Kommunikation von Beobachtung - Beobachtung von Kommunikation. Wechselwirkungen von Medientheorien und kommunikativen Praktiken in der "kommunikologischen Sattelzeit" (1880-1960)

Kommunikation von Beobachtung - Beobachtung von Kommunikation. Wechselwirkungen von Medientheorien und kommunikativen Praktiken in der "kommunikologischen Sattelzeit" (1880-1960)

Organisatoren
Arbeitskreis Geschichte und Theorie; Fritz-Thyssen-Stiftung
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.03.2001 - 24.03.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Habbo Knoch; Daniel Morat, Göttingen

Tagung des "Arbeitskreises Geschichte und Theorie" vom 22. bis 24. Maerz 2001 in Goettingen, Haus am Hagenberg. Gefoerdert durch die Fritz Thyssen Stiftung.

An der Schwelle zu einem neuen "Informationszeitalter" haben medienwissenschaftliche Bemuehungen und Medientheorien Konjunktur, die nicht selten von historischen Interpretationen ausgehen und historische Medientheorien - etwa von Walter Benjamin oder Siegfried Kracauer - auf gegenwaertige Medien- und Kommunikationsverhaeltnisse uebertragen. Damit gehen haeufig Verkuerzungen einher, die insbesondere mit der Entkontextualisierung von Medien und zeitgenoessischen Medientheorien zu tun haben. Medien sind jedoch ebenso Produkte sozialer Praktiken wie sie Kommunikationsverhaeltnisse ihrerseits aendern, Medientheorien entstammen Feldern zeitgenoessischer Auseinandersetzungen darueber, wie Medien Wahrnehmungs- und Kommunikationsmodi veraendern, und die Kommunikation der Beobachtung solcher Medien- und Kommunikationsverhaeltnisse geht selbst in diese ein. Das laesst nach spezifisch historischen Zusammenhaengen von Kommunikationsbeobachtungen und Beobachtungskommunikationen fragen, die auf ihren Anteil fuer die Etablierung und diskursive Einbettung von Medien hin zu untersuchen sind. Vor diesem Hintegrund verfolgte die vom 22. bis 24. Maerz in Goettingen veranstaltete Tagung "Kommunikation von Beobachtung - Beobachtung von Kommunikation" drei Ziele: Erstens sollten an Beispielen aus dem 19. und 20. Jahrhundert Methoden fuer eine Integration der Kommunikations- und Mediengeschichte in die historische Kulturwissenschaft diskutiert werden. Zweitens ging es um die Frage, ob die "lange Jahrhundertwende" zwischen 1880 und 1960, die mit der Etablierung eines Verbunds diversifizierter Massenmedien zusammenfaellt, als Zeitraum einer "kommunikologischen Sattelzeit" periodisierbar ist. Drittens galt das Augenmerk der wechselseitigen Verflechtung von Theoretisierung, Beobachtung und Aneignung von Medienverhaeltnissen und ihrer Veraenderung in diesem Zeitraum als einem besonderen Merkmal der "kommunikologischen Sattelzeit". Mit dieser Tagung setzte der ausrichtende, seit fuenf Jahren bestehende "Arbeitskreis fuer Geschichte und Theorie", der Habilitand/inn/en und Doktorand/inn/en mehrerer deutscher Geschichtsfakultaeten umfasst, seine internen Bemuehungen um eine Historisierung von Kommunikationsverhaeltnissen fort. Sie ist mittelfristiger Arbeitsschwerpunkt, der in weiteren Tagungen ausgebaut werden soll.

Die Tagung wurde mit einem Beitrag von Wolfgang Ernst (Berlin/Paderborn) eroeffnet, der sein Konzept der "Medienarchaeologie" vorstellte und von einer Medien- und Kommunikationsgeschichte als medienpolitischer oder hermeneutischer Historiographie abgrenzte (I). Dem folgten vier thematische Sektionen: (II) Massenmedien und die Politisierung des Beobachtens im 19. Jahrhundert mit Vortraegen von Frank Moeller (Jena) zum Bild des Politikers Heinrich von Gagern in Karikaturen der Revolution von 1848/49 und von Uffa Jensen (Berlin) zu Pamphleten als spezifischem Medium fuer den bildungsbuergerlichen Antisemitismus des Kaiserreiches; (III) Medialisierung von Produkten als kommunikative Praxis mit Beitraegen von Alexander C.T. Geppert (Florenz) zu europaeischen Ausstellungen zwischen 1870 und 1930 als "kommunizierenden Welten", von Andreas Mai (Leipzig) zur Funktion von Inseraten fuer die mediale Konstruktion von Ferienorten im 19. Jahrhundert und von Rainer Gries (Leipzig) mit einem Modell zur konzeptionellen Erfassung von Produkten als Medien; (IV) Medientheorien und die Medialisierung der Sinne in den zwanziger Jahren mit Papieren von Detlev Schoettker (Dresden) zur Entstehung der Medientheorien Arnheims, Benjamins und Kracauers im Exil und deren konzeptionellen Bezuegen, von Daniel Morat (Goettingen) zum intellektuellen Wahrnehungsmodus der "optischen Distanznahme" in den Medientheorien von Benjamin, Juenger und Kracauer und von Habbo Knoch (Goettingen) zur zeitgenoessischen Wahrnehmung des Radio-Hoerens in den zwanziger Jahren; (V) Kommunikation des Sozialen und die Verwissenschaftlichung des Beobachtens mit Beitraegen von Paul Nolte (Bielefeld) zur medialen Praesenz der Soziologie als Beobachtungswissenschaft in den fuenfziger Jahren, von Frank Boesch (Goettingen) zur Professionalisierung von Wahlkampf und Waehlerbeobachtung in der CDU bis Anfang der sechziger Jahre und von Till Koessler (Bochum) zu den Selbstreferenzen und Modi der innerparteilichen Kommunikation der KPD zwischen 1945 und 1960. In einer Schlussdiskussion ging es um die "kommunikologische Sattelzeit" als Periodisierungsangebot (VI).

I. In seinem bewusst als "Provokation" angelegten Beitrag stellte Ernst seinen Ansatz der Medienarchaeologie vor. Er ging dabei von zwei Praemissen aus: Die Geschichtsschreibung habe ihre "essentielle Nachtraeglichkeit" zum Geschehen selbst seit dem 19. Jahrhundert durch narrative Gedaechtnis- und Erzaehlformen kompensiert, die den Blick fuer Diskontinuitaeten und parallele Prozesse (u.a. Erzaehlung vs. Archiv) verstellt haetten. Dies sei mit der Monopolisierung eines hermeneutischen Blicks einhergegangen, der bis heute auch in der historischen Medienwissenschaft, etwa bei den Cultural Studies, ueblich sei. Dagegen wende sich die Medienarchaeologie konsequent der "technischen Logik" von Medien zu, die nicht-diskursiv sei und auch nicht aus der anthropologischen Perspektive nachvollzogen werden koenne. Ernsts Feststellung, dieser nicht-inhaltistische Zugriff trenne die "wohldefinierte Medienwissenschaft", wie er sie versteht, von der hermeneutisch operierenden Kommunikationsgeschichte, bildete mit der darin enthaltenen Frage nach dem Medienbegriff einen Leitfaden der weiteren Tagung: Bedarf es eines engen Begriffs von Medien, der allein auf ihre technische Seite abhebt, die hinreichend in ihrer Innovationsphase erkannt werden kann, bevor das Medium zum "Programm" wird? Sind Medien andererseits ohne die mit ihnen verbundenen Diskurse ueberhaupt beschreibbar? Ernst forderte eine ueber das hermeneutische Vokabular hinausgehende Sprache, in der sich die nicht- diskursiven Eigenschaften und Eigenmaechtigkeiten der Medien ausdruecken liessen. Allerdings blieb unklar und ein wiederkehrender Diskussionspunkt der Tagung, wie dieses Modell umgesetzt und in die notwendigerweise diskursive Geschichtswissenschaft rueckgekoppelt werden koennte. Damit stellte sich auch die Frage, ob die technizistische Analysesprache nicht selbst historisch ist und historisiert werden muss, womit die strikte Trennung zwischen hermeneutischem und technizistischem Zugang aufgehoben waere.

II. In den Beitraegen von Moeller und Jensen kamen zwei unterschiedliche Ansaetze im Umgang mit Medien am Beispiel zweier klassischer Printmedien und deren Verwendung im 19. Jahrhundert zum Ausdruck. Moeller analysierte die Karikaturen als "Spiegel" der oeffentlichen Meinung ueber von Gagern und interpretierte sie als Teil einer charismatischen Aufladung des Politikers in der Revolutionsoeffentlichkeit. Die grosse Verbreitung und rasche Produzierbarkeit der Karikaturen trugen, so Moeller, erheblich zur Personalisierung der Nationalversammlung und zur oeffentlichen Manifestierung von charakterlichen Zuschreibungen im Falle von Gagerns bei, wobei sich dies sogar an den deutlich selteneren kritischen Karikaturen erkennen lasse. Charismatische Eigenschaften seien in von Gagerns Fall als Produkt eines Kommunikationssystems zu erkennen, in dem die Karikaturen einen breiten, ueber die politischen Lager hinweg geteilten ikonographischen Kanon bereitstellten. Jensen widmete hingegen dem Medium selbst mehr Aufmerksamkeit und sah in der Tatsache, dass der bildungsbuergerliche Antisemitismus im Kaiserreich sich insbesondere des Pamphlets bediente, einen Ausdruck der kulturellen Verunsicherung des Buergertums. Es habe seine Deutungshoheit durch die Wahrnehmung eines wachsenden juedischen Einflusses auf die Medien gefaehrdet gesehen und das Pamphlet als unabhaengiges, schnelles und polemisches Medium genutzt, um mit Hilfe der "Judenfrage" die vermeintliche Fuehrungsstellung im oeffentlichen Kommunikationsraum zurueckzugewinnen. Beide Vortraege riefen Fragen nach den jeweiligen Gebrauchsweisen der Karikaturen und Pamphlete hervor, die insbesondere im Falle der Karikaturen erst hinreichend Aufschluss darueber geben koennten, ob sich die Bildelemente auch zeitgenoessisch zu einem charismatischen Eindruck einer Person verdichteten. Die unterschiedlichen Faelle zeigten, dass sich zwar ein hohes Mass an Intertextualitaet und Intervisualitaet, aber nur wenig Reflexion auf die Eigenschaften des Mediums selbst oder gar eine Theoretisierung derselben feststellen laesst. Diese medienimmanten Beobachtungsdynamik hat nicht zuletzt mit der medieneigenen Entstehungs- und Verbreitungsgeschwindigkeit zu tun. Im Hinblick auf die "kommunikologische Sattelzeit" kam wegen der Printmedienentwicklung im 19. Jahrhundert Zweifel daran auf, ob sich bereits die Mediensituation von 1848/49 als "Kommunikationsrevolution" bezeichnen laesst und die Politiker-Karikaturen nicht gerade Ausweis eines buergerlichen Kommunikatonsraumes waren. Andererseits liessen die Verwendungsformen der Pamphlete noch wenig Anhaltspunkte fuer eine grundlegende Veraenderung der medialen Kommunikationsverhaeltnisse erkennen, eben weil die "Judenfrage" primaer in einem, zumal noch bildungsbuergerlich begrenzten Medium und nicht etwa in einem Medienverbund mit einer "zerstreuten Oeffentlichkeit" diskutiert wurde.

III. Der Funktion von Medien fuer die Erzeugung und Kommunikation von Vorstellungen waren die Vortraege von Geppert, Mai und Gries gewidmet. Geppert vermochte zu zeigen, wie die zahlreichen Welt-, Kolonial- und Gewerbeausstellungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu Produkten ihrer eigenen Form wurden, die kaum und wenn, dann nur graduelle Veraenderungen zuliessen. Gleichzeitig aber kam es zu einer dichten Selbst- und Fremdreflexion in der Beobachtung der Ausstellungen, die sie als Symptom und Manifestation gesellschaftlicher Entwicklungen deuteten und selbst wiederum das "Dispositiv" der Ausstellung medial verstaerkten. Mehr auf die kommunizierten Vorstellungen selbst ging Mai ein, der anhand von Werbeinseraten fuer Ferienziele und Ferienwohnungen in "Sommerfrischen" des 19. Jahrhunderts deutlich machte, wie sich das veraenderte Nutzerverhalten mit zum Beispiel kuerzerer Verweildauer und groesseren Besucherzahlen auf die Werbestrategien auswirkte. Es kam zu einer ausfuehrlicheren Beschreibung der Angebote und zu einer Standardisierung der Inseratsformen, in denen sich die Erwartungen der Gaeste und das Vertrauensangebot der Vermieter in wechselseitiger Beobachtung niederschlugen. Gries stellte schliesslich ein Modell vor, dass vor dem Hintergrund der Veraenderung in Konsum- und Werbepraxis Produkte als Medien beschrieb, die diesen besonderen Status spaetestens in den sechziger Jahren eingenommen haetten. Im Produkt als Medium fielen nun Materialitaet, Zeichencharakter und Medialitaet zusammen. Nur so liesse sich die "lange Dauer" von Produktmarken ueber ihre materiellen Veraenderungen hinaus erklaeren. Alle drei Beitraege machten deutlich, von welcher Bedeutung zirkulare Prozesse fuer die Kommunikation von "Produkten" - Ausstellungen, Ferienwohnungen oder Konsumguetern - sind und welche Rolle dabei Wahrnehmungen und der Beobachtung von Wahrnehmungen und den mit ihnen vorhandenen Beduerfnissen zukommt. Die Theoretisierung bewegte sich dabei historisch auf unterschiedlichen Niveaus, in denen sich die Spezifik der einzelnen Medien (mehr bei den resonanzheischenden Ausstellungen, weniger beim Massenprodukt Inserat) und die Verwissenschaftlichung im Zeitraum der "kommunikologischen Sattelzeit" niederschlaegt. Gleichzeitig waren alle Vortraege eine Herausforderung der klassischen Mediengeschichte, die in der Regel von einem engen, auf die klassischen Massenkommunikationsmedien bezogenen Medienbegriff ausgeht. Nur unzureichend deutlich wurde die spezifische und zu historisierende Beziehung zwischen der Materialitaet der Medien und der Sinnlichkeit der jeweiligen Produkte und ihrer Medialisierung. Ausstellungen, Inserate und beworbene Produkte sind fuer die entstehende Massengesellschaft zentrale Medien einer an die Nutzer rueckgekoppelten Produktion von moderner Sinnlichkeit, die auf der Suggestion einer authentischen Anmutungsqualitaet des Produkts beruht.

IV. Die Medialisierung der Sinne erwies sich als ein Band zwischen den Texten von Schoettker, Morat und Knoch, die der Medienreflexion und den Medientheorien der zwanziger und dreissiger Jahren gewidmet waren. Schoettker konnte zeigen, dass die Medientheorien von Arnheim, Benjamin und Kracauer im intellektuellen Feld des Exils breiter zu verorten sind und Kooperationen oder Konflikte zwischen Arnheim und Lazarsfeld, Adorno und Benjamin oder Kracauer und Panofsky der vermeintlichen Einheit einer kritischen Mediensoziologie ein sehr viel differenzierteres Gesicht geben, was sich etwa an den fundamental verschiedenen Filmtheorien von Arnheim und Kracauer zeigen lasse. Morat arbeitete den intellektuellen Wahrnehmungsmodus der "optischen Distanznahme", der Sehen und Dabeisein vom Erleben und Empfinden trennt und einem modernen Wahrnehmungsmuster von Medien entspricht, als Gemeinsamkeit von Benjamin, Kracauer und Ernst Juenger und als zentrales Signum der medientheoretischen Reflexion der Zeit heraus. Trotz der unterschiedlichen politischen Konsequenzen manifestiere sich in diesem Modus eine gemeinsame, durch Reizueberflutung gekennzeichnete Wahrnehmungserfahrung, die als "innere Medialitaet" den Medientheorien eingeschrieben sei. Knoch deutete die intensive Auseinandersetzung mit dem Radio in den zwanziger Jahren als Phaenomen einer Reduktion kommunikativer Komplexitaet, die durch die neuen Kommunikationsmoeglichkeiten entstanden war. Beobachtungen und Rezeptionsformen liessen sich unter der Suche nach Authentizitaet und einem spezifisch "Funkischen" zusammenfassen, dessen religioese Ueberhoehung die so zerstreute wie programmierte Volksgemeinschaft vorbereitete. Die Beitraege zeigten, wie eng die reflexive Begleitung der audiovisuellen Medienrevolution in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit der Verarbeitung von Wahrnehmungen verbunden war. Dahinter traten die Medien als technische Gegenstaende oder die Medienpolitik deutlich zurueck. Allerdings konnte auch hier nur ansatzweise gezeigt werden, ob sich die genannten Reflexionen ueber die Transformation der Sinne auch ausserhalb des Kanons der bekannten Medientheoretiker finden lassen. Die Beobachtungen der Medien waren zudem noch immanenter Bestandteil eines Kontroll- und Entwicklungsdiskurses der Medien selbst, der sich noch nicht nach wissenschaftlichen Kriterien selbst beobachtete. V. Die zweite Nachkriegszeit bildete den zeitlichen Bezugsrahmen der Beitraege von Nolte, Boesch und Koessler. Ausgehend von Luhmanns Kommunikationstheorie zeigte Nolte, wie insbesondere Adorno, Horkheimer, Schelsky und Koenig ihre empirische Soziologie als Grundlage eines zirkulierenden Kommunikationsprozesses verstanden, in dem die kontrollierte Beobachtung der Gesellschaft in ihren Selbstverstaendigungsdiskurs zurueckgespeist werden musste. Unter intensiver Nutzung des Rundfunks entwickelte diese Stroemung der westdeutschen Nachkriegssoziologie einen ausgepraegt oeffentlichen und interventionistischen Charakter, in dem sich Wissenschaftler zugunsten der Wahrnehmung einer oeffentlichen Rolle ueber ihre eigenen Vorbehalte gegen eine Popularisierung soziologischen Wissens hinwegsetzten. Boeschs Beitrag unterstrich die Bedeutung der zirkulierenden Rueckkopplung am Beispiel der Wahlkaempfe der CDU in den fuenfziger Jahren. Waehrend und weil es nicht gelang, eine der Regierung gegenueber loyale Presse zu etablieren, gewann eine Aussendarstellung an Gewicht, die sich der Massenbeobachtungserkenntnisse der Werbung institutionell wie methodisch bediente. Auch in Form der Demoskopie wurde die Waehlerbeobachtung somit frueh zum integralen Bestandteil einer Imagepolitik, die sich mehr an die Lebenseinstellungen als an die politischen Ueberzeugungen der Gesellschaft richtete. Der inneren Parteikommunikation wandte sich Koessler am Beispiel der KPD zu. In der Situation einer doppelten Aussenbeobachtung durch die westdeutsche Oeffentlichkeit und die SED entfaltete sich in den Parteigremien ein intensiver Selbstbeoachtungsapparat mit einem entsprechenden Diskurs und wiederholten Reparaturmassnahmen. Diese beruhten auf der Annahme inhaltlicher Wahrheit, die nur anders kommuniziert werden muesse. Das Ideal des "panoptischen Blicks" sollte der Ueberwindung kommunikatorischer Defizite dienen, befoerderte letztlich aber nur die innerparteiliche Erstarrung und Entfremdung. An der Schnittstelle von Politik, Oeffentlichkeit und soziologischer Beobachtung entfaltete sich in den fuenfziger Jahren eine mehrschichtige Auseinandersetzung mit der Funktionsweise moderner Massenkommunikation, auf die wiederum gezielt, wenn auch nicht immer erfolgreich mit eigenen kommunikativen Strategien reagiert wurde. Allerdings muss noch genauer gefragt werden, inwieweit diese Rueckkopplung von Kommunikationsbeobachtungen fuer die fuenfziger Jahre spezifisch war oder nicht bereits in der NS-Zeit praktiziert wurde. Auch eine Uebersystematisierung dieser Beobachtungen von Kommunikation und der Umsetzung in kommunikative Praktiken ist zu vermeiden, wie die zahlreichen Beispiele pragmatischer Vorgehensweisen und konzeptioneller Irrwege zeigten.

VI. Die Schlussdiskussion machte deutlich, dass der Begriff der "kommunikologischen Sattelzeit" ein reizvolles Angebot darstellt, um die Veraenderungen der Kommunikations- und Medienverhaeltnisse waehrend der "langen Jahrhundertwende" zu fassen. Die zeitlichen Raender blieben, ausgehend von der Tagungseinteilung 1880 bis 1960, noch naeher zu bestimmen. Aber es laesst sich eine spezifische Verdichtung von medialen Innovationen, einer massenhaften Verbreitung mit einer entsprechenden Ausweitung von Zugangsmoeglichkeiten und Zugehoerigkeit, eine Technifizierung der zeitlich direkten Kommunikation unter Nichtanwesenden, eine immense Beschleunigung der Informationsweitergabe bis hin zum Life-Prinzip und eine intensivierte Selbstbeobachtung dieser Veraenderungen feststellen. Allerdings ist dieser Befund noch weiter zu praezisieren: Wie laesst sich diese Verdichtung etwa mit dem in etwa zeitgleichen Phaenomen der "Verwissenschaftlichung des Sozialen" zusammenbringen? Wie verhaelt sich das im Rahmen der Tagung weitgehend an deutschen Beispielen gewonnene Bild, wenn man die Situation in anderen Laendern naeher betrachtet? Liegt der Theoriefoermigkeit von Beobachtung und der Suche nach ihr eine bestimmte intellektuelle Kultur zugrunde, die sich etwa in den USA so nicht findet? Wie lassen sich Formen des kulturellen Transfers hierbei naeher bestimmen? Methodisch ist dabei eine praezisere Bestimmung des Konzepts der "Beobachtung" erforderlich, das selbst historisiert werden muss. Eine Herausforderung, die auf der Tagung wiederholt aufschien, wird die genauere Bestimmung des Verhaeltnisses von Medien und Kommunikation entlang der unterschiedlichen Zugangsweisen - hermeneutisch oder technizistisch - sein. Da Medien sich immer erst in der Kommunikation realisieren, sind sie per se diskursive Objekte oder selbst Produkte eines kommunikativen Beobachtungssystems. Als Medien entwickeln sie jedoch aufgrund ihrer technischen Struktur eine Eigendynamik, die sich moeglicherweise der sprachlichen Erfassung entzieht, fuer die Erklaerung ihrer Genese und Durchsetzung aber wesentlich ist. Die zeitgenoessischen Diskurse sind dementsprechend selbst auf das Verhaeltnis von Sagbarem und Ungesagtem hin zu betrachten, worauf auch der bezeichnenderweise mehrfach im Verlauf der Tagung verwendete Begriff des "Fluechtigen" hinweist. Medien- und Kommunikationsgeschichte wird dadurch zur Spurensuche, die ihre eigene Beobachterposition historisieren muss, um sich der Verfertigung des Medialen in der Kommunikation annaehern zu koennen.


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