Religion im öffentlichen Diskurs. Mediale und semantische Transformationen nach 1945

Religion im öffentlichen Diskurs. Mediale und semantische Transformationen nach 1945

Organisatoren
Prof. Dr. Frank Bösch (Gießen), Prof. Dr. Lucian Hölscher (Bochum) in Verbindung mit der DFG-Forschergruppe Transformation der Religion in der Moderne an der Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.04.2008 - 05.04.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Henkelmann, Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, Kath-Theol. Fak., Ruhr-Universität Bochum

In bislang zwei Konferenzen hat die seit Februar 2006 an der Ruhr-Universität Bochum angesiedelte Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne“ ihre ersten Ergebnisse diskutiert. Die hier vorzustellende Konferenz war von dem für die Forschergruppe leitenden Ansatz der Interdisziplinarität (es beteiligten sich daran nicht nur Historiker, sondern auch katholische und evangelische Theologen sowie Soziologen) und des konfessionellen und interreligiösen Vergleiches geprägt. Dieser Ansatz ermöglichte einen thematisch wie auch methodisch breiten Zugang zu der im Mittelpunkt stehenden Frage nach „Religion im öffentlichen Diskurs. Mediale und semantische Transformationen nach 1945“. Zudem nahm die Tagung mit Beiträgen über die Schweiz, die USA und die DDR auch transnationale Vergleichsmomente auf. Ausgangspunkt für die Veranstalter Prof. Lucian Hölscher, Prof. Frank Bösch und ihre Mitarbeiter, war die These, dass das gesamtgesellschaftliche Verständnis von „Kirche“ sowie, weiter gedacht, auch der Religion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend von den Massenmedien geprägt worden sei; umgekehrt aber auch die Kirchen auf die Veränderungen im gesellschaftlichen Kommunikationsgefüge mit der Herausbildung neuer Formen kirchlicher Öffentlichkeit reagiert hätten. Die Tagung zielte darauf ab, diese – Kirche und Gesellschaft betreffenden – wechselseitigen Prozesse auf ihre institutionellen, kommunikativen und semantischen Konstituenten für die Zeit seit 1945, insbesondere aber für die „langen 1960er-Jahre“ (1958-1973) zu befragen.

Die erste Sektion befasste sich mit Semantiken kirchlicher Medien. SVEN-DANIEL GETTYS analysierte in seinem Beitrag Diskussionen um Gestalt und Zukunft der Kirchen im Spiegel kirchlichen Zeitschriften. Er ging von der Beobachtung aus, dass die kirchlichen Zeitschriften an ihre im ‚Dritten Reich’ unterbrochene große Bedeutung nach 1945 nicht mehr anknüpfen konnten. Allerdings erfolgte mit Beginn der 1950er-Jahre eine Professionalisierung und Ausweitung der Medien- und Pressearbeit, etwa im Bereich der Journalistenausbildung, die den bis heute anhaltenden Leserschwund jedoch dauerhaft nicht zu stoppen vermochten. Anschließend folgte eine Analyse der in den Zeitschriften ausgetragenen Selbstreflexionen. Dabei ging Gettys vor allem auf die bis heute anhaltenden Diskussionen um das innerprotestantische Konzept der ‚Volkskirche’ und das katholische Kirchenbild vom ‚Volk Gottes’ als „Neuentdeckung“ des II. Vatikanums ein. Das Konzept der Volkskirche habe in der Nachkriegszeit einen Wandel von einer mit dem Körper des Volkes in eins gesetzten Volkskirche, der man qua Geburt angehörte (der Glaubensgemeinschaft), zu einer Kirche der ‚Öffentlichkeit’ (in der modernen Gesellschaft) durchlaufen. Das innerkirchlich weniger umstrittene katholische Konzept des Volkes Gottes hingegen habe, ohne den hierarchischen Charakter der Kirche grundsätzlich in Frage zu stellen, die Rolle der Laien aufgewertet. Auch das Verhältnis zur ‚Welt’ habe sich dadurch verändert. Die bis zum Konzil ausschließlich auf Exklusion ausgerichtete Semantik habe sich gewandelt. Bei aller Tendenz zur Öffnung sei das ‚Volk Gottes’ allerdings weiterhin als „Gegenüber“ der säkularen Welt gedeutet worden.

Das Referat von FRANZISKA METZGER untersuchte Transformationen von Semantiken und Kommunikationsformen in der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand eines kommunikationstheoretischen Ansatzes. Als Ziel dieses Ansatzes hob die Referentin hervor, dass sich so eine Dichotomisierung von Kultur und Struktur, von Semantiken und Gesellschaftsstruktur vermeiden ließe, und Kommunikation gerade als soziokulturelle Praxis verstanden werden könne. Ihre Leitfrage nach Wandlungsprozessen beantwortete Metzger mit der These, dass von einer potenziellen Pluralisierung des Verhältnisses verschiedenster Diskurse der Identitätsbildung zueinander auszugehen sei. Neben den mit dem Bedeutungsgewinn dieser Form der Identitätsbildung verbundenen Veränderungen im Schweizer Katholizismus stellte Metzger außerdem semantische Umcodierungen vor, vor allem habe eine Liebessemantik die Spannung von Transzendenz und Immanenz ersetzt. Ähnlich wie ihr Vorredner hob die Referentin mit Blick auf das Kirche-Welt-Verhältnis außerdem eine Verschiebung des Codes von der Exklusivität hin zur Inklusivität hervor. Der Kommentar von Hartmut Lehmann bezeichnete die Referate als theoretisch gesättigt, forderte allerdings gleichzeitig eine stärkere sozialhistorische Differenzierung – die Transformationsprozesse ließen sich nicht als anonyme Geschehnisse einfangen.

Die zweite Sektion beschäftigte sich mit der medialen Interaktion zwischen „Kirche“ und „Welt“. NICOLAI HANNIG setzte sich in seinem Referat mit der Verortung des Religiösen in der westdeutschen Medienlandschaft nach 1945 auseinander. Er vertrat die These, dass sich Ende der 1950er-Jahre ein tief greifender Wandlungsprozess in der Berichterstattung über Religion abgezeichnet habe, der primär mit der Etablierung des Fernsehens als Massenmedium korreliert habe. Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Medien mittels moderner Wissenschaften – vor allem der Archäologie – die Glaubwürdigkeit der biblischen Geschichten herauszustellen versucht hätten – Hannig spricht von einer „Bestätigungspublizistik“ –, habe mit dem Wendejahr 1958 ein Wandel von Inklusion zu Exklusion, also eine Abkopplung der Kirche von der Gesellschaft in der medialen Berichterstattung, eingesetzt. Die Ergebnisse der modernen Wissenschaften und die Lehren der Kirchen schienen nicht mehr vereinbar zu sein. Der Referent konstatierte für das Ende der 1960er-Jahre einen erneuten Kurswechsel, da sich eine konservative Trendwende mit einer deutlichen Distanzierung von Reformtheologen innerhalb der Medien eingestellt habe. Insgesamt sei nun Religion zunehmend von Kirche getrennt betrachtet worden. Das für die 1970er-Jahre charakteristische mediale Interesse an außereuropäischen und alternativen Religionsformen sei auch in Verbindung mit einem Bedeutungsverlust der Kirchen zu sehen.

Ein solcher Bedeutungsverlust lässt sich für die USA mit Blick auf die große Bedeutung der Fernsehprediger nicht konstatieren. Mit Billy Graham und dem von ihm geprägten Neoevangelikalismus beschäftigte sich das anschließende Referat. Im Mittelpunkt der Ausführungen von UTA BALBIER stand die These, dass Graham die evangelikale Religiosität in den 1950er-Jahren auf zwei Ebenen verändert habe: Zum einen habe er die Konversion aus dem kirchlichen Raum gelöst und sie in seinen Massenveranstaltungen privatisiert. Mit einer solchen Fernsehkonversion habe sich Graham äußerst erfolgreich den medialen Gegebenheiten seiner Zeit angepasst. Zum anderen sei durch ihn das religiöse Bekenntnis mit einem Bekenntnis zur amerikanischen Nation verbunden worden. Nach Einschätzung von Balbier kam es daher schon vor den 1970er-Jahren zu einer Politisierung der evangelikalen Bewegung. Graham habe so in seinen Erweckungsveranstaltungen den Kommunismus scharf angegriffen und ihn als Werk satanischer Mächte verteufelt. Diese auf nationalen Zusammenhalt ausgerichtete Botschaft war aus Balbiers Perspektive auch ökumenisch ausgerichtet. Das manichäische Denken habe sich zwar fortgesetzt, sei nun allerdings nicht mehr gegen den Katholizismus, sondern den Kommunismus gerichtet gewesen. Im Kommentar von Hubert Knoblauch sowie auch in den darauf folgenden Diskussionen ging es vor allem um die Operationalisierbarkeit des Begriffspaares „Inklusion“ und „Exklusion“ für die historische Forschung.

Die letzte Sektion des Tages beschäftigte sich mit visuellen Entwürfen von Kirche und Religion. BENJAMIN STÄDTER zeigte in seinem Beitrag, wie sich das Bild des Geistlichen in den öffentlichen Bildwelten zwischen 1945 und 1970 veränderte, und welchen Beitrag diese Bilderwelten zu einer Veränderung des Geistlichenbildes als gesellschaftliches Stereotyp leisteten. Die Ergebnisse korrespondierten für die 1950er-Jahre mit den Thesen Hannigs. Die Bildberichterstattung, aber auch der Heimatfilm, zeigten affirmativ die tradierte Stellung der Kirchen und ihrer Vertreter auf. Die aufkommende Kirchen- und Priesterkrise sei daher auch nicht schon in den 1950er-Jahren, sondern erst am Ende dieses Jahrzehntes in den Bildwelten mit ersten zölibatskritischen Filmproduktionen angekommen. Indem dann seit Mitte der 1960er-Jahre verheiratete Priester auch visuell dargestellt und als Opfer überholter amtskirchlicher Vorstellungen gezeigt worden seien, habe die Diskussion um das Zölibat in einer bis dahin unbekannten Art emotionalisiert. Damit sei auch das Priesterbild ergänzt worden, welches den Geistlichen in seiner Funktion als Hüter der kirchlichen Sakramente darstellt habe, und um eine Wahrnehmung über das individuelle Schicksal des Pfarrers als Person ergänzt worden sei.

Diese auch den Film bestimmenden Veränderungen griff REINHOLD ZWICK in seinem Beitrag zur Transformation religiöser Vorstellungen im Kino der „langen 1960er-Jahre“ auf. Auf drei Tendenzen ging der Referent ein. In einem ersten Abschnitt verdeutlichte er an den Werken Luis Bunuels und Ingmar Bergmanns eine neue radikale Religions- und Kirchenkritik. Zwick hob hervor, dass sich in der Beurteilung von Bergmanns bekanntestem Film „Das Schweigen“ (1963) erstmals ein Dissens innerhalb des katholischen Lagers abzeichnete, da die katholische Filmkommission gegen die Erwartungen der Amtskirche nicht bereit war, den Film abzulehnen, sondern ihn mit erheblichen Einwänden für Erwachsene empfahl. Anschließend verwies er auf das Ende der klassischen Bibelepen sowie den Neubeginn des Bibelfilms am Beispiel von Pasolinis Verfilmung des Matthäusevangeliums. In einem letzten Themenkomplex behandelte Zwick das Aufkommen einer neuen, postchristlichen Religiosität zwischen Urchristentum und New Age. Der Film „Easy Rider“ (1969) zeige einerseits ausgeprägte naturreligiöse Züge, visualisiere anderseits aber auch ein entkonfessionalisiertes und entinstitutionalisiertes Urchristentum.

Die Reaktion der Kirchen auf derartige Umbrüche analysierte JÜRGEN KNIEP in dem letzten Beitrag zu dieser Sektion. Sein Referat handelte von der kirchlichen Einflussnahme auf die Filmzensur durch das Mitwirken in den Prüfgremien der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Der Referent erkannte in der kirchlichen Filmarbeit der 1950er-Jahre eine nur stark eingeschränkte Modernisierung. Zwar entstand in beiden Kirchen – etwa mit der Gründung der Filmzeitschriften „Film-Dienst“ und „Evangelischer Filmbeobachter“ – eine eigene Teilöffentlichkeit zum Thema Film. Andererseits sei es in den 1950er-Jahren immer noch darum gegangen, den Film als Mittel der Unterweisung einzusetzen und die Gläubigen gleichzeitig vor „schlechten“ Filmen zu bewahren. Dieses Konzept sei allerdings selbst in den 1950er-Jahren nur auf einen begrenzten Zuspruch getroffen. Wie auch der Vorredner hob Kniep am Beispiel des Bergmann-Films „Das Schweigen“ hervor, dass die konfessionellen Filmexperten vor allem seit Mitte der 1960er-Jahre Filme zunehmend nach ästhetischen und filmtheoretischen Kriterien beurteilten. Anders als Zwick deutete er diese Veränderungen weniger als eine Erfolgsgeschichte, da die Kirchen mit dem Wandel ihres Selbstentwurfes vom „Wächteramt“ zur „Kooperation“ auch das Alleinstellungsmerkmal ihrer Filmarbeit aufgegeben hätten. In seinem Kommentar hob Karl Gabriel hervor, dass die strukturelle Modernisierung der Bundesrepublik während der 1950er-Jahre die kulturellen Modernisierungsprozesse innerhalb der Kirchen, wie sie am Beispiel der Filmarbeit in den Referaten gezeigt wurde, ermöglicht habe.

THOMAS MITTMANN nutzte am zweiten Tag der Konferenz in seinem Vortrag die Geschichte katholischer und evangelischer Akademien als Sonde, um Transformationen kirchlicher Selbstentwürfe in der Bundesrepublik zu rekonstruieren. Dabei vertrat er die These, dass die christlichen Kirchen weniger Impulsgeber für die Gesellschaft gewesen seien, als sich vielmehr in ihrer diskursiven und semantischen Formierung gesellschaftlichen Impulsen angepasst hätten und konstatierte einen dreidimensionalen Transformationsprozess von einem instruktions- zu einem kommunikations¬theoretischen, von einem parochial-räumlichen zu einem funktional-überräumlichen und von einem Kirchenbild, das die Kirche nicht mehr nur als Heils- und Verkündigungsanstalt, sondern eher als „Dienstleistungs-Unternehmen“ mit Service-Charakter begriffen habe. Mittmann betonte dabei konfessionelle Unterschiede. Mit Blick auf die evangelischen Akademien wertete er den Übergang von den 1960er- zu den 1970er-Jahren als entscheidende Inkubations- und Umbruchszeit, da sich nun ein neues kommunikationstheoretisches Selbstverständnis durchgesetzt, und eine wachsende Ablösung von Exklusionssemantiken durch semantische Inklusionsmodelle eingestellt habe. Katholische Akademien hätten diese Entwicklung nur bedingt mitgetragen. Zwar habe sich – vor allem durch das Zweite Vatikanum verstärkt – ein dialogisches Selbstverständnis durchgesetzt, dennoch hätten die katholischen Einrichtungen weitgehend an semantischen Exklusionsmodellen festgehalten. „Kirche“ und „Welt“ blieben aus dieser Perspektive zwei getrennte Sphären, zwischen denen die Akademien allenfalls vermitteln konnten.

SUSANNE BÖHM schloss an diese Ausführungen mit ihrem Referat über Selbstverständnis und Selbstdarstellung kirchlicher Akademien in der DDR an. Die neuen kirchlichen Institutionen, die zwischen 1947 und 1952 entstanden, arbeiteten unter anderen personellen und finanziellen Voraussetzungen als die westdeutschen Einrichtungen, mit denen sie im regelmäßigen Austausch standen. Aufgrund der kirchenfeindlichen Einstellung des Staates fungierten die Akademien ausschließlich als innerkirchliche Fortbildungsstätten. In diesem eng begrenzten Rahmen gelang es ihnen, einen wichtigen Beitrag zur Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit in der evangelischen Kirche zu leisten. Ihre Ausstrahlungskraft bezogen die Evangelischen Akademien vor allem dadurch, dass sie die einzigen nichtstaatlichen Erwachsenenbildungsstätten waren und sich deswegen in den 1970er-Jahren zu einem Ort des geistigen Austausches zwischen kirchlichem Binnenraum und säkularer Gesellschaft entwickelten. In seinem Kommentar meldete Traugott Jähnichen vor allem Anfragen an das Begriffspaar „Exklusion“ und „Inklusion“ an. Außerdem betonte er, dass die Akademien in Westdeutschland in den 1950er-Jahren durchaus noch gesellschaftliche Prägekraft, etwa im Bereich der Öffnung für Europa, aufwiesen und unterschied dieses Jahrzehnt von einer darauf folgenden Phase der Anpassung.

In der letzten Sektion beschäftigten sich JAN HERMELINK und LUCIAN HÖLSCHER mit der Gestalt der Kirche. Jan Hermelinks Beitrag analysierte aus (praktisch-)theologischer Sicht kirchliche Selbststeuerung durch Programmschriften, wobei er sich auf die evangelischen Kirchen konzentrierte. Unter kirchlicher Selbststeuerung verstand Hermelink die Aufgabe, eine prägnante soziale Gestalt auszubilden und zu bewahren. Vorrangig geht es dabei um das Verhältnis des individuellen Gottesbezuges zur kirchlichen Institution sowie das Verhältnis lokaler Glaubensgemeinschaften zu übergreifenden Einheiten. In Reaktion auf die seit den 1960er-Jahren steil ansteigenden Kirchenaustritte änderten sich die Programmschriften, da in ihrer Konzeption vor allem soziologische Erkenntnisse herangezogen wurden. Der Einfluss nichttheologischer Wissenschaften auf diese Papiere, die bis heute unter dem Einfluss einer Finanzkrise stehen, nahm seit den 1990er-Jahren weiter zu. In diesen Schriften macht sich parallel zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung eine auch semantische Ökonomisierung breit. Die Bedeutung theologischer Erkenntnisse geht nach Einschätzung des Referenten dagegen kontinuierlich zurück. Die Programmschriften scheinen sich zunehmend von den binnentheologischen Reflexionen um die Frage nach kirchlicher Selbststeuerung abzukoppeln.
Hölscher beschäftigte sich in dem letzten Referat der Tagung mit der Frage, wie der semantische Wandel der statistischen Beschreibungsmerkmale die kirchliche Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinflusste. Er plädierte für eine stärkere Einbeziehung der semantischen Diskursanalyse in die Bewertung von statischen Erhebungen und Darstellungen, da die in Umfragen verwendeten Kategorien mehrdeutig und erklärungsbedürftig seien, wie etwa die Frage nach „einem höheren Wesen“ des Allensbacher Institutes, die seit den 1960er-Jahren regelmäßig gestellt wurde oder der in den Umfragen häufig auftauchende Terminus des „Jenseits“. Außerdem verdeutlichte er, dass bis heute vor allem die von den Kirchen in Auftrag gegebenen Umfragen bestimmte Erwartungshaltungen widerspiegelten, die sich in den Ergebnissen niederschlagen. Die gegenwärtig intensiv diskutierte Frage nach der Rückkehr der Religion beantwortete Hölscher damit, dass sich zwar die Zahlen nicht verändert, sich aber die Semantiken verschoben hätten.

Die Konferenz hat mit ihrem interdisziplinären Ansatz viel Licht in die institutionellen, kommunikativen und semantischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Kirche und Religion seit 1945 gebracht und bot die seltene Gelegenheit, die Interaktionen zwischen der medialen „Fremddarstellung“ und der kirchlichen „Selbstdarstellung“ zu diskutieren. Die Publikation der Beiträge in einem Sammelband verspricht wichtige Impulse für die Erforschung der Religionsgeschichte im 20. Jahrhundert.

Kurzübersicht

Sektion 1: Semantiken kirchlicher Medien
Sven-Daniel Gettys: Die Diskussion um Gestalt und Zukunft der Kirche. Kirchliche Zeitschriften als Forum innerkirchlicher Identitätssuche
Franziska Metzger: Katholische Kirche und öffentliche Kommunikation in der Schweiz: Transformationen von Semantiken und Kommunikationsformen
Kommentar: Hartmut Lehmann

Sektion 2: Mediale Interaktion zwischen Kirche und Welt
Nicolai Hannig: Von der Inklusion zur Exklusion? Medialisierung und Verortung des Religiösen in Deutschland seit 1945
Uta Balbier: Billy Grahams Crusades der 1950er Jahre. Evangelikale Glaubenswelten zwischen Medialisierung und Populärkultur
Kommentar: Hubert Knoblauch

Sektion 3: Visuelle Entwürfe von Kirche und Religion
Benjamin Städter: Der Geistliche im Bild. Zur Transformation öffentlicher Bildwelten in der Bundesrepublik 1945-1970
Reinhold Zwick: Die Transformation religiöser Vorstellungen im Kino der langen sechziger Jahre
Jürgen Kniep: Von den „unblutigen Märtyrern unserer Zeit“. Die Kirchen und die Filmzensur in Deutschland, 1949-1990
Kommentar: Karl Gabriel

Sektion 4: Semantische und diskursive Verschiebungen in der Selbstbeschreibung kirchlicher Akademien
Thomas Mittmann: Transformationen kirchlicher Selbstentwürfe in der Bundesrepublik am Beispiel evangelischer und katholischer Akademien
Susanne Böhm: Selbstverständnis und Selbstdarstellungen der Akademien in der DDR
Kommentar: Traugott Jähnichen

Sektion 5: Die Gestalt der Kirche
Jan Hermelink: Selbststeuerung der Kirche durch Programmschriften
Lucian Hölscher: Kirche und Statistik. Zum semantischen Wandel kirchlicher Selbst- und Fremdbeschreibungen
Schlusskommentar: Frank Bösch


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