The Contemporary Study of Culture - Kulturstudien heute

The Contemporary Study of Culture - Kulturstudien heute

Organisatoren
IFK; Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
04.12.1997 - 06.12.1997
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Von
Lutz Musner, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK)

"Text und Kontext: Kulturstudien heute"

Das vom 4. - 6. Dezember 1997 gemeinsam mit dem Bundesministerium fuer Wissenschaft und Verkehr veranstaltete Symposium "The Contemporary Study of Culture" verfolgte zwei Ziele - zum einen sollten einige exemplarische Paradigmen und Diskussionsrichtungen in den "Cultural Studies" und Kulturwissenschaften praesentiert und in eine vergleichende Perspektive gestellt werden und zum anderen sollte damit ein Auftakt fuer ein kulturwissenschaftliches Forschungsprogramm gesetzt werden, welches das Ministerium in den naechsten Jahren unterstuetzen will.

Die einleitende Sektion Cultural Studies, Cultural Memories, and the Challenge of Globalization, gestaltet von Aleida Assmann und Lawrence Grossberg, thematisierte grundsaetzliche Fragen von "Cultural Studies" und "Kulturwissenschaften". Sie vermittelte gleichermassen die je spezifisch lokal-kulturell vermittelte Historizitaet und Pluralitaet unterschiedlicher Ansaetze von Kulturstudien wie auch ein gewisses Ausmass an Uebereinstimmung, die sich an postkolonialen, identitaetspolitischen und medientheoretischen Debatten ablesen laesst. Waehrend sich Aleida Assmann vor allem auf die von der Birmingham School und Stuart Hall ausgegangenen Entwicklungen konzentrierte und komplementaer dazu das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm von Jan Assmann zu kulturellen Gedaechtnissen (Archaeologie der Literatur) praesentierte, rueckte Lawrence Grossberg den Zusammenhang von "Cultural Studies" und ihren neuen Herausforderungen durch die Globalisierung in den Vordergrund. Seine Hauptfragen bezogen sich auf drei Themen: die politische Oekonomie und die Frage des Subjekts, (Post-)Kolonialismus und die Frage der kulturellen Identitaeten sowie die neuen Medien und die Frage nach ihrer (politischen) Traegerschaft und Legitimitaet. In der Praesentation und Diskussion beider Beitraege wurde deutlich, dass sich kontinentale und maritime Sichtweisen von Kulturstudien unterschiedlich ausformen und dass historischen Gedaechtnissen sowie Texten und Kontexten von Kulturen jeweils unterschiedliche analytische Gewichtungen und gesellschaftliche Bedeutungen zugeordnet werden.

Die Sektion Memory, Community and Cultural Imaginaries (Vorsitz: Gotthart Wunberg, Referenten: Dan Diner, David Frisby) fokussierte zwei rezente Forschungsperspektiven auf den Zusammenhang von historischen Gedaechtnissen und ihrer sozio-kulturellen Einbettung. Dan Diner lenkte die Aufmerksamkeit auf die Ueberlagerung von Gedaechtnissen durch die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts (Genozide, Holocaust, heisse und kalte Weltbuergerkriege) und die dadurch bedingte Problematisierung der Periodisierung historischer Ereignisse bzw. Aufrechterhaltung linearer Narrative in der Geschichtswissenschaft. Sein Plaedoyer fuer "Historical Cultural Studies" unterstrich die epistemologische Unterscheidung von kurzen und langen Gedaechtnissen und die Notwendigkeit einer subtilen Archaeologie ueberlagerter Gedaechtnisse im Wege einer Dechiffrierung von Palimpsesten, die je nach ethnisch oder sozial grundierter Sichtweise jeweils andere Themenstellungen prioritaer setzen. David Frisby unterstrich am Beispiel von Stadtgeschichte die Bedeutung "materieller Gefaesse" des Gedaechtnisses (Postkarten, Fotos, Architekturzeichnungen, Reisefuehrer usw.). Nach seiner Auffassung sind diese Quellen nicht bloss ephemere Informationen, die andere ergaenzen und komplettieren, sondern entscheidend um die Lokalisierung der Memoria an bestimmten Orten und zu gewissen Zeiten zu verstehen. Sie repraesentieren gleichsam Topographien und Physiognomien von Stadtgeschichte, die zu einem besseren Verstaendnis von Metropolen, ihren Modernisierungsprozessen aber auch ihren Mythenbildungen beitragen koennen.

Die Sektion Cultures as Textures (Vorsitz: Wolfgang Mueller-Funk, ReferentInnen: Renate Schlesier, Martin Fuchs) thematisierte die Renaissance hermeneutischer Methoden im Bereich der Kulturwissenschaft und Kulturanthropologie. Renate Schlesier stellte die Frage, inwieweit die Leithypothese von "Kultur als Text" und die hermeneutische Wende (vor allem ausgehend von Ricour und Gadamer) mit (problematischen) Implikationen arbeiten, die das Innovationspotential der Humanwissenschaften beeintraechtigen. Dabei ging es ihr nicht nur um die damit verbundenen, unerkannten philosophischen und historischen Voraussetzungen und deren Maengel, sondern vor allem auch um die Frage, welche Formen der Hermeneutik auf kulturelle Formationen anwendbar sind oder nicht, und welchenPerspektivenwechsel es tatsaechlich bewirkt, wenn man "Kultur als Text" die Sichtweise "Text als kulturellem Artefakt" gegenueberstellt. Beide Fragestellungen sind ihrer Auffassung nach entscheidend fuer eine Kulturanthropologie, die ihrer Funktion als Kulturkritik nicht verlustig gehen will. Martin Fuchs wendete das Forschungsparadigma "Kultur als Text" in seine soziologischen Dimensionen und stellte die Frage nach dem Wechselspiel von Akteuren, Interpreten und Interpretationen. Sollten alle drei auf gleicher methodischer Ebene abgehandelt oder perspektivisch und analytisch geschichtet werden? Und - so seine zentrale Frage - bedarf es nicht eines begrifflichen Rahmens, der die Hermeneutik von Kulturen wieder als soziale Praxis rekontextualisiert? Sein Hauptanliegen war es, ontologisierte Textmetaphern der Kulturanthropologie aufzuloesen und durch den Blick auf die komplexen Wechselwirkungen von Akteuren, Interpreten, Praxen, Repraesentationen und Symbolressourcen "Kultur" wieder als einen Raum pluraler Verhandlungsmodi zwischem dem "Eigenen" und dem "Anderen" begreifen zu koennen.

Die Sektion History of Culture (Vorsitz: Edith Saurer, Referent: Anson Rabinbach) analysierte den Zusammenhang von Kulturgeschichte bzw. Kulturtheorie, Holocaust und dem katastrophischen Bewusstsein der postmodernen Intellektuellen. Ausgehend von Umberto Ecos Unterscheidung von "Integrierten" und "Apokalyptikern" stellte Anson Rabinbach die Frage, warum die tiefe, traumatische Dimension des Holocaust fuenfzig Jahre danach signifikanter im historischen (und auch popularen) Gedaechtnis praesent ist (vgl. Goldhagen Debatte) als dies in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Fall war und wie dies mit Diskursen der Moderne bzw. Postmoderne in Zusammenhang zu bringen ist. Ausgehend von drei wichtigen Texten der fruehen deutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus - Heideggers Humanismusbrief, Jaspers Die Schuldfrage und Horkheimer und Adornos Dialektik der Aufklaerung - stellte er deren kleinsten gemeinsamen Nenner, naemlich den Versuch, die NS-Barbarei zugleich als Teil der Moderne wie als Zivilisationsbruch zu begreifen, in Kontrast zu postmodernen Interpretationen. Letztere enttraumatisieren den Holocaust als historisches Ereignis gleichermassen wie sie die Moderne selbst zur Katastrophengeschichte erklaeren, als deren ultimative Apokalypse sowohl Hitlers als auch Stalins Massenmorde erscheinen. Beide Lesearten eint, so Rabinbachs These, dass trotz unterschiedlicher Antworten auf den Genozid - Formulierung der unmittelbaren Schockerfahrung versus nachgelieferter Rationalisierung der Barbarei der Moderne - ein paralleler Subtext sichtbar wird, der den "Holocaust" als das elementare Signum der Epoche gleichermassen vertagt wie permanent auf die Tagesordnung setzt. Seine Wirkung besteht darin, sowohl die "grand narratives" der Moderne entkernt zu haben wie zur nicht hintergehbaren, normativen Referenz postmoderner Moraldiskurse geworden zu sein.

Die Sektion Global Cultures, Media and New Technologies (Vorsitz: Alfred Smudits, Referenten: Ulf Hannerz, Wolfgang Welsch und Daniel Segal) setzte weithin kolportierten Annahmen, dass Globalisierung mit oekonomischer Uniformitaet, kultureller Homogenitaet und medialer Standardisierung verbunden sei, praegnant formulierte Gegenpositionen gegenueber. Sowohl Ulf Hannerz als auch Wolfgang Welsch betonten die Differenzierungskraft lokaler Varianten undParaphrasierungen des Globalen, sie betonten die Bedeutung von kultureller Hybridisierung und Collagierung sowohl im materiellen wie im symbolischen Bereich (Identitaetspolitiken) und in unterschiedlichen medialen Praxen. Statt mit grossflaechigen Hypothesen gesellschaftlicher Angleichung und kultureller Gleichschaltung zu arbeiten, empfahlen beide einen geschaerften Blick fuer die Parallelitaet von Globalisierung und Lokalisierung und fuer die Ueberlagerung von universellen Entwicklungen durch kontingente und idiosynkratische Spielarten von kulturellen Identitaeten und Formen der Individualisierung. Dan Segal versuchte in seinem Beitrag im Wege der Neuinterpretation klassischer Werke der Kulturanthropologie (Evan Pritchards Studie "The Nuer") auf Schwaechen der "Cultural Studies" hinzuweisen, die die Globalisierung vor allem aus dem Blickwinkel marginalisierter Gruppen innerhalb der Nationalstaaten und globaler Spielarten des Kapitalismus zum Gegenstand der Forschung machen. Ohne den Eigenwert solcher Thematisierungen bestreiten zu wollen, forderte er analytische Perspektiven von ausserhalb ein, um diesen internalistischen Sichtweisen von "unten" und "innen" des Globalen zu ergaenzen. In den Klassikern der Kulturanthropologie sieht Segal ein reiches Repertoire von Beschreibungen und Interpretationen menschlicher Lebensformen aufbewahrt, die unser Verstaendnis von globalen Zusammenhaengen bereichern und neue Fragestellungen aufwerfen koennen. Er plaedierte fuer eine kritische Hermeneutik dieser Texte um mittels ihres Materialreichtums und Perspektivenwechsels versteckten und unerkannten Wiederholungen des Eurozentrismus zu entgehen. Dieser ist nach seinem Dafuerhalten selbst in wohlmeinendsten, postmodernen Sichtweisen globaler Kulturen zu entdecken und geht davon aus, dass westliche Intellektuelle unausweichlich eine Metaphysik der Gegenwaertigkeit und Lokalitaet reproduzieren, die im griechisch-abendlaendischen Erbe eingekerbt ist. Das Dilemma der Kulturanthropologie, naemlich den "Westen" innerhalb des grossen Bogens menschlicher Moeglichkeiten positionieren ohne ihn privilegieren zu wollen, ist nach Segals Auffassung nicht nur ein Mangel, sondern ebenso die Chance essentialistische Konzepte westlicher Kulturen zu entlarven und so zu einem dezentrierten und pluralistischen Begriff von "Post-Western Cultures" zu gelangen.

Die Sektion Cultural Identities in Transformation (Vorsitz: Roman Horak, Referenten: Paul Gilroy, David Morley) hatte die Konstruktion kultureller Identitaeten zum Gegenstand. Paul Gilroy beschaeftigte sich mit verschuetteten Traditionen von afro-europaeischen Intellektuellen (z.B. Fanon, Césaire, Sénghor) und der Frage, inwieweit diese Traditionen fuer afro-europaeische Intellektuellen im heutigen Europa fruchtbar gemacht werden koennen. David Morley analysierte den Zusammenhang von Identitaet, Medien und kulturgeographischen Codierungen (Heim, Heimat etc.) und der Frage, in welcher Weise Medien die ueberkommenen Inhalte dieser Codierungen ueberformen und andere Mechanismen von soziokultureller Inklusion und Exklusion ausloesen. Gilroy machte deutlich, dass die Tradition der Aufklaerung, die Intellektuelle wie Fanon adressierten, sowohl einen ethischen Universalismus als auch eine katastrophische, koloniale Moderne (Rassimus) implizierte. Dieses doppelte und antagonistisches Erbe wirkt bis heute nach und bedarf nach seiner Auffassung einer Selbstkritik der Aufklaerung, die die Kontinuitaet rassisierenden Denkens ebenso entlarvt wie die enge Wechselwirkung von Aufklaerung und ihren mythologischen Kehrseiten aufdeckt, die gefaehrlichen Ontologisierungen von Nation, Rasse und Kultur Vorschub leistet. David Morley versuchte deutlich zu machen, dass nicht nur in den "alten" Codierungen von Heim und Heimat und deren quasi-religioese Aufladungen und Aufwertungen ein gewaltiges Potential von Xenophobie und des Ausschlusses alles "Anderen" und "Fremden" beinhaltet war, sondern dass sich - wenn auch in neuen Artikulationen - diese Politik der Exklusion ebenso in den gegenwaertigen, nomadischen und ortsentkoppelten "Landschaften" der elektronischen Medien und des Cyberspaces wiederholen koennte.

Die Sektion Urban Narratives (Vorsitz: Wolfgang Maderthaner; Referenten: James Donald, Rolf Lindner) widmete sich den politischen und imaginaeren Einschreibungen von Stadtkulturen. James Donald versuchte ausgehend vom Begriff "Gemeinschaft" Moeglichkeiten einer Ethik urbanen Zusammenlebens von Menschen differenter sozio-kultureller Herkunft und Ethnizitaet zu skizzieren. Seine Argumentation verfolgte eine zweifache Zielrichtung: zum einen die Dekonstruktion jeglicher Annahmen von transzendenten und fixen Identitaeten von urbanen Kollektiven und Buergerlichkeit als Basis normativer Vorstellungen ueber ein friedliches Zusammenleben, und zum anderen den Versuch, Grundzuege einer Ethik urbaner Vergesellschaftung auf fundamentale Erfahrungshorizonte modernen (Gross-)Stadtlebens zurueckzufuehren (Kosmopolitismus, alltaeglichen Stoizismus, Formen der sozialen Distanz und Hoeflichkeit, ueber Buergerrechte vermittelte Rollendefinitionen etc.). Rolf Lindner analysierte in seinem Referat die "Imaginationen" urbanen Lebens sowohl als Traeger kollektiver Gedaechtnisse als auch kultureller Repraesentationen, die die Identitaet einer Stadt erzaehlen. Seine These ist, dass sich in den Mythologisierungen und Symbolisierungen von Staedten als jeweils eigensinnige und charakteristische "Stadterzaehlungen" eine Fuelle von Genres (vom Bildungsroman, ueber Krimis bis hin zu Comics und Filmen) einschreiben, die imaginaere wie reale Komponenten enthalten. Das Imaginaere einer Stadt waere somit Faktum und Fiktion zugleich; es enthaelt Phantasien ueber sie gleichermassen es soziale und oekonomische Realerfahrungen reproduziert. Lindner fuehrte als Beispiel fuer seine These die Stadt Tanger in Marokko an, die als Ort interkultureller Begegnung zwischen Okzident und Orient, aber auch als Ort der Emigration, des Schmuggels und Schwarzhandels zum Gegenstand literarischer und filmischer Fiktion wurde, in dem sich Reales und Phantasiertes zu einem identitaetsstiftenden Narrativ amalgamiert.

In der Sektion Gender - Culture - Power (Vorsitz: Herta Nagl-Docekal, Referentinnen: Chantal Mouffe, Beatrice Hanssen) ging es um eine Kritik essentalistischer Theorien kultureller und geschlechtlicher Identitaet im politischen Diskurs des Liberalismus. Chantal Mouffe machte darauf aufmerksam, dass bestimmte Formen feministischer Politik von einer kohaerenten, homogenen Identitaet der Frau bzw. des Weiblichen ausgehen, weil sie vermeinen nur dadurch eine konsequente Politik der Emanzipation verfolgen zu koennen. Demgegenueber setzte sie einen begrifflichen Rahmen, der (geschlechtliche) Identitaeten als kontingent, ambivalent und ueber Machtdiskurse kulturell hergestellt ansieht und so die Moeglichkeit bieten soll, Hegemonien nicht nur als Feld der Politik, sondern auch als wesentliche Konstitutiva von kulturell bestimmten Lebenswelten zu begreifen. Beatrice Hanssen applizierte ihre Liberalismus-Kritik auf das Phaenomen der Gewalt und seine diskursiven Darstellungen. Ausgehend von TheoretikerInnen wie Hannah Arendt. Judith Butler, Pierre Bourdieu, Michel Foucault und Juergen Habermas analysierte sie den liberalen Diskurs ueber Gewalt, der die Sprache selbst als neutral und gewaltentkoppelt ansieht, waehrenddessen der Poststrukturalismus schon in der Sprache selbst Momente von Gewalt und hegemonialer Unterwerfung angelegt sieht. Ihrer Auffassung nach koennen nur solche Kritiken der Gewalt radikal sein, die sowohl den politischen wie aesthetischen Diskurs dahingehend hinterfragen, in welcher Weise schon in der gewaehlten Begrifflichkeit und im Duktus der Sprache diskursive Momente der Gewalt eingelassen sind.

Die abschliessende Sektion Crossing Boundaries - Interdisciplinary Cultural Analysis today (Vorsitz: Lutz Musner, ReferentInnen: Mieke Bal, Ernst van Alphen) suchte mittels der Thematisierung aktueller Grundthemen der Kunstanalyse wie Gedaechtnis, Museum, Idolatrie, Symbolik und AEsthetik das hermeneutische Potential fachuebergreifender Kulturstudien zu demonstrieren. Mieke Bals Beitrag widmete sich der Frage nach der Textualitaet und damit der "Lesbarkeit" von Werken bildender Kunst. Gegen die aus der europaeischen Tradition gespeiste ontologische Differenz, naemlich die Geschichte der Kunst, AEsthetik, ihre Diskursformen und die Bildnisse als kategoriell verschieden anzusehen, stellte sie das Paradigma einer "visuellen Poesie". Ihre These ist, dass die Analyse von Text und Bild, kuenstlerischer Subjektivitaet und historischer Dimension eine neue, fuer die Kulturwissenschaften produktive Wende annehmen kann, wenn im Kunstwerk nicht nur seine affektiven und aesthetischen Komponenten thematisiert werden, sondern seine "Gedanklichkeit" und visuelle Kognition. Ihr Plaedoyer ging dahin, Kunstwerke wieder "sprechen" zu lassen und ihrer Semantik einer eigenstaendigen Platz jenseits ausufernder, historisierender "Erzaehlungen" ueber Kunst einzuraeumen. Ernst van Alpen konzentrierte sich in seinem Beitrag auf die Frage, in welcher Weise die herkoemmliche Kunstgeschichte ihrer Gegenstaende verlustig geht gerade weil sie keinen anderen Kanon kennt, als das Kunstwerk als historisches Objekt absolut zu setzen. Damit unterschlaegt sie nach Ernst van Alphen gerade die wesentliche Frage, naemlich in welcher Weise die Kunst selbst Geschichte und Geschichtlichkeit produziert, also Dimensionen artikuliert, die philosophisch, transhistorisch, transkulturell und universalistisch angelegt sind. Am Beispiel des franzoesischen Kuenstlers Christian Boltanski und dessen Arbeiten ueber den Holocaust versuchte er zu zeigen, dass sein Werk nicht als Teil der (aesthetischen) Wirkungsgeschichte des Holocaust interpretiert werden sollte, sondern eine eigenstaendige Position zwischen dem historischen Ereignis und seinen kulturellen und historiographischen Repraesentationen einnimmt und die in ihnen angelegten begrifflichen Kategorien hinterfraegt.

Angesichts der Fuelle und Unterschiedlichkeit der Referate faellt ein Kurzresuemee der Tagung schwer. Aus den vielen Diskussionsbeitraegen wurde jedoch dreierlei deutlich:

1) Kulturwissenschaften und "cultural studies" sind nicht gleichzusetzen, sondern artikulieren jeweils unterschiedliche intellektuelle und theoriegeschichtliche Traditionen und Erkenntnisinteressen,

2) ihre Ueberlappungen und Gemeinsamkeiten resultieren nicht aus einem deckungsgleichen Kanon von Methoden und Herangehensweisen, sondern aus dem Versuch, faecheruebergreifende Themen zum Gegenstand der Kulturstudien zu machen und

3) nuetzen beide Stroemungen die kreativen Widersprueche, die in den Differenzen von Text und Kontext, Gedaechtnis und kultureller Repraesentation, und der Hermeneutik und Politik von Lebenswelten angelegt sind um einen gleichermassen erweiterten wie pluralistischen Kulturbegriff erschliessen zu koennen.

Eine Publikation der Tagungsbeitraege ist in Vorbereitung und wird im Herbst 1998 erscheinen.


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