaganda
Ralf-Gunnar Werlich (Greifswald): Altes Medium in neuer Zeit: Beobachtungen zum Wandel reichsfürstlicher heraldischer Präsentation zwischen 1450 und 1550
Heinz Krieg (Freiburg im Breisgau): Ein neues Rittertum? Ritterlich-höfische Kultur um 1500
Matthias Steinbrink (München): Die Kosten des Prestiges: Fürstliche Haushalte um 1500

3. Sektion: „Mit oder gegen den Kaiser – Alternativen fürstlicher Politik im 15. Jahrhundert“

Jörg Schwarz (Freiburg im Breisgau): Friedrich „der Siegreiche“ von der Pfalz
Gabriel Zeilinger (Kiel): Albrecht „Achilles“ von Brandenburg

4. Sektion: „Größere Macht – größere Herrschaft?“

Oliver Auge (Greifswald): Der Fürst als pater patriae – Zur fürstlichen Repräsentation im Nordosten des Reichs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Stefan Lang (Tübingen): Eberhard „im Bart“ von Württemberg

5. Sektion: „Eigene Wege im Reich? Reichspolitik und Reformation“ I

Eva Schlotheuber (Münster): Wenn wir dermal rechnung von unser hausshaltung fur Gott thun sollen. Die Kirchen-, Gerichts- und Verwaltungsreform der Elisabeth von Calenberg (1510-1558)

Samstag, 29. März 2008:

6. Sektion: „Eigene Wege im Reich? Reichspolitik und Reformation“ II

Sina Westphal (Kiel): Friedrich „der Weise“ von Sachsen
Andreas Rüther (Gießen): Philipp von Hessen
Harriet Rudolph (Trier): Moritz von Sachsen

Jan Hirschbiegel (Kiel): Zusammenfassung


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