8. Alzeyer Kolloquium: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich

8. Alzeyer Kolloquium: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich

Organisatoren
Institut für Geschichtliche Landeskunde
Ort
Alzey
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.10.1999 - 16.10.1999
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Von
Sigrid Schmitt, Institut für Geschichtliche Landeskunde, Universität Mainz

Im Mittelpunkt der Tagung stand der funktionale und strukturelle Wandel von Hospitälern, der partiell bereits seit dem 13. Jahrhundert, insbesondere aber im Verlaufe des 14. und 15. Jahrhunderts in einzelnen Einrichtungen und Hospitalensembles zu konstatieren ist. Dabei handelte es sich teilweise um sehr individuelle Phänomene einzelner Einrichtungen, aber im Vergleich lassen sich auch interessante Gemeinsamkeiten feststellen - nicht zuletzt die spezifisch typologischen Auffächerungen, die bereits auf Entwicklungen der Moderne verweisen. Zum Hintergrund: Nach der Jahrtausendwende war in zahlreichen europäischen Landschaften ein enormer Zuwachs an wohltätigen Institutionen im Zusammenhang mit demographischem Wachstum, Landesausbau und Urbanisierung festzustellen. Über bereits bestehende Hospitäler hinaus entstanden in schneller Folge Fürsorgeeinrichtungen, zunächst unter der Aufsicht von Klöstern, Bischöfen und Stiften, seit dem 12. Jahrhundert dann auch in bürgerlich-städtischer Regie, bisweilen unter gemeinsamer Leitung von Klerikern und Laien. Über frühmittelalterliche Ansätze hinaus wuchs die Zahl der spezialisierten Einrichtungen, wichtiger aber waren noch multifunktionelle Hospitäler, die grundsätzlich verschiedene Fürsorgeaufgaben wahrnahmen, aber auch über karitative Zwecke hinaus in Anspruch genommen wurden.

Der europäische Vergleich habe sich für die Betrachtung der Hospitalgeschichte als sinnvoll erwiesen, betonte Michael Matheus, Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mainz, in der Schlussdiskussion des Alzeyer Kolloquiums. Mithilfe dieser grenzüberschreitenden Perspektive sei die Frage nach Phasenverschiebungen zu beantworten, außerdem sei eine Zuordnung des jeweiligen Einzelbeispiels zu einer Entwicklungsstufe möglich. Allerdings sei deutlich geworden, dass die zeitliche Begrenzung auf das Spätmittelalter im Hinblick auf das Tagungsthema fragwürdig erscheine. Viele Phänomene des 16. Jahrhunderts, die als typisch für Reformation und die frühe Neuzeit angesehen würden, gingen auf das frühe 15. Jahrhundert zurück. Der Begriff "Hospital" umfasst nur höchst unzureichend die beeindruckende Vielfalt der schwer voneinander abgrenzbaren Institutionen - auch das wurde im Verlauf des Kolloquiums deutlich. Als brauchbarer für die Diskussion wurde eine Definition empfunden, die das Etikett "Hospital" präziser beschriftet: "Institutionalisierte Fürsorgeeinrichtungen für bestimmte Gruppen" seien darunter zu verstehen, wobei die Spannweite von monastischer, stiftischer und kommunaler über königliche und kaiserliche bis hin zu päpstlicher Trägerschaft reiche. Funktions- und Strukturwandel, so zeigte die Tagung, gab es nicht nur im Spätmittelalter. Der Trend zur Verpfründung konnte in vielen Referaten nicht nur für das späte Mittelalter, sondern auch für frühere und spätere Epochen nachgewiesen werden. Das Bedürfnis nach dem "Einkaufen" in ein Hospital sei offensichtlich ein dauerhaftes Problem, betonte Kolloquiumsleiter Matheus, zu dem zeitspezifische Lösungen gefunden wurden. Als weiteres Ergebnis sei festzuhalten, dass die von der deutschen Forschung quasi kanonisierte Meinung, das Krankenhaus sei eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts, nicht unwidersprochen bleiben dürfe. Angesichts der Medikalisierung und Spezialisierung von Hospitälern in Florenz, Rom oder Barcelona halte diese Ansicht einer kritischen Überprüfung nicht stand. Spätestens im 14. und 15. Jahrhundert sei die Spezialisierung und typologische Ausfächerung der Fürsorgeeinrichtungen zu belegen. An den Hospitälern in London und Rom sowie am St.-Nikolaus-Hospital in Kues habe sich die Differenzierung des Armutbegriffs gezeigt, ein anderer Umgang mit Armut sei die Folge des mentalen Wandels gewesen. Matheus wies darauf hin, die Leistungen der Altersfürsorge sowie der Armen- und Krankenfürsorge nicht allein aus der Sicht der Hospitäler zu bewerten. Möglicherweise hätten diese - im Unterschied zu heute - sehr viel stärker auf nicht institutionalisierten Pfeilern geruht, etwa auf der verbreiteten Unterstützung und Mildtätigkeit innerhalb verwandtschaftlicher Kreise, auf sozialen Netzwerken von Nachbarschaft und Kirchspiel oder auf Hilfeleistungen innerhalb der zahlreichen Gemeinschaften.

Zu den einzelnen Vorträgen: Elisabeth Clementz sprach zum Thema "Das Antoniterhospital in Isenheim: Kontinuität vom Spätmittelalter bis in die Frühneuzeit". Die Spitaltätigkeit des Antoniterordens, der auf die Pflege der an Mutterkornbrand erkrankten Patienten spezialisiert war, sei für das gesamte Mittelalter in der Präzeptorei Isenheim nachgewiesen. Mit der Reformation seien viele Häuser des Ordens zugrunde gegangen, Isenheim habe jedoch bis ins 18. Jahrhundert fortbestanden. Clementz erklärte diese Kontinuität mit der therapeutischen Leistungsfähigkeit des Ordens, die sich in der Spezialisierung auf eine Krankheit begründe. Der Mutterkornbrand, eine Vergiftung des Roggenmehls, sei seit dem 13. Jahrhundert immer seltener geworden. Der Orden habe damit an Bedeutung verloren, auch weil er nicht rechtzeitig die Chance wahrgenommen habe, den Aufgabenbereich zu erweitern, indem er etwa Syphiliskranke kurierte. Clementz erklärte, am Antoniterhospital liesse sich ein zweifacher Strukturwandel beobachten: 1247 werde aus der Laienbruderschaft ein Chorherrenorden, die Antoniter würden Kleriker und überliessen die Krankenpflege ihrem Laienpersonal. Ein weiterer Wandel sei in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts anzusetzen, als sich das Hospital schließlich für Pfründner öffnete.

Anna Esposito verwies in ihrem Vortrag "Von der Gastfreundschaft zur Krankenaufnahme. Entwicklung und Organisation des Hospitalwesens in Rom zwischen 15. und 16. Jahrhundert" auf die große Tradition der Gastlichkeit in Rom: Bereits im Frühmittelalter habe man dort Aufnahme- und Versorgungszentren, die Diakonien, in der ganzen Stadt und "scholae" zur Betreuung der Pilger in der Nähe der wichtigsten Kultstätten finden können. Unter den Gründungen des 13. Jahrhunderts sei das Hospital Santo Spirito, das unter dem Schutz der Päpste stand und dem Hospitaliter-Orden anvertraut wurde, wohl am bekanntesten. Das mit den kommunalen Führungsschichten Roms verbundene Hospital des Salvatore war eine weitere große Anstalt, deren Gründung auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Die Salvator-Bruderschaft und ihr Hospital dienten im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts als Modell für zahlreiche andere Laienbruderschaften. Es entstanden eine Vielzahl neuer Institutionen zur Aufnahme von Armen und Kranken. Die Initiative sei meistens auf Mitglieder der städtischen Führungsschicht zurückzuführen, in einigen Fällen auch auf Kleriker, die sich in Bruderschaften zusammenschlossen. Neben den traditionellen städtischen Bruderschaften habe es auch die Bruderschaften "nationalen Charakters" gegeben, die alten "scholae peregrinorum". Sie hätten wesentlich dazu beigetragen, die römische Situation deutlich von der in anderen italienischen Städten zu unterscheiden. Ihre Hospize seien speziell zur Aufnahme der eigenen Landsleute, der Römer, aber auch der Pilger und Reisenden gebaut worden. Sie hätten gleichsam die Funktion eines Konsulats erfüllt und in den Jubiläumsjahren eine wirksame soziale Einrichtung dargestellt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts habe sich eine schrittweise Entwicklung der Hospize zu Krankenanstalten abgezeichnet. Die Krankenpflege sei bald wichtiger geworden als die Aufnahme der Menschen, die im allgemeinen als "hilfsbedürftig" galten - die "pauperes" und die "infirmi". Mit Verspätung sei im Vergleich zu anderen Städten die Errichtung von Hospitälern in Rom zu beobachten, die einer bestimmten Gruppe von Kranken gewidmet waren. Im Hinblick auf den Grad der Organisation und die Entwicklung der römischen Hospitäler hin zu medizinischen Einrichtungen, erklärte Esposito, sei ein Ausbau der Gebäude, eine Erhöhung der Zahl und der Qualifikation des Personals sowie eine Verfeinerung und Verbesserung der Therapien festzustellen.

Jean-Luc Fray bezog sich in seinem Referat zum "Funktionswandel der Hospitäler Mittelfrankreichs" auf die ehemaligen Provinzen Auvergne, Bourbonnais und Velay beziehungsweise auf die Dioezesen Clermont, Saint-Flour und Le Puy. Er bekannte, noch am Anfang seines Forschungsprojekts zu stehen. Trotz mancher Überlieferungslücken liessen sich seit Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts rund 100 Hospitaeler, Hotels-Dieu und Maisons-Dieu urkundlich nachweisen. Im 14. Jahrhundert sei bei den Gründungen ein deutlicher Rückgang zu beobachten, erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts sei dann wieder von einem Aufleben zu sprechen. Fray wies auf den engen Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Standort des Hospitals und den überregionalen Verkehrswegen der Region hin. Der Raum sei eine Durchgangslandschaft für Händler und Pilger gewesen. Mit Blick auf die Zentralisierung versuchte er die Hospitäler in ein Netz einzubeziehen. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums habe bei den Gründern ein Umdenken eingesetzt: Sie hätten weniger Interesse an der Errichtung von Hospitälern in den Bergen gezeigt und mehr auf die Förderung städtischer Gemeinschaftseinrichtungen gesetzt. Ziel der "caritas" sei nun gewesen, städtische Arme ebenso zu unterstützen wie Reisende. Auf die Frage nach den Gründern erklärte Fray, die Stadträte und Herzöge von Bourbon hätten sich erst spät, aber in beachtlichem Ausmaß an der Ausstattung der Hospitäler beteiligt.

John Henderson wies in seinem Vortrag "Healing the body and healing the soul - Hospitals and the sick poor in Renaissance Florence" eine Übereinstimmung von Architektur und Funktion der Hospitäler nach. Wenn die Aufgaben eines Hospitals sowohl religiöser wie auch medizinischer Art waren, habe sich dieser Dualismus auch in der Form wiedergespiegelt. Obwohl das monastische Vorbild für die Bauweise von Hospitälern sehr einflussreich gewesen sei, sei es nicht "in Stein gemeisselt" gewesen: Der Bau neuer Hospitäler im Florenz der Renaissance habe den Weg für Neuerungen bereitet - und das in einer Periode, die von wichtigen architektonischen Entwicklungen geprägt worden sei. Am auffälligsten seien Innovationen im äußeren Erscheinungsbild in Form einer "Loggia" mit Terrakotta-Rundbögen und Szenen als Dekoration. Im Inneren habe sich die Gestaltung der Hospitäler nicht grundlegend geändert. Die Forschungsmeinung, der aus Zentral- und Norditalien stammende kreuzförmig angelegte Pflegesaal sei typischer für neue architektonische Formen der Renaissance, muss laut Henderson hinterfragt werden. Schließlich habe es sich nur um eine Ausweitung der normalen Gestaltung der Räume gehandelt, die schon seit langer Zeit als passend für die Erfordernisse dieser Institutionen angesehen wurde. Die Form zweier langer rechteckiger Säle habe es den Verwaltern ermöglicht, entlang der Wände eine beträchtliche Anzahl von Patienten unterzubringen. Auch die medizinische und pflegerische Belegschaft habe davon profitiert, denn auf diese Weise habe sie ihren Pflichten leichter nachgehen können. Und für die Patienten habe dies den wichtigen Vorteil gehabt, dass sie die Feier der Messe sehen konnten. Die Entwicklung der Hospitäler müsse auch im größeren Kontext der Entwicklung der Armen- und Fürsorgeeinrichtungen gesehen werden. Angesichts der Bestrebungen, Vagabunden davon abzuhalten, auf der Suche nach Almosen von Tür zu Tür zu ziehen oder sich länger als drei Tage in der Stadt aufzuhalten, ohne zu arbeiten, werde der Übergang zu frühneuzeitlichen Einstellungen gegenüber den Armen deutlich. Auch wenn die Armen im 14. und 15. Jahrhundert noch freiwillig in die Hospitäler von Florenz gingen, um sich behandeln zu lassen, seien doch innerhalb von dreißig Jahren bereits die gefürchteten "Lazzaretti" für Pestopfer entstanden, in die die Kranken gezwungenermaßen eintraten. Obwohl die Rolle christlicher Nächstenliebe bei der Etablierung und Unterhaltung der Hospitäler nicht unterschätzt werden solle, unterstrich Henderson, hätten die Einrichtungen auch für eine wirksame Sozialkontrolle gesorgt.

Meike Hensel veranschaulichte für das "St. Nikolaus-Hospital zu Kues im 15. Jahrhundert", wie die Gründung des berühmten Kardinals nach seinem Tod zum Objekt und Instrument erzbischöflicher Territorialpolitik zu werden drohte. Als enger Mitarbeiter und Vertrauter des Papstes Pius II. erreichte Nikolaus von Kues die Exemtion des Hospitals aus Diözesan- und Pfarrverband. In der Gründungsurkunde schloss Cusanus ausdrücklich fremden Einfluss bei der Anstellung des Hospitalrektors aus, dafür sollten die Visitatoren und Superintendenten verantwortlich sein. Die wirtschaftlichen Grundlagen und das großzügige Grundkapital der Stiftung hätten jedoch bald das Interesse des Trierer Erzbischofs geweckt, erklärte Hensel. Durch die Bestellung des Hospitalrektors habe er versucht, die Besitzungen, Rechte und finanziellen Ressourcen des Hospitals für seine territorialpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren. Der Tod des Cusanus-Familiaren Peter von Erkelenz im Jahre 1494, der sich stark für die Wahrung der ursprünglichen Bestimmungen eingesetzt hatte, habe dann eine deutliche Zäsur in der Geschichte des St.-Nikolaus-Hospitals markiert: Unter den Nachfolgern sei es dem Trierer Erzbischof gelungen, seinen Einfluss auf die Stiftung und den Hospitalrektor zu intensivieren.

Ulrich Knefelkamp stellte seinem Referat zum "Alltag im spätmittelalterlichen Spital" grundlegende typologische Überlegungen voran: Er unterschied die verschiedenen Hospitaltypen nach den Patienten in zwei Kategorien - in die Einrichtungen für Kranke und arme Bedürftige sowie in die Einrichtungen für ansteckende Krankheiten. Unter dem ersten Funktionsbereich subsumierte Knefelkamp die Herbergen und Hospitäler der Klöster, die der geistlichen Stifte, die Hospitäler der kirchlichen Bruderschaften und Spitalorden, die Bürgerspitäler, die Pilger- und Fremdenspitäler sowie schließlich die Armen- und Seelhäuser. Unter dem zweiten Aufgabenbereich fasste er die Leprosorien, die Pesthäuser und die Blatternhäuser zusammen. Knefelkamp betonte, dass die Hospitäler mehrere dieser Funktionen ausfüllen konnten und sich als genetische Typen in der Entwicklung ablösen, weil Aufgabenbereiche sich im Lauf der Zeit wandelten.

Michel Pauly stellte in seinem Vortrag "Von der Pilgerherberge zum Seniorenheim. Funktionswandel in Hospitälern an ausgewählten Beispielen aus dem Rhein-Maas-Mosel-Raum vor 1500" erste Ergebnisse seines laufenden Forschungsprojekts in Form eines Werkstattberichts vor. Im Rahmen des SFB 235 der Universität Trier untersucht Pauly "Hospitäler und Leprosorien im Rhein-Maas-Mosel-Raum vom 7. bis zum 15. Jahrhundert", dabei geht es vor allem um raumbezogene Aspekte der Hospitalgeschichte. Die meisten Hospitäler des Untersuchungsraumes zwischen Maas und Rhein seien im Spätmittelalter multifunktionell gewesen, erklärte Pauly. Viele von ihnen seien ursprünglich nur für Pilger oder Reisende gedacht gewesen, besonders die an Stadttoren oder entlang der Stadtmauer errichteten sowie die auf dem Lande in der Nähe von Pilger- und Handelswegen liegenden Hospitäler. An Beispielen aus Bitburg, Namur, Aachen und Köln zeichnete Pauly nach, wie diese Pilgerherbergen zu allgemeinen Armenhospitälern wurden, die sich dann vor allem nach der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts immer häufiger zu Pfründneranstalten entwickelten. In diesem Zusammenhang warf Pauly die Frage auf, ob eine Verbindung zwischen Kommunalisierung und Verpfründung bestehe. Die Zunahme von Pfründneranstalten habe in manchen Städten einerseits zur Stiftung traditioneller Hospitäler für Arme und Pilger und andererseits zur Gründung von Krankenhäusern geführt. Die Multifunktionalität des mittelalterlichen Stadthospitals müsse als Regel angenommen werden, so Pauly, auch noch nach der Aufnahme von Pfründnern. Das multifunktionelle Hospital sei durch spezialisiertere Anstalten ersetzt worden, doch das Fürsorgeangebot habe sich oft nur vorübergehend differenziert. Denn in neuen Hospitälern habe der Verpfründungsprozess von neuem begonnen.

Brigitte Pohl-Resl belegte für "Das Bürgerhospital zu Wien im Spätmittelalter" einen Funktionswandel in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts: Die Strukturen der Einrichtung hätten sich auf allen Ebenen geändert, am deutlichsten jedoch im "sozialen" Bereich. Die Stifter hätten sich immer ausführlicher mit der feierlichen Ausgestaltung ihrer Jahrtage beschäftigt, die Armenversorgung sei in den Testamenten nicht mehr angesprochen worden. Pohl-Resl folgerte, dass die Sozialfürsorge aus dem Bereich individuellen Engagements in die städtische Administration übergegangen sei. Die Insassen des Spitals seien differenzierter wahrgenommen worden, und die Fürsorge habe sich zusehends spezialisiert. Allgemein sei eine Entwicklung hin zu größerer Effizienz und einem ausgeprägteren Grad von Bürokratisierung festzustellen.

Frank Rexroth zeigte in seinem Vortrag über "Londons Arme und die Frühgeschichte der Armenhäuser (ca. 1400 bis 1536)", dass der Differenzierung des Armutsbildes in der englischen Metropole des späten Mittelalters eine typologische Differenzierung der Spitälerlandschaft entspreche. Die Zweiteilung des Armutsbildes in die Figur des "würdigen" Armen und die Figur des "starken" Bettlers habe dazu geführt, dass während des 15. und frühen 16. Jahrhunderts immer mehr Fürsorgeeinrichtungen im Stil des Armenhauses errichtet wurden. In den Städten Englands sei man vom Konzept der großen Spitaeler abgerückt und habe kleinen, überschaubareren Häusern den Vorrang gegeben, in denen eine geringere Zahl von persönlich bekannten, lange Zeit ortsansässigen Armen dauerhaft versorgt werden sollten - und zwar Arme, die in der betreffenden Gemeinschaft seit langem bekannt waren und über deren "Würdigkeit" zum Almosen kein Zweifel bestand. Armenhäuser als Institutionen seien für die "unverschuldete" Armut gedacht, betonte Rexroth. Mit dieser Differenzierung des Armutsbildes sei das Bedürfnis sozialer Gruppen einhergegangen, ihre karitativen Aktivitäten gegenüber ihren geschäftlichen Transaktionen aufzuwerten. Im Klima des späten Mittelalters habe dies bedeutet, demonstrativ zu belegen, dass man sich dabei für die "richtigen" Armen engagierte und nicht für die vermeintlichen Taugenichtse. Armenhausstiftungen intensivierten die karitativen Tätigkeiten von Gruppen wie etwa den Zünften. "Ihren Zweck erfüllten sie dann, wenn man die Bewohner als Ausweis der gruppenspezifischen 'caritas' der übrigen Stadtgesellschaft präsentieren konnte", so Rexroth. Außerdem seien die Armenhäuser zugleich eine Konsequenz aus der hohen Wertschätzung des Armengebets. Armenhausstiftungen seien auch als Seelenheilstiftungen zu bezeichnen. Weil die Benefizitätengruppe im Gegensatz zu derjenigen der Spitäler über längere Zeit stabil geblieben sei, hätten die Armenhausbewohner zu "Gebetsexperten" werden können. Rexroth betonte, man solle die Ambivalenz und Dialektik zwischen den neuen Institutionen und der sie umgebenden sozialen Wirklichkeit nicht übersehen. Bei der Versorgung der Wenigen seien die Vielen auf der Strecke geblieben.

Walter Schneider stützte sich bei seinem Beitrag über die "Hospitäler im Raum Alt-Tirol. Probleme einer Pass- und Übergangsregion" vor allem auf eigene Archivarbeit am Heilig-Geist-Spital Bozen und dem Sondersiechenhaus. In einer Reihe von Kartenübersichten bot Schneider einen Überblick über die Klosterhospitäler der verschiedenen Orden, die Weghospize auf den Alpen- und Passwegen sowie die Hospitäler in Städten und Märkten in Nord-, Ost- , Südtirol und dem Trentino. Daran anknüpfend untersuchte er verschiedene Hospitäler hinsichtlich des Wandels in Standort, Struktur, Wirtschaft und Innenleben.

Die Tagungsergebnisse werden in der Reihe "Geschichtliche Landeskunde" veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

F. Rexroth (Universitäten Berlin und Wien): Die englische Spitälerlandschaft und die Frühgeschichte der Armenhäuser (ca. 1400 bis 1536) im gesamtenglischen Kontext
A. Esposito (Rom): Dall'ospitalità all'ospedalizzazione: evoluzione ed organizzazione degli ospedali di Roma tra Quattro e Cinquecento
J. Henderson (University of Cambridge): Healing the Body and Healing the Soul: Hospitals and the sick poor in Renaissance Florence.
M. Pauly (Centre Univérsitaire Luxembourg): Von der Pilgerherberge zum Seniorenheim. Funktionswandel in Hospitälern an ausgewählten Beispielen aus dem Rhein-Maas-Mosel-Raum vor 1500
Jean-Luc Fray (Clermont-Ferrand): Funktionswandel der Hospitäler Mittelfrankreichs
Alexander Reverchon (Trier): Metzer Hospitäler, inbesondere das Bürgerhospital Saint-Nicolas vom ausgehenden 13. bis zum 15. Jahrhundert
E. Clementz (Straßburg): Das Antoniterspital in Isenheim
S. Schlösser: Das Alzeyer Hospital
U. Knefelkamp: Alltag im spätmittelalterlichen Spital
M. Hensel (Universität Mainz): Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues
B. Pohl-Resl (Universität Wien): Das Bürgerspital zu Wien im Spätmittelalter

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