Social Care Under State Socialism (1945 – 1990)

Social Care Under State Socialism (1945 – 1990)

Organisatoren
Prof. Dr. Sabine Hering, Professorin für Wohlfahrtsgeschichte, Gender, Sozialpädagogik an der Universität Siegen
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.11.2007 - 24.11.2007
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Von
Sabine Hering, Fachbereich 2, Universität Siegen

Am 23. und 24. November 2007 fand an der Universität Siegen die internationale Fachtagung 'Social Care Under State Socialism (1945-1990)‘ statt, zu der die Universität Siegen eingeladen hatte. Gastgeberin war Sabine Hering als Sprecherin des 'Network for Historical Studies of Gender and Social Work'1, das sich seit 2001 mit der Geschichte Sozialer Arbeit in Europa beschäftigt.

Auf dieser Tagung über die Sozialfürsorge im Staatssozialismus stand die Frage nach dem Verhältnis von Sozialpolitik und individuellen sozialen Hilfen in den Staaten Osteuropas im Mittelpunkt, welche aufgrund ihrer ideologischen Ausrichtung den Anspruch vertreten haben, auf die bürgerlichen Wohlfahrtstraditionen verzichten zu können. Stattdessen galt die Sozialpolitik als das dominierende Element, das – in Kombination mit einer nachgeordneten deprofessionalisierten sozialen Praxis – die Sozialstaatskonzepte in den Ländern des 'Ostblocks' nachhaltig geprägt hat.

Der Versuch, die soziale Frage durch diese Konstellation nach dem Vorbild der Sowjetunion zu lösen, ist jedoch – so das Ergebnis der Siegener Tagung – nur teilweise gelungen: Die flächendeckend konzipierten sozialpolitischen Maßnahmen erwiesen sich als lückenhaft, und der Abbau ebenso wie die Verlagerung von individuellen sozialen Hilfen führten zu neuen Problemkonstellationen. Das damit unter den Vorzeichen des Staatssozialismus entstandene 'soziale Laboratorium' litt aber nicht nur an den Folgen der Entprofessionalisierung der sozialen Hilfen, sondern war auch durch politische Vorgaben zur Klassifizierung, Kategorisierung und Normierung belastet.

Den mit diesen Maßnahmen verbundenen Repressalien stand ein System von Anreizen gegenüber, das drei Schwerpunkte aufwies: Die Gratifizierung 'verdienter Genoss/innen' und die Vergünstigungen, die im Rahmen der Massenorganisationen und der Familienpolitik angeboten wurden. Die Massenorganisationen boten Freizeit- und Kulturprogramme, 'Partisanen' und 'Helden der Arbeit' genossen ebenso wie ihre Familien eine ganze Reihe von mehrheitlich als unangemessen empfundenen Privilegien. Innerhalb des besonders bedeutsamen Bereichs der Familienpolitik wurden die Anreize so gesetzt, dass sie den wechselnden Zielen (Gleichberechtigung von Mann und Frau, Steigerung der Arbeitsleistung, Bevölkerungspolitik) dienten: Während anfänglich die Gleichberechtigung und die Arbeit im Vordergrund standen, sollten in den Folgejahren die Geburtenraten – nach teilweise schweren Rückgängen in den 1960er-Jahren – durch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen (Mutterschaftsprämien, Kinderbetreuung) gesteigert werden, die als Elemente eines 'maternalistischen Wohlfahrtsstaates' bezeichnet worden sind.

Insgesamt – das wurde durch die Beiträge der Tagung überdeutlich – ergibt sich das Bild einer eher uneinheitlichen Entwicklung in den einzelnen Ländern des Ostblocks, die trotz bestimmter Prägungen und ideologischen Vorgaben durch die UdSSR in deutlicher Abhängigkeit von den jeweiligen ökonomischen, kulturellen und auch kirchlichen Gegebenheiten ihre Eigenarten bewahrt haben.

Wie bereits aus einem vorangegangen Forschungsprojekt 'Geschichte der Sozialen Arbeit in Osteuropa 1900-1960' hervorging, 2 hat sich auch auf dieser Tagung die Einsicht bestätigt, dass die These, im Staatssozialismus osteuropäischer Prägung habe es keine Formen der Sozialen Arbeit gegeben, falsch ist. Es zeigte sich aber auch die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Strukturen und Angebote auf diesem Gebiet und widerlegte damit ebenso die gleichermaßen verbreitete These von der Einheitlichkeit des Ostblocks unter sowjetischem Einfluss.

In ihrem Eröffnungsreferat beschäftigte sich SABINE HERING besonders mit dem Phänomen der 'Surrogatstrukturen', die nach Abschaffung der 'bürgerlichen' Sozialarbeit in den sozialistischen Staaten entstanden, da die soziale Probleme auch im Sozialismus nicht, wie gehofft, von allein behoben werden konnten. Der Staat ergänzte deshalb seine generalisierenden sozialpolitischen Regelungen durch Ersatzstrukturen, die von semiprofessionellen oder ehrenamtlich agierenden Kräften ausgeübt wurden. Auch die Verlagerung sozialer Aufgaben in die Betriebe, Schulen oder medizinische Pflegedienste war eine Form dieser Surrogatbildung.

Die Beiträge über die sozialen Probleme und die Hilfsstrukturen in Polen, der Sowjetunion, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, der DDR und Ungarn boten sowohl einen Überblick über die sozialpolitische Entwicklung in den Ländern zwischen 1945 und 1989, als auch über spezielle Themen oder Aspekte aus dieser Zeit.

DOBROCHNA KALWA (Jagelonian University of Krakau/Polen) thematisierte den Zusammenhang von sozialen Fragen und Geschlechterordnung im sozialistischen Polen, ELENA IARSKAIA-SMIRNOVA und PAVEL ROMANOV (State University Saratov/Russland) die sowjetische Inklusion ('Belohnungspolitik') und Exklusion für bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Als ein wichtiges Merkmal der sozialen Problemlösungen in der DDR analysierte INGRID MIETHE (Fachhochschule Darmstadt) die Rolle der bildungspolitischen Maßnahmen bei der Konstituierung sozialer Privilegien bzw. Benachteiligungen.

MARIA ROTH (University of Cluj/Rumänien) thematisierte in ihrer Darstellung der rumänischen Kinderfürsorge besonders die Rolle der Heimerziehung. Auch ESZTER VARSA (Central European University Budapest/Ungarn) nahm sich der Heimerziehungsproblematik in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren als Thema des Abbaus sozialer Rechte an.

Der jugoslawische Sonderweg wurde unter drei Aspekten erläutert: DARJA ZAVIRSEK (University of Ljubljana/Slowenien ) schilderte die Umstände, unter denen in Jugoslawien im Gegensatz zu allen anderen sozialistischen Land nach 1945 die Sozialarbeit als Ausbildungsberuf eingeführt wurde.

VESNA LESKOSEK (University of Ljubljana/Slowenien ) reflektierte in ihrem Vortrag das Verhältnis von Staat, Sozialarbeit und Macht in Jugoslawien. VANJA BRANICA (University of Zagreb/Kroatien) analysierte das Verhältnis von soziale Problemlagen und der Entwicklung der Sozialarbeit als Profession mit dessen spezifischen Schwerpunkten.

KRISTINA POPOVA (Neofrit Rilski University Blaegovgrad/Bulgarien) war mit zwei Vortragsthemen zur Geschichte Bulgariens vertreten: Zum einen ging es in ihren Beiträgen um das Verhältnis der politischen und sozialen Rahmenbedingungen zum Auf- und Abbau sozialer Strukturen im Bereich der Wohlfahrtseinrichtungen. Am Beispiel der Jungpioniere lieferte sie ein Beispiel der Übernahme sozialarbeiterischer Aufgaben durch andere Berufsgruppen.

Die Vorträge der Tagung werden – ergänzt durch eine Reihe zusätzlicher Beiträge – Ende 2008 im Verlag BARBARA BUDRICH (Herausgeberin: Sabine Hering) auf Englisch erscheinen.

Kurzübersicht:

Network for Historical Studies of Gender and Social Work

Sabine Hering : Sozialfürsorge im Staatssozialismus, Zugänge und Fragestellungen.
Dobrochna Kalwa: Social Issues and the Order of the Sexes – Socio-Political Deficits in Poland.
Elena Iarskaia-Smirnova/Pavel Romanov: Multiplicity and Discontinuity of the Policy of Incentives in Soviet Welfare.
Ingrid Miethe: Entwicklung der Bildungspolitik in der DDR im Hinblick auf den Abbau sozialer Ungleichheit.
Kristina Popova: Social Discontinuity and Continuity of Welfare Administration in Bulgaria since 1944/45.
Vesna Leskosec: Social Issues and Development of Social Work Profession in Croatia after 1945.
Vania Branica: Against the Mainstream: Social Work in Yugoslavia 1945-1989.
Maria Roth: Tendencies and Deficits of Child Care in Romania.

Presentation and Discussion of visual sources (Films, photographs, pictures etc.)

Darja Zavirsek: The 'Special Case' of Yugoslavia: Implementation of Social Work Training in the 1950ies.
Anelia Kassabova: Mutter-Kind-Heime und das Problem der nichtehelichen Schwangerschaft im sozialistischen Bulgarien.
Kristina Popova: Surrogate Structures and Strategies of Shifts to Other Professions.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.sweep.uni-siegen.de>.
2 Die Ergebnisse dieses Projekts liegen in zwei Veröffentlichungen vor: Hering, Sabine; Waaldijk, Berteke (Hrsg.), Helfer der Armen – Hüter der Öffentlichkeit/Guardians of the Poor Custodians of the Public, Welfare History of Eastern Europe 1900-1960, Opladen & Farmington Hills 2006; Schilde, Kurt; Schulte Dagmar (Hrsg.), Need and Care. Glimpses into the Beginnings of Eastern Europe´s Professional Welfare, Opladen & Bloomfield Hills 2005.


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