Historische Kompetenzen und Museen

Historische Kompetenzen und Museen

Organisatoren
Konferenz für Geschichtsdidaktik, München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2007 - 07.10.2007
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Von
Christine Pflüger, Pädagogische Hochschule Freiburg; Christian Segger, Düsseldorf

Bereits zum 18. Mal versammelten sich die universitären Geschichtsdidakterinnen und Geschichtsdidaktiker der Bundesrepublik zu ihrem Verbandstreffen. Die Münchener Zweijahrestagung wurde von zwei dominierenden Themen beherrscht, die die Disziplin zurzeit merklich herausfordern: Von der staunenswert boomenden Geschichtskultur der deutschen Museen und von der bildungspolitisch forcierten Diskussion um historische Kompetenzen (und Standards). Dass beide Phänomene verschiedenartigen Ursprunges sind und in einem spannungsvollen Verhältnis stehen, darauf machten die einführenden Vorträge von BERND SCHÖNEMANN und SUSANNE POPP aufmerksam. Beide vermochten auch die Ambivalenz dieser Themen zu verdeutlichen: Einerseits rückten geschichtsdidaktische Schwerpunkte stärker in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, andererseits sind aber mit ihnen politische oder ökonomische Implikationen verbunden, die dem aufklärenden Bildungsinteresse der universitären Geschichtsdidaktik fremd sind.

Die erste Sektion der Tagung beschäftigte sich mit den Kompetenzmodellen der Geschichtsdidaktik und ihrer Erklärungsleistung für das historische Lernen in Museen und Ausstellungen. WALTRAUD SCHREIBER wies in ihrem Einleitungsvortrag auf den grundlegenden Unterschied zwischen dem Kompetenzbegriff der Geschichtsdidaktik und dem der Kultusministerkonferenz hin. Es gehe den Geschichtsdidaktikern keineswegs darum, den Prozess historischen Lernens zu standardisieren. Auch sei nicht beabsichtigt, das schulische Lernen zu verabsolutieren. Vielmehr sollten auch Bereiche der Geschichtskultur einbezogen werden. Eine Beschäftigung mit Kompetenzen sei erforderlich, da man zur Zeit Lehrpläne und Bildungsstandards für den Geschichtsunterricht ohne die Beteiligung der Geschichtsdidaktik definiere. Es bestehe daher akuter Handlungsbedarf, um sich in die aktuellen Debatten einbringen zu können.

Im Anschluss präsentierte PETER GAUTSCHI sein Kompetenzmodell, das im Rahmen der Lehrmittelentwicklung pragmatisch erarbeitet worden ist. Historische Kompetenzen definierte er in Anlehnung an Weinert und Jeismann als die beim Individuum verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten, um ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln. Ausgehend von den Kompetenzbereichen Wahrnehmungs-, Erschließungs-, Interpretations- und Urteilskompetenz zeigte er auf, wie historische Kompetenzen im Museum geschult werden können.

Kompetenzen, so führte ANDREAS KÖRBER aus, seien noch keine Standards. Vielmehr diene die Kompetenzorientierung der Systematisierung und Differenzierung des Geschichtsbewusstseins. Kompetenzmodelle müssten daher thematisch offen sein. Dennoch soll bei der Kompetenzorientierung nicht auf Inhalte verzichtet werden. Hinsichtlich der Pragmatik sei die Setzung von Inhalten neben Kompetenzdefinitionen sogar sinnvoll und notwendig. Er verdeutlichte, dass Graduierungskonzepte notwendig sind, um Lernprozesse zu strukturieren. Ausgehend von den Kompetenzbereichen des Strukturkompetenzmodells der Arbeitsgruppe „FUER Geschichtsbewusstsein“ demonstrierte Körber die Graduierung historischen Denkens im Rahmen der geschichtskulturellen Institution des Museums.

MICHAEL SAUER wies in seinem Vortrag auf die prozesshafte und kumulative Kompetenzentwicklung hin. Er zeigte die möglichen Bezüge zwischen Kompetenzmodellen und historischen Ausstellungen auf. Die Grundlage seiner Ausführungen war dabei das Kompetenzmodell des Geschichtslehrerverbandes. Anhand dieses Modells verdeutlichte er, dass die Museen die Geschichtsdidaktik benötigen, um die Schulung von Kompetenzen zu gewährleisten.

In der abschließenden Diskussion zeigten die Referenten sich zuversichtlich, dass sich ihre Kompetenzmodelle ineinander überführen lassen. Dennoch wurden auch einige Differenzen deutlich, die es noch auszuräumen gilt. Zudem verwies Hilke Günther-Arndt (Oldenburg) auf das grundlegende Problem, dass sich Kompetenzen stets auf Individuen beziehen. Es sei problematisch, diese in eine Beziehung zu einer sozialen Praxis zu setzen.

In der zweiten Sektion zu „Schülerkompetenzen in historischen Museen und Ausstellungen“ wurden zwei Themen im Schwerpunkt thematisiert: Erstens sollten Möglichkeiten der Diagnose jener Schülerkompetenzen erörtert werden, die als Basis für die Arbeit an außerschulischen Lernorten sowie für die Kooperation mit Museumspädagogen dienen. Zweitens sollten Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen durch die Arbeit an außerschulischen Lernorten wie Museen und Ausstellungen zur Debatte gestellt werden.

BODO VON BORRIES machte darauf aufmerksam, dass die Vermittlung von Kompetenzen nicht zu den ursprünglichen Zielen von Museen zähle. Man müsse also fragen, ob kompetenzorientierte didaktische Ansätze für den Unterricht in Museen Geltung beanspruchen könnten. Da Ausstellungen an sich nicht narrativ seien, sondern exemplarisch „typische“ Gegenstände zeigten, könnten sie zwar eine Entwicklung verdeutlichen, die korrespondierenden Erzählungen entstünden dann aber durch Führungen oder Kataloge. Um nicht der Gefahr von Mythisierungen zu erliegen, die durch Dreidimensionalität, Ästhetizität und Kostbarkeit musealer Ausstellung, mithin durch Sinnbildungsangebote, entstehen könnten, müsse der Betrachter die Kompetenz zur De- und Re-Konstruktion von Erzählungen bereits mitbringen. Rekonstruktionsprozesse seien im Museum schwieriger umzusetzen als anhand des Schulbuchs. Bei guter Balance zwischen der Belehrung durch eine Führung und ungebremster Entdeckerfreude von Schüler/innen eigneten sich Museen aber dafür, die oft kognitivistische Verengung des Geschichtsunterrichts aufzubrechen. Auf der Ebene der Theorie ergibt sich die Chance, die nicht-kognitivistischen Anteile vorhandener Kompetenzmodelle auszubuchstabieren.

Der zweite Vortrag griff die Frage nach den bei Schüler/innen vorhandenen Kompetenzen auf: MARKUS BERNHARDT stellte Ergebnisse aus einem empirischen Forschungsprojekt zur Bildwahrnehmung bei Kindern vor. Da die Teilnahme am Diskurs über Kunst in der Regel bildungsbürgerliches Wissen voraussetze und eine selbständige Aneignung von Bildern durch jugendliche Betrachter zwar gefordert, oft aber nicht gefördert werde, war es Ziel der Untersuchung, zu einer neuen Einschätzung der Voraussetzungen zu kommen. Am Beispiel von Pieter Breughels Gemälde „Kinderspiele“ (1560) wurde untersucht, was Kinder auf Bildern tatsächlich wahrnehmen. Die Studie ergab, dass bei Grundschulkindern vor allem Detail-Sehen vorausgesetzt werden könne, dass sie Teilzusammenhänge nennen, Bilder auf der Basis eigener Alltagstheorien deuteten und vielfach als Abbildung der Wirklichkeit betrachteten. Auf der Mittelstufe/Sekundarstufe dagegen entwickle sich die Fähigkeit, die historische Dimension eines Gemäldes sowie dessen Intentionalität zu erkennen. Über Möglichkeiten zur Förderung der Bildwahrnehmung könne vor diesem Hintergrund allerdings noch wenig gesagt werden.

INGMAR REITHER vom kunst- und kulturpädagogischen Zentrum Nürnberg und MARTINA CHRISTMEIER vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände stellten ein gemeinsames Angebot für Schülergruppen vor, das der Auseinandersetzung mit der Ausstellung „Faszination und Gewalt“ dienen und eine Reihe historischer Kompetenzen schulen soll. Für die Konzeption von Ausstellung und Begleitprogramm stellten sich die Fragen, „wer für wen Erinnerung organisiere“ und inwiefern es möglich sei, an historischen Orten der Vergangenheit zu „begegnen“. Während die Ausstellung die Geschichte der Reichsparteitage von 1933 bis 1945 „erzähle“, gingen die Themen des Begleitprogramms weit darüber hinaus bis hin zu Themen wie „Rechtsextremismus heute“ oder „Von Nürnberg nach Den Haag“. Von jugendlichen Besuchern werden vor allem Informationen durch Experten gewünscht. Großes Interesse bestehe für Biographien „normaler Leute“, zentral seien Fragen nach Rassismus, Verfolgung und Vernichtung sowie der Besuch des authentischen historischen Ortes.

Aus der Arbeit an der Konzeption des Bayerischen Textil- und Industriemuseums Augsburg berichteten anschließend KARL B. MURR und REINHOLD FORSTER. Das Museum entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Augsburger Kammgarnspinnerei und soll nicht allein die Zeit der Industrialisierung, sondern auch die Geschichte Augsburgs als europäische Textilmetropole thematisieren. Es sind verschiedene Routen durch eine Dauerausstellung geplant. So werden entweder die technische Entwicklung, die Geschichte an der Textilproduktion beteiligter Handwerker, Arbeiter und Fabrikanten oder Aspekte der Mode- und Kulturgeschichte zu entdecken sein. Technik- und sozialgeschichtliche Aspekte soll der Besucher ebenso wahrnehmen können wie die heutige Einbettung der Textilindustrie in die Weltwirtschaft. Im Zentrum der Konzeption steht der historische Ort als „sinnlicher Erfahrungsraum“. Das Textil- und Industriemuseum möchte „unterhaltsam informieren“, nicht belehren. Dafür solle eine „Gesamterzählung“ aufgebaut werden, deren Konzeption jedoch nicht eigens thematisiert werden soll.

Die dritte Sektion der Tagung beschäftigte sich mit verschiedenen Museumstypen und ihren jeweiligen Museumskonzepten. Sektionsleiter MANFRED TREML verdeutlichte in seinem Einleitungsvortrag die Vorzüge des visuellen Lernens im Museum. Die Betrachtung der Exponate erfolge subjektiv und objektbezogen. Ferner sei das Lernen emotional. Dies stehe in einem gewissen Widerspruch zu den kognitiven Lerntheorien. Diese Besonderheiten der Museumspraxis müssen von der Geschichtsdidaktik offener wahrgenommen werden.

Im Anschluss präsentierte CHRISTIAN SICHAU die Konzeption des Deutschen Museums in München. Zu Beginn seines Vortrags problematisierte er das Verhältnis von Technik und Geschichte. Zwar habe sich die Technik historisch entwickelt, dennoch sei sie nicht in größere historische Narrationen eingebunden. Die Geschichtsbetrachtung im Deutschen Historischen Museum erfolge daher aus der Akteursperspektive. Das Ziel des Museums bestehe nicht zuletzt darin, Meisterwerke der deutschen Naturwissenschaft und Technik auszustellen. Es diene der Vergewisserung der eigenen Disziplin. Gesucht werde das Zeitlose und nicht das Historische. Forschungsprozesse würden im Museum zu Entdeckungen verdichtet. Die Geschichte sei lediglich ein nachgeordnetes Instrument, um zeitlose Wissensfragmente zu illustrieren. Sichau verdeutlichte, dass eine historische Kontextualisierung von naturwissenschaftlichen Ausstellungen wünschenswert sei, um die Bedeutungen der Exponate für die menschliche Geschichte zu erfassen.

HANNELORE KUNZ-OTT berichtete über die museumspädagogischen Konzepte an kunst- und kulturgeschichtlichen Museen vor dem Hintergrund ihrer Arbeit an der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern und ihrer Tätigkeit als Vorsitzende des Bundesverbands für Museumspädagogik (BVMP). Aus dieser Perspektive formulierte sie einige Forderungen: Die künftigen Lehrpläne sollten Museen als außerschulische Lernorte berücksichtigen. Ferner sei eine verstärkte Kooperation zwischen Schulen und Museen wünschenswert. Lehrkräfte sollen, wie dies bereits vereinzelt üblich sei, für mehrere Stunden an Museen abgeordnet werden können.

SIMONE MERGEN stellte die Konzeption des Hauses der Geschichte in Bonn vor. Sie erläuterte nicht nur die inhaltliche Gliederung des Museums, sondern auch die verschiedenen Präsentationsformen. Das Haus ermögliche selbst gesteuertes und informatives Lernen. Zudem biete das Haus der Geschichte auch Führungen durch den Besucherdienst an. Zur Vor- und Nachbereitung des Besuchs könne man auf Materialien zurückgreifen, die über den Museumsshop bezogen werden können. Daneben unterhalte das Museum Online-Angebote, zu denen auch eine virtuelle Datenbank gehört.

MANFRED PURIN präsentierte in seinem Vortrag die konzeptionellen Grundzüge des Jüdischen Museums München. Er unterstrich die besondere Bedeutung des Wechselausstellungsbereichs. Der Wandel der Ausstellungen soll die dauerhafte Attraktivität des Museums gewährleisten. Bewusst habe man sich gegen eine stringente Abfolge der Exponate und gegen vorgefasste Lernziele entschieden. Didaktik und Design ständen generell im Hintergrund. Das Jüdische Museum sei vielmehr ein Ort der Entschleunigung. Das Museum sei dem Ideal des „Poetic Museum“ von Julian Spalding verpflichtet: Es will zugleich wahrhaft und anfassend sein.

Die vierte Sektion war der professionellen Kooperation von Schule(n) und Museen im Hinblick auf die Förderung geschichtskultureller Kompetenz gewidmet. WOLFGANG HASBERG warf in seinem einleitenden Vortrag zur „Vermittlung geschichtskultureller Kompetenzen in historischen Ausstellungen“ die Frage auf, ob Museen „Lernorte“ oder „Orte des Befremdens“ seien. Da „Befremden“ auch die Entwicklung eigener Fragen beinhalte, und letzteres eine Kompetenz historischen Denkens darstelle, seien Museen als Lernorte zu betrachten, an denen Kategorien der (historischen) Analyse einerseits vermittelt würden, andererseits aber auch die Ausstellungskonzeption bestimmten. Im zweiten Schritt hinterfragte er den Begriff der „geschichtskulturellen Kompetenz“: Da sich Kompetenzen nur aus dem Vollzug historischen Denkens ableiten ließen, und dieses sich z.B. in der Produktion von Geschichtskultur äußere, gebe es keine eigene „geschichtskulturelle Kompetenz“, sondern die Kompetenzen historischen Denkens implizierten diese bereits. Aus diesen Überlegungen leitete er im Hinblick auf kompetenzförderndes Lernen in historischen Ausstellungen einige Anforderungen an deren Konzeption ab. Sie sollten z.B. problemorientiert sein, um dem Betrachter das In-Frage-stellen eigenen Vorwissens, die De-Konstruktion vorhandener Deutungsangebote sowie die Re-Konstruktion einer eigenen Narration zu ermöglichen. Grundsätzlich sei jedoch zu überlegen, ob man den Museen die Förderung historischer Kompetenzen zur Aufgabe machen solle. Eine weitere Frage sei, welche Kompetenzen Museumspädagogen für ihre Tätigkeit mitbringen müssten.

Das von BETTINA ALAVI und ihrer Studentin CLAUDIA BLASKE vorgestellte Projekt war der Arbeit mit einer Schulklasse in der Ausstellung „Rulamann, der Steinzeitheld“ gewidmet. Diese in Baden-Württemberg gezeigte Wanderausstellung wollte den 1875 erschienen Roman „Rulamann“ von David Friedrich Weinland auf der Basis einer kritischen Analyse „erlebbar“ machen. Der Ausstellungsmacher habe (noch ohne die Absicht der Kompetenzvermittlung) ein geschichtskulturelles Produkt geschaffen, das seinerseits die Kompetenzen der Museumspädagogin herausforderte: Sie leistete die Rekontextualisierung der Exponate, eine für Schüler/innen ansprechende Führung sowie die Kooperation mit den Lehrkräften. Geschult wurden die Fähigkeit zur genauen Wahrnehmung, die Entwicklung ästhetischer Kriterien sowie die Erfahrung der Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten anhand archäologischer Funde. Offen geblieben sei jedoch, was eine „gute Führung“ ausmache. Eine klare Trennung der Kompetenzbereiche von Ausstellungsmachern, Museumspädagogen und Lehrkräften wurde für sinnvoll befunden, weiterzuentwickeln seien Vorstellungen über professionelle Kompetenzen.

Das von MICHELE BARICELLI und BRIGITTE VOGEL-JANOTTA vorgestellte Kooperationsprojekt griff die im Herbst 2005 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigte Ausstellung „Zuwanderungsland Deutschland 1500-2005“ auf. Die Kooperation begann mit einem Besuch der Museumspädagogin in den Schulklassen, bei dem sie über die Entstehung einer Ausstellung, die „Verwandlung“ eines Objekts zum Ausstellungsobjekt und historischen Zeugnis sowie über Berufsgruppen im Museum berichtete. Anschließend trugen die Schüler/innen aus ihren Familien Gegenstände zusammen, die mit einer Migrationserfahrung in der Familie verknüpft waren. Auf der Basis dieser Objekte und der damit verbundenen Erzählungen erstellten sie eine öffentlich zugängliche, eigene kleine Ausstellung. Eine für die Jugendlichen zentrale Erkenntnis war die, dass es Migration in jeder Familie früher oder später einmal gegeben hatte. Deutlich wurden zudem das Bedürfnis nach der Konstruktion eigener Erklärungen und Narrationen, nach dem Gegenwartsbezug historischer Themen sowie der Reiz der Einbeziehung eines außerschulischen Lernorts.

Im Rahmen des Arbeitskreises Hochschullehrernachwuchs wurden unter der Leitung von WOLFGANG JACOBMEYER zwei geschichtsdidaktische Forschungsprojekte der Fachöffentlichkeit vorgestellt. CHRISTIAN WEISS aus Berlin präsentierte sein Promotionsvorhaben zu Geschichtsdeutungen und Erzählstrukturen in Schulgeschichtsbüchern, die zwischen 1900 und 1960 verfasst worden sind. Der Vortrag begann mit einer Erläuterung des Begriffs „Fiktionalisierung“, dabei griff der Referent auf theoretische Konzepte aus dem Bereich der Literaturwissenschaft zurück. Anschließend wandte sich Weiß vorläufigen Ergebnissen zu: Im Vergleich zu den Lehrwerken des höheren Schulwesens zeichneten sich die Volksschulgeschichtsbücher durch einen höheren Grad der Fiktionalisierung aus. Zudem wurde die Entwicklung der Fiktionalisierung innerhalb des Untersuchungszeitraums thematisiert. Deren Hochphase datierte Weiß auf die Zeit des Nationalsozialismus. In der Nachkriegszeit habe der fiktionalisierte Sprachgebrauch hingegen nachgelassen. Mitte der 1950er-Jahre sei es erneut zu einer Literarisierungswelle gekommen. Die Fiktionalisierung habe dazu gedient, den Konstruktcharakter der Geschichte infrage zu stellen.

MARKUS DAUMÜLLER aus Heilbronn referierte über einen Teilaspekt seiner Dissertation. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand der Umgang einer Zeitzeugin mit ihrer Vergangenheit und den damit verbundenen Lernpotentialen für die Geschichtsdidaktik. Daumüller analysierte die Ebenen und Prozesse ihrer Erzählkonstruktion. Grundlage bildete eine Befragung, die Margarete Dörr im Rahmen ihrer Untersuchung „Wer die Zeit nicht überlebt hat …“ dokumentiert hat. Anhand dieses Beispiels konstatierte Daumüller Transformationsprozesse menschlicher Erinnerungsarbeit in Prozesse historischen Lernens. Dieser Wandel vollziehe sich auch in Erinnerungserzählungen von Schülern. Zum Schluss verwies Daumüller auf sein Modell der „Begegnungsdidaktik“, das er im Rahmen der Dissertation empirisch überprüft habe.

Die Münchener Zweijahrestagung unter ihrem Rahmenthema 'Historische Kompetenzen und Museen' konnte als wichtigstes Resultat verbuchen, zwei wesentliche Perspektiven und Professionen historischer Bildungsarbeit stärker als bisher ins Gespräch gebracht zu haben. Sowohl die teilnehmenden Museumsfachleute als auch die universitären Geschichtsdidaktiker empfanden diesen Austausch als fruchtbar und seine Fortsetzung als wünschenswert. Die Übertragung der verschiedenen Kompetenzmodelle auf die Museumsarbeit erwies sich indes als schwierig, wie überhaupt festzuhalten ist, dass die stark bildungspolitisch und dem Geist der Messbarkeit verpflichteten Modelle in der Disziplin noch immer auch auf eine gehörige Skepsis stoßen.

Konferenzübersicht:

MANFRED TREML (München): Begrüßung
BERND SCHÖNEMANN (Münster): Zum Stand der Disziplin
SUSANNE POPP (Augsburg): Einleitende Überlegungen zum Tagungsthema

Sektion 1: Kompetenzmodelle der Geschichtsdidaktik und ihre Erklärungsleistung für das historische Lernen in Museen und Ausstellungen
Leitung: Waltraud Schreiber
PETER GAUTSCHI (Aarau), Schweizer Kompetenzmodell
ANDREAS KÖRBER, (Hamburg), Kompetenz-Strukturmodell der FUER-Gruppe
MICHAEL SAUER (Göttingen), Kompetenzmodell des Geschichtslehrerverbands
Podiumsdiskussion, geleitet von Gabriele Camphausen, Berlin

Sektion 2: Schülerkompetenzen in historischen Museen und Ausstellungen
Leitung: Gerhard Henke-Bockschatz/Susanne Popp
BODO VON BORRIES (Hamburg): Lernende in historischen Museen und Ausstellungen – Kompetenzerwerb und kritische Rückfragen
MARKUS BERNHARDT (Kassel): Empirische Untersuchungen zum Umgang von Schülern mit Bildern in Museen
INGMAR REITHER, MARTINA CHRISTMEIER (Nürnberg): Fragestellungen, Interessen und Deutungsansätze von jugendlichen Besuchern der Ausstellung Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
KARL B. MURR, REINHOLD FORSTER (Augsburg): Ein Museum planen mit Blick auch auf die jugendlichen Besucher – Fragen und Leitgedanken. Das Beispiel des Bayerischen Textilmuseums in Augsburg

Sektion 3: Die neue Vielfalt: Museumstypen und Vermittlungskonzepte
Leitung: Manfred Treml
CHRISTIAN SICHAU (München), Naturwissenschaften: Deutsches Museum München
HANNELORE KUNZ-OTT (München), Kunst und Kulturgeschichte: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern
SIMONE MERGEN (Bonn), Zeitgeschichte: Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn
BERNHARD PURIN (München), Jüdische Kultur und Geschichte: Jüdisches Museum München

Sektion 4: Geschichtskulturelle Kompetenz professionell
Leitung: Bettina Alavi
WOLFGANG HASBERG (Köln), Vermittlung geschichtskultureller Kompetenzen in historischen Ausstellungen.
Geschichtskulturelle Kompetenz in kooperativen Projekten zwischen Museum, Geschichtsdidaktik und Schule
BETTINA ALAVI, ILKA BRÄNDLE, CLAUDIA BLASKE (Heidelberg), Projekt 1: Die Rulaman-Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg
MICHELE BARRICELLI, BRIGITTE VOGEL-JANOTTA, STEFAN BRESKY (Berlin), Projekt 2: Die Migrationsausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Arbeitskreis Hochschullehrernachwuchs
(Leitung: Wolfgang Jacobmeyer)
CHRISTIAN WEISS (Berlin), Zwischen akademischer Geschichtsschreibung und historischer Belletristik. Literarisierungstendenzen in deutschen Schulgeschichtsbüchern 1900-1960
MARKUS DAUMÜLLER (Heilbronn), Wie eine Zeitzeugin mit Geschichte umgeht, und was die Geschichtsdidaktik daraus lernen kann


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