Sie waren dabei: Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus

Sie waren dabei: Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus

Organisatoren
8. Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte
Ort
Dachau
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2007 - 06.10.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Felizitas Raith, LMU-München

Das 8. Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte thematisierte Frauen im Nationalsozialismus, die nicht Opfer oder Widerstandskämpferinnen waren, sondern Mitläuferinnen, Nutznießerinnen und Täterinnen. Die wissenschaftliche Leitung der Tagung hatte MARITA KRAUSS inne. Die Tagung richtete sich sowohl an Historiker als auch an die interessierte Öffentlichkeit. Thematisch war die Veranstaltung breit gefächert. Die Beiträge befassten sich mit den vier nachfolgenden Themenkomplexen: „die ‚deutsche Frau und Mutter‘“, ,„die organisierte Frau“, „Nutznießerinnen und (Mit-)Täterinnen“ und schließlich „‚Täterinnen‘ im Blick der Nachkriegsjustiz“.

MARITA KRAUSS (Ludwig-Maximilians-Universität München) hielt den Einführungsvortrag zum Thema: „Ganz normale Frauen. ‘Täterinnen’-Forschung als Gender-Forschung“. Sie steckte das im Symposium zu behandelnde Feld ab: Die Tagung beschäftige sich, so Krauss, weder mit der Frage, ob Frauen eher Täterinnen oder Opfern zuzurechnen seien, noch fokussiere das Symposium den engen Bereich der Täterinnen allein, also beispielsweise der KZ-Aufseherinnen. Vielmehr würden die „ganz normalen Frauen“ untersucht, die die große Mehrheit darstellten und in das System eingebunden waren. Auch die Nachkriegsjustiz und deren Rollenbild von Frauen werde bei der Tagung thematisiert. Krauss stellte in ihrem Vortrag fünf Leitfragen, die sie auch als Diskussionshintergrund verstand: „1. Welche Angebote und Karrieremöglichkeiten gab es für die betrachteten Frauen? Inwiefern waren Frauen-‘Karrieren’ im Nationalsozialismus Teil einer Emanzipation? 2. Inwiefern reproduzierten diese Frauen Bilder, die durch den Nationalsozialismus an sie herangetragen wurden? Inwiefern setzten sie NS-Politik um? 3. Ein wesentlicher Teil unseres Blickes auf diese Frauen wird durch zeitgenössische Akten (einschließlich der Nachkriegszeit) bestimmt. Welche impliziten oder expliziten Annahmen über Gender geben diese wieder? 4. In welchen Kontexten wird die Frage nach weiblicher ‘Schuld’ oder Mittäterschaft im Nationalsozialismus außerhalb von Wissenschaft und Nachkriegsjustiz thematisiert? Welche Frauen- und Männerbilder stehen dahinter? 5. Was unterscheidet heutige ‘Täter’- von ‘Täterinnen’-Forschung? Was verbindet sie?“ Diese Fragen sah Krauss als Möglichkeit, die Angebote des Regimes an Frauen stärker in den Blickpunkt der Untersuchung zu stellen und so zu betonen, dass Frauen Wahlmöglichkeiten hatten, dass sie aktive Mitglieder des Systems waren, beispielsweise als Frauenschaftsführerinnen oder als Krankenschwestern.

Die erste Sektion eröffnete GUDRUN BROCKHAUS (Ludwig-Maximilians-Universität München) mit ihrem Vortrag: „Mutter und Frau in Johanna Haarers Erziehungsratgebern der NS-Zeit“. Sie betrachtete dabei vor allem, wie anhand konkreter Erziehungsratschläge in den beiden Bestsellern „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ und „Unsere kleinen Kinder“ die Ideen von Verzicht, Opfer, Dienen und Unterordnung an die Frauen herangetragen wurden. Brockhaus gliederte ihren Vortrag hierfür in drei Teile: zuerst sprach sie über die offene NS-Propaganda in den beiden Ratgebern, danach widmete sie sich individuellen Deutungsmöglichkeiten der Propaganda und schließlich betrachtete sie Machtchancen, die sich für Frauen eröffneten. Brockhaus deutete die Ratgeber Haarers als Quelle für das Alltagsbewusstsein der NS-Zeit, begründet durch die weite Verbreitung dieser Werke. Sie thematisierte die Fragen, wie Haarer die Rolle der Frau charakterisierte, wie sie mit der Reduktion der Frauen auf Mutterschaft umging und welche Anreize es für Frauen gab, dabei mitzuwirken. Als einen dieser Anreize nannte Brockhaus die Wertsteigerung der Mutterschaft durch den völkischen Rassismus. Ein weiterer bestünde in der positiven Betonung des selbstlosen Opferns. Nicht zuletzt zeigte Brockhaus auf, dass Haarer die Familie als autonomen Herrschaftsbereich der Frauen pries. Allerdings, so Brockhaus, sei die Kehrseite dieser Machtfülle die Betonung der Möglichkeit des Versagens. Daraus folgte Grausamkeit gegenüber den Kindern, die laut Haarer bei Fehlverhalten mit fast sadistischen Strafen zu belegen waren. Brockhaus betonte aber auch, dass Haarer den heutigen Vorstellungen von Kindererziehung nicht immer fremd ist. So zitierte Brockhaus: „Wir gehen höflich und liebevoll mit ihm um [...] wir gängeln das Kind nicht.“ Brockhaus betonte diese Nähe um aufzuzeigen, dass der Nationalsozialismus heute nicht beruhigend in die Ferne gerückt werden kann.

WIEBKE LISNER (Medizinische Hochschule Hannover) sprach in ihrem Vortrag über „‘Mutter der Mütter’ - ‘Mütter des Volkes’? Hebammen im Nationalsozialismus“. Sie sah diese zwischen den Polen einerseits den staatlichen Auftrag zu erfüllen und andererseits als Vertraute der Mütter zu agieren. Daraus ergaben sich Handlungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten für die niedergelassenen Hebammen. Der Beruf der Hebamme erfuhr laut Lisner im Nationalsozialismus eine Aufwertung und Professionalisierung. 1933 waren über 80 Porzent der Geburten Hausgeburten. Die Hebammen arbeiteten selbständig in ihren Bezirken. Bereits 1933 wurden die Berufsverbände der Hebammen in der „Reichsfachschaft Deutscher Hebammen“ gleichgeschaltet. Hebammen seien, so Lisner, von diesem Zeitpunkt an immer stärker in die nationalsozialistische rassistische Bevölkerungspolitik eingebunden worden, indem sie sowohl Geburten fördernd als auch Geburten verhindernd tätig sein sollten. Richtlinie sollte der „erbgesunde“ Volkskörper sein. Hebammen waren einer Meldepflicht unterworfen, die bei Erfüllung zur Ermordung von behinderten Kindern im Rahmen der Euthanasie führte. Hebammen wurden so zu „Müttern des Volkes“ (Nanna Conti, Reichshebammenführerin). Andererseits kamen die Hebammen in dem von Lisner untersuchten Bezirk Lippe aus einer ähnlichen sozialen Schicht wie die Patientinnen, so dass sie mit diesen sozial eng verbunden waren. Das zeigte sich auch daran, dass sie sogar an familiären Feiern wie etwa Taufen teilnahmen. Außerdem waren Hebammen finanziell von den werdenden Müttern abhängig, so dass sie sich daher ambivalent verhielten. Lisner begründet dies mit deren „Doppelmandat“. Bis 1945 sei es den nationalsozialistischen Gesundheitspolitikern nicht gelungen, die Hebammen völlig an den Staat zu binden.

„‘Herrenmenschenpaare’: Nationalsozialistische Elite und rassenideologische (Selbst-)Verpflichtung“ thematisierte KATRIN HIMMLER (Berlin) in ihrem Vortrag. Sie stellte zwei Ehepaare vor, die sich selbst zu den „Herrenmenschenpaaren“ zählten. Himmler beschrieb zuerst das junge ehrgeizige SS-Paar Herbert Hagen und Marianne Birresborn. Die beiden hatten sich in Paris kennen gelernt, wo sie im Rahmen ihrer jeweiligen Tätigkeit für Sicherheitsdienst und SS an der Deportation französischer Juden in die Vernichtungslager beteiligt waren; Hagen als Referent des Höheren SS- und Polizeiführers, Birresborn als Schreibkraft. Himmler führte aus, dass das Paar Hagen/Birresborn nur ein Beispiel unter vielen sei. Gestapo- und Sipo-Ämter in Deutschland und in den besetzten Ländern fungierten als Heiratsmärkte für nationalsozialistische Paare. Sie begründete das damit, dass dort junge Frauen mit gut ausgebildeten Männern zusammentrafen und dass sich beide Seiten sicher sein konnten, ideologisch zuverlässige Partner zu wählen. Beide Ehepartner waren zudem auch an den Verbrechen des Regimes beteiligt, was laut Himmler ein zusätzliches Bindeglied darstellte. Das zweite Paar, das sich als „Herrenmenschenpaar“ sah, waren Rudolf und Elisabeth Hartung, beide Parteifunktionäre. Sie waren bereits 1930 gemeinsam in die Partei eingetreten. Himmler zeigte an diesem Beispiel, dass die NS-Ideologie bereits in der Weimarer Zeit als Sinnstiftung für Ehepaare fungieren konnte. Sie betonte dabei, dass vor allem für Frauen die „Bewegung“ interessant gewesen sei. Anerkennung und Selbstwertgefühl stiegen, indem ihnen suggeriert wurde, von der Gemeinschaft gebraucht zu werden, um die Welt gemeinsam verändern zu können. Parteileiterfunktionen im Rahmen der "NS-Frauenschaft" gaben verheirateten Frauen zudem eine Möglichkeit, unabhängig und selbständig zu sein. Für alle "Herrenmenschenpaare" zählte, so Himmler, dass Heirat keine Privatsache mehr sei. Sie hing von der Zustimmung des Staates ab. Jedes Paar musste den Nachweis der gesundheitlichen, rassisch und erbbiologischen Unbedenklichkeit erbringen. Die Paare waren einerseits privilegiert, andererseits waren sie zur Umsetzung der Rassengesetze verpflichtet. Himmler betonte, dass nach Kriegsende viele Frauen nicht für ihre Beteiligung an den Verbrechen gerichtlich belangt worden seien.

ELIZABETH HARVEY (University of Nottingham, UK) sprach in ihrem Vortrag über die „NS-Frauenschaft, BDM und Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend im ‘Osteinsatz’“. Sie sprach dabei erstens die Aufgaben an, die die Frauen bei der Germanisierungspolitik im besetzten Polen hatten. Mehrere tausend Frauen, so Harvey, seien im Rahmen ihres Osteinsatzes aktiv an der „Eindeutschungspolitik“ des besetzten Polens beteiligt gewesen. Die Frauen übernahmen dabei weibliche Aufgaben: Sie richteten Kindergärten und Schulen ein, oder halfen, neu angesiedelten Familien die Dörfer zu verschönern. Allerdings gab Harvey zu bedenken, dass die Arbeit der Frauen allumfassend und damit grenzenlos sei. Zum einen, weil die Neuangesiedelten total erfasst wurden, zum anderen aber auch, weil die deutsche Ostgrenze nie als definitiv betrachtet wurde. Frauen erfuhren durch ihre Arbeit als Kolonisatorinnen in Polen eine Aufwertung ihres Status in der nationalsozialistischen Rasse- und Volkstumshierarchie. Harvey zeigte im zweiten Teil ihres Vortrags, wie Frauen durch diese Arbeit an der Diskriminierung und der Verfolgung der nichtdeutschen Bevölkerung beteiligt gewesen seien. In überlieferten Tätigkeitsberichten ist von dieser Tatsache laut Harvey kaum etwas zu lesen. Das Schicksal der vertriebenen Nichtdeutschen werde allenfalls nur am Rande erwähnt. Trotz dieser spärlichen Aktenlage war es Harvey möglich, zu zeigen, dass Frauen auf verschiedene Art beteiligt waren. So waren sie beispielsweise als "Ansiedlerbetreuerinnen" und "Arbeitsmaiden" an der Aussiedlung von Polen beteiligt: sie beaufsichtigten, was gepackt wurde und was für die deutschen Ansiedler noch brauchbar war. Drittens zeigte Harvey die Erinnerungsstrategien der Frauen auf. Einerseits wollten diese ihre Arbeit gewürdigt sehen, andererseits wollten sie sich jedoch nicht für die Beteiligung an der Verfolgung der Polen und Juden verantworten. Sie betonten vielmehr ihr begrenztes Wissen über die Verbrechen, insbesondere den Holocaust.

CHRISTIANE BERGER (Hamburg) referierte über die „Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink“. Zuerst stellte Berger kurz die Biographie von Gertrud Scholtz-Klink vor, sprach über die Frauenansprachen der Reichsfrauenführerin und gab abschließend noch einen Ausblick auf die Nachkriegszeit. Gertrud Scholtz-Klinks nationalsozialistische Karriere begann bereits 1930 im Alter von 28 Jahren: Sie wurde vom badischen Gauleiter Robert Wagner zur Gauleiterin des Deutschen Frauenordens ernannt. Berger sah Scholtz-Klinks Aufstieg zur Reichsfrauenführerin 1934 vor allem darin begründet, dass sie keine Vordenkerin einer nationalsozialistischen Frauengruppe war. Sie habe sich vielmehr an die Vorgaben ihrer männlichen Fürsprecher gehalten, zu denen auch Heß gehörte. Selbst in ihrer Spitzenposition sei Scholtz-Klink Untergebene der Männer geblieben. Berger betonte, dass Scholtz-Klink in ihren Ansprachen die Rolle der Frauen zwar patriachal-reaktionär eingestuft, aber gleichzeitig auch um die Frauen für das Volkskollektiv geworben habe; so setzte sie beispielsweise „dienen“ mit „politisch denken können“ gleich. Scholtz-Klink versuchte in ihrer Funktion als Reichsfrauenführerin, Frauen aller Schichten für das System zu gewinnen. Sie agierte daher laut Berger vor allem gegen sozialistische Ideen, gegen Emanzipationsansprüche und gegen die christliche Religionsbindung. Nach 1945 tauchte Scholtz-Klink zusammen mit ihrem dritten Mann kurzzeitig unter. 1948 wurde sie von der Tübinger Spruchkammer als „Hauptschuldige“ eingestuft. Sie wurde zu zweieinhalb Jahren Internierungshaft verurteilt. Scholtz-Klink blieb bis ins hohe Alter unreflektiert und nahm keinen Abstand zu ihrer nationalsozialistischen Grundhaltung. In Anlehnung an Hannah Ahrendt resümierte Berger, dass Scholtz-Klink „die Banalität der Mitverantwortung am Bösen und der verklärten Vergötterung des Selbigen“ personifiziert habe.

Die dritte Sektion begann mit dem Beitrag von CHRISTOPH THONFELD (Universität Trier) zum Thema „Frauen und Denunziation“. Thonfeld umriss zu Beginn seines Vortrags die zwei zentralen Problemfelder bei der Erforschung von Denunziation. Schwierig sei zum einen, aus den Akten genau herauszulesen, wer Denunziant, wer Ratgeber oder Zuhörer war und zum anderen die Trennung zwischen Denunziation und Anzeige. Thonfeld betonte, dass es zudem problematisch sei, eine exakte Geschlechterzuschreibung bei der denunziatorischen Täterschaft zu geben. Das läge vor allem daran, dass Frauen den Kontakt zu den Behörden häufig Männern überließen, auch wenn sie die treibenden Kräfte waren. So sollte Geschlecht nur ein Untersuchungsmerkmal unter anderen, wie soziale Schicht oder Generation, sein. Thonfeld hielt fest, dass zwischen 10 Prozent und 33 Prozent der Denunzianten Frauen waren. Denunziationen bedeuteten laut Thonfeld einen Machtzuwachs für Frauen. Diese ermöglichten es Frauen, die häusliche Rollenverteilung in Frage zu stellen, außerdem gaben sie Frauen die Möglichkeit, sich als Kämpferinnen an der Heimatfront zu inszenieren. Thonfeld konstatierte mit Verweis auf die Aktenlage, dass Frauen meist denunzierten, um eine Einhaltung sozialer Normen zu erlangen – so zum Beispiel im familiären oder nachbarschaftlichen Bereich – und weniger, um sich materielle Vorteile zu verschaffen. Thonfeld betonte, dass die Nachkriegsjustiz bei Verfahren gegen Frauen im Rahmen der Verfolgung von Denunziationen geschlechterspezifische Zuschreibungen widerspiegelte. So wurde Frauen ein naturgegebener Hang zur Mitteilsamkeit unterstellt, der sich strafmildernd auswirkte.

Anschließend sprach ELISABETH KOHLHAAS (Universität Leipzig) über „(Mit-)Täterschaft - Frauen bei der Gestapo“. Kohlhaas behandelte zum einen die Frage nach den Handlungsspielräumen der Frauen, zum anderen zeigte sie deren Handlungsmöglichkeiten auf. Im ersten Teil ihres Vortrags beschrieb sie die Arbeitsfelder von Frauen bei der Gestapo. Kohlhaas sprach dabei von mehreren 1.000 bis an die 10.000 Frauen, die zwischen 1933 und 1945 für die Gestapo gearbeitet hätten. Allen gemeinsam sei, dass sie nicht im Exekutivdienst tätig waren, sondern in der Verwaltung, dort aber keine Führungspositionen inne hatten. Trotzdem, so Kohlhaas' These, handelte es sich nicht um harmlose Verwaltungstätigkeiten, denn die Gestapo war eine Organisation, die NS-Gegner verfolgte und die nationalsozialistische Rassenpolitik umsetzte. Frauen waren daran einerseits beteiligt, weil auch der Bürodienst der Behörde von Gewalt und Terro“ durchdrungen war, zum anderen halfen Frauen auch eigenhändig an der Umsetzung der Rassenpolitik mit, wenn dies gefordert wurde. Die Personalpolitik der Gestapo behandelte Kohlhaas im zweiten Teil ihres Vortrags. Die Gestapo entwickelte laut Kohlhaas erst während des Krieges eine Personalpolitik für ihre weiblichen Mitarbeiter. Von etwa 1942 an wurden Frauen stärker ideologisch geschult und ab 1943 gab es den Heiratsbefehl, das heißt, auch die Frauen mussten eine Genehmigung beim SS-Rasse- und Siedlungshauptamt einholen. Im letzten Teil ihres Vortrags ging Kohlhaas genauer auf einzelne Tätigkeitsbereiche von Frauen ein. Sie beschrieb den Einsatz von Frauen in den besetzten Gebieten, in denen Frauen beispielsweise als Mitglieder der Einsatzgruppe A des SD die neuesten Zahlen von Massenexekutionen aufgeschrieben und weitergeleitet hätten. Frauen arbeiteten in den besetzten Ostgebieten also im Zentrum des systematischen Mordens. Ein weiteres Arbeitsfeld von Frauen bei der Gestapo war laut Kohlhaas die Arbeit in Arbeitserziehungslagern. Frauen waren hier sowohl in der Verwaltung als auch im Wachdienst angestellt. Das letzte Arbeitsfeld von Frauen, das Kohlhaas beleuchtete, war die Beteiligung an Judendeportationen. Gestapo-Frauen hätten auch hier wieder an der Organisation und Verwaltung teilgenommen. Sie waren aber auch für die körperliche Durchsuchung der Jüdinnen und deren Gepäck zuständig. Auf diese Weise haben Frauen an der Umsetzung der Rassenpolitik aktiv mitgewirkt. Zusammenfassend stellte Kohlhaas fest, dass ausdrücklich von Mittäterschaft zu sprechen sei.

„Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück“ war das Thema von SIMONE ERPEL (Humboldt Universität Berlin). Diese Frauen beteiligten sich laut Erpel aktiv an der Umsetzung der nationalsozialistischen Rasse- und Verfolgungspolitik. Sie waren keine Mitglieder der SS, die im Allgemeinen keine Frauen aufnahm. Diese Frauen standen in der Hierarchie unter den Männern. Sie seien „weibliche Hilfskräfte“ gewesen, so Erpel. Sie hatten sich vertraglich für die Arbeit bei der Waffen-SS verpflichtet und waren Angestellte im öffentlichen Dienst. Die Gesamtzahl der Frauen, die als Aufseherinnen arbeiteten, lässt sich auf Grund der schwierigen Aktenlage nicht präzise bestimmen. Erpel konstatierte, dass ungefähr 10 Prozent der Wachmannschaften Frauen gewesen seien, die allerdings nicht zur äußeren Bewachung eingesetzt wurden. Die Aufstiegschancen für Frauen waren begrenzt. Sie konnten als höchste Position die der Oberaufseherin bekleiden. Sie waren damit sowohl dem Kommandanten als auch dem Schutzhaftlagerführer untergeordnet. In Ravensbrück gab es eine hohe Fluktuation bei den Oberaufseherinnen, was laut Erpel daran lag, dass die Frauen in andere Konzentrationslager wie etwa Auschwitz versetzt wurden. Erpel verwies darauf, dass auch über die Ausbildung der Frauen wenig bekannt sei. In den ersten Jahren habe diese aus praktischen Unterweisungen bestanden, ab 1942 fanden in Ravensbrück regelmäßige Schulungen statt. Schon vor diesen seien die Frauen jedoch regelmäßig ideologisch geschult worden, so Erpel. Organisatorisch unterstanden bis Herbst 1944 alle Frauen-Außenlager Ravensbrück, danach wurden sie dem geographisch nächstgelegenen KZ zugeordnet. Die Mehrheit der Aufseherinnen kam aus der Rüstungsindustrie, zum Teil arbeitsverpflichtet, was nach dem Krieg als Entlastungsgrund genutzt wurde. Es bewarben sich jedoch auch Frauen für den Dienst als Aufseherinnen. Erpel betonte, dass der Arbeitsplatz für Frauen attraktiv gewesen sei. Die SS ging auf Grund eines Mangels an weiblichem Bewachungspersonal auf die Bedürfnisse von Frauen ein. So gab es beispielsweise neben einem guten Gehalt auch Betreuungsangebote für Kleinkinder. Zudem wurde die Tätigkeit als Kriegseinsatz gewertet und damit auf die Rente angerechnet.

CLAUDIA KURETSIDIS-HAIDER (Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, Wien) sprach über „Täterinnen vor Gericht – die Kategorie Geschlecht bei der Ahndung von nationalsozialistischen Tötungsdelikten in Deutschland und Österreich“. Sie konstatierte, dass es über die justizielle Ahndung von NS-Verbrechen, die von Frauen begangen wurden, in Deutschland keinen Gesamtüberblick gebe. In Österreich sei die Forschungslage sogar noch schlechter. Kuretsidis-Haider legte daher die Urteilsedition von Christiaan Frederik Rüter ihren Untersuchungen zu Grunde. Sie zeigte auf, dass in Österreich und der DDR Denunziationsverbrechen am häufigsten abgeurteilt wurden, wohingegen in der Bundesrepublik die meisten Frauen wegen Euthanasieverbrechen vor Gericht standen. Kuretsidis-Haider sah mehrere Gründe für diese ungleiche Verteilung der Urteile wegen eines Tötungsdelikts. Sie verwies darauf, dass in den drei Staaten die rechtliche Grundlage und die daraus folgende Rechtsanwendung unterschiedlich gewesen seien. So gab es beispielsweise in Österreich ein Sondergesetz, das die rückwirkende Bestrafung von Denunziationen ermöglichte, im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo sich Juristen mehrheitlich gegen eine rückwirkende Verurteilung aussprachen. Für die Rechtspraxis der DDR folgte Kuretsidis-Haider der Ansicht Rüters, der davon ausging, dass dort vor allem der Verrat an den „eigenen Leuten“, also den Gegnern des Nationalsozialismus, geahndet wurde. Einen weiteren Grund für die Divergenz sieht sie darin, dass die Gerichte in Westdeutschland Handlungsspielräume von Frauen vor allem im Bereich der Euthanasie sahen, in Österreich und der DDR im Bereich von Denunziation. Kuretsidis-Haider ging in ihrem Vortrag auch auf die Rollenbilder ein, die den Gerichtsurteilen zu Grunde lagen. Sie machte dabei vier verschiedene Kategorien aus: erstens die Frau, die von den Männern abhängig ist; zweitens Frauen, die nicht selbst verantwortlich sind für ihre Taten; drittens Frauen, die nicht dem Bild der mütterlich liebenden Frau entsprechen und als vierte Kategorie die der Hexe und Bestie. Kuretsidis-Haider resümierte, dass Frauen als Angeklagte von NS-Gewaltverbrechen in den untersuchten Ländern statistisch eine Ausnahme darstellen. Sie leitete daraus die These ab, dass nicht von einer gleichberechtigten Mitschuld der Frauen an den Verbrechen des Nationalsozialismus ausgegangen werden kann. Sie begründet das sowohl mit einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als auch mit der Definition der Straftatbestände.

Im letzten Vortrag des Symposiums behandelte LAVERN WOLFRAM (Berlin) „eine KZ-Aufseherin und die Justiz in der SBZ, der DDR und in der Bundesrepublik nach 1990“. Wolfram stellte den Fall der ehemaligen KZ-Aufseherin Margot Pietzner vor, der im Sommer 1994 für Aufsehen gesorgt hatte. Margot Pietzner war in der SBZ verurteilt und nach der Wiedervereinigung für ihre Haftzeit entschädigt worden. Wolfram ging zunächst auf die Biographie von Margot Pietzner, geborene Kunz, ein. Diese verrichtete verschiedene Arbeiteten, bevor sie im August 1944 von ihrem Arbeitgeber, dem Arado-Flugzeugwerk, zu einem Lehrgang als KZ-Aufseherin in das KZ Ravensbrück geschickt wurde. Die 23-jährige bewachte danach bis zur Befreiung KZ-Häftlinge an unterschiedlichen Orten. Im Juli 1945 kehrte sie in ihren Heimatort Wittenberg zurück. Nach einer Anzeige von überlebenden KZ-Häftlingen des KZ-Außenlagers Arado-Flugzeugwerke wurde Margot Pietzner 1947 durch das Sowjetische Militärtribunal der Garnison Berlin zum Tode verurteilt, später zu 25 Jahren Strafarbeitslager begnadigt. Im Februar 1950 wurde Margot Pietzner durch die Sowjetische Kontrollkommission, die die Schuldsprüche überprüfte, in das Frauengefängnis Hoheneck verbracht, wo sie 1956 amnestiert wurde. Pietzner kehrte daraufhin nach Wittenberg zurück.Im zweiten Teil ihres Vortrags erörterte Wolfram die Bemühungen Pietzners um Rehabilitierung nach der Wiedervereinigung. Bereits im Frühjahr 1990 trat Margot Pietzner dem Bund der stalinistisch Verfolgten bei. Ein Jahr später stellte sie einen Antrag auf Rehabilitierung. Dieser wurde wiederum ein Jahr später am 9. März 1992 bewilligt. Margot Pietzner galt von diesem Zeitpunkt an als politischer Häftling und Opfer des Stalinismus, verbunden damit war eine Zahlung von 8.400 DM, obwohl das Gesetz eindeutig diejenigen ausschließt, die „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit“ verstoßen haben. Am 23. März 1993 erhielt Pietzner eine Entschädigung in Höhe von 55.950 DM. Wolfram konstatierte, dass die schnelle Anerkennung des Opferstatus' und der damit verbundenen Entschädigung durch enge persönliche Verbindungen zwischen Pietzner und Ursula Popiolek, Leiterin der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus, sowie Siegmar Faust, Vizepräsident des Dokumentationszentrums zur Aufklärung der SED-Verbrechen, zustande gekommen sei. Die Entschädigung Margot Pietzners wurde im Sommer 1994 durch die Arbeit von Renate Gruber-Lieblich und die Lagergemeinschaft Ravensbrück publik. Im Mai 1996 wurde Pietzner sowohl die Anerkennung als Opfer des Stalinismus entzogen als auch die Entschädigung zurückgefordert. Wolfram betonte, dass Popiolek und Faust von der Tätigkeit als KZ-Aufseherin wussten, diese aber verschleierten.

Die Beiträge des achten Dachauer Symposium haben verdeutlicht, dass auch Frauen an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt waren. Diese Form der Beteiligung sieht allerdings anders aus als die der Männer. Nur selten waren Frauen direkt Ausführende bei physischen Gewalttaten. Dennoch trugen sie an vielen verschiedenen Stellen zur Stabilisierung des Nationalsozialismus bei, in dem sie beispielsweise die Bürokratie stützten. Die Ergebnisse der Tagung erscheinen im Sommer im achten Band der Reihe Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte (Wallstein Verlag). Das neunte Dachauer Symposium wird am 10. - 11. Oktober 2008 zum Thema "Das Jahr 1933. die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft" unter der wissenschaftlichen Leitung von Andreas Wirsching (Uni Augsburg) stattfinden.

Konferenzübersicht

Bernhard Schoßig (Dachau) u. Marita Krauss (München): Ganz normale Frauen. „Täterinnen“-Forschung als Gender-Forschung

Sektion 1: Die „Deutsche Frau und Mutter"
Gudrun Brockhaus (München): Mutter und Frau in Johanna Haarers Erziehungsratgebern der NS-Zeit
Wiebke Lisner (Hannover): „Mutter der Mütter“ – „Mütter des Volkes“? Hebammen im Nationalsozialismus
Katrin Himmler (Berlin): „Herrenmenschenpaare“: Nationalsozialistische Elite und rassenideologische (Selbst-)Verpflichtung

Sektion 2: Die organisierte Frau
Elizabeth Harvey (Nottingham): „Wir kamen in vollkommenes Neugebiet rein“: NS-Frauenschaft, BDM und Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend im „Osteinsatz“
Christiane Berger (Hamburg): Die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink

Sektion 3: Nutznießerinnen und (Mit-)täterinnen
Christoph Thonfeld (Bremen): Frauen und Denunziation
Elisabeth Kohlhaas (Leipzig): (Mit-)Täterschaft. Frauen bei der Gestapo
Simone Erpel (Berlin): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück

Sektion 4: „Täterinnen“ im Blick der Nachkriegsjustiz
Claudia Kuretsidis-Haider (Wien): Täterinnen vor Gericht. Die Kategorie Geschlecht bei der Ahndung von nationalsozialistischen Tötungsdelikten in Deutschland und Österreich
Lavern Wolfram (Berlin): Eine KZ-Aufseherin und die Justiz in der SBZ, der DDR und in der Bundesrepublik nach 1990

Ein weiterer Bericht zur Tagung findet sich unter:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1909>


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