Diffusion des Humanismus

Diffusion des Humanismus

Organisatoren
Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte II (Johannes Helmrath), Humboldt-Universität zu Berlin; Gerda Henkel Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.09.2001 - 12.09.2001
Von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin; Jörg Feuchter

Vom 14. bis 16. Jhahrhundert breitete sich der Humanismus, einer der ersten großen Vereinheitlichungsprozesse des Kontinents, in ganz Europa aus. Welche Wege und Umwege er nahm und welche Transformationen das beförderte Bildungsgut dabei erfuhr, ist noch weitgehend ungeklärt. Das internationale Symposion "Diffusion des Humanismus", veranstaltet vom Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte II (Johannes Helmrath) in Zusammenarbeit mit der Gerda Henkel Stiftung, versammelte vom 9.-12. September 2001 Historiker und Philologen aus Frankreich, Polen, Ungarn, Italien, der Schweiz, den Vereinigten Staaten und Deutschland, um diesen Fragen nachzugehen.

Das Tagungsthema ordnet sich in den Rahmen der aktuellen Forschung über "Kulturtransfer" ein, der bisher vor allem in neuzeitlichen und kolonialen Zusammenhängen diskutiert wurde. Bewusst abgesehen wurde bei der Wahl des Titels der Veranstaltung von Begriffen wie "Tradition", "Rezeption" und "Ausbreitung", die nicht agens-neutral sind bzw. bestimmte Mechanismen des erst noch zu analysierenden Prozesses vorgeben würden. Der Terminus "Diffusion" dagegen ist insbesondere auch offen für Transformationen des vermittelten Bildungsgutes, wie sie allenthalben zu beobachten sind (HELMRATH), etwa wenn italienisch inspirierte Palladio-Villen in England für ein weniger günstiges Klima mit verglasten Vorbauten ausgestattet werden.

Als konkretes Vergleichs- und Untersuchungsobjekt diente die Geschichtsschreibung. Diese Gattung ist für den Humanismus zentral, denn Weltauffassung und Selbstbild der Humanisten waren genuin historisch (MUHLACK), definierten sie sich und ihre Zeit doch gerade durch die Setzung von Epochenbegriffen: die idealisierte, wiederzubelebende Antike und das verworfene, abzulegende Mittelalter. Zugleich ging es auch in der humanistischen Historiographie um die Rechtfertigung von Staaten und Dynastien aus der Vergangenheit. Dabei setzte geradezu ein nationaler Wetteifer um die ältesten Vorfahren ein. Wo jedoch das humanistische Italien eine ideale Vorzeit in der verehrten Antike besass, hatten die anderen Nationen "barbarische" Vorfahren. Wie diese vereinnahmt und für das humanistische Modell passend gemacht werden konnten, war nur einer der in den Vorträgen immer wieder aufgegriffenen Punkte.

Die facettenreichen Beiträge, die hier nur unvollständig gewürdigt werden koennen, dokumentierten eine enge Verknüpfung der vielschichtigen Austausch- und Rezeptionsprozesse mit impulsgebenden Personen. Es handelte sich meist um humanistisch gebildete Italiener, die ihr Heil in anderen europäischen Ländern suchten und die in ihrem Heimatland bereits erprobten Techniken und Anschauungen dorthin mitbrachten. Von herausragender Bedeutung für den nordalpinen Bereich war Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II. Während seines langen Aufenthalts im Reich, u.a. als Kanzleisekretär Friedrichs III., wurde er als Briefgestalter, Redner, Stilkritiker und Schriftsteller sowie nicht zuletzt als Verfasser historisch-landeskundlicher Abhandlungen über Böhmen, Deutschland und Europa zu einem einzigartigen Multiplikator des Humanismus; seine Werke gehörten schon bald zum Gemeingut diesseits wie jenseits der Alpen (HELMRATH). Mit Antonio Bonfini in Ungarn, dem unter dem Namen Callimachus Experiens bekannten Filippo Buonaccorsi in Polen, Paolo Emilo in Frankreich und Polydor Virgil in England sind weitere Italiener in ähnlich kulturvermittelnder Position nachzuweisen. In ihrem Schaffen nahm die Geschichtsschreibung einen zentralen Platz ein, doch waren sie mitunter bei Zeitgenossen und Nachwelt deutlich umstrittener als Enea Silvio: Callimachus schrieb eine polnische Geschichte im Auftrag und aus dem Blickwinkel des jagiellonischen Königshauses, und so verwundert es kaum, dass er in Kreisen des polnischen Adels später keinen besonders guten Ruf genoss. Polydor Virgil provozierte mit seiner Anglica Historia die englische Geschichtsschreiber, weil sich unter seinem quellenkritischen Blick eine Reihe nationale Identität stiftender Mythen auflösten. Und auch Paolo Emilio, dessen Werk De rebus gestis Francorum im Auftrag Karls VIII. entstand, wusste zwar mit seiner Sprachkompetenz zu überzeugen, dass es aber eines Landfremden, zumal eines Italieners bedurfte, um innovativ und erfolgreich die Geschichte des eigenen Volkes zu schreiben, wurde in den gelehrten Köpfen Frankreichs zum Trauma (COLLARD). Die genannten Mittelsmänner, die dem italienisch vorgeprägten Humanismus das Tor nach Gesamteuropa öffneten, agierten zumeist nicht aus eigenem Antrieb. Sie fanden Gönner und Auftraggeber, die sich den neuen Strömungen aufgeschlossen zeigten und Hoffnung in die Fähigkeiten dieser Zuwanderer setzten. Beinahe überall waren es die großen Höfe, die der Könige und einflussreichen Dynasten, die als Kristallisationskerne dieses humanistischen Imports in Erscheinung traten - die Schweiz mag hier die markanteste Ausnahme bilden (MAISSEN). An den Höfen standen nicht nur die Mittel bereit, hier gab es auch ein erkennbares Interesse, die neu niedergeschriebene Vergangenheit für die Gegenwart nutzbar zu machen. Die inländischen Mäzene frönten dabei mit ihren humanistischen Neigungen keineswegs nur der apolitischen Schöngeisterei. Wie das englische Beispiel des Humphrey von Gloucester zeigt, wurden antike Texte aus Historie und politischer Theorie auch gezielt als Argumentationshilfe im tagespolitischen Geschäft eingesetzt (SAYGIN).

Das große Thema der Historiographie im europaweit erwachenden Humanismus aber war die Konturierung der eigenen Nation. Hier wirke Italien in doppelter Weise. Es stellte mit Flavio Biondos Italia illustrata eine vielfältig deutbare, in Landesbeschreibung und Landesgeschichte gekleidete intellektuelle Leistungsbilanz der Eliten Italiens bereit (CLAVUOT), die als Stilmuster zur Nachahmung anregte, in Inhalt und Überlegenheitsanspruch aber zum verbissenen Wettstreit aufforderte. Im Reich entwickelte Konrad Celtis in auffälliger Anlehnung daran den programmatischen Gedanken einer Germania illustrata, welche die deutsche "Kulturnation" (MUHLACK) mittels humanistischer nationaler Geschichtsschreibung von innen heraus festigen sollte. Generationen deutscher Humanisten, an ihrer Spitze der Nürnberger Hartmann Schedel (STAUBER), arbeiteten an ihrer (nie ereichten) Vollendung. In ganz Europa, das zeigten die Vorträge des Symposions eindrucksvoll, war man in dieser Zeit auf der Suche nach der eigenen historischen Identität jenseits der Barbaren, die einem stets aus dem von Italien aus vorgehaltenen Spiegel entgegenblickten. Eine Mahnung des Enea Silvio aufnehmend suchte man nach autochthonen, zumindest aber von Rom unabhängigen Wurzeln der eigenen Vergangenheit, ganz gleich ob hierfür Germanen oder Gallier, Helvetier oder Sarmaten, Hunnen oder Goten in neuer Weise entdeckt werden mussten.

Wichtigstes Ergebnis der Tagung ist gewiss die Erschliessung eines breiten Spektrums von Vergleichsfällen. Untersucht wurden humanistische Historiographien in Italien im Allgemeinen und in seinen Staaten Florenz und Neapel im Besonderen, in der Schweiz, in Frankreich, in England, Polen, Ungarn und im Reich.

Anregungen zum Weiterfragen gab die Tagung bei der Rolle der barbarischen Vorgänger: Wie können sie zu würdigen Vorfahren der eigenen Nation werden? Inwiefern geht man dabei selektiv vor? Sind die nationalen Legitimations- und Abstammungslinien bereits konkurrentiell und exklusiv gedacht, oder handelt es sich letztlich doch um eine eher "sportliche", gemeinschaftsbildende Kompetition, einen "kulturnationalen Wettbewerb um ein gemeinschaftliches Gut" (MUHLACK)?

Und wie gut funktioniert die Aneignung nicht nur italienischer Methoden, sondern auch historischer Inhalte und Modelle? Wie lassen sich diese Austausch- und Aneignungsprozesse modellhaft erfassen? Welche Rolle spielen schließlich Motive, aus denen heraus Geschichte geschrieben wurde? Denn auch dies war ein wesentliches Tagungsergebnis: Es gibt ganz unterschiedliche causae scribendi: Die Werke entstehen teils im Auftrag von staatlichen Autoritäten, teils von kunstsinnigen Mäzenen, aber eben auch aus ureigenem persönlichen Interesse, etwa bei Enea Silvio Piccolomini - oder aber in Gemengelagen.

Eine Abendveranstaltung in der Rotunde des Alten Museums rundete mit einem kunsthistorischen Vortrag zu Wegen der Renaissancekunst in Mittel- und Osteuropa (BREDEKAMP) sowie mit einem Madrigal-Konzert die Tagung eindrucksvoll ab.

Die Veröffentlichung der Beiträge im Frühjahr kommenden Jahres wird angestrebt.

www.geschichte.hu-berlin.de/bereiche/ma2/humdiff.htm