Theorie und Praxis des Diktaturvergleichs

Theorie und Praxis des Diktaturvergleichs

Organisatoren
Günther Heydemann; Eckhard Jesse; Universität Leipzig; (V. Symposium der )Fachgruppe Geschichte der Gesellschaft für Deutschlandforschung (GfD)
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.05.1997 - 10.05.1997
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Von
Katja Schlichtenbrede

Unter der Leitung von Prof. Guenther Heydemann (Lehrstuhl fuer Neuere und Zeitgeschichte) und Prof. Eckhard Jesse (Lehrstuhl fuer politische Systeme/politische Institutionen, TU Chemnitz-Zwickau) fand am 9. und 10. Mai 1997 im Geschwister-Scholl-Haus der Universitaet Leipzig eine Tagung zur ,Theorie und Praxis des Diktaturvergleichs" statt. Die Konferenz stellte zugleich das V. Symposium der Fachgruppe Geschichte der Gesellschaft fuer Deutschlandforschung (GfD) dar und widmete sich somit einer Thematik, die auch in der oeffentlichen Debatte umstritten ist.

Am ersten Tag standen vornehmlich theoretische UEberlegungen im Mittelpunkt der Tagung, waehrend am zweiten Tag erste Ergebnisse empirisch vergleichender Studien vorgestellt wurden. In seiner Einleitung wies Prof. Karl Eckart (Vorsitzender der GfD, Universitaet GH Duisburg) darauf hin, dass die gegenwaertigen Probleme des Zusammenwachsens beider deutscher Gesellschaften nur aus der Geschichte heraus zu verstehen seien. Daran knuepfte Prorektor Prof. Guenther Wartenberg in seiner Begruessung an und fuegte hinzu, dass eine Schwierigkeit der Diktaturforschung u. a. darin bestehe, dass der Begriff des Totalitarismus Kampf- und Analysebegriff zugleich sei. Zu dieser Ambivalenz des Totalitarismusbegriffs kaeme, so Guenther Heydemann das Unbehagen vieler Zeitgenossen gegenueber einem Vergleich beider deutscher Diktaturen: Die bisher gegen einen Vergleich vorgebrachten Gruende seien jedoch wissenschaftlich nicht ueberzeugend, da schon der Verweis auf die fundamentale Unterschiedlichkeit von NS-Staat und SBZ/DDR den Vergleich zur Voraussetzung habe. Es gehe im Diktaturvergleich nicht um eine undifferenzierte Gleichsetzung, sondern um die geschichtswissenschaftliche Analyse der ,actio" diktatorischer Gewalt und der ,reactio" der Beherrschten. Im ersten Beitrag charakterisierte Prof. Eckhard Jesse das 20. Jahrhundert als ein ,Zeitalter des Totalitarismus". Der Konflikt zwischen demokratischen Verfassungsstaaten und totalitaeren Diktaturen gebe diesem Jahrhundert seine massgebliche Praegung; der Totalitarismus habe sich dabei - anders als Despotien - scheindemokratischer Mechanismen bedient, indem er sich beispielsweise durch permanenten Massenbezug eine Pseudo-Legitimierung verschaffte. Er sei in der Verbindung von absoluter Gewalt und absoluter Rechtfertigung gleichsam ,postdemokratisch". Dr. Achim Siegel (Dresden) eroerterte anschliessend Moeglichkeiten der Weiterentwicklung klassischer Totalitarismustheorien. Die systemtheoretisch orientierte Totalitarismustheorie von Carl J. Friedrich habe in den sechziger Jahren fuer viele Wissenschaftler an Glaubwuerdigkeit verloren, da das fuer totalitaere Systeme konstituierende Wesensmerkmal einer ,terroristisch operierenden Geheimpolizei" so nicht mehr zu konstatieren sei; erst die Modifizierung dieses Kriteriums zu einer ,vollentwickelten Geheimpolizei" ermoegliche eine Anwendung der Theorie auch auf nachstalinistische Regime und mache den Ansatz fuer entwicklungstheoretische Modelle kompatibel. Prof. Wolfgang-Uwe Friedrich (Hildesheim) stellte Kaderpolitik als totalitaere Herrschaftspolitik dar, indem er das Kaderkonzept der SED erlaeuterte und in einem zweiten Schritt dessen Umsetzung in die Praxis an Beispielen verdeutlichte. Die Rekrutierung zuverlaessigen Leitungspersonals nehme in der kommunistischen Bewegung frueh eine zentrale Rolle ein, wobei weniger eine Leistungselite, als vielmehr eine Machtelite mit eingeschraenktem Handlungsspielraum angestrebt worden sei. In der Praxis habe diese Vorgehensweise zu ineffizienten Kompromissen zwischen Parteilichkeit und Fachkompetenz gefuehrt; zudem haetten sich die Generationen der Kader wechselseitig blockiert, was schliesslich zur markanten UEberalterung der DDR-Machtelite gefuehrt habe. Steffen Kailitz M.A. (Chemnitz-Zwik-kau) betrachtete die Thesen des amerikanischen Historikers Daniel J. Goldhagen aus totalitarismustheoretischer Sicht. Dabei steche die methodisch fragwuerdige Verwendung des Begriffs `Totalitarismus' ins Auge: Prinzipiell von Goldhagen selbst abgelehnt, verwende er diesen Begriff sowohl in Bezug auf die christliche Kirche des Mittelalters als auch auf die Institution des Konzentrationslagers. Freilich sei die von Goldhagen aufgeworfene Frage nach der Motivation der Taeter fuer die Totalitarismusforschung von grosser Bedeutung, hier aber gebe es ueberzeugendere Ansaetze, etwa von Herbert Jaeger, Wolfgang Sofski und Christopher R. Browning. Dr. Markus Huttner (Leipzig) stellte anschliessend die Anfaenge der Totalitarismusdiskussion in England dar. Diese Anfaenge haetten zwar keine unmittelbare wissenschaftliche Wirkung entfaltet, an ihnen lasse sich aber die Durchsetzung bestimmter Vorstellungen vergleichender Diktaturbetrachtung aufzeigen. Bereits 1926 verwendete der Italiener Luigi Sturzo den Begriff `totalitarism' vergleichend fuer den italienischen Faschismus und den sowjetischen Bolschewismus. In der Folge seien sowohl der Begriff `totalitarism' als auch die Notwendigkeit des Vergleichs von Diktaturen publizistisch aufgegriffen und insbesondere in Grossbritannien diskutiert worden, ohne allerdings in den Bereich wissenschaftlicher Analyse vorzustossen. Den ersten Tag schloss Dr. Rainer Eckert (Berlin/Leipzig) mit einer Eroerterung der Forschungslandschaft zum Bereich Widerstand und Opposition im Dritten Reich und in der DDR. Auf diesem Gebiet sei ein deutliches Ungleichgewicht auszumachen zwischen einer institutionalisierten NS-Widerstandsforschung und einer noch weitgehend improvisierten Forschung zum Widerstand in der DDR, von dem laengst noch nicht alle Facetten wahrgenommen wuerden. Widerstand als Element des Alltags sei aber ein zentraler Aspekt des Diktaturvergleichs und muesse daher staerker in den Mittelpunkt ruecken.

Der zweite Tag des Symposiums stand ganz im Zeichen empirischer Studien zum Diktaturvergleich. In seiner Einleitung legte Prof. Guenther Heydemann zunaechst die verschiedenen methodologischen Moeglichkeiten des Diktaturvergleichs dar, um sodann fuer die Herausarbeitung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Diktaturen, insbesondere am Beispiel der NS- und SED-Diktatur, den integralen und selektiven Vergleichstyp naeher zu erlaeutern. Fuer empirische Studien biete sich der selektive Vergleich aus forschungspraktischen Gruenden an, z. B. in der Untersuchung gesellschaftlicher Teilbereiche oder bestimmter sozialer Gruppen. Am Spannungsverhaeltnis zwischen totalitaerem Herrschaftsanspruch und regionaler Identitaet erlaeuterte Dr. Thomas Schaarschmidt (Leipzig) die Entwicklung der Institutionen saechsischer Regionalkultur zwischen NS-Staat und DDR. Waehrend im Nationalsozialismus mit maessigem Erfolg versucht worden sei, die saechsischen Heimatschutzvereine institutionell und inhaltlich zu vereinnahmen, seien nach 1945 die Vereine in einem Schwebezustand geblieben: Offiziell von der SMAD und der SED nicht zugelassen und vom Kulturbund ausgeschlossen, seien sie aber dennoch stillschweigend toleriert worden. Erst 1948 habe sich dieser Zustand veraendert, als Heimatvereine in den Kulturbund integriert wurden, diesen indes rasch dominiert haetten. Regionales Sonderbewusstsein habe also stets von totalitaeren Bestrebungen nur mit grossem Aufwand und mit kaum dauerhaftem Erfolg ,stillgelegt" werden koennen. Die Durchsetzung des totalitaeren Machtanspruchs auf kommunaler Ebene beschrieb daraufhin Christopher Beckmann M.A. (Leipzig) am Beispiel der saechsischen Kreise Grimma und Wurzen. Dabei beschraenkte er sich auf die ,Etablierungsphasen" von 1933-35 bzw. 1945-52 und stellte die Frage nach den spezifischen lokalen Gegebenheiten, dem Personal und der Rolle zentraler Vorgaben. Bemerkenswert sei fuer beide Kreise eine relativ hohe Stabilitaet der politischen Lager und - mit Abstrichen - auch der kommunalpolitisch aktiven Personen ueber den Nationalsozialismus hinweg. Sowohl fuer die Nationalsozialisten als auch fuer die Kommunisten sei jeweils die Installierung eines loyalen ,zweiten Mannes" von grosser Bedeutung gewesen, waehrend sich die Buergermeister sowohl 1933/35 als auch 1945/48 um politische Gegner haeufig nach eigenem Ermessen gekuemmert haetten. Im Umgang mit den buergerlichen Parteien haetten sowjetische Besatzungsmacht und SED vor dem Hintergrund der Strategie der festen Einbindung eine differenziertere Vorgehensweise an den Tag gelegt als die NSDAP, die auf das gaenzliche Verschwinden der Parteiorganisationen ausgerichtet gewesen sei. Georg Wilhelm M.A. (Leipzig) stellte die Haltung der Leipziger evangelischen Pfarrerschaft zur ,Obrigkeit" 1933/34 und 1945/46 dar. Hier springe ein markanter Unterschied zwischen beiden Diktaturetablierungen ins Auge: Eine ueberwiegend voelkisch orientierte evangelische Pfarrerschaft habe 1933 den Hauptgegner nicht in der NSDAP, sondern nach wie vor im Katholizismus und Kommunismus gesehen und sich einer Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus gegenueber als kaum sensibel erwiesen; die spaetere Spaltung der evangelischen Kirche sei dann aber in den Protokollen der Ephoralkonferenzen schon absehbar. Demgegenueber habe die Pfarrerschaft 1945 der sowjetischen Besatzungsmacht und der KPD/SED einhellig skeptisch bis ablehnend gegenuebergestanden, der potentielle Konflikt zwischen der Diktatur und der Kirche sei frueher und schaerfer zum Ausdruck gekommen. In beiden Diktaturen aber habe dieser Konflikt aehnliche Auspraegungen gehabt, wie am Beispiel der evangelischen Jugendarbeit und deren Konkurrenz zu staatlichen Jugendorganisationen deutlich werde. Schliesslich eroerterte Oliver Werner M.A. (Leipzig) die Handlungsspielraeume von Betriebsleitungen im Dritten Reich, in der SBZ und in der DDR am Beispiel eines Leipziger Maschinenbaubetriebes. Bei aller Unterschiedlichkeit der aeusseren Umstaende fuehrten strenge Materialkontingentierung und politische Einflussnahme auf innerbetriebliche Vorgaenge zu aehnlichen Herausforderungen fuer die jeweilige Betriebsleitung. Deren Reaktionsmoeglichkeiten waren in beiden Diktaturen wiederum verschieden: Waehrend es der Betriebsleitung im NS-Staat gelang, die Einschraenkungen ueber informelle Kanaele auszugleichen und erst der Weltkrieg ihre Handlungsmoeglichkeiten minimierte, waren in der SBZ und DDR Kaderpolitik und kontrollierende Einbindung des Betriebes gerade auf die Kappung solcher informellen Beziehungen ausgerichtet und zwangen die Leitungen, die Produktion unter hohem Ressourcenverschleiss aufrechtzuerhalten, wobei gleichzeitig traditionelle Wirtschaftsmechanismen ausser Kraft traten. Die vier Beitraege des zweiten Tages machten deutlich, dass die UEberpruefung theoretischer UEberlegungen durch empirische Studien unverzichtbar ist und in den naechsten Jahren in den Mittelpunkt des Diktaturvergleichs ruecken sollte. Mit der Veroeffentlichung der Tagungsbeitraege in der Schriftenreihe der GfD ist in Kuerze zu rechnen.


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