Jüdisches Heiliges Römisches Reich

Jüdisches Heiliges Römisches Reich

Organisatoren
Österreichisches Staatsarchiv; Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Lehrstuhl für Judaistik der Universität Erfurt
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
09.12.2007 - 10.12.2007
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Von
André Griemert, Marburg

Der Projekt-Cluster Jüdisches Heiliges Römisches Reich (JHRR), hervorgegangen aus enger Zusammenarbeit des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main, des Lehrstuhls für Judaistik der Universität Erfurt und des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, geht von dem Desiderat aus, dass eine übergreifende Interpretation jüdischer Geschichte im Kontext des Alten Reiches trotz eines in den letzten Jahren gewachsenen Interesses noch aussteht. Zentraler Ansatzpunkt des Clusters ist die Annahme, dass die jüdischen Lebenswelten im Heiligen Römischen Reich als Teil einer heterogenen überwölbten Herrschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnung zu verstehen sind. Zwei Prämissen sind für den Cluster insbesondere erkenntnisleitend: zum einen die interaktionistischen Beziehungen zwischen jüdischem Binnenraum und christlicher Umwelt, zum anderen das multilaterale Spannungsverhältnis zwischen Landesherrschaft und den durch Kaiser und Reich bestimmten Rahmenfaktoren aktiver jüdischer Existenz.1

Der Projekt-Cluster versteht sich indes als lockerer Verbund von Einzelprojekten. Der Zusammenführung dienen derzeit die dreimal jährlich alternierend in Frankfurt am Main, Wien und an einem dritten, wechselnden Ort stattfindenden Arbeitstreffen. Das dritte Arbeitsgespräch des Projekt-Clusters in Wien, organisiert von Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst in enger Kooperation mit dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Erfurt, Lehrstuhl für Judaistik, der Alexander von Humboldt Stiftung Bonn, dem Jüdisches Museum Wien, dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und dem Wissenschaftsfond, firmierte diesmal unter der Überschrift „Imperiales Angebot und jüdische Nachfrage“. Dem entsprechend behandelte es die Beziehungen zwischen dem Kaiser auf der einen und der jüdischen Bevölkerung des Alten Reichs auf der anderen Seite. Insbesondere der Reichshofrat stand in seiner Doppelfunktion als eines der beiden obersten Reichsgerichte und kaiserliches Beratungs- und Regierungsorgan im Mittelpunkt vieler Beiträge. Dem wurden die Themenkomplexe „Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte“ sowie „Jüdische Geschichte als Sakralgeschichte“ zur Seite gestellt.

Einleitend unterstrichen Werner Orgis und Leopold Auer die Notwendigkeit der archivalischen Erschließung des Reichshofrat, dessen Bestände sich beinahe geschlossen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien befinden. Möglich sei dies entweder über dafür unmittelbar vorgesehene Projekte oder mit Hilfe von Einzelstudien. Insbesondere der Erschließung und Auswertung der jüdischen Betreffe am Reichshofrat komme dabei eine zentrale Stellung zu. Insgesamt biete sich – so Auer – das Haus-, Hof- und Staatsarchiv als Koordinierungsstelle für solche Projekte geradezu an.

Hierauf folgten einführende Worte ANDREAS GOTZMANNs über die oben bereits angedeutete Programmatik des Projekt-Clusters sowie des Arbeitsgespräches, um dann zur Vorstellung laufender Projekte, die der Erschließung der archivalischen Überlieferung des Reichshofrats dienen, überzugehen. EVA ORTLIEB skizzierte einleitend das seit April 2007 an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv laufende Projekt „Die Erschließung der Akten des kaiserlichen Reichshofrates“.2 Neben den Verzeichungsrichtlinien, die sich an die der Reichskammergerichtsakten anlehnen, verwies die Vortragende auf die quantitative Dimension jüdischer Betreffe am Reichshofrat: von schätzungsweise 70.000 Kausen am Reichshofrat entfielen 2.500 bis 3.000 auf solche mit jüdischer Beteiligung.

DANIELA BEYER stellte dann das seit 2004 laufende Projekt „Die Formierung des Reichshofrates unter Karl V. und Ferdinand I.“3 vor, das sich bereits an den neuen Verzeichnungsrichtlinien orientiert und in dessen Rahmen neben der frühen Institutionengeschichte insbesondere das verwendete Aktenmaterial für das Archivinformationssystem des Österreichischen Staatsarchivs4 aufbereitet wird. Damit soll zur Verbesserung des Zugriffes auf das Reichshofratsarchiv beigetragen werden.

Die folgende Projektvorstellung archivalischer Erschließungsarbeiten beschäftigten sich dann explizit mit jüdischen Betreffen am Reichshofrat: STEFAN EHRENPREIS und Stephan Wendehorst offerierten dem Publikum die Grundsätze der „Erschließung der jüdischen Betreffe des Reichshofrates“, die eine zentrale Voraussetzung für die Neuber
wertung der imperialen, durch Kaiser und Reich bestimmten Rahmenbedingungen jüdischer Existenz im Reich sei. Dabei führten die Vortragenden detailliert in die für die jüdische Geschichte im Reich relevanten Bestände am Reichshofrat ein. So ist in der archivalischen Überlieferung zwischen Judicalia und Gratialia zu differenzieren, die sich wiederum in deutsche und lateinische Expedition teilen. Während die Judicalia nominell den rechtlichen Aufgabenteil des Reichshofrat beinhalten, finden sich in den Gratialia so genannte „Reichssachen“ wieder (z.B. Lehns- und Privilegienangelegenheiten). Dabei dürfte in den kommenden Jahren wohl in Anlehnung an die moderne Imperienforschung (Helmut Koenigsberger, John Elliot, Harald Gustafsson, Charles Maier, Herfried Münkler, Sanjay Subrahmanyam oder Susan Alcock) die Gewichtung der Tätigkeit des Reichshofrats auch in Hinsicht auf die jüdischen Betreffe als „imperiales Herrschaftsmanagement“ noch für Diskussion sorgen. Hingegen erhält mit dieser Deutung die Wahrnehmung der kaiserlichen Herrschaftsrechte wie auch die Ausübung des kaiserlichen oberstrichterlichen Amtes über die Juden im Reich eine neue interpretative Brennschärfe.

Der letzte, gleichsam „regionalarchivalische“ Beitrag in dieser Sektion stammt von GERHARD RECHTER. Als Leiter des Staatsarchivs Nürnberg erläuterte er „Die Überlieferung des Fränkischen Kreises als Quelle zur jüdischen Geschichte Frankens. Möglichkeiten und Grenzen“ und legte zunächst die besondere Stellung des fränkischen Reichskreises dar, die sich insbesondere darin erschöpft, dass es keiner Territorialmacht bis 1806 gelang, hier eine hegemoniale Stellung zu erlangen. Ist die Überlieferung des fränkischen Kreises äußerst spärlich, zeigt sich bei den dort versammelten wichtigsten Territorialherrschaften ein gänzlich anderes Bild. So stellen für die Geschichte des Kreises die 402 Bände umfassenden Kreistagsakten des Fürstentums Ansbach im Staatsarchiv Nürnberg einen überlieferungsgeschichtlichen Glücksfall dar. Insbesondere gelte dies – so Rechter – für die jüdische Geschichte des Kreises, zeichne doch das zeitgenössische Orts-, Personen- und Sachregister 115 Seiten unter dem Literae „J“ bzw. dem Stichwort „Juden“ auf. Ab 2008 läuft ein Digitalisierungsprojekt an, welches das 20 Bände umfassende Register erfassen soll und in Form einer DVD-Edition über eine Excel-Datenbank mit unmittelbaren Zugriff auf die gegebene Seite des Registers zur Verfügung stellen will.

Die zweite Sektion über „Jüdische Geschichte als Sakralgeschichte. Austausch und Konfrontation“ führte anhand dreier Exempla die engen Verknüpfungen und einige Möglichkeiten von Ausdrucksformen sakraler Legitimation kaiserlicher Herrschaft und jüdischer Teilhabe in diesem Bereich aus. Nachdem JESKO GRAF ZU DOHNA in seinem Vortrag „Die Vertreibung der Kitzinger Juden 1763. Ein Konflikt um Konversion und Zwangstaufen im Hochstift Würzburg“ vorstellte, referierte FELICITAS HEIMANN-JELINEK über einen „Eintrag für Kaiser Karl VI. in das Memorbuch der jüdischen Gemeinde Wien“. Memorbücher enthalten neben den Namen der verstorbenen Gemeindemitglieder, zuweilen gar ganze verfolgte sowie vernichtete Gemeinden, auch Gebete und Nekrologe für bedeutende nicht-jüdische Persönlichkeiten wie für Kaiser Karl VI. Besonders interessant erscheint dieses Memorbuch eingedenk der Tatsache, dass es in der Forschung bisher unbeachtet geblieben ist.

In seinem Beitrag „Das christliche Gebet für den Kaiser – das jüdische Gebet für den Kaiser“ zeichnete MATTHIAS KLOFT ausgehend vom semireligiösen Amtsverständnis der römischen Kaiser deren sacerdotalen Charakter nach. Kloft konnte verdeutlichen, dass der Kaiser im Gebet zwei Funktionen einnahm: zum einen als Betender selbst, zum anderen als Anzubetender, den die Gemeinschaft der Gläubigen in seiner Aufgabe als Beschützer der Christenheit hierin zu stützen hatte. Hierzu standen verschiedenste sakrale Orte und Räume zur Verfügung: von den kaiserlichen Institutionen wie Pfalzstiften bis hin zur gesamten Germania Sacra; vom täglichen Gebet hin zur umfänglichen Votivmesse. Spätestens mit der reichsrechtlichen Anerkennung der Konfessionsspaltung im Augsburger Religionsfrieden 1555 sowie dann im Westfälischen Frieden wich die Begründung für ein Herrschergebet aus dem religiösen Begründungskontext. Angesichts dessen besitze – so Klofts zentrale These – das jüdische Gebet für den Kaiser, insbesondere bei der Herrschaftsbestellung, seine Legitimation. Zugleich könne hieran wie in einem Brennglas eine Veränderung hin zum modernen säkularen Staat abgelesen werden.

In der sich anschließenden Sektion ging es dann um „Die jüdische Geschichte des Heiligen Römischen Reichs, Polen-Litauens und der Habsburgermonarchie im Vergleich“. Einleitend referierte LOUISE HECHT über „Die Toleranzpatente Josephs II. für die jüdische Bevölkerung der Habsburgermonarchie“ und stellte damit analog eine projektierte Gesamtausgabe von kritischen Editionen der einzelnen josephinischen Patente für die Gebiete der Monarchie vor. Denn trotz der immensen gesellschaftspolitischen Bedeutung der josephinischen Toleranzpatente sei laut Referentin ein nachlässiger Umgang mit den verschiedenen Versionen dieses zentralen Dokuments in der Historiographie der habsburgischen Juden zu konstatieren, greift die Forschung doch ausnahmslos auf das Handschreiben Josephs vom Mai 1781 zurück. Die hierin ausgeführten allgemeinen kaiserlichen Direktiven seien aber nichtsdestoweniger von den zuständigen Länderstellen der Monarchie in den darauf folgenden Jahren an die konkreten Bedingungen der jeweiligen Gebiete angepasst und zu Patenten in einem zwischen den Beteiligten äußerst kontrovers ablaufenden Prozess ausformuliert worden. Anhand des in den Toleranzpatenten vom Kaiser geforderten säkularen jüdischen Schulwesens, das in der Habsburgermonarchie mit 150 Gründungen im Vergleich zum restlichen Alten Reich geradezu eine Blüte erfuhr, konnte die Vortragende die unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Teilen der Monarchie nachzeichnen. Interessant ist besonders ihre Erkenntnis, dass die traditionellen jüdischen Eliten fast durchweg ihre Zustimmung zu den neuen Schulprojekten erteilten, die indessen ganz im Unterschied zu den Schulgründungen auf dem Gebiet des Alten Reiches reine Knabenschulen waren. Hecht formulierte angesichts ihrer Ergebnisse die These, dass dieser Umstand gegen die Ansicht spreche, das josephinische jüdische Schulwesen habe die Juden der Monarchie modernisiert. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob in Anbetracht des von der Referentin erzeugten Eindruckes eines fast durchweg konsensualen Gleichklanges in den einzelnen jüdischen Gemeinden die jüdischen Schulprojekte in der Monarchie vielleicht weniger progressiv und damit kontrovers angelegt waren, als ihre Pendants im Reichsgebiet, wie zum Beispiel das Philanthropin in Frankfurt am Main.

Im Mittelpunkt der Sektion stand indessen die Roundtable-Diskussion, die sich dem Vergleich der jüdischen Geschichte im Römisch-Deutschen Reich und in Polen-Litauen widmete. Als Beteiligte traten HANS-JÜRGEN BÖMELBURG, JÜRGEN HEYDE, YVONNE KLEINMANN und MATHIAS NIENDORF auf. Zentraler Ausgangspunkt war die Frage nach dem Ort der Juden in der Anatomie der als frühneuzeitliche Imperien klassifizierten, oben genannten Herrschaftsgebilde. Für die Diskussion stellte sich die Hypothese als erkenntnisleitend heraus, dass sich imperiale Herrschaft durch ihre polyzentrische Überwölbung von moderner staatlicher Macht und Souveränität unterscheide. Unter dieser Prämisse untersuchten die Diskutanten die Rückwirkungen eines imperialen Herrschaftsmanagements in Polen-Litauen auf die dortigen Juden und präparierten deren Stellung und Funktion im Vergleich zum Alten Reich heraus.

Die Sektion „Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte“ eröffnete STEPHAN WENDEHORST mit seinem Beitrag über „Die Universitätsimmunitäten in der Frühen Neuzeit als jüdische Räume – das Beispiel Leipzig“. Die vormoderne Universität war als Institution und korporativ verfasster Personenverband mit besonderen Freiheiten und Rechten ausgestattet. Da insbesondere die Universitätseide im Laufe des 17. Jahrhunderts sukzessive ihren Bezug auf die Confessio Augustana verloren, erhielten die Juden die Gelegenheit, vor allem an protestantischen Universitäten Medizin zu studieren (Ende des 18. Jahrhundert gab es mehr als 300 jüdische Studenten in den Grenzen des Alten Reiches). Der Referent konnte am Beispiel Leipzig eindringlich aufzeigen, dass dieser universitäre korporativ verfasste Personenverband, in den sich die jüdischen Studenten auch bezüglich eines studentischen Habitus gleichberechtigt eingliederten, als Schutzmechanismus jüdischer Teilhabemöglichkeiten fungierte. Damit trugen Universitätsimmunitäten zur Erweiterung jüdischer Handlungsspielräume bei. Obgleich diese als Experimentierfelder für transreligiöse Gemeinschaften dienten, kommt in diesem Bereich auch die prekäre Stellung der Juden in der Frühenneuzeit besonders deutlich zum Vorschein. Denn anders als die Universität, duldete die Stadt Leipzig keine Juden, war doch im Zuge der Konfessionalisierung die Vertreibung der Juden in den wettinischen Ländern mit besonderer Gründlichkeit erfolgt. Dennoch wurde erneut mehr als deutlich, dass die Juden auch angesichts dieser Situation die ihnen gebotenen rechtlichen Möglichkeiten durchaus zu nutzen gewillt waren und dass dies ihnen im Bereich der Universität von christlichen Juristen (Christian Gottlob Biener) durchaus erlaubt wurde, damit das Universitätsbürgerrecht partiell die mit der jüdischen Herkunft verbundenen Nachteile in Ansätzen neutralisierte. Mit der Immatrikulation gelangten jüdische Studenten in den Genuss des Universitätsbürgerrechts und damit verschiedener Privilegien wie der Exemption von der allgemeinen Gerichtsbarkeit und dem Recht, Waffen zu tragen.

KARL HÄRTER stellte nachfolgend „Jüdische Migration, ständische Asyl- und Herrschaftsrechte und das Reichsrecht“ vor. Dabei zeichnete er ein Bild vom Reichsrecht als „schützendes Dach“, unter dem auch die Juden des Alten Reichs ihren Platz einnahmen. Denn gerade die Vielfalt der reichsständischen Herrschaftsrechte, die der Kaiser mittels Privilegienverleihung vergab und die das Alte Reich als ein Rechts- und Verfassungsystem insgesamt stabilisieren sollten, eröffneten erhebliche Freiräume für die jüdische Bevölkerung. Insofern war es ihnen möglich, sich auch zwischen und außerhalb der Territorien und Städte zu bewegen. Dabei nahm der Referent insbesondere verschiedene „jüdische“ Migrationssysteme unter die Lupe, in dem er Migration auch als alltägliche Wanderungsbewegung definierte, die der Ausübung einer spezifischen, nichtdevianten Tätigkeit diente. Jedoch wies Härter ebenfalls auf die Grenzen des Schutzes hin, konnten Juden doch auch als „Betteljuden“ kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden.

Abschließend widmete sich die letzte Sektion der Thematik „Imperiales Angebot und jüdische Nachfrage – der Kaiser und der Reichshofrat“. Vorgestellt wurden Einzelstudien, in denen die Verbindung zwischen dem Kaiser, dem Reichshofrat und den Juden aus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert wurde. RAINER S. ELKAR trug über „Die Juden und das Silber – ein Musterprozess der regierenden Herren zu Löwenstein-Wertheim vor dem Reichshofrat 1766-1768“ aus der lokalgeschichtlichen Perspektive vor. Die Fallstudie ordnete sich in den großen Komplex des jüdischen Silberhandels im Reich ein, der zwar sowohl für die münzausprägenden Stände als auch für die fiskalische Politik des Alten Reiches von erheblicher Bedeutung war, dessen ungeachtet aber stets auch mit Misstrauen beäugt wurde. Dieser Grundkonflikt kam geradezu mustergültig im vorliegenden Fall zum Ausdruck. Elkar zeigte die divergierenden Interessen der Beteiligten eindrucksvoll auf: Die Grafen zu Löwenstein-Wertheim verfolgten die Neuordnung des fränkischen Münzwesens zwecks reibungsloser Herstellung der fränkisch-bayerischen Münzkonvention. Hierzu beauftragten sie jüdische Silberhändler, die in Frankfurt am Main, dem Zentrum deutschen Silberhandels, geeignetes Silber erwerben sollten. Der Frankfurter Magistrat dagegen stand dem jüdischen Silberhandel äußerst reserviert gegenüber. Er ließ die von Wertheim beauftragten Juden samt mitgeführtem Geschäftskapital verhaften, zahlte aber später das konfiszierte Geld nicht in voller Höhe wieder aus. Der Konflikt wuchs sich derart aus, dass er schließlich vor dem Reichshofrat zur Verhandlung gelangte, in dessen Verlauf sich die Stadt Frankfurt äußerst zurückhaltend gab. An diesem Punkt führte gerade dieser Beitrag die Wichtigkeit wissenschaftlichen Austausches vor Augen. Denn es stellte sich heraus, dass dieser Prozess nur vor dem Hintergrund einer wahren Prozesslawine zu deuten ist, in der am Reichshofrat über das Münzwesen im Reich verhandelt wurde und in dem eine Vielzahl von Reichsständen verwickelt waren.6 Sein Ausgangspunkt lag in der Mitte der 1750er-Jahre in einem Prozess, den der Frankfurter Jude Meyer Amschel Flörsheim gegen den städtischen Magistrat führte, in dem es um die Konfiszierung von ungeschroteten neuwiedischen Silbermünzen ging, die laut Flörsheim windige jüdische Geschäftsleute illegal in Frankfurt in Umlauf gebracht hätten. Der Frankfurter Magistrat musste im Zuge dieses Prozesses eine kaiserliche Reichshofratskommission in seinen Mauern beherbergen und agierte daher äußerst misstrauisch im Vorfeld sowie während des Prozesses, den Elkar mittels eines ebenso ausgezeichneten wie mitreißenden Vortrages vorstellte.

Dass die mittelalterliche Kammerknechtschaft, also die direkte Unterstellung der Juden unter die kaiserliche Kammer, seit den Zeiten Kaiser Friedrichs II. konstitutiv für das Verhältnis zwischen Juden und Kaiser war, führte BARBARA STAUDINGER in ihrem Vortrag „Kronsteuer und Opferpfennig: Die Verhandlungen um kaiserliche Judensteuern vor dem Reichshofrat“ aus. Im Laufe des Spätmittelalters trat der königlich-kaiserliche Judenschutz zugunsten einer rein fiskalischen Ausbeutung der Juden zurück. Speziell käme dies im „Goldenen Opferpfennig“, erstmals 1342 von Ludwig IV. erhoben, und an der 1433 von Kaiser Sigismund anlässlich der Kaiserkrönung eingeführten „Kronsteuer“ zum Ausdruck. Indes sei bereits im 16. Jahrhundert – so Staudingers zentrale These – eine reichsweite Einhebung dieser Steuern illusorisch gewesen. Sie wertet dies in Anlehnung an Friedrich Battenberg5 als Ausdruck des Territorialisierungsprozesses der Juden des Alten Reiches. Aber auch die Juden hätten sich den kaiserlichen Besteuerungsansprüchen erfolgreich entzogen. Insgesamt lief die Diskussion um die Einhebung genannter Steuern am Reichshofrat bis in das 18. Jahrhundert zusammen, der regelmäßig nach einem fast gleich bleibenden Muster Kommissionen zwecks Erhebung der besagten Steuern ins Reich entsandte, die sich jedoch laut Referentin erfolglos um die Realisierung der Steuereinhebung bemühten. Dies bezeichne einen Gradmesser für die sich ändernde Beziehung zwischen Kaiser und Juden im Sinne einer schleichenden Entfremdung der beiden voneinander. Obzwar die Referentin ausführte, dass es trotz allem dennoch stets zu Zahlungseingängen von jüdischer Seite kam, zog Staudinger gleichwohl nicht den interpretativen Schluss, dass dies gleichwohl die Verbindungen der Juden des Reiches zum Kaiser zu aktualisieren vermochte, aber auch die Pärogativen und Schutzaufsicht des Kaisers über sie bestätigen konnte. Die Tagung beschloss schließlich STEFAN EHRENPREIS mit seinem Vortrag über „Der Reichshofratsprozess Nürnbergs gegen Brandenburg-Bayreuth um den Synagogenbau in Bruck Anfang des 18. Jahrhunderts“. Im Zuge der Ansiedlung von Juden in der Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth nach einer Privilegienerneuerung 1695 siedelten sich auch Juden in Bruck an (heute zu Erlangen gehörig). Der gesamten Judenschaft der Markgrafschaft wurde es gestattet, Synagogen zu bauen, was aber stets auf den starken Widerstand der Landstände, der lutherischen Landeskirche und von Teilen der Bevölkerung stieß. Allerdings bildeten in Bruck die dorfherrlichen Rechte der Reichsstadt Nürnberg ein Einfallstor, um den Widerstand der Bevölkerung wirksam werden zu lassen. Der Referent wies abschließend nochmals auf die immense Bedeutung hin, die der Analyse der verschiedenen Akteure in einem solchen Prozess vor dem Reichshofrat zukomme. Die konfligierenden Beziehungsgeflechte zwischen Juden, Reichsständen und Kaiser respektive Reichshofrat konnte Ehrenpreis geradezu mustergültig herausarbeiten. Der durch den nürnbergischen Protest eröffnete Reichshofratsprozess ist nicht nur auf dem Hintergrund der Wahrung reichsstädtischer Hoheitsrechte in den strittigen Konkurrenzverhältnissen der sich kleinräumig überschneidenden fränkischen Landeshoheiten zu sehen, sondern auch auf dem Hintergrund antijüdischer Stimmungen in der ländlichen Öffentlichkeit, die sich 1699/1700 in gewaltsamen Aktionen im Hochstift Bamberg Bahn gebrochen hatten. So stand die friedenssichernde und den Judenschutz bejahende Rechtsprechung des RHR auf dem Prüfstand.

Die Frage nach der Rolle der Juden im „imperialen Herrschaftsmanagement“ des Alten Reiches zog sich durch die gesamte Tagung wie ein roter Faden. Durchweg präparierten die Vorträge mittels detaillierter Einzelstudien die verästelten Verbindungen zwischen Reichsoberhaupt und der jüdischen Bevölkerung heraus. Dass der Reichshofrat die bedeutendste Schnittstellen in diesem Verhältnis war, kann als wichtiges Ergebnis des Arbeitsgesprächs gelten. Der Bezug zur jüdischen Lokal- und Sakralgeschichte zeigte dagegen, dass sich dieses Verhältnis jedoch nicht monokausal gestaltete, sondern stets im multilateralen Spannungsverhältnis zwischen Kaiser, Reichsständen und Juden zu interpretieren ist. Dass die Fallanalysen beispielsweise von Rainer S. Elkar oder Stefan Ehrenpreis von der lokal- und regionalgeschichtlichen Perspektive her die Verbindung zwischen Juden und Kaiser stringent aufzeigten, bestätigt dieses Bild nachdrücklich und zeigte die Notwendigkeit auf, auch in Zukunft über ‚serielle Geschichte’ (Foucault), d.h. über die Untersuchung möglichst vieler Einzelprozesse, die am Reichshofrat verhandelt wurden, dieses Spannungsverhältnis weiter auszuloten und aufzuhellen. Der Vergleich mit Polen-Litauen war in diesem Sinne ebenfalls interessant und erkenntnisfördernd, stand aber nichtsdestoweniger etwas verloren im Tagungsprogramm angesichts nur insgesamt eines Beitrages in der dafür vorgesehenen Sektion. Es würde sich lohnen, dieses Thema komparatistisch im Rahmen eines eigenen Arbeitsgesprächs auf wesentlich breiterer Basis aufzugreifen. Eine Veröffentlichung der durchweg gelungenen Beiträge ist vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Hannah Landsmann
Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Werner Ogris, Obmann der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien
Hofrat Prof. Dr. Leopold Auer, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien

Einführung
Andreas Gotzmann, Erfurt

Sektion I: Imperiales Angebot und jüdische Nachfrage – Projektvorstellungen
Eva Ortlieb (Wien): Die Erschliessung der Akten des kaiserlichen
Reichshofrats
Daniela Beyer (Wien): Die Formierung des Reichshofrats (Karl V., Ferdinand I.)
Stefan Ehrenpreis (Berlin), Stephan Wendehorst (Wien): Die Erschliessung der jüdischen Betreffe des Reichshofrats
Gerhard Rechter (Nürnberg): Die Überlieferung des fränkischen Kreises als Quelle zur jüdischen Geschichte Frankens. Möglichkeiten und Grenzen

Sektion II: Jüdische Geschichte als Sakralgeschichte. Austausch und Konfrontation
Jesko Graf zu Dohna (Castell): Die Vertreibung der Kitzinger Juden 1763. Ein Konflikt um Konversion und Zwangstaufen im Hochstift Würzburg (entfallen)
Felicitas Heimann-Jelinek (Chicago, Wien): Der Eintrag für Karl VI. in das Memorbuch der Wiener Gemeinde (entfallen)
Matthias Kloft (Frankfurt): Das christliche Gebet für den Kaiser – das jüdische Gebet für den Kaiser

Sektion III: Die jüdische Geschichte des Heiligen Römischen Reichs, Polen-Litauens und der Habsburgermonarchie im Vergleich
Louise Hecht (Jerusalem, Olmütz): Die Toleranzpatente Josephs II. für die jüdische Bevölkerung der Habsburgermonarchie – eine kritische Edition
Roundtable-Diskussion zum Vergleich der jüdischen Geschichte im Römisch-Deutschen Reich und in Polen Litauen mit Hans-Jürgen Bömelburg (Giessen), Jürgen Heyde (Halle), Yvonne Kleinmann (Leipzig), Mathias Niendorf (Kiel)

Sektion IV: Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte
Stephan Wendehorst (Wien): Die Universitätsimmunitäten in der Frühen Neuzeit als jüdische Räume – das Beispiel Leipzig
Karl Härter (Frankfurt), Jüdische Migration, ständische Asyl- und Herrschaftsrechte und das Reichsrecht

Sektion V: Imperiales Angebot und jüdische Nachfrage – der Kaiser und der Reichshofrat
Rainer S. Elkar (München): Die Juden und das Silber – ein Musterprozess der Regierenden Herrn zu Löwenstein-Wertheim vor dem Reichshofrat 1766-1768
Barbara Staudinger (Wien): Kronsteuer und Opferpfennig: Die Verhandlungen
um kaiserliche Judensteuern am Reichshofrat
Stefan Ehrenpreis (Berlin): Der Reichshofratsprozess Nürnbergs gegen Brandenburg-Bayreuth um den Synagogenbau in Bruck Anfang des 18. Jahrhunderts

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Cluster kurz URL: <http://www.uni-erfurt.de/judaistik/project_cluster/juedisches_heiliges.shtml> (16.12.2007); siehe auch: Ehrenpreis, Stefan; Gotzmann, Andreas; Wendehorst, Stephan, Jüdisches Heiliges Römisches Reich. Erträge und Perspektiven eines Projekt-Clusters zur Geschichte der Juden in der Frühen Neuzeit, Erfurt u.a. 2006/07.
2 Zum Erschließungsprojekt der Reichshofrat-Bestände URL: <http://www.uni-goettingen.de/de/48536.html> (16.12.2007).
3 Vgl. zum Projekt mit weiterführender Literatur URL: <http://www.oeaw.ac.at/krgoe/rhr/index.html>, (16.12.2007).
4 Vgl. URL: <http://www.archivinformationssystem.at/detail.aspx>, (16.12.2007).
5 Battenberg, Friedrich, Des Kaisers Kammerknechte. Gedanken zur rechtlich-sozialen Situation der Juden in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Historische Zeitschrift 245 (1987), S. 545-599.
6 Diesen Prozess behandelt der Autor des vorliegenden Berichts in seiner in Arbeit befindlichen Dissertation „Jüdische Prozesse vor dem Reichshofrat. Ein diachroner Vergleich der Regierungszeiten Ferdinand III. (1637-1657) und Franz I. Stephan (1745-1765)“.