Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1. Tagung

Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1. Tagung

Organisatoren
Schwabenakademie Irsee; Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.03.2001 - 25.03.2001
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Von
Irmgard Schwanke

Bericht über die erste Tagung des Irseer Arbeitskreises für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Vom 23. bis 25. März 2001 fand in der Schwabenakademie Irsee die erste Tagung des Irseer Arbeitskreises für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte statt, der unter der Leitung von Mark Häberlein (Freiburg im Breisgau), Markwart Herzog (Irsee), Christof Jeggle (Berlin) und Rainer Jehl (Irsee) steht. Auf der diesjährigen Tagung, die von M. Häberlein, M. Herzog und Chr. Jeggle vorbereitet wurde, beschäftigten sich rund 35 Teilnehmer/-innen mit Minderheiten in der frühneuzeitlichen Wirtschaft. Über das eigentliche Thema hinaus war es ein wesentliches Ziel der Tagung, programmatische Überlegungen zur Tätigkeit des Irseer Arbeitskreises anzustellen. Damit befasste sich der Vortrag von Christof Jeggle (Berlin): Einführung in Ziele und Aufgaben des Irseer Arbeitskreises. Jeggle ging zunächst auf ‚problematische Erbschaften' ein, die das Fach von der älteren vorindustriellen Wirtschafts- und Sozialgeschichte übernommen habe. Insbesondere kritisierte er die Vernachlässigung der Erarbeitung tragfähiger Konzepte und Methoden und betonte, dass sich die Sozialgeschichte zwar gegenüber ihrem ursprünglichen Gegenpol, der klassischen Politikgeschichte, etabliert habe und kulturhistorische Fragestellungen großes Interesse fänden, dass jedoch in der deutschen historischen Forschung der Bereich des Wirtschaftens zu Unrecht in den Hintergrund getreten sei. Als wichtigen Teil der künftigen Arbeit stufte Jeggle die Hinterfragung geläufiger Grundbegriffe ein. So müsse man sich zunächst Gedanken darüber machen, was ‚Wirtschaft' in der vorindustriellen Gesellschaft überhaupt bedeute und was als ‚wirtschaftliches Handeln' zu begreifen sei. Dies solle jedoch nicht in abstrakter Weise geschehen. Vielmehr sei es notwendig, Begrifflichkeiten in enger Anlehnung an die Quellen zu entwickeln. Im Vordergrund solle immer die Anwendungsorientiertheit theoretischer Überlegungen stehen. Besondere Bedeutung für wirtschaftshistorische Forschungskonzepte komme dabei der Mikrogeschichte zu. Neben der Tatsache, dass hier unterschiedlichste Quellen bei der Bearbeitung eines Themas herangezogen und miteinander verknüpft würden, sei der experimentelle und interdisziplinäre Charakter von Mikrogeschichte für die Forschungspraxis von Vorteil. Wirtschaftssoziologie und -ethnologie sowie Verfahren der Netzwerkanalyse sollten daneben vermehrt Berücksichtigung finden. Darüber hinaus stelle die Geschlechterforschung die Wirtschaftsgeschichte vor neue Aufgaben. Es sei notwendig, nicht länger von ‚männlichen Normal-' und ‚weiblichen Ausnahmesubjekten' auszugehen, sondern neue Perspektiven zu erarbeiten.

Als vielversprechende Themen zu denen neue Forschungsansätze vorlägen und mit denen sich der Arbeitskreis in Zukunft beschäftigen könnte, nannte Jeggle die Bereiche Handel, Gewerbe, Geld und Kreditbeziehungen, Zivilrechtspraxis sowie historische Agrarökonomie. Neben dem fachlichen Austausch sei es den Initiatoren des Arbeitskreises besonders wichtig, jüngere FachvertreterInnen aus dem Bereich der vorindustriellen Wirtschaftsgeschichte eine Möglichkeit zu bieten, sich kennenzulernen, und so dazu beizutragen, Defizite in der Kommunikation zu überwinden. In diesem Zusammenhang sollten die jüngeren WirtschaftshistorikerInnen gemeinsam über Strategien nachdenken, die zu einer ausreichenden (öffentlichen) Finanzierung ihrer Arbeit führen könnten. Der Wandel zur dienstleistungsorientierten "Wissensgesellschaft" verlange neue Wege der Wissensvermittlung. Daher sei es wichtig, wirtschaftshistorisches Wissen über enge Fachkreise hinaus bekanntzumachen und den eigenen Sachverstand in die Diskussion um aktuelle Themen einzubringen. Abschließend ging Jeggle auf die praktischen und organisatorischen Aspekte der Arbeit des Irseer Arbeitskreises ein.

Im thematischen Teil der Tagung wurden insgesamt acht Vorträge aus dem Bereich ‚Minderheiten in der frühneuzeitlichen Wirtschaft' gehalten. Mark Häberlein (Freiburg im Breisgau) umriss das Forschungsfeld in einer Einführung in die Thematik der ersten Tagung des Arbeitskreises. Er wies zunächst anhand von Fallbeispielen auf die große Bedeutung zugewanderter Fremder für das Wirtschaftsleben von Einwanderungsregionen - unter anderem als Impulsgeber für Innovationen - hin. Obwohl sich Wirtschaftshistoriker dieser Tatsache schon lange bewusst wären, sei die Forschungslage im mitteleuropäischen Raum unbefriedigend. Bisherige Untersuchungen hätten sich meist nur mit einzelnen, besonders auffälligen Gruppen beschäftigt (z.B. Juden oder Mennoniten). Andere Personenkreise, wie savoyische Krämer, seien dagegen unzureichend erforscht. In einem nächsten Schritt befasste sich Häberlein mit dem Begriff ‚Minderheit'. Er betonte, dass dessen Anwendung nicht unproblematisch sei. Die Schwierigkeiten begännen bereits damit, dass eine im allgemeinen als Minderheit bezeichnete Personengruppe im lokalen Kontext zahlenmäßig durchaus die Mehrheit darstellen könne. Abgesehen davon könne man Minderheiten aber in der Regel durch ‚fremde Herkunft' und ein ‚abweichendes religiöses Bekenntnis' definieren. Soziale oder berufliche Klassifizierungen seien dagegen schwieriger bei der Kennzeichnung einer Gruppe als Minderheit anwendbar. In jedem Fall sollte der Minderheiten- klar von dem Randgruppenbegriff getrennt werden, da letzterer in der Forschung für äußerst heterogene Personenkreise verwendet würde. Im Anschluss daran stellte er Konzepte vor, die helfen könnten, das Minderheitenthema zu strukturieren. Als fruchtbar bezeichnete er die Analyse sozialer Netzwerke, z.B. anhand der Kategorien Verwandtschaft, Nachbarschaft und Landsmannschaft. Ein anderer Forschungsansatz könne das obrigkeitliche Interesse an Zuwanderung in den Mittelpunkt stellen. Dabei müsse man jedoch im Auge behalten, dass frühneuzeitliche Obrigkeiten nicht immer nach wirtschaftlichen Grundsätzen vorgegangen seien, sondern diesen auch zuwider gehandelt hätten, wenn Ehre und Prestige es erforderten. Schließlich könne das Thema der Minderheiten unter dem Aspekt der Identität untersucht werden. Wie Häberlein in der anschließenden Diskussion betonte, betrachtet er diese verschiedenen Ansätze nicht in Konkurrenz zueinander, sondern als komplementäres Angebot, das darüber hinaus mit anderen Konzeptionen verbunden werden könne.

Martin Zürn (Freiburg im Breisgau) referierte über Wirtschafts- und Sozialbeziehungen savoyischer Einwanderer in Augsburg, Freiburg und Konstanz in der Frühen Neuzeit. Er ging im ersten Teil seines Vortrags auf die Einwanderung und das Heiratsverhalten von Savoyern ein. Im Vergleich der drei Städte kam er zu dem Ergebnis, dass sich insbesondere Freiburg stark gegen Zuwanderer abschottete, während Augsburg und Konstanz der Einbürgerung relativ offen gegenüberstanden. Bei den zugewanderten Savoyarden habe es sich zum überwiegenden Teil um ledige Männer gehandelt, denen insbesondere der Augsburger Rat häufig zur Auflage machte, innerhalb Jahresfrist eine Bürgerstochter zu heiraten. Auf diese Weise sei die soziale Integration der neuen Bürger durch die städtische Obrigkeit gefördert bzw. erzwungen worden. Dieser Politik entsprechend ermittelte Zürn bei der Auszählung von Heiraten mit mindestens einem ‚welschen' Ehepartner ein deutliches Übergewicht der Ehen zwischen einem savoyischen bzw. italienischen Mann und einer deutschen Frau. Durch die Analyse der Trauzeugen in Augsburg werde ferner deutlich, dass ein kleiner Personenkreis von in der Stadt etablierten Savoyarden immer wieder als Trauzeugen von Ehen mit savoyischer Beteiligung auftauchte. Daraus könne man schließen, dass die formale Integration neuer Zuwanderer seitens der Landsmannschaft gefördert wurde. Die Auswertung der Steuerbücher zeige den relativen Wohlstand der Savoyarden in den drei Städten, allerdings seien auch beträchtliche individuelle Unterschiede sowie konjunkturell bedingte Schwankungen im Untersuchungszeitraum festzustellen. Anhand des Handelsbuches des in Immenstadt im Allgäu ansässigen Peter Marquart erläuterte Zürn den Aktionsradius eines savoyischen Kaufmanns. Im Falle der Savoyarden kann Zürn zufolge von einer doppelten Integration gesprochen werden. Auf der einen Seite hätten die Zuwanderer dauerhafte Beziehungen in die alte Heimat aufrechterhalten, indem sie dort beispielsweise Kirchen mit Stiftungen bedachten, auf der anderen Seite seien sie feste Allianzen mit deutschen Familien eingegangen, indem sie in diese einheirateten oder mit ihnen gemeinsam (und in diesem Fall entgegen dem Prinzip landsmannschaftlicher Solidarität) gegen den Zuzug weiterer Savoyarden stimmten, wenn ihnen dies zur Abwehr zusätzlicher Konkurrenz vorteilhaft erschien.

Eva Wiebel (Freiburg im Breisgau) sprach über Wirtschaftliche Beziehungen und Konflikte zwischen französischen und savoyischen Einwanderern, jüdischen Einwohnern und der Stadt Breisach am Rhein (1650-1750). Einleitend zeigte sie anhand von drei Fallbeispielen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts Aspekte des Beziehungsgeflechts zwischen verschiedenen Einwohnergruppen der Stadt auf. Hauptakteure waren die jüdische Gemeinde, die Bürgerschaft, ausländische Kaufleute, der Rat und die vorderösterreichische Regierung. Die Referentin wies darauf hin, dass nicht von dauerhaften, starren Konfliktlinien zwischen diesen Personenkreisen auszugehen sei, sondern dass die Quellenausschnitte lediglich den Endpunkt einer Entwicklung darstellten, die mit dem Dreißigjährigen Krieg begonnen habe. Im Anschluss daran skizzierte sie die Rahmenbedingungen dieser Entwicklung in einem Überblick über die Geschichte der Stadt zwischen 1650 und 1750 und über die Zuwanderung in diesem Zeitraum. Als bedeutsame Faktoren nannte sie die mehrfach wechselnde Zugehörigkeit zu Frankreich bzw. Vorderösterreich und den umfangreichen Festungsbau. Vor diesem Hintergrund liessen sich in der Stadt Zuwanderer aus Frankreich, dem Elsass, Savoyen, Flandern, Italien und der Schweiz nieder. Außerdem siedelten sich jüdische Familien an. Die Integrationswege von einzelnen Zuwanderern erläuterte die Referentin am Beispiel der savoyischen Familien Violand/Deville, der oberitalienischen Familie Pino und der jüdischen Familie Günzburger. Bei den miteinander verwandten Violand und Deville diagnostizierte sie eine deutliche Tendenz zur Integration in die Eliten von Stadt und Region, die durch Einheiraten und die Übernahme wichtiger Ämter sichtbar werde. Auf der anderen Seite hätten die zugewanderten Familien aber auch enge Kontakte untereinander und in die alte Heimat gepflegt. Die kapitalkräftigen Pino entwickelten sich zum größten Kreditgeber der Stadt. Ebenso ging die Familie Günzburger zahlreiche Kreditbeziehungen im ober- und hochrheinischen Raum ein. Die Quellen zeugten zwar von Konflikten zwischen jüdischer und christlicher Bevölkerung, doch werde in den Quellen auch die kooperative Seite des Neben- und Miteinanders verschiedener Einwohnergruppen sichtbar.

Mit der Minderheit der Juden beschäftigten sich auch die folgenden drei Vorträge. Rotraud Ries (Herford) leitete die Sektion ein mit einem Beitrag über Persönlichkeit - Ökonomie - Kultur: Der jüdische Finanzier und Hofmann Alexander David (1687-1765). Sie wies zunächst darauf hin, dass die Wirtschaft eine entscheidende Scharnierfunktion zwischen Juden und Christen gehabt habe. Aufgrund ihrer Religion sei die Integrationsfähigkeit von Juden im Vergleich zu anderen Minderheiten begrenzt gewesen. Einen individuellen jüdischen Lebensentwurf im Zeitalter des Absolutismus skizzierte Ries am Beispiel von Alexander David, der am Braunschweiger Hof über mehrere Jahrzehnte hinweg für insgesamt fünf Herzöge tätig war. Das Spektrum seiner Geschäfte umfasste die Lieferung von Luxusgütern, Finanztransaktionen und Heereslieferungen. Im zweiten Teil ihres Vortrags lenkte Ries das Augenmerk auf kulturelle Aspekte. Sie legte dabei ein in Davids Todesjahr angefertigtes Inventar zugrunde, das sie als Momentaufnahme der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Alltagskultur interpretierte. Auf der Grundlage dieses Inventars und zeitgenössischer Abbildungen lud Ries die Zuhörer zu einer ‚virtuellen Besichtigung' von Alexander Davids Wohn- und Geschäftshaus am Braunschweiger Kohlmarkt ein. Besonders betonte sie den gehobenen Lebensstil, der sich beispielsweise im Besitz hochwertiger ausländischer Möbel oder in der Einrichtung einer Orangerie geäußert habe. Hier zeigten sich die ökonomische Bedeutung des ‚jüdischen Hofmannes' und seine Kenntnis des Lebensstils der christlichen Oberschichten. Der Besitz jüdischer Kultgegenstände und hebräischer Bücher weise auf ein Nebeneinander von jüdischer und christlicher Kultur hin, das auch in Alexander Davids Testamenten zum Ausdruck komme. Neben drei jüdischen Gemeinden bedachte David auch die Braunschweiger Martinigemeinde mit einer Stiftung, womit er sich sowohl in seiner jüdischen als auch in seiner christlichen Umgebung in Erinnerung halten wollte. Man könne vor diesem Hintergrund von einer doppelten kulturellen Orientierung Alexander Davids auf der Basis seiner ökonomischen Tätigkeit am Braunschweiger Hof sprechen.

Den Blick von Europa nach Übersee lenkte Claudia Schnurmann (Göttingen). Sie referierte über Jüdische Kaufleute und Pflanzer im atlantischen Raum des 17. Jahrhunderts. Am Beispiel von Samuel Cohen Nassy aus Surinam und Luis Dias Gutierez aus Barbados erläuterte sie Formen kommerzieller Netzwerke sephardischer Juden. Die Familien der beiden Männer hatten zunächst in Brasilien gelebt. Nachdem die Nassy die niederländische Kolonie bereits 1652 verlassen hatten, waren sie über mehrere Zwischenstationen in das zunächst englische, dann niederländische Surinam gelangt, wo im Jahr 1684 der jüdische Anteil an der weißen Bevölkerung bei gut 30% lag. Samuel Cohen Nassy gewann großen Einfluss im politisch-militärischen und religiösen Leben der Kolonie. Die Gutierez waren nach der Übernahme durch die katholischen Portugiesen 1654 aus Brasilien weggezogen und hatten sich in Amsterdam niedergelassen. Von dort aus kam Luis Dias Gutierez über Surinam in das englische Barbados. Er war unter anderem im Immobilien- und Sklavenhandel tätig. Ab den 1670er Jahren konnte Claudia Schnurmann Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden nachweisen. Luis Dias Gutierez wurde zusätzlich zu seiner selbständigen Geschäftstätigkeit als Faktor für Samuel Cohen Nassy tätig und organisierte für diesen Lebensmittellieferungen von Barbados nach Surinam. Neben der Rolle sephardischer Juden in den Handelsbeziehungen zwischen diesen beiden Kolonien thematisierte Schnurmann im zweiten Teil ihres Vortrags Kontakte zwischen Nordamerika und Surinam im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Sie legte dar, dass Surinam entgegen den merkantilistischen Interessen des Mutterlandes in umfangreiche Handelsbeziehungen mit Nordamerika verwickelt war. Auch hier sei Samuel Cohen Nassy engagiert gewesen. Die Komplexität der Beziehungen erläuterte die Referentin anhand von Kontakten zwischen ihm, dem New Yorker Juden Joseph Bueno de Mesquita und der Quäkerin Rebecca Richardson. Dementsprechend betonte Schnurmann in ihrem Fazit, dass die sephardischen Juden im karibischen Raum nicht ausschließlich in jüdische Netzwerke eingebunden gewesen seien, sondern dass ihre Beziehungen, trotz des Festhaltens an der jüdischen Identität, weit darüber hinaus reichten und wesentlich zur wirtschaftlichen Verflechtung zwischen dem englischen und dem niederländischen Kolonialreich beitrugen.

Rolf Kiessling (Augsburg) beschäftigte sich in einem öffentlichen Abendvortrag mit Juden in der schwäbischen Wirtschaft. Im ersten Teil seines Vortrags skizzierte er die Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in Schwaben, die durch die territoriale Zersplitterung der Region und besondere Ansiedlungsformen geprägt waren. So habe es Orte gegeben, in denen Juden die Hälfte der Bevölkerung stellten. Der Referent erläuterte, dass es an den Schnittstellen zwischen jüdischer und christlicher Gemeinde, z.B. in der Frage der Nutzung von Allmendflächen, zwar Konflikte geben konnte, dass es gleichzeitig durch die vertragliche Regelung der Verteilung kommunaler Ressourcen jedoch zur Herausbildung von Nutzungsgenossenschaften gekommen sei. Im zweiten Vortragsteil wandte sich Kiessling den Feldern jüdischer Wirtschaftstätigkeit, dem Handel und dem Kapitalverleih, zu. Er berichtete von vielfältigen, an die geographische Lage und die Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten der Kunden angepassten Handelsstrukturen und von Kreditgeschäften, bei denen der übliche Zinssatz von fünf Prozent in der Regel nur im Falle kurzfristiger Überbrückungskredite, die für die Gläubiger ein hohes Risiko bargen, überschritten worden sei. Im übrigen seien nicht nur Juden als Geldgeber aufgetreten. Vielmehr habe es auch Kreditbeziehungen zwischen jüdischen Schuldnern und christlichen Gläubigern gegeben. Abschließend ging Kiessling auf die bereits in Häberleins einleitendem Vortrag gestellte Frage nach der Verwendung der Begriffe ‚Randgruppe' und ‚Minderheit' ein. Auch Kiessling lehnte die Einordnung der Juden als Randgruppe ab. Zwar könne man nicht von einer vollständigen jüdischen Integration in die Gesamtgesellschaft ausgehen; dennoch zeige sich gerade im wirtschaftlichen Bereich eine weitgehende Akzeptanz der jüdischen durch die christliche Bevölkerung. Der Randgruppenbegriff erfasse die Komplexität des Beziehungsgefüges nicht.

Julia Zunckel (Genua) referierte über Oberdeutsche Kaufleute in Genua im späten 16. und 17. Jahrhundert. Einleitend skizzierte sie die deutsche Präsenz in der Stadt und wies auf Forschungsdesiderate hin. Besonders betonte sie, dass die deutschen den einheimischen Kaufleuten seit dem Spätmittelalter weitgehend gleichgestellt gewesen seien und es durch die Existenz einer deutschen Palastwache zu ständigen Kontakten zwischen Deutschen und der Genueser Bevölkerung gekommen sei. In einem zweiten Teil berichtete Zunckel über die in Genua tätigen deutschen Handelshäuser, die sich vor allem auf den Leinenhandel konzentrierten. Ein Großteil sei aus Süddeutschland, insbesondere Augsburg, gekommen, einige auch aus dem rätoromanischen Alpentransitraum. Für letztere habe sich Genua zum Hauptgeschäftsort entwickelt, und durch die Stellung zwischen dem deutschen und italienischen Kulturkreis hätten sich diese Familien stärker in Genua integriert als süddeutsche Kaufleute. Als bedeutendste Persönlichkeit der deutschen Kolonie in Genua identifizierte Zunckel den Feldkircher Christoph Furtenbach, dessen Familie im Mittelpunkt des dritten Teils ihres Vortrags stand. Als Grundstein des Erfolgs der Furtenbach bezeichnete die Referentin die verwandtschaftliche Vernetzung mit oberdeutschen Familien. Christoph Furtenbach habe in großem Umfang auf eigene Rechnung, aber auch im Auftrag bedeutender Handelshäuser wie der Augsburger Fugger und Österreicher Handel getrieben. Trotz ihrer zentralen Funktion in Genua blieben die Furtenbach wie andere Süddeutsche nicht dauerhaft in der Stadt ansässig. Im Laufe des Dreißigjährigen Kriegs endete die Präsenz der Familie in Genua.

Den Abschlussvortrag hielt Roland Paul (Kaiserslautern) über Mennoniten in der Pfalz: Ihr Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung im Vergleich mit anderen Minderheiten. Er führte aus, dass die territorial zersplitterte Pfalz im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts ein Haupteinwanderungsgebiet gewesen sei. Nach dem Dreißigjaährigen Krieg habe der Pfälzer Kurfürst Fremde aller Konfessionen eingeladen, sich in seinem Territorium niederzulassen, um die starken Bevölkerungsverluste auszugleichen. Diesem Aufruf seien viele Migranten gefolgt, unter ihnen Schweizer Mennoniten. Wie in anderen Regionen auch seien diese Zuwanderer für ihre vorbildliche marktorientierte Landwirtschaft bekannt gewesen. Aufgrund der Einführung neuer Methoden, wie dem Kleeanbau oder der Stallfütterung, könne man sie geradezu als Pioniere der Landwirtschaft in der Pfalz bezeichnen. Zum Themenkomplex Integration/Assimilation merkte Paul an, dass die Mennoniten vor allem aufgrund ihrer Konfession weitgehend unter sich geblieben seien.

Die Tagung endete mit einer Schlussrunde, in der sich die TeilnehmerInnen Gedanken über die weitere Tätigkeit des Arbeitskreises machten. Es wurde festgehalten, dass auch im kommenden Jahr, wiederum im Monat März, eine Tagung in Irsee stattfinden solle. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem vorgeschlagen, neben Vorträgen weitere Arbeitsformen zu erproben, und der Wunsch geäußert, in künftigen Vorträgen konzeptionellen Fragen der jeweiligen Forschungsarbeiten größeren Raum zu widmen. Als Tagungsthema einigte man sich auf das Gebiet Handwerk/Arbeitsorganisation/gewerbliche Produktion. In Form eines ‚Round Table' sollen dabei auch Modelle der Subsistenzökonomie diskutiert werden. Die Initiatoren des Arbeitskreises kündigten an, dafür einen ‚Call for Papers' zu erarbeiten.

Kontakt

Kontakt/Nähere Informationen zum Arbeitskreis:

Mark Haeberlein
Historisches Seminar der
Universitaet Freiburg
KG IV, Werthmannplatz
79085 Freiburg
e-mail: haeber@uni-freiburg.de

Christof Jeggle
Innsbrucker Str. 49a
10825 Berlin
e-mail: cjeggle@wiwiss.fu-berlin.de