Konkurrierende Ordnungen. Religion, Staat und Nation in Ostmitteleuropa von der Frühen Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert

Konkurrierende Ordnungen. Religion, Staat und Nation in Ostmitteleuropa von der Frühen Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert

Organisatoren
"Osteuropastudien" der Ludwig-Maximilians-Universität München (Johannes Gleixner, Laura Hölzlwimmer, Christian Preuße, Damien Tricoire)
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2007 - 01.12.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Monika Heinemann

Im Laufe der letzten dreißig Jahre wurde die traditionelle Kirchengeschichte in Form der modernen Religionsgeschichte grundsätzlich erneuert. Seitdem wurden eine Vielzahl von neuen Ansätzen und Fragestellungen entwickelt, wobei es bisher kaum Berührungspunkte zwischen den Forschungskonzepten und Fragestellungen von Neuzeit- und Frühneuzeithistorikern gab. Diese Trennung zu überwinden und am Beispiel der Region Ostmitteleuropa einen Dialog anzustoßen, war das erklärte Ziel der Tagung „Konkurrierende Ordnungen. Religion, Staat und Nation in Ostmitteleuropa von der Frühen Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert“, die von vier Absolventen des Elitestudiengangs „Osteuropastudien“ der Ludwig-Maximilians-Universität München (Johannes Gleixner, Laura Hölzlwimmer, Christian Preuße, Damien Tricoire) vom 31. November bis zum 1. Dezember 2007 organisiert wurde.

In seinem Eröffnungsvortrag skizzierte DAMIEN TRICOIRE (München/Paris) zunächst die Geschichte der religionsgeschichtlichen Forschung in Deutschland. Dabei zeigte er die grundsätzlichen Unterschiede im Erkenntnisinteresse von Frühneuzeit- und Neuzeithistorikern auf. Während bei den Erstgenannten die Frage nach dem Vorrang und dem Zusammenhang von staatlichen, ständischen, kommunalen oder konfessionellen Ordnungsbestrebungen im Vordergrund steht, drehen sich die Debatten der Neuzeithistoriker vor allem um den Gegensatz zwischen konfessionellen und nichtkonfessionellen Sinnstiftungen. Als übergreifende Fragestellung, welche die beiden Richtungen im Bereich der Religionsgeschichte zusammenbringen kann, stellte Tricoire anschließend den der Tagung zugrunde liegenden Ansatz vor: die Untersuchung religiös-politischer Ordnungsvorstellungen. Als Vorzüge dieses Ansatzes benannte Tricoire zum einen die konzeptionelle Breite des Begriffs „Ordnung“, da dieser sowohl Vorstellungen als auch Institutionen fasse. Zum anderen ermögliche die Frage nach Ordnungsvorstellungen die Zusammenführung kultur-, sozial- und politikgeschichtlicher Ansätze in der Religionsgeschichte. Schließlich sei der Begriff nicht an eine Epoche gebunden, sondern konstitutiv sowohl für die Frühe Neuzeit als auch die Neuzeit. Da seine Bedeutung sich jedoch im Laufe der Zeit gewandelt habe, eröffne gerade die Frage nach Ordnungsvorstellungen die Untersuchungsperspektive einer „longue durée“.

Das erste Panel widmete sich dem Thema „Unifizierungsmodelle“. Eröffnet wurde es von TOMASZ ŁOPATKA (Wrocław), der sich kritisch mit der in der polnischen Historiographie verbreiteten These auseinandersetzte, wonach die Diskussionen um eine Kirchenreform in Polen-Litauen in den 1550er-Jahren als Versuch der Gründung einer polnischen National- bzw. Landeskirche interpretiert werden könnten. In einer alternativen Interpretation der Reformvorschläge Andrzej Frycz Modrzewskis kam Łopatka zu dem Schluss, dass es weder in den Schriften Modrzewskis noch in den Debatten des Sejms von 1555, in dem über die Einberufung eines Nationalkonzils zur Lösung der religiösen Konflikte im Land debattiert wurde, Indizien für die Existenz der Vorstellung von einer (polnischen) „Nation“ oder einer „National-“ bzw. „Landeskirche“ im Sinne einer „von ausländischen Zentren unabhängigen Kirche“ gebe.

THOMAS WÜNSCH (Passau) fragte in seinem anschließenden Vortrag nach den Ursachen des Scheiterns der Unionsbemühungen zwischen orthodoxer und katholischer Kirche seit dem 15. Jahrhundert. Er vertrat die These, dass einer der wesentlichen Gründe dafür im uniformitaristischen Unionsverständnis der katholischen Kirche zu sehen sei, wie es um 1500 von Johannes Sacranus von Auschwitz formuliert worden ist.

Im zweiten Panel ging es um „Strategien im Management religiöser Heterogenität“. MARTIN FABER (Freiburg) befasste sich in seinem kontrovers diskutierten Beitrag mit der Haltung der polnischen Szlachta zu Religion und religiöser Toleranz seit dem 16. Jahrhundert. Die staatliche Garantie religiöser Toleranz von 1573 ebenso wie die Zunahme freiwilliger Rückkonversionen protestantischer Adliger in den folgenden Jahrzehnten waren seiner These zufolge allein politisch motiviert – der in Protestanten und Katholiken gespaltene polnische Adel versuchte in Zeiten einer politischen Krise die Einigkeit des Stands und damit den Staat und seine Ordnung, letztlich also die Grundlage der eigenen Privilegien, zu bewahren. Dieses Bedürfnis nach Einigkeit erkläre, so Faber, auch die bis ins 18. Jahrhundert zunehmende religiöse Intoleranz in Polen-Litauen.

YVONNE KLEINMANN (Berlin) behandelte die Beziehung zwischen religiösen und rechtlichen Ordnungssystemen am Beispiel des Latifundiums Rzeszów im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Hierbei ging sie von der These aus, dass Religionen und Grundherrschaft im genannten Zeitraum in Polen-Litauen nicht konkurrierende Ordnungen, sondern sich wechselseitig stützende Systeme waren. Die Formen, in denen verschiedene ständisch und religiös gebundene Rechtsformen koexistierten, konkurrierten und kooperierten, schilderte sie anhand ausgewählter Fallbeispiele aus der Rzeszówer Gerichtspraxis. In der anschließenden Diskussion wertete Kleinmann die bisherigen Ergebnisse ihrer mikrohistorischen Untersuchung als ein Beispiel „existentieller Toleranz“, die in erster Linie auf politische Interessen des Grundherren, beispielsweise innerhalb der Peuplierungspolitik, zurückzuführen sei.

Das erste Panel des zweiten Konferenztages stand unter dem Thema „Heiligenpatronat und Patriotismus“. In seinem Vortrag befasste sich JIŘÍ MIKULEC (Prag) mit der Bedeutung des Kultes um den Heiligen Wenzel sowie des neu entstehenden Marienkultes für die Konstruktion eines katholisch geprägten böhmischen Patriotismus im 17. Jahrhundert. JAROSLAV ŠEBEK (Prag) schloss an das Thema seines Vorredners an: Er skizzierte die sich wandelnde, teilweise komplementäre Auslegung und Instrumentalisierung der religiösen Kulte um den Heiligen Wenzel und Johannes Hus durch verschiedene politische und ideologische Lager in den böhmischen Ländern vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

In seinem Kommentar brachte MARTIN ZÜCKERT (München) anschießend die Frage nach den Akteuren bei der Ausbildung des Marienpatronats und damit den Trägern der Identitätspolitik auf. In der folgenden Diskussion verwies Damien Tricoire darauf, dass entgegen der Praxis in den Nachbarstaaten der Marienkult in Böhmen nicht durch die politischen Eliten induziert worden sei, sondern von Klerikern getragen wurde.

Das vierte Panel mit dem Thema „Nationale Religionen, religiöse Nationen: nationale Konfessionskulturen“ leitete THOMAS BOHN (München) mit einem Beitrag über die bulgarischen Freiheitsdiskurse von der Mitte des 18. bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts ein. In seiner Skizze der Entwicklungsphasen der „nationalen Wiedergeburt“ von der nostalgischen Romantik Paisij Chilenarskijs zum militanten Nationalismus Vasil Levskis machte er deutlich, dass das Streben nach der Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche nicht nur der Ausgangspunkt für die Entstehung eines Nationalbewusstseins, sondern auch der Wegbereiter der bulgarischen Unabhängigkeit war.

Unter dem Titel „Katholische Konfessionskulturen in Polen: Ein Vergleich von Ordnungsvorstellungen in der zweiten Hälfte des 17. (1648–1721) und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1848–1921)“ unternahm HANS-JÜRGEN BÖMELBURG (Gießen) einen diachronen Vergleich katholischer Ordnungsvorstellungen in Polen in der Frühen Neuzeit und der Moderne. Er gelangte dabei zu dem Fazit, dass katholische Ordnungsvorstellungen sich in Polen in beiden Epochen in vergleichbaren Phänomenen verbreitet hätten. Die Entwicklungsprozesse waren jeweils international induziert, erhielten ihre spezifische Durchsetzungskraft jedoch erst durch die nationalkonfessionelle Formierung. Während in der Frühen Neuzeit von einer Spätkonfessionalisierung der Eliten gesprochen werden kann, waren die Trägerschichten der Rekatholisierung im 19. Jahrhundert dagegen überwiegend Teil der kirchlichen Hierarchie, die sich explizit an die einfachen Menschen wandten.

Das fünfte Panel galt „Deutungskonkurrenzen: Nation und Religion unter kommunistischer Herrschaft“. Eröffnet wurde es durch GREGOR FEINDT (Bonn), der die Auseinandersetzungen zwischen katholischer Kirche und kommunistischer Staatsmacht in den Jahren 1965/1966, anlässlich der Feiern zum tausendjährigen Jubiläum der Taufe Polens, bzw. der polnischen Staatlichkeit, auch bezeichnet als Millenniumskonflikt, darstellte. Daran anschließend unternahm ÁRPÁD VON KLIMÓ (Berlin) eine ikonographische und inhaltliche Analyse der nationalistischen und politischen Instrumentalisierung des Marienkultes in der nationalkatholischen Kampagne Kardinal József Mindszentys in Ungarn in den Jahren 1945 bis 1948, die ebenfalls in Opposition zum sich etablierenden kommunistischen Staat konzipiert war. In ihrem Kommentar wies LAURA HÖLZLWIMMER (München) darauf hin, dass in den geschilderten Auseinandersetzungen zwischen katholischer Kirche und kommunistischer Partei in beiden Fällen auch eine gewisse Spannungen zwischen Universal- und Nationalkirche offenbar werde; so waren die kirchlichen Akteure in beiden Ländern gezwungen, in ihren Entscheidungen und Handlungen den beiden Bezugsebenen „Rom – Nation“ Rechnung zu tragen.

In seinem gelungenen, die Ergebnisse zusammenführenden Schlusskommentar hob ARNO STROHMEYER (Salzburg) hervor, dass, wie in den Diskussionen deutlich geworden sei, der diachrone Forschungsansatz sich als zielführend erwiesen habe. Er verwies jedoch auch auf die Schwierigkeiten eines interepochalen Vergleichs. So blieben die übergreifenden, miteinander verflochtenen Ordnungskategorien Religion, Nation und Staat aufgrund ihres im Laufe der Jahrhunderte sich wandelnden Verständnisses schwer greifbar. Die These Olaf Blaschkes vom „zweiten konfessionellen Zeitalter“, die zuvor in den Diskussionen problematisiert worden war, lehnte er in Bezug auf die betrachteten Regionen und Epochen ab; dieses Konzept sei spezifisch auf den deutschen Kontext bezogen. Des Weiteren betonte er, dass bei der Frage nach „konkurrierenden Ordnungen“ auch Formen und Praktiken der Kooperation nicht vernachlässigt werden dürften. Abschließend zeigte Strohmeyer Perspektiven für die Forschung auf. Er schlug die Betrachtung überregionaler Phänomene wie des Marienpatronats als Möglichkeit der Eingliederung der Geschichte Ostmitteleuropas in eine Europäische Geschichte vor. Daneben wies er darauf hin, dass „Ordnung“ als Schlüsselbegriff zur Erschließung sozial-politischer Realitäten noch einer genaueren Definition bedürfe, und es außerdem notwendig sei, das jeweils zeitgenössische Verständnis des Begriffs in die Untersuchungen zu integrieren. In der abschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die Konferenz überwiegend Beiträge zur katholischen Kirche enthalten habe, ein Manko, das in der weiteren Debatte zum Thema noch auszugleichen sei. Einigkeit herrschte auch darin, dass die Diskussion über Ordnungsvorstellungen von der Frühen Neuzeit bis zur Neuzeit gerade erst am Anfang stünde und weiterer Auseinandersetzungen bedürfe, zu denen die angeregten und anregenden Debatten der Tagung einen ersten Schritt darstellten.

Auch wenn in den Vorträgen und Redebeiträgen solche Darstellungen überwogen, die sich auf eine der thematisierten Epochen konzentrierten, so haben die teilweise sehr kontroversen Diskussionen doch gezeigt, dass die von den Organisatoren gewählte Fragestellung für eine Auseinandersetzung zwischen Neuzeit- und Frühneuzeithistorikern fruchtbar sein kann. Es bleibt abzuwarten, in wie weit die im Rahmen der Tagung erfolgten Ansätze einer epochenübergreifenden Betrachtung von religionsgeschichtlichen Fragestellungen in konkreten Projekten fortgesetzt werden.

Die Konferenz wurde unterstützt vom Elitestudiengang „Osteuropastudien“ der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Beiträge werden voraussichtlich in einem Sammelband veröffentlicht, dessen Erscheinen für 2009 geplant ist.

Kurzübersicht:

Damien Tricoire (München/Paris): Einführung

Panel 1: Unifizierungsmodelle

Tomasz Łopatka (Wrocław): Gab es den Versuch der Gründung einer Nationalkirche in Polen um die Mitte des 16. Jahrhunderts?

Thomas Wünsch (Passau): Triumph des Uniformatorismus. Die Formulierung der Leitidee des römischen Unionsmodells mit der Orthodoxie durch Johannes Sacranus von Auschwitz im Jahr 1500 und ihre Reflexe bis ins 20. Jahrhundert.

Panel 2: Strategien im Management religiöser Heterogenität

Martin Faber (Freiburg): Von Toleranz zu Intoleranz. Die Haltung der polnischen Szlachta zur Religion und ihre politische Motivation

Yvonne Kleinmann (Berlin): Konkurrenz und Kooperation heterogener Rechtssysteme auf einem adeligen Latifundium im frühneuzeitlichen Polen-Litauen. Der Fall Rzeszów um 1700

Panel 3: Heiligenpatronat und Patriotismus

Jiří Mikulec (Prag): Der böhmische Himmel und die böhmische Staatlichkeit. Die katholische Dimension des Landespatriotismus im 17. Jahrhundert

Jaroslav Šebek (Prag): Die politische und nationale Instrumentalisierung der Inhalte religiöser Traditionen im 19. und 20. Jahrhundert in den böhmischen Ländern. Das Beispiel des Heiligen Wenzel und M. Johannes Hus

Panel 4: Nationale Religionen, religiöse Nationen: nationale Konfessionskulturen

Thomas Bohn (München): Die Bulgarische „Wiedergeburt“. Intelligenz und Nation unter osmanischer Herrschaft

Hans-Jürgen Bömelburg (Gießen): Katholische Konfessionskulturen in Polen: Ein Vergleich von Ordnungsvorstellungen in der zweiten Hälfte des 17. (1648–1721) und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1848–1921)

Panel 5: Deutungskonkurrenzen: Nation und Religion unter kommunistischer Herrschaft

Gregor Feindt (Bonn): „Ein Kampf um die Seelen“: Der polnische Milleniumskonflikt

Árpád von Klimó (Berlin): Katholizismus als Verkörperung einer „aus tausend Wunden blutenden Nation“ (1945–1948). Zum Widerspruch zwischen weltkirchlichem Anspruch und nationaler Repräsentation der katholischen Kirche Ungarns

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