Text und Macht. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt (12.-18. Jahrhundert)

Text und Macht. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt (12.-18. Jahrhundert)

Organisatoren
Teilprojekt B4 „Die Stadt in der europäischen Vormoderne. Politische Kultur und öffentliche Ordnung“ des KFK / SFB 485 „Norm und Symbol"
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2007 - 24.11.2007
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Von
Michael Aumüller, Universität Bielefeld

Konnte man bisherKonnte man bisher den Eindruck gewinnen, dass innerhalb des Teilprojekts B4 "Die Stadt in der europäischen Vormoderne. Politische Kultur und öffentliche Ordnung"1 des SFBs 485 "Norm und Symbol" der Schriftlichkeit und schriftlicher Kommunikation nur eine "subsidiäre Rolle" 2 zugemessen wurde, ließ der CfP zum Workshop "Text und Macht. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt" aufhorchen und machte neugierig.

Im prägnanten Einführungsvortrag "Interaktion und Schriftlichkeit in der Vormoderne" betonte RUDOLF SCHLÖGL (Konstanz), dass Historiker häufig Probleme mit dem Thema Schriftlichkeit hätten, da sie diese lediglich als Informationsträgerin benutzten und übersehen, dass der Gebrauch von Schrift und Druck entscheidenden Einfluss auf die Transformation der Gesellschaft in der Vormoderne hatte. Schrift und Druck, so die Ausgangsthese, seien als Medien auf mindestens zweierlei Weise nutzbar. Zum einen als Aufbewahrungsmodus über Raum und Zeit hinweg, der das verfügbare Gedächtnis zwar beeinflusste, aber nicht die Form der Kommunikation unter Anwesenden veränderte. Zum anderen setzen Schrift und Druck Texte in Bezug zu anderen Texten, wie z.B. im Falle der Kompilation von Rechtstexten, und eröffneten einen eigenen Diskursraum. Schrift und Druck entkoppelten die Kommunikation von der
Anwesenheitspflicht und ermöglichten durch die Kommunikationsverzögerungen eine gesteigerte Reflexion über die Inhalte, die Form und die Performanz der Mitteilung. Diese Art des Gebrauchs habe dann letztlich entscheidende Folgen auch für die Kommunikation unter Anwesenden in der Vormoderne gehabt.

Die erste Sektion eröffnete MICHAEL JUCKER (Luzern) mit einem Vortrag über "Akten und Akteure der Herrschaft. Inner- und zwischenstädtische Kommunikation im Spätmittelalter." Er konzentrierte sich auf die kommunikative Praxis der eidgenössischen Orte während der Tagsatzungen im 15. Jahrhundert und untersuchte die Funktion der Tagsatzungsprotokolle in ihren kommunikativen Zusammenhängen. Diese Texte erhielten in der vormodernen Präsenzgesellschaft erst durch ihre Präsentierung ihren sozialen Sinn, seien aber widerspenstige Quellen. Sie geben nur skizzenhaft die Ereignisse wieder und dokumentierten gewöhnlich das weitere Verfahren, auf das sich die Parteien während der Tagsatzung geeinigt hatten. Bedeutsame Informationen sind aufgrund ihrer Brisanz in der Regel nur mündlich von den jeweiligen Gesandten an ihre lokalen Obrigkeiten weitergegeben worden. Entgegen der Annahme der älteren Forschung hatte die Zunahme der Akten in den 1470er Jahren nichts mit Effizienzsteigerung zu tun, eher, so Jucker, waren vermehrte Konflikte und die "internationale" Ausrichtung der spätmittelalterlichen eidgenössischen Politik dafür verantwortlich zu machen.

JOSEF HRDLICKA (Budweis) ging in seinem Vortrag "Zugang zum Text - Zugang zur Macht? Zur Bedeutung der Privilegien in der politischen Kommunikation frühneuzeitlicher Städte in Böhmen" auf Konflikte zwischen Gemeinden und städtischen Räten und die Rolle, die die städtischen Privilegien dabei einnahmen, ein. Das Wissen über die Privilegieninhalte sollte im Rat bleiben und die Privilegien wurden - obwohl sie für die ganze Kommune konstitutiv waren - als "Stadtgeheimnisse" behandelt und als solche bezeichnet. Damit die Privilegien nicht in Vergessenheit gerieten, ließen etwa die Prager Stadträte diese regelmäßig Verlesen und so im kommunikativen Gedächtnis der Ratsherren verankern. Hrdlicka rekonstruierte die Konflikte in Brünn, Iglau und Olmütz um die Form der Ratsbesatzung. Die Gemeinden forderten das öffentliche Verlesen und die Übergabe der Privilegien, um die Ratsherren besser kontrollieren zu können. Die Brünner Gemeinde verlangte das Vorgehen entsprechend einem alten Privileg, die Ratsherren beharrten auf der Kooptation und beriefen sich auf alte, nicht schriftliche, "Traditionen". Der königliche Entscheid pochte auf die Einhaltung des schriftlichen Privilegs und gab der Gemeinde Recht. Um ähnlichen Forderungen der Olmützer Gemeinde nicht nachkommen zu müssen, vernichtete der dortige Rat die Privilegien. Obwohl unklar ist, woher die Gemeinden ihr Wissen um die Privilegieninhalte im Einzelnen hatten, sei der Zugang zu den Privilegien, so die Schlussfolgerung Hrdlickas, für die Gemeinden ein
bedeutender Zugang zur Macht gewesen.

In der zweiten Sektion untersuchte KATHARINA NEUGEBAUER (Mainz) die hallischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1474-1478 anhand eines Zeitzeugendokuments und analysierte den Konflikt in Bezug auf die unterschiedlichen Kommunikationsformen und das kommunikative Handeln der Beteiligten. Neugebauer hob bei diesem Konflikt den Aspekt der physischen Präsenz hervor. Wer anwesend war, konnte mitreden und damit Macht gestalten. Wer ausgeschlossen werden konnte, galt ihr als machtlos. Die schriftliche Kommunikation als die Form als Abwesender teilzunehmen, spielte in diesem Konflikt eine marginale Rolle. Schriftlichkeit unterstützte die Kommunikation unter den Anwesenden und fungierte vor allem als Erinnerungsmedium.

ANNE LINDNER (Berlin) beschäftigte sich mit den während der Fronde 1648-1652 entstandenen Flug- und Schmähschriften, den Mazarinaden. Die Fronde war durch diese Flugschriften gekennzeichnet, die allerdings keine Konfliktlösungsstrategie boten, sondern zur weiteren Entfesselung beitrugen und mitverantwortlich für das Scheitern der Fronde gewesen seien. Die Flugschriften dienten zwar vor allem der Propaganda und dieser als "Waffe", da sie die Wahrnehmung strukturierten, Realitäten schufen, den Gegner diffamierten und politische Gefolgschaft in der städtischen Öffentlichkeit erzeugen sollten, zugleich dienten sie aber auch ökonomischen Aspekten. In der Diskussion wurde die Funktion der Flugschriften, Geschehenes in den heilsgeschichtlichen Kontext einzubetten, betont, während Politik, im heutigen Sinn, im Reich in den damals aufkommenden Zeitungen stattfand.

In der dritten Sektion referierte ALEXANDER SCHLAAK (Konstanz) über "Schrift und Kontrolle. Die Normierung des Supplikenwesens im frühneuzeitlichen Dresden". Dabei ging es Schlaak vor allem um die Advokaten und Schreiber. Um jene, die die Suppliken, für die zu Untertanen gewordenen Bürger, konzipierten und so zu schriftmächtigen Mediatoren zwischen Obrigkeit und Untertan wurden. Diese Vermittler gerieten im frühneuzeitlichen Sachsen ins Blickfeld des Landesherren, der mittels verschiedener Verordnungen (vergeblich) versuchte Einfluss auf sie zu gewinnen. Nachdem die Kulturtechnik der schriftlichen Kommunikation erst erlernt werden musste, wurden seit den 1550er-Jahren die Versuche den Massen von Suppliken mittels Verordnungen Herr zu werden häufiger. Nur diejenigen Suppliken, die von obrigkeitlich zugelassenen Schreibern verfasst wurden, waren noch zugelassen. Dies dämmte nicht nur das Supplikenwesen ein, sondern erhöhte auch den Einfluss der Obrigkeit. Zugleich vergrößerte das die kommunikative Kluft zwischen Rat und Bürgern. Der Blick über die sächsische Landesgrenze hinweg verdeutlichte, dass es, wie etwa in den süddeutschen Reichsstädten, auch ganz andere kommunikative Strategien geben konnte. Diese Städte lehnten lange Zeit die intermediale Vermittlung von
Suppliken ab, der Bürger sollte selbst schreiben.

FRANZ-JOSEF ARLINGHAUS (Kassel) ging in seinem Vortrag "Wie man mit Bürgern spricht. Kommunikationsformen zwischen Rat und Bürgern im spätmittelalterlichen Köln" auf zwei unterschiedliche Modi der Schriftnutzung ein. Den ersten Gebrauchsmodus der Schrift erläuterte Arlinghaus anhand der Kölner "Schickungen". Hierbei suchten ranghöhere Ratsherren ihre Bürger auf, um Forderungen/ Mahnungen o.ä. an diese heranzutragen oder um Ratsbeschlüsse zu verkünden. Die abgeordneten Räte repräsentieren den Rat als Ganzes und damit die Gesamtstadt. Dies diente dazu den sozialen Druck auf die Bürger zu erhöhen. Der Schriftgebrauch bei diesen Schickungen war der jeweiligen Situation angepasst. Das Vorlesen aus dem Rechtsbuch bildete die Steigerung zur frei formulierten Ansprache. Bei diesem performativen Gebrauch von Schrift trat die Person des vorlesenden Ratsherren hinter den Text zurück und bot die Möglichkeit einer feinabgestimmten Drohkulisse.

Den zweiten Gebrauchsmodus der Schrift beschrieb Arlinghaus anhand der umfänglichen Prozessschriften zwischen dem Rat und einem auswärtigen Kaufherren. Diese Schriften waren formal, etwa durch die breiten Ränder, so aufgebaut, dass mit Texten auf Texte eingegangen werden konnte. Diese Texte bildeten, so die These von Arlinghaus, einen eigenen Diskursraum, der aus der Anwesenheitsgesellschaft ausgekoppelt war. Die unterschiedlichen Kommunikationsmodi und Gebrauchsformen der Schriftlichkeit führte Arlinghaus auf die Zugehörigkeit (Schickungen) bzw. die Nichtzugehörigkeit (Rat und auswärtiger Kaufherr) zum jeweiligen Personenverband zurück und nicht, wie man annehmen könnte, auf die räumliche Distanz, da dasselbe Phänomen auch innerhalb Kölns zu beobachten war.

Der Kunsthistoriker MARKUS SPÄTH (Giessen) untersuchte in der vierten Sektion in seinem Vortrag "Bildlichkeit in der politischen Kommunikation spätmittelalterlicher Städte" das nordfranzösische städtische Siegelwesen als eine Form der politischen Kommunikation. Obwohl Siegelbilder in ihrer statischen Form Inhalte nur schwer kommunizieren konnten, waren sie unersetzlich, nicht nur zur Stiftung von Authentizität, sondern auch in ihrer rechtsetzenden Präsenz. Wie, so die Frage Späths, präsentierte sich eine Kommune in ihrem Siegel? Späth zeigte anhand von Beispielen aus mehreren nordfranzösischen Kommunen, wie sich diese im Siegelbild durch die Darstellung von hervorgehobenen Einzelpersonen, die umringt bzw. begleitet wurden von einer größeren Anzahl weiterer Personen, präsentierten. Da die Personen zum Teil individuelle Züge tragen, geht Späth davon aus, dass diese Siegelbilder die kommunale Verfasstheit darstellen sollen, ohne darin zwangsläufig die Repräsentation des maior und der städtischen iurati erkennen zu wollen.

BARBARA SCHMID fokussierte in ihrem Vortrag "Das Motiv der Macht in autobiographischen Schriften von Angehörigen der städtischen Oberschicht" auf die Schriften der Zürcher Familie Waser aus dem 17. Jahrhundert. Diese Schriften dienten zur Veranschaulichung ihrer interessanten These, dass das städtische Regiment die von städtischer Seite geförderten Bildungsreisen der Bürgersöhne als eine Art Herrschaftsinstrument nutzte, indem die Reisen dazu beitrugen eine gut ausgebildete Funktionselite zu formen und die Familien der Stadt verpflichtet wurden. Die Söhne konnten dann an entscheidenden Positionen eingesetzt werden, wie das Beispiel der Familie Waser deutlich zeigte. Besonders das Hausbuch von Johann Heinrich Waser (1600-1669), dem Schmid einen semi-öffentlichen Status attestierte, zeichnete weniger die innere Entwicklung Wasers nach, sondern präsentierte eine soziale persona.

In der Sektion "Interaktion zwischen Stadt und Staat" sprach THOMAS WELLER (Münster) zu "Städte und Territorialstaat im frühneuzeitlichen Spanien. Zum Verhältnis von Schriftlichkeit und politischer Kommunikation im Umfeld der kastilischen Cortes". Die Cortes, worin seit 1538 die Abgesandten der achtzehn Städte saßen und über die Belange des Reiches beratschlagten, bildeten die kommunikative Schnittstelle zwischen den Städten und dem frühneuzeitlichen Staat. Diese Kommunikation unter Anwesenden erleichterte beträchtlich die Entscheidungsfindung. In den seit 1563 erhaltenen "libros de Cortes" wurden die Beschlüsse dieser nur zeitweilig tagenden Ständeversammlungen festgehalten und führten zu einer Stabilisierung der bis dahin häufig umstrittenen Verfahrensabläufe. Diese Bücher interpretierte Weller als das institutionelle Gedächtnis der Cortes. Der Zugriff auf dieses Gedächtnis war jedoch der Krone vorbehalten. Es wurden keine Exemplare ausgehändigt und auch keine Einsicht in diese gewährt, so dass die Krone über die Interpretationshoheit und in diesem Sinn über erhebliche Macht verfügte.

SEBASTIAN VON STAUFFENBERG (Konstanz) widmete sich in seinem Vortrag dem Ritus des königlichen Einzugs und der Selbstinterpretation der städtischen Obrigkeit. Während der Stadtrat beim Herrschereinzug Vollzugshilfe für das Gelingen des glanzvollen adventus leisten musste und damit der interpretatorischen Vormacht des Monarchen ausgeliefert war, versuchte der Rat mittels unterschiedlicher Medien, den Festbeschreibungen für die Oberschicht und den Straßentheatern für weitere Bevölkerungskreise, seine Sicht der herrschaftlichen Verhältnisse im Nachhinein zu "reinszenieren", dem jeweiligen Publikum angemessen zu vermitteln und eine eindeutige Positionierung des Rates im Bezug auf das Verhältnis zwischen Stadt und Staat zu bieten.

Den öffentlichen Abendvortrag hielt die Medien- und Rechtswissenschaftlerin CORNELIA VISMANN (Frankfurt/Main) zum Thema "Das Gericht und seine Medien (1700/1900)", darin ging Vismann in diachroner Perspektive auf den komplexen Wechsel zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in gerichtlichen Verfahren ein. Im vormodernen Aktenversendungsverfahren diente die Schrift als Speichermedium. Vom Zeitpunkt der Versendung an galt nur noch, was sich in den Akten befand (quod non est in actis...), während die Entscheidung des Verfahrens wiederum in mündlicher Form referiert wurde. Das Verfahren selbst überlebte sich aus vielfältigen Gründen. Seit dem Code civil fand im Gerichtsverfahren mit dem präsentischen Rechtsverfahren ein Medienwechsel statt. Während im modernen Vorverfahren die Schriftlichkeit dominiert, wird in den öffentlichen Hauptverhandlungen die Stimme und die Mündlichkeit performativ neu in Szene gesetzt. Nur im Bewusstsein der vielfältigen und komplexen Überlappungen im Gebrauch der Medien könne, so Vismann, in der Rechtsgeschichte ein schriftlicher von einem mündlichen Prozesstyp unterschieden werden.

Der "Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der englischen Pfarrei des Spätmittelalters" widmete sich BEAT KÜMIN (Warwick). Er betonte die Rolle der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pfarreien als Teil der staatlichen Lokalverwaltung der Tudors, wodurch die Pfarreien sowohl kommunale Verwaltung im weltlichen Sinn als auch religiöse Auslegungsmacht waren. Schon vor der Reformation waren Rechnungsbücher weit verbreitet und erzeugten "Textketten", die, ähnlich wie Textbücher, Inventare und andere Schriftstücke, die mündliche Kommunikation strukturierten, zur Gedächtnisstütze dienten und mit Folgehandlungen verbunden waren. Die Dokumente wurden repräsentativ in mehrfach gesicherten Truhen verwahrt. Sie bildeten den Kristallisationspunkt der spätmittelalterlichen "textual communities" und offenbarten den Stolz der Gemeinden auf ihre Schriftlichkeit. Kümin unterstrich die "relative Modernität" der Pfarreien im Vergleich zum Territorialstaat und wies eine in der Forschung angenommene mediale Rückständigkeit der Pfarreien zurück.

GABRIELA SIGNORI (Konstanz) stellte anhand eines Fallbeispiels "Das westfälische Femegericht als Medienereignis" vor. Die vorwiegend im 15. Jahrhundert aktiven Freigerichte waren aufgrund ihrer häufig erheblichen Distanz zu den Ereignissen auf eine bereits institutionalisierte Schriftlichkeit angewiesen: ohne Briefe keine Feme. Im Gegensatz zur älteren Forschung, hob Signori die Funktion der Femegerichte, die Reichs- und nicht Sondergerichte waren, als ein wesentlicher Teil des spätmittelalterlichen Gerichtswesens hervor. Femegerichte waren nicht ominöse Orte, sondern mittels der in vielen Städten ansässigen Freischöffen interaktiv vor Ort tätig. Interaktion und Kommunikation bildeten eine Einheit. Die verhängte Strafe gegen eine Stadt - etwa die Acht - wurde, um sie durchzusetzen, als mediales Ereignis inszeniert. Die breite soziale Streuung der Klagenden zeigt, dass das Wissen um die Femegerichte weit verbreitet gewesen sein muss. Die Einrichtung des Reichskammergerichts läutete das Ende der Femegerichte eine, da sie durch diese Institution überflüssig wurden.

In der letzten Sektion beschäftigte sich STEFANIE RÜTHER (Münster) mit dem Funktionieren des Bündnisses der vierzehn schwäbischen Reichsstädte von 1376 und der Rolle, die der Schriftlichkeit dabei zufiel. Rüther arbeitete ein komplexes Wechselspiel zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit heraus. Schrift hatte einerseits zu dokumentieren: Der mündlich gegebene Eid, der zum Beitritt führte, wurde ebenso festgehalten, wie die Ordnung des Bundes, die den handlungsbestimmenden Wertehorizont des Bündnisses vorgab. Die Beratungen und Entscheidungen des Bundes wiederum basierten auf dem Anwesenheitsprinzip und mussten mündlich ausgehandelt werden. Die Ergebnisse davon wurden in schriftlicher Form an die einzelnen Städte weitergeleitet - im Gegensatz zu den eidgenössischen Tagsatzungen. Innerhalb der Gemeinde nahmen diese Schriftstücke vielfach rechtsrelevanten Charakter an. Die Schrift, so die Schlussfolgerung Rüthers, erhielt im Bündnis die Funktion eines objektivierten Gegenübers, das zwar die Handlungsfähigkeit einschränkte aber gerade dadurch das Bündnis stabilisierte.

Zuletzt referierte HEINRICH LANG (Bamberg) zu Korrespondenzen der Medici. Briefe dienten dazu, Netzwerke zu konstruieren. Die briefliche Kommunikation konnte aber auch zu einem Politikstil werden. So sollten auf Bitten der Florentiner Stadtführung die Medici als "Privatpersonen" ihren ökonomischen und politischen Einfluss in anderen Stadtrepubliken geltend machen und damit die Florentiner Politik unterstützen. Als problematisch bei der Untersuchung der Korrespondenzen erwies sich, dass man deren Inhalt häufig nur erschließen kann, wenn man, ähnlich wie bei den eidgenössischen Tagsatzungen, anderweitig überlieferte Nachrichten über die mündlichen Verhandlungen hat. Schrift begleitete in diesen Fällen lediglich die mündliche Interaktion und unterstrich die hohe Bedeutung der Interaktion und des Anwesenheitsprinzips. Den Medici gelang es ihr soziales Netzwerk durch die briefliche Kommunikation enorm zu erweitern, was diesen - im kaufmännischen Bereich – zur Gewinnmaximierung diente und im politischen Bereich zu deren Machtsteigerung beitrug.

In die abschließende Diskussion führte Rudolf Schlögl mit einer Zusammenfassung der für ihn wesentlichsten Erkenntnisse des Workshops ein. Zunächst konstatierte er, dass in der vormodernen Anwesenheitsgesellschaft Schriftlichkeit ein wichtiger Sachverhalt war und in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden darf. Wie der Workshop zeigte, gab und gibt es die unterschiedlichsten Verwendungsweisen und Erscheinungsformen von Schrift und Schriftlichkeit (ostentativ, memorativ, kommunikativ usw.), die es gelte typologisch zu erfassen. Nur nach der kommunikativen Funktion der Schriftlichkeit zu fragen, sei eine Verkürzung, zumal die kommunikative Funktion ebenfalls mehrere Aspekte umfasse. In den verschiedenen Bereichen entwickelte die Verschriftlichung unterschiedliche Dynamiken. In einer spekulativen Reihung führte Schlögl als führenden Bereich die Ökonomie vor Recht, Krieg und Macht sowie als letzten Bereich den der Religion an, wobei sich hier nach der Reformation Verschiebungen ergeben haben könnten. Weiter betonte Schlögl, dass Schrift und Interaktion in einer komplexen gegenseitigen Verquickung mit je unterschiedlicher Gewichtung aufeinander angewiesen sind. Mal strukturiere Schriftlichkeit Interaktion, mal umgekehrt, wobei zu bedenken bleibe, dass häufig nur die schriftliche Überlieferung etwas wie Kommunikation unter Anwesenden oder Geheimnisse sichtbar mache. Dabei, so Gabriela Signori anschließend, dürfe die jeweilige Überlieferung, die stets hierarchisiert erfolgt, und der Einfluss der Archive auf das, was wir wissen können, nicht außer Acht gelassen werden. Wie anregend der Workshop wirkte zeigte sich vor allem anhand der offenen Forschungsfragen und Anregungen. Rudolf Schlögl fragte nach den Veränderungen beim Handschriftgebrauch nach dem Aufkommen des Buchdrucks, Stefanie Rüther nach den Motoren der Schriftlichkeit, wobei sie dafür plädierte, die Universitäten nicht zu vernachlässigen. Für die Einbeziehung anderer kulturelle Räume, wie etwa den angrenzenden oströmischen und arabischen Raum, machte sich Heinrich Lang stark, ebenso für die Untersuchung von "Entschriftlichungstendenzen", etwa in der Antike. Das angenehme Arbeitsklima, die Diskussionsfreude der TeilnehmerInnen und die hervorragende Organisation führten zu einem gelungenen Workshop, der hoffentlich viele fruchtbare Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Konferenzübersicht:

Text und Macht. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt (12.-18. Jahrhundert)

Rudolf Schlögl: Einführung. Interaktion und Schriftlichkeit in der Vormoderne

1. Texte in der Kommunikativen Praxis
Michael Jucker: Akten und Akteure der Herrschaft. Immer- und zwischenstädtische politische Kommunikation im Spätmittelalter.
Josef Hrdlička: Zugang zum Text – Zugang zur Macht? Zur Bedeutung der Privilegien in der politischen Kommunikation frühneuzeitlicher Städte in Böhmen

2. Die Bewältigung von Konflikten
Katharina Neugebauer: Kommunikation im Konflikt. Die hallischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1474-1478
Anne Lindner: Die Waffen des Gedruckten. Politische Kommunikation im Bordeaux der Fronde 1648-1652

3. Kommunikation zwischen Rat und Bürger
Alexander Schlaak: Schrift und Kontrolle. Die Normierung des Supplikenwesens im frühneuzeitlichen Dresden
Franz-Josef Arlinghaus: Wie man mit Bürgern spricht. Kommunikationsformen zwischen Rat und Bürgern im spätmittelalterlichen Köln

4. Repräsentation des Politischen in Bild und Schrift
Markus Späth: Bildlichkeit in der politischen Kommunikation spätmittelalterlicher Städte
Barbara Schmid: Das Motiv der Macht in autobiographischen Schriften von Angehörigen der städtischen Oberschicht

5. Interaktion zwischen Stadt und Staat
Thomas Weller: Städte und Territorialstaat im frühneuzeitlichen Spanien. Zum Verhältnis von Schriftlichkeit und politischer Kommunikation im Umfeld der kastilischen Cortes
Sebastian von Stauffenberg: Triumphbögen, Festbeschreibung und Straßentheater. Vermittlungsstrategien städtischer Politik und die Reinszenierung von Herrschereinzügen im frühneuzeitlichen Dijon

6. Medien von Recht und Religion
Cornelia Vismann: Das Gericht und seine Medien (1700/1900)
Beat Kümin: Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der englischen Pfarrei des Spätmittelalters
Garbiela Signori: Das westfälische Femegericht als Medienereignis

7. Netzwerke und überregionaler Austausch
Stefanie Rüther: Papierkriege? Text, Interaktion und Wehrpolitik in der spätmittelalterlichen Stadt
Heinrich Lang: Die Macht der Briefwelten. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in den Korrespondenzen der Medici im Florenz des 15. Jahrhunderts

Anmerkungen:
1 Vgl. zur selben Tagung: Dengler, Michael, Text und Macht. Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt (12.-18. Jahrhundert). In: AHF-Information <http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2007/227-07.pdf> (27.12.2007).
2 Schlögl, Rudolf, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Schlögl, Rudolf (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004, S. 9-60, hier S. 50, S. 53.