„Preußens Abglanz und Untergang“ – 75 Jahre nach dem Tag von Potsdam

„Preußens Abglanz und Untergang“ – 75 Jahre nach dem Tag von Potsdam

Organisatoren
Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2008 - 15.03.2008
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Von
Silvia Hennig, Universität Potsdam; Christoph Kopke, Universität Potsdam; Gideon Botsch, Universität Potsdam

Am 21. März 1933 nutzten die Nationalsozialisten die Eröffnung des Reichstags für eine in ihrer Bedeutung bis heute umstrittene öffentliche Inszenierung, in deren Verlauf sich in der Potsdamer Garnisonkirche Reichspräsident Paul von Hindenburg und der neue Reichskanzler Adolf Hitler gemeinsam präsentierten und so zugleich den Schulterschluss zwischen alten Eliten und nationalsozialistischer Bewegung demonstrierten.
75 Jahre nach dem historischen Ereignis nahm das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) den Jahrestag zum Anlass, die historischen Kontexte dieser entscheidenden Etappe während der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur noch einmal näher zu betrachten. In rund zehn Vorträgen renommierter Wissenschaftler wurden unterschiedliche Aspekte und Faktoren der NS-Machtdurchsetzung in den Blick genommen.

Bereits am Nachmittag hatte die Fördergemeinschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche e.V. mit einer Reihe von lokalen Kooperationspartnern, darunter neben dem MMZ die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, das Militärgeschichtliche Forschungsamt und das Zentrum für Zeithistorische Forschung, zu einer Podiumsdiskussion geladen. Vor dem Hintergrund anhaltender geschichtspolitischer Debatten über den richtigen Umgang mit der preußischen Tradition und des Ansinnens der Fördergemeinschaft, die Garnisonkirche in Potsdam wieder originalgetreu aufzubauen, stand der Nachmittag unter der Themenstellung „Potsdam – Tradition als Politikum“. Sichtlich um eine Entmystifizierung der Garnisonkirche bemüht waren hierzu die Ausführungen von MATTHIAS ROGG (Potsdam), während EKKEHARD KLAUSA (Berlin) das adlig geprägte Offizierskorps des legendären Infanterie-Regiments 9 zwischen bedingungsloser NS-Treue und nationalkonservativem Widerstand vorstellte. Mit Verve vertrat insbesondere MARTIN SABROW (Potsdam) seine bereits früher geäußerte, teils umstrittene These, der „Tagessieger“ habe Hindenburg geheißen, für die Nationalsozialisten sei der "Tag von Potsdam" zunächst kein Erfolg gewesen und erst nachträgliche Propaganda sowie Geschichtsinterpretationen namentlich der DDR-Geschichtsschreibung hätten das heute gängige Bild dieser Veranstaltung geprägt. Im Verlauf der wissenschaftlichen Tagung des MMZ, die nach Grußworten des Brandenburgischen Landtagspräsidenten Gunther Fritsch am Abend begann, zeigte sich dann aber vor dem Hintergrund der zeitlich parallelen Ereignisse und Prozesse ein durchaus differenzierteres Bild.

JULIUS H. SCHOEPS (Potsdam) eröffnete die wissenschaftliche Tagung, indem er gerade auf die Janausköpfigkeit des Ereignisses wie der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ oder „legalen Revolution“ insgesamt hinwies. Quasi als Leitspruch für den "Tag von Potsdam" zitierte der Direktor des MMZ Goethes Faust: „Wer vieles bringt, wird vielen etwas bringen“. Schoeps wies darauf hin, dass der Referent des Eröffnungsbeitrages, HANS-ULRICH THAMER (Münster) seine Gesamtdarstellung über die NS-Zeit nicht zufällig unter den Titel „Verführung und Gewalt“ gestellt habe.

Thamer referierte über Ablauf, Inszenierung, Symbolgehalt und propagandistische Auswertung des „Tages von Potsdam“: „Die Inszenierung von Potsdam war ein Akt der Verführung und Verblendung, in dem die preußische Tradition von einem skrupellosen Regisseur der totalitären Macht missbraucht und zur Rechtfertigung der weiteren Schritte im Prozess der nationalsozialistischen Machteroberung eingesetzt wurde“. Ausschnitte aus dem Filmmaterial des Propagandaapparates veranschaulichten eindrucksvoll das Referierte.

Am folgenden Tag leitete JENS FLEMMING (Kassel) einen äußerst dichten Vortragsmarathon ein, als er das Verhältnis der „neuen Rechten“ zum autoritären Staat und zur „nationalen Revolution“ ausleuchtete. Er skizzierte das Dilemma der DNVP als zentraler Organisation der „alten Rechten“ zwischen prinzipieller Ablehnung der Republik und pragmatischer Mitarbeit in der Gegenwart sowie ihre Umstrukturierung unter Hugenberg, die dieser selbst als Wandel vom „Brei“ zum „Block“ dargestellt habe. Dagegen habe sich die „neue“ und zugleich junge Rechte von der „verstaubten“ DNVP abgewandt. Ausgangspunkt ihrer neuen, nicht mehr kulturpessimistischen Sicht auf Technik, Moderne, Proletariat usw. sei die vermeintliche Erfahrung des Ersten Weltkriegs gewesen, wie insbesondere das Beispiel Ernst Jünger zeige. Anhand der „Gesellschaft zum Studium des Fascismus“ unter der Geschäftsführung von Waldemar Pabst zeigte Flemming die Rezeption der italienischen Diktatur in den Kreisen der alten und neuen Rechten am Übergang zum autoritären Staat und schließlich zum Nationalsozialismus auf.

REINHARD MEHRING (Heidelberg) präsentierte Teilergebnisse seiner Carl-Schmitt-Biographie, die er pointiert als „Fallstudie eines Märzgefallenen“ vorstellte. Ausgehend von der Haltung Schmitts während des Preußenschlages ein dreiviertel Jahr zuvor und seiner Enttäuschung, dass Kurt von Schleicher ihn nicht zum „Kronjuristen“ seines Präsidialkabinetts gemacht habe, beschrieb Mehring einen zurückhaltenden, abwartenden und durchaus skeptischen Schmitt, der noch am 28. Januar über Hindenburg notierte: „Der alte Herr ist verrückt geworden“. Ende Januar bettlägrig, blieb Schmitt bis weit in den März hinein reserviert. Im Ermächtigungsgesetz, zwei Tage nach dem „Tag von Potsdam“, sah er dann den entscheidenden Wechsel zu einer „neuen Legitimität“, den er als „Sprung über die Grenze der Legalität“ wertete. Vom preußischen Finanzminister Johannes Popitz an der Ausarbeitung des Reichsstatthaltergesetzes beteiligt, sei er nun rasch und auf eigene Initiative zum Parteigänger geworden, wobei ihn namentlich der Auftritt Görings beeindruckt habe. Hitler verglich er in einer Notiz mit einem jungen „Stier in der Arena“. Die besondere Verführung habe darin bestanden, weiter (!) als Kronjurist wirken zu können. Auf Antrag vom 25. April 1933 wurde Schmitt mit Wirkung zum 1. Mai Parteimitglied.

THOMAS BRECHENMACHER (Potsdam) behandelte in seinem Vortrag die Rolle der christlichen Kirchen während der nationalsozialistischen Machtkonsolidierung, wobei er exemplarisch die Person des Generalsuperintendenten der kurmärkisch-preußischen Landeskirche, Otto Dibelius, in den Vordergrund stellte. Dieser hatte am „Tag von Potsdam“ die Festpredigt in der Nikolaikirche gehalten. Brechenmacher erinnerte daran, dass sowohl die protestantische als auch die katholische Kirche in dieser Zeit aus kirchenpolitischem Kalkül eine opportunistische Haltung gegenüber den Nationalsozialisten einnahmen. Dibelius‘ Festtagsrede, von der Presse bisweilen zu einer „Segnung des Dritten Reiches“ stilisiert, zeige jedoch die Ambivalenz der kirchlichen Haltung. Dibelius habe den Nationalsozialismus mit bürgerlichen Maßstäben gemessen, da sein eigener Horizont der des Kaiserreiches gewesen sei. Revisionistische Illusionen ließen ihn einen Weg Deutschlands beschwören, der durch Gottes Gnade in eine bedeutende Zukunft führe. Dagegen habe er an anderer Stelle aber auch die Distanz des Evangeliums zu jedweder menschlichen Ideologie hervorgehoben und gemahnt, dass sich die christliche Kirche nicht politischen Zwecken zur Verfügung stellen dürfe. Falsche Vorstellungen von den Absichten Hitlers, kirchenpolitische Intentionen und die vermeintliche Traditionsbildung mit dem Kaiserreich hätten rückblickend die Instrumentalisierung der Kirchen in dieser Zeit überhaupt ermöglicht, so das Fazit Brechenmachers.

Im Anschluss referierte MICHAEL SALEWSKI (Eckernförde) zum Stellenwert der Reichswehr und deren Rolle als Adressat und Akteur beim „Tag von Potsdam“. Für die Reichswehr, die auch in der Weimarer Zeit nur dem Staat, nicht aber der Republik gedient habe, sei das Frühjahr 1933 mehr oder minder ein „reibungsloser Übergang“ gewesen, urteilte Salewski. Hitler jedoch habe die Reichswehr für den Aufbau seiner Diktatur dringend benötigt, da mit SA und SS noch „kein Staat zu machen“ gewesen sei. Daher sei von Goebbels in der Garnisonskirche das Bild eines von Militär und Krieg geprägten Potsdams inszeniert worden, in dem sich die Reichswehr habe „wohl fühlen“ können, während Hitler sich „zivil und dienerisch“ gegeben habe. Indem Hitler an die „wichtigste Ressource des militärischen Selbstverständnisses“ appellierte – die Geschichte – manipulierte er die Reichswehr. Der „Tag von Potsdam“ sei letztlich der „Triumph des Antimilitärischen im Gewand des Militärischen über das Militärische“ gewesen, bilanzierte Salewski. Es sei ein finsteres Resümee, das man bezüglich der Reichswehr aus dem 21. März 1933 ziehen müsse: eine willenlose, gewissenlose Reichswehr, die unter nationalsozialistischer Führung zunehmend skrupelloser agierte.

HERRMANN KAIENBURG (Hamburg/Oranienburg) widmete sich anschließend der Rolle der paramilitärischen NSDAP-Verbände SA und SS im Frühjahr 1933. Trotz zunächst fehlender formaler Legitimation hatten diese als Hilfsverbände der Polizei eine Schlüsselstellung inne bei der Beseitigung demokratischer Strukturen sowie bei antisemitischen und terroristischen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Der gängigen These, dass vor allem die SA zunehmend eigenständig und unkontrolliert vorgegangen sei, stellte Kaienburg die Interpretation entgegen, die SA habe auch in ihrer zunehmenden Zügellosigkeit und Aggressivität unter der geschickten Lenkung der NSDAP gestanden. Dass die demokratischen Institutionen trotz des offensichtlichen Terrors ohne nennenswerten Widerstand beseitigt werden konnten, sei, so Kaienburg, vor allem der „narkotisierenden Wirkung des Anstrichs der Legalität“ geschuldet gewesen. Durch die politische Legitimität einer Regierung Hitler, in deren Händen die gesamte innere Sicherheit lag, habe die Feindverfolgung perfekt koordiniert werden können. Diesem äußerst realistischen, geschickten Kalkül der Nationalsozialisten, in dem SA und SS ein Faktor unter vielen waren, stand auf der Seite der Gegner lange Zeit eine naive Situationseinschätzung gegenüber, schloss Kaienburg.

Eine aufschlussreiche Analyse der Einstellung der nationalkonservativen Eliten zum Nationalsozialismus präsentierte EKKEHARD KLAUSA (Berlin). Unter den verschiedenen Adelsgruppierungen der Weimarer Republik sei insbesondere der ostelbische Kleinadel – bis dahin bereits zu einer Art „Adelsproletariat“ verkommen – in erhöhtem Maße anfällig für die rechtsextremen Strömungen der Zeit gewesen. Als die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik ihre Position späterhin auch noch begünstigt habe, hätten diese ihre Ressentiments gegen den allzu proletarischen Stil Hitlers bald abgelegt. Doch auch andere konservative Strömungen seien in der breit angelegten Traditionsbildung der nationalsozialistischen Ideologie fündig geworden. Gemeinsame Schnittmengen mit nationalsozialistischer Ideologie fanden sich bei nahezu allen Nationalkonservativen in ihrer Demokratieablehnung und der Befürwortung eines autoritären Staates. Mit der sich bessernden Konjunktur, den schwindenden Versailles-Repressalien und dem Ausbau der Wehrmacht seien einige Ziele und Ordnungsvorstellungen des Adels durchgesetzt worden: „Der Adel war begeistert!“, konstatierte Klausa. Die nationalkonservative Befürwortung des Regimes sei letztlich interessenpolitisch zu erklären und der lange ausbleibende Widerstand vor allem wertefundiert gewesen. Erst als die durch Hitler verschuldete katastrophale militärische Lage und auch Nachrichten über den Holocaust den Widerspruch zwischen Patriotismus und Widerstand auflösten, sei für Teile des Adels ein wertekonformer Widerstand gegen die Staatsgewalt möglich gewesen. Nichtsdestotrotz hielt Klausa abschließend fest: „Die Konservativen haben Hitler vor 1933 mehr genützt als sie ihm später geschadet haben.“

HEINRICH WILHELM WÖRMANN (Berlin) fokussierte in seinem Referat den Verlauf der Zerstörung der Arbeiterbewegung. Er unterteilte diese in vier Phasen, beginnend mit einer Phase der Selbstzerstörung, gefolgt von einer Zeit der politischen Spaltung und Schwächung sowie weiterhin der Verfolgung und Zerschlagung durch den Nationalsozialismus ab 1933 und zuletzt den Abschnitt der Existenz im Widerstand. Grundlage der Zerstörung der Arbeiterbewegung sei vor allem die Sozialfaschismusthese der kommunistischen Parteien und Organisationen gewesen, welche die Bewegung späterhin gespalten und damit gelähmt habe. Der absolute Bruch mit den Sozialdemokraten habe sich spätestens bei der Zusammenarbeit der KPD und NSDAP vollzogen, wie sie etwa während des Berliner BVG-Streiks stattfand. Vordergründiger Feind der Kommunisten sei die bürgerliche Republik und die Sozialdemokratie als „eine Abteilung des Faschismus“ gewesen. Das änderte sich bis ins Frühjahr 1933 nicht und auch noch im Juni 1933, als die Reichstagssitze nicht nur der KPD sondern auch die der SPD bereits annulliert waren, erklärte die KPD in absolut realitätsferner Einschätzung der Situation, die SPD sei noch immer „Stütze des Kapitals“. Die hierarchisch organisierte KPD wurde bald darauf fast völlig zerschlagen und auch die SPD hatte es schwer, ihre Strukturen im Untergrund aufrecht zu erhalten. Zudem blieben deren Versuche, die Weltöffentlichkeit zu mobilisieren, relativ wirkungslos. An dieser Stelle verortete Wörmann weiteren Forschungsbedarf, da die Untätigkeit des durchaus gut informierten Auslandes noch einiger Aufarbeitung bedürfe.

Mit dem Verhalten der bürgerlichen Parteien vor und nach der Machtübernahme Hitlers beschäftigte sich LUDWIG ELM (Jena). Der Niedergang des Liberalismus, der sich bereits im Kaiserreich angedeutet hatte und sich in der Weimarer Republik ab 1920 mit dem Schwinden der Wählerbasis der liberalen DDP fortsetzte, hinterließ gegen Ende der 1920er-Jahre im Reichstag ein Spektrum an bürgerlichen Parteien, das vor allem konservativ geprägt war. Nach den Wahlerfolgen der NSDAP habe daher zwischen Sommer 1932 und Januar 1933 bei allen bürgerlichen Parteien das Ziel bestanden, die NSDAP in die politischen Aktivitäten und die Exekutive einzubinden. Anfangs noch bestehende Vorbehalte gegen die NSDAP und Hitler hätten zunehmend nachgelassen. Währenddessen habe man sich der destruktiven Politik des Reichstagspräsidiums unter Görings Führung bald untergeordnet. Das Parlament tagte nicht mehr, wodurch die letzten antinazistischen Kräfte geschwächt worden seien, führte Elm aus. Mit der Regierungsübernahme Hitlers im Januar 1933 sei das Kalkül der „Koalition zum Übergang“ aufgegangen. Als die Verfolgung politischer Gegner einsetzte, hätten sich die bürgerlichen Abgeordneten fatalerweise nicht bedroht, sondern gestärkt gefühlt; als sie ihre eigene Entmachtung begriffen hätten, sei es zu spät gewesen, bilanzierte Elm.

CHRISTOPH KREUTZMÜLLER (Berlin) widmete seine Ausführungen den Boykottmaßnahmen gegenüber jüdischen Geschäftsleuten, wobei er exemplarisch Berlin fokussierte, um Spezifika herausarbeiten zu können. Der Boykott sei als Höhepunkt einer Kette terroristischer Ausschreitungen zu betrachten, so Kreutzmüller. Motor und Werkzeug der antijüdischen Maßnahmen sei vor allem die NSDAP gewesen, tatkräftig unterstützt von der SA sowie den nationalsozialistischen Betriebszellen der größeren Unternehmen. Die Boykottmaßnahmen hätten schon kurz nach der Machtübernahme begonnen, in Berlin seien bereits im Verlauf des März jüdische Ärzte, Anwälte und jüdisch geführte Medien boykottiert worden, in größeren jüdischen Unternehmen wurden NSDAP-Betriebskommissare eingesetzt und es wurden Listen zu boykottierender jüdischer Unternehmen erstellt. Während der Boykott im Stadtkern relativ diszipliniert verlaufen sei, habe es in den Außenbezirken häufig willkürliche Ausschreitungen gegeben. Mit der Zeit sei der Boykott jedoch insgesamt gelenkter und geordneter organisiert worden. Innerhalb kürzester Zeit seien durch Zuliefererkontrolle, Kündigung von Pachtverträgen und ähnliche Maßnahmen flächendeckend antijüdische Strukturen in der städtischen Wirtschaft geschaffen worden. Kreutzmüller hob zuletzt den Mut und das Durchhaltevermögen der jüdischen Geschäftsleute hervor, die sich größtenteils trotz Boykottierung noch bis 1938, vereinzelt gar bis 1942 halten konnten.

Den abschließenden Vortrag der Tagung hielt WERNER TREß (Potsdam) zu den Bücherverbrennungen, die die Phase der nationalsozialistischen Machtkonsolidierung begleiteten. Zu Beginn erinnerte Treß daran, dass am 22. März 1933, zwischen dem „Tag von Potsdam“ und dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes, der „Tag des deutschen Buches“ begangen wurde – am Todestag Goethes, was durch Helmut Langenbucher, der später eine leitende Funktion in der „Stelle zur Förderung deutschen Schrifttums“ einnehmen sollte, instrumentalisiert wurde, um antisemitische, antikommunistische, antiliberale und antiurbane Repressionen in der Literaturlandschaft zu rechtfertigen. Die Jugend als Adressat und Akteur der Bücherverbrennungen propagierte das Ziel einer Erziehung durch klassische deutsche Literatur, wobei immanent eine Ablehnung gegen alles, was nicht deutsch sei, gepredigt wurde. Treß stellte hierauf ein von ihm geleitetes Forschungsprojekt zu den Orten der Bücherverbrennung vor. Ziel des Projekts sei es, diese besser zu dokumentieren, da entgegen bisheriger Annahmen die Bücherverbrennungen nicht räumlich beschränkt waren, nicht nur von deutschen Studenten durchgeführt wurden und vor allem auch zeitlich nur schwer einzugrenzen seien. Vielmehr seien bisher über 70 Orte dokumentiert worden, an denen zwischen März und Oktober 1933 Bücher verbrannt wurden – von Schülern, Studenten, Mitgliedern der HJ und der SA und anderen lokalen Trägern. Deutlich sei vor allem der Improvisationscharakter vieler Aktionen geworden, ebenso wie der Stellenwert der Bücherverbrennungen als Gesamtphänomen der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung, so das Fazit von Treß.

Im Verlauf der Vorträge wurde vor allem die Janusköpfigkeit und Vielschichtigkeit der Ereignisse in den ersten Monaten des Dritten Reiches deutlich, deren Bewertung wohl auch in Zukunft Anlass für geschichtspolitische Auseinandersetzungen und wissenschaftliche Kontroversen geben wird. Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch das außergewöhnlich große Interesse der Öffentlichkeit an der Tagung – trotz der großen zeitlichen Distanz zum Jahr 1933. Die Beiträge der Konferenz sollen in einem Sammelband veröffentlicht werden, der voraussichtlich im Frühjahr 2009 im Verlag Berlin Brandenburg erscheinen wird.

Kurzübersicht

Freitag 14. März 2008

Eröffnung und Begrüßung
Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Potsdam

Eröffnungsvortrag
Geschichte und Verführung: Der „Tag von Potsdam“ als Inszenierung des Propagandaministers Joseph Goebbels
Mit historischen Filmaufnahmen zum Tag von Potsdam
Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, Münster

Samstag 15. März 2008

Neue Rechte, autoritärer Staat und „nationale Revolution“
Prof. Dr. Jens Flemming, Kassel

Die "Ehre Preußens" in der "legalen Revolution": Carl Schmitt im Frühjahr 1933
Prof. Dr. Reinhard Mehring, Heidelberg

„Zwischen Nikolai- und Garnisonskirche. Die Rolle der christlichen Kirchen am
Beispiel der Festpredigt des Generalsuperintendenten Otto Dibelius in der Potsdamer Nikolaikirche“
Prof. Dr. Thomas Brechenmacher, Potsdam

Die Reichswehr und der Tag von Potsdam
Prof. Dr. Michael Salewski, Eckernförde

Die Rolle von SA, SS in der Phase der nationalsozialistischen Machtkonsilidierung im Frühjahr 1933
PD Dr. Hermann Kaienburg, Hamburg/Oranienburg

Die Rolle der nationalkonservativen Eliten aus Adel und Bürgertum
PD Dr. Ekkehard Klausa, Berlin

Die Zerstörung der Arbeiterbewegung
Dr. Heinrich-Wilhelm Wörmann, Berlin

Das Verhalten der bürgerlichen Fraktionen des Reichstages und ihrer Abgeordneten
Prof. Dr. Ludwig Elm, Jena

Auf dem Weg zum Judenboykott: Terror und Einschüchterung jüdischer Geschäftsleute im Frühjahr 1933
Dr. Christoph Kreutzmüller, Berlin

Der „Tag des deutschen Buches“ am 22. März 1933 - Die deutschen Schriftsteller und die „Nationale Erhebung“.
Werner Treß, Potsdam

Kontakt

Christoph Kopke

kopke@uni-potsdam.de


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