Vormoderne politische Verfahren zwischen symbolischer und technischer Form

Vormoderne politische Verfahren zwischen symbolischer und technischer Form

Organisatoren
Barbara Stollberg-Rilinger, Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.1999 - 24.09.1999
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Von
Michael Sikora, Westfälische Wilhelms Universität Münster

"Modernes politisches Handeln, so hat es oft den Anschein, vollzieht sich gemäß technisch-instrumentellen Geschäfts- und Verfahrensordnungen, idealerweise Grundwerte der Demokratie spiegelnd: Offenheit, Diskursivität, Transparenz. Zeremonielle Akte wie etwa eine Amtseinführung werden als Ornament akzeptiert, gelten aber bestenfalls als überflüssig. Schlimmerenfalls werden sie als Medientheater oder, schlimmstenfalls, als Herrschaftsrituale denunziert, die einer vordemokratischen Epoche, eben der Vormoderne zugeschrieben werden. In diesem Sinne stehen politische Zeremonien für Unverhandelbarkeit, Hierarchie, transzendent legitimierte Ordnungen.

Diese irreführende Schematisierung zur Debatte zu stellen, war das Anliegen der Tagung, wie Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) als Veranstalterin in ihrer Einführung erläuterte. Dass auch die repräsentative Demokratie gar nicht ohne symbolisch-expressive Elemente auskommen kann, werde in der Politikwissenschaft schon lange diskutiert. Noch weniger aber liessen sich technische und symbolische Aspekte für die Vormoderne trennen. Die technisch organisierte Herbeiführung von Entscheidungen falle mit ihrer symbolisch vermittelten Sinnstiftung zusammen. Auf der Grundlage dieser engen Verweisung ziele das Tagungskonzept darauf, Engführungen einer normativ orientierten Verfassungsgeschichte durch kulturgeschichtliche Fragestellungen zu erweitern, um sozusagen "den ganzen politischen Körper" zu thematisieren.

Um die Beziehungen zwischen symbolischen und technischen Verfahrensmomenten und deren Wandel schärfer zu fassen, wurde der Begriff der Verfahrensautonomie eingeführt, der - in loser Anlehnung an Niklas Luhmann - die Selbständigkeit oder Abhängigkeit eines Verfahrens gegenüber den Strukturen seiner Umwelt bezeichnet. Anzunehmen wäre dann, dass mit zunehmender Autonomie die Verfahren von der Funktion entlastet werden, gesamtgesellschaftliche Strukturen zeremoniell abzubilden und zu legitimieren. Damit müßten sich die Spielräume für technische Formen erweitern und zugleich diejenigen symbolischen Elemente zunehmen, die dazu dienen, das Verfahren selbst, seine immanente Logik, seine spezifischen Rollen etc. darzustellen und gegenüber der Umwelt abzugrenzen.

Michael Sikora (Münster) stellte im Anschluß daran zum Thema "Der Sinn des Verfahrens" soziologische Deutungsangebote vor. Max Weber sah im Glauben an formal richtiges Zustandekommen von Satzungen einen möglichen Geltungsgrund einer Ordnung. Niklas Luhmann hat diesen noch unspezifizierten Zusammenhang zwischen Verfahren und Legitimtät als Lernprozeß gedeutet. Die theoretischen Prämissen binden die soziologische Debatte allerdings an Konzepte von Modernität, die epochenspezifische Unterschiede betonen. Aus dem Lernmodell lassen sich aber generalisierbare Merkmale ableiten, an denen legitimierende Wirkungen politischer Verfahrensweisen plausibel gemacht werden können, etwa das Kriterium der Offenheit einer Entscheidung, Aspekte der Institutionalisierung, der Teilnahmevoraussetzungen oder der Einbindung von Öffentlichkeit.

Gerd Althoff (Münster) führte an Beispielen für "Beratungen über die Gestaltung zeremonieller und ritueller Verfahren im Mittelalter" vor, dass ritualisiertes Handeln, verstanden als wiedererkennbare Ketten von Handlungen und Zeichen, keineswegs statisch gehandhabt worden ist. Nichtöffentliche Absprachen etwa über die Gestaltung einer Versöhnungszeremonie lassen vielmehr erkennen, dass die Elemente symbolischer Akte verändert und kombiniert werden konnten. Die Beratungen über ein Ritual stellten daher, etwa in Form einer Vermittlung, ein Verfahren dar, das reflektierten und planmäßigen Umgang mit politischen Zeremonien anzeigt. Dadurch wurde nicht zuletzt die Verständlichkeit der anschließenden Rituale gewährleistet, die notwendig war, weil die Zeremonien nicht nur Bestehendes abbilden sollten, sondern auch verbindliche Versprechen für die Zukunft zum Ausdruck brachten.

Die erste Sektion unter Leitung von Gerd Althoff behandelte Verfahrensfragen innerhalb des kirchlichen Bereichs. Klaus Schreiner (Bielefeld) spürte Zusammenhängen zwischen Rechtsformen und Ritualen bei der Ein- und Absetzung kirchlicher Amtsträger im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit nach. Demnach vollzog sich die Wahl eines Bischofs in geregelten, aber handlungspragmatischen, nicht an Gesten und Zeichen gebundenen Verfahren. Die anschließenden Rituale, etwa die Altarsetzung, aber auch umgekehrt die Entkleidung im Falle der Degradation, stellten Öffentlichkeit her und steigerten die Bindungskraft des rationalen Verfahren durch religiöse Legitimationen. Unstimmigkeiten über Einsetzungsrituale, die mitunter erst Jahre nach der Wahl vollzogen wurden, konnten vor diesem Hintergrund die Spannungen zwischen der kirchlichen Wahl und der Einsetzung in städtische Herrschaftsrechte offenbaren.

In ihrem Referat über "die Bischofswahl zwischen Westfälischem Frieden und Ende des Alten Reiches" ging Silvia Schraut (Tübingen) den Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen nach. Die Auswahl der Kandidaten stand demnach in engem Zusammenhang mit der ständisch-regionalen Verortung des Domkapitels, mußte aber gegen fürstliche und, vor allem in Süddeutschland, gegen kaiserliche Einflußnahmen behauptet werden. An Würzburger Beispielen zeichnete die Referentin nach, dass der Entscheidungsprozeß jedoch schon vor dem Wahlakt vollzogen wurde. Gerade vor dem Hintergrund der symbolischen Inszenierung kaiserlicher Ansprüche durch den zeremoniellen Vortrag von Wahlvorschlägen stellte sich die Wahlhandlung demnach vor allem als ebenso symbolische Behauptung der Wahlfreiheit des Domkapitels dar.

Johannes Helmrath (Berlin) nahm "Rangstreit und Rangordnung" auf den Konzilien von Konstanz und Basel in den Blick. Die Umbildung der älteren Bischofssynode zu einem europäischen Gesandtenkongreß erreichte in Basel, wo elf Könige vertreten waren, ihren Höhepunkt. Damit drangen Rangkonflikte ins Konzil ein, die von geistlicher Seite, deren Rangordnung nach kirchenrechtlichen Kriterien geregelt werden konnte, kritisch wahrgenommen wurden. Typischerweise spielten sich die Auseinandersetzungen zwischen fast ranggleichen Mächten ab und spiegelten unmittelbar, etwa im Falle Englands oder Burgunds, die Verschiebungen politischer Gewichte. Im Zuge der Protestationsverfahren wurden die Ansprüche in öffentlichen Debatten verfochten, die als Argument insbesondere Herkunftslegenden beschworen. So vertraten schwedische Gesandte hier erstmals gotizistische Vorstellungen.

Eine zweite Sektion umfaßte Beiträge zur Reichsgeschichte und wurde von Albrecht P. Luttenberger (Regensburg) moderiert. Johannes Kunisch (Köln) erörterte "Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356" und führte zunächst exemplarisch einige der detaillierten Sitz- und Tischordnungen vor. Die Rangreihenfolge sei zwar nicht neu gewesen, wohl aber ihre schriftliche und rechtliche Fixierung. Kunisch betonte die politische Zweckrationalität, die auf die Vermeidung von Konflikten zielte und parallel auch in anderen Teilen der Goldenen Bulle, etwa den Erbfolgeregelungen, zum Ausdruck kam.

In seinem anschließenden Beitrag über "Reichsständische Verfahrensformen" konnte Helmut Neuhaus (Erlangen) an plastische Beispiele von Rangstreitigkeiten auf Reichstagen anknüpfen. Als strukturelles Merkmal arbeitete er neben ungeklärten Rangfolgen Widersprüche zwischen zwei sich überlagernden Prinzipien heraus, die sich einerseits auf lehnsrechtliche, andererseits auf korporationsrechtliche Argumente stützten. Deshalb kam es beispielsweise zu Konflikten zwischen anwesenden Fürsten und Räten als Repräsentanten abwesender Fürsten oder zu Unklarheiten, ob die Repräsentanten der Reichskreise qua Kreisamt oder qua Reichsstandschaft einzuordnen waren.

Als speziellen Fall reichsständischer Rangstreitigkeiten skizzierte Axel Gotthard (Erlangen) "Die Versinnbildlichung der kurfürstlichen Präeminenz in Verfahren und Zeremoniell". Dem Anspruch der Kurfürsten auf Präeminenz trat im Laufe des 17. Jahrhunderts eine Fürstenpartei mit der Forderung nach Parification entgegen. Der Konflikt gewann vor dem Hintergrund des werdenden Völkerrechts besondere Bedeutung, insofern die Kurfürsten nach Gleichrangigkeit mit den europäischen Souveränen strebten. Besonders symbolträchtige Schauplätze stellten neben dem Reichstag die wählenden Kurfürstentage dar. Zur Beschwörung des freien Wahlrechts gehörte es, den Wahlakt von äußeren Einflüssen zu befreien, etwa durch "ausschaffung" Unbeteiligter und insbesondere der konkurrierenden Reichsfürsten. Deren Widerstand markiert die allmähliche Schwächung der kurfürstlichen Position.

Zwei weitere Beiträge widmeten sich politischen Formationen unterhalb der Reichsebene. Stefan Brakensiek (Bielefeld) führte durch die Sektion, in der zunächst Esther-Beate Körber (Berlin) über die "Landtage im Herzogtum Preußen" sprach. Die Landtage symbolisierten das Land als Personenverband ungleicher Stände, wie dies in der Auswahl der Deputierten durch die freien Landbesitzer und in den getrennten Beratungen der Kurien zum Ausdruck kam. Waren auch die Deputierten an die Weisung ihrer Wähler gebunden, so wurden die Beratungen doch gegenüber der weiteren Öffentlichkeit abgeschottet. Ziel war die Herstellung von Konsens, da mangels Durchsetzungsmöglichkeiten weniger die Richtigkeit als die Akzeptanz die Befolgung der Beschlüsse gewährleistete.

Michael Kaiser (Köln) führte am Beispiel der katholischen Liga vor, welche Verfahrensformen und -probleme im Blick auf "Ständische Sonderbünde im Alten Reich" beobachtet werden können. Gegenüber der Geschlossenheit demonstrierenden Selbstdarstellung der Liga betonte er die vielfältigen inneren Differenzierungen, die entsprechend komplexe Entscheidungsprozesse jenseits des formellen Verfahrens nach sich zogen. Dazu zählten Fraktionsbildungen wie etwa die der mindermächtigen oberländischen Stände oder die schwer zuzuordnenden Sonderberatungen der geistlichen Kurfürsten. Gegenüber den mitunter nur durch Majorität herbeigeführten Beschlüssen konnten die Mitglieder Vorbehalte in unterschiedlicher Intensität geltend machen; selbst die Mitgliedschaft in der Liga ließ sich oft nicht eindeutig bestimmen.

Einem besonderen Problem widmete sich Milos Vec (Frankfurt/Main), der den Wandel diplomatischer Verfahrensformen vom 18. ins 19. Jahrhundert untersuchte. Bis zum Ende des Ancien Régime hatten sich demnach differenzierte Rangklassifizierungen der Gesandten entwickelt, die die Unterschiede zwischen den entsendenden Mächten symbolisierten. Das Vertragsvölkerrecht des frühen 19. Jahrhunderts löste die Rangfragen jedoch von der Würdigkeit der Mächte, wodurch der Gesandtschaftsverkehr seine Funktion änderte und Zeremonialfragen für das Staatsrecht zunehmend irrelevant wurden. Das dürfe aber nicht als Ablösung symbolischer durch vermeintlich moderne, technisch-effektive Formen mißverstanden werden. Zeitgenössischen Funktionszuschreibungen zufolge komme darin eher eine Verschiebung symbolischer Inhalte auf das Prinzip Gleichheit zum Ausdruck.

Die vierte Sektion, moderiert von Wolfgang Mager (Bielefeld), lenkte den Blick auf westeuropäische politische Systeme. Gerrit Walther (Frankfurt/Main) stellte unter dem Titel "Der andere Körper des Königs" eine pointierte Deutung des politischen Verfahrens der französischen Generalstände im Zeitalter der Religionskriege vor. Seine Definitionsmacht eröffnete dem König rund 70 Jahre nach den letzten mittelalterlichen Generalständen Spielräume, an denen die Kraft zeremonieller Elemente besonders deutlich geworden ist. Die Gestaltung der Plenarsitzungen als Inszenierungen politischer Einheit in Gestalt des Königs zielte darauf, die Vorhaltungen der Opposition zu entkräften, zwang zudem deren Häupter zur Einordnung ins Ritual und schürte im Ringen um die Sitzordnung Zwietracht zwischen den Gegnern des Königs.

Unter der Leitfrage "Krisenbewältigung durch Verfahren?" analysierte Lothar Schilling (Frankfurt/Main) die Funktionen konsensualer Gesetzgebung im Frankreich des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die Einbeziehung der Generalstände stellte demnach ein hohes Maß an Öffentlichkeit her, das als Antwort auf eine als Krise empfundene Unsicherheit der Rechtsverhältnisse gedeutet werden kann. Die Funktion dieser im einzelnen unterschiedlichen Verfahren bestand aber nicht in der Legitimation einer als beliebig empfundenen Positivität des Rechts im Sinne Luhmanns, sondern gerade in deren Begrenzung und symbolisch-expressiver Rückbindung an eine traditional verstandene Rechtsordnung. Die Verfahren standen überdies in gespannter Polarität zur sorgfältig verteidigten Autorität des königlichen Willens als unverzichtbarem Geltungsgrund.

Ronald G. Asch (Osnabrück) zeichnete die Entwicklung von "Zeremoniell und Verfahren des englischen Parlaments zwischen Normierung und Innovation" bis zum Beginn des Bürgerkriegs nach. Beide Häuser brachten im Laufe des späten 16. Jahrhunderts eine Standardisierung der Gesetzgebung hervor, die bei allem Streben nach Konsens kontroverse Entscheidungen zuließ und durch klare Regeln legitimierte. Erst auf dieser Grundlage konnte sich die Mehrheit des Parlaments 1642 gegen den König stellen, doch fehlten Mechanismen zur Überbrückung der Gegensätze zwischen zunehmendem Zwang zum Konsens und zunehmender Bereitschaft zur Infragestellung von Mehrheitsbeschlüssen. Als Schwäche erwies sich überdies, dass das Unterhaus der auf Oberhaus und König zugeschnittenen zeremoniellen Selbstdarstellung kaum republikanische Formen entgegenstellen konnte.

Die beiden letzten Vorträge bezogen schließlich auch die kommunale Ebene in die Überlegungen ein. Norbert Schindler (Konstanz) leitete die Sektion, in der zunächst Dietrich Poeck (Münster) über symbolische Zeichen der Ratswahlen in europäischen Städten sprach: "Zahl, Tag, Stuhl". Durch Sakralisierung der Ratswahl in dauerhaft festgehaltenen Formen im Sinne eines Übergangsritus' vergewisserten sich Rat und Bürger der Fundamente ihrer städtischen Ordnung. Die ganz überwiegend zu beobachtende Festlegung der Zahl der Ratsherren auf zwölf oder ein Mehrfaches dessen verwies auf das himmlische Jerusalem. Das feste Datum der Ratswahlen gründete sich oft auf den Stadtpatron, glich sich aber auch im Sinne von "Wahltagslandschaften" regional an. Die Einsetzung ins Ratsgestühl brachte symbolisch die Übernahme der Verantwortung zum Ausdruck.

Unter dem zeitgenössischen Motto "Nichts wollten sie tun ohne die Zustimmung ihrer Bürger" stellte Ulrich Meier (Bielefeld) einige der teilweise hochkomplizierten Wahl- und Entscheidungsverfahren vor, die im spätmittelalterlichen Florenz praktiziert wurden. Extrem kurze Wahlperioden, Losverfahren und gestufte Beratungs- und Akklamationsformen kombinierten demnach die Herrschaft einer kleine Gruppe mit breiten Partizipationschancen und erzeugten einen hohen Konsensdruck. Zeitgenössische Zeugnisse belegten die starke Integrations- und Identifikationswirkung, die von diesen Verfahren ausging. Meier hob hervor, dass auf die Weise Manipulationen verhindert und die konkurrierenden Magnatenfamilien in eine gemeinsame Stadtregierung eingebunden werden sollten. Trotz der komplizierten Verfahren bewies das System jahrzehntelang Effizienz und Stabilität.

Insgesamt wurde deutlich, wie wichtig es für das Verständnis politischer Verfahren ist, neben den technisch-instumentellen immer auch die symbolisch-expressiven Momente ins Auge zu fassen. So zeigten etwa die Beiträge über Bischofs-, Königs- und Ämterwahlen, dass die instrumentelle Funktion der Wahlverfahren (nämlich die Entscheidungsfindung) durchaus hinter den expressiven Funktionen (etwa: kollektive Integration, Machtbehauptung des Wahlgremiums etc.) zurücktreten konnte. Ähnliches gilt für ständische Versammlungen: Die expressiven Funktionen von Sitz und Stimme (Rangzuweisung, Demonstration von Partizipation etc.) wurden von den Beteiligten mindestens ebenso wichtig genommen wie der (oft nur geringe) faktische Einfluß auf den Entscheidungsprozess.

Eine vielfach berührte, aber nach wie vor offene Frage ist die nach dem langfristigen Wandel im Verhältnis zwischen symbolischen und technischen Verfahrensformen und nach den Gründen für die zu beobachtende Konzentration von Konflikten um symbolische Verfahrenselemente in bestimmten Epochen - so vor allem die besondere Häufung von Rangkonflikten im 17. Jahrhundert.

Hierzu wurden in der Schlußdiskussion verschiedene Thesen vorgeschlagen. Zum einen scheint die Bedeutung der Konsensfindung, auf die in mehreren Beiträgen hingewiesen worden war, abgenommen zu haben. Konsens war notwendig, wo für politische Entscheidungen transzendente Legitimtität beansprucht wurde. Daraus folgt die zentrale Funktion des Rituals in der Vormoderne, das den unter Umständen konfliktreichen, aber nicht öffentlichen Entscheidungsprozess abschloss und dessen Ergebnis als von Konsens getragen inszenierte und in Kraft setzte. Hier könnte ein wesentlicher Unterschied gegenüber der pluralistischen Moderne liegen, die den Dissens in das politische Normensystem integriert hat. Dadurch verlor die legitimitätsstiftende Wirkung von Konsensritualen tendenziell an Bedeutung (ohne sie ganz zu verlieren), während das Verfahren der Entscheidungsfindung in seiner Kontroversität selbst zum Gegenstand öffentlicher, symbolisch-expressiver Inszenierung werden konnte und dadurch seinerseits legitimitätsstiftende Kraft gewann.

Zum anderen scheint die Bedeutung physischer Präsenz (auf der die Wirksamkeit von symbolisch-expressiven Verfahrenselementen beruht) durch die Prozeß der Verschriftlichung (z. B. durch Protokollführung in Ständeversammlungen) abgenommen zu haben. Erklärungsbedürftig ist dann allerdings das jahrhundertelange Nebeneinander schriftlicher und ritueller Formen. Das Beispiel des Lit de justice zeigt etwa, dass im 18. Jahrhundert der körperlichen Präsenz des französischen Königs nach wie vor rechtsverbindliche Wirkung zukam, die nicht durch die Unterschrift unter eine Urkunde ersetzt werden konnte. Körperliche Präsenz der Beteiligten ist - wie in der vormodernen Ständeversammlung, so auch heute noch - wesentlich, um diese in ein politisches Verfahren zu verwickeln und so die Akzeptanz des Ergebnisses zu erhöhen. Allerdings bestehen unübersehbare Unterschiede, was das Verhältnis der unmittelbar persönlich am Verfahren Beteiligten zu der jeweils relevanten Öffentlichkeit und deren Partizipationsanspruch betrifft. Damit wäre das weite Feld der Repräsentationstheorie berührt, das über das Tagungsthema hinausweist.

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