Was wird aus der Martin-Luther-Gedächtniskirche?

Was wird aus der Martin-Luther-Gedächtniskirche?

Organisatoren
Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart; Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2007 - 17.11.2007
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Von
Beate Rossié, Berlin

Am 16. und 17. November 2007 veranstaltete das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in Zusammenarbeit mit dem Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V. eine Fachtagung zur Zukunft der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf. Die künstlerische Gestaltung der 1935 fertig gestellten Martin-Luther-Gedächtniskirche weist starke Einflüsse nationalsozialistischer Ideologie auf. Wegen Bauschäden ist die Kirche seit 2004 nur noch für besondere Gottesdienste und Konzerte geöffnet. Zunächst führten Schüler/innen der benachbarten Eckener Oberschule eine szenische Lesung zur Martin-Luther-Gedächtniskirche auf, die als Projekt des Jugendmuseums Schöneberg entstanden war. In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um den zukünftigen Umgang mit dieser Kirche und ihrer speziellen Problematik. Moderiert wurde die Runde von der Journalistin SIGRID HOFF.

Auf die Frage der Moderatorin nach der Besonderheit der Martin-Luther-Gedächtniskirche verwies STEFANIE ENDLICH (Universität der Künste Berlin, Vertreterin des Berliner Forums für Geschichte und Gegenwart e.V.) auf die Innengestaltung der Kirche, die ein selten erhaltenes Beispiel eines nationalsozialistisch geprägten Kunstprogramms sei. Hier sei nationalsozialistischen Ideologien wie der „Volksgemeinschaft“ oder der Mythologisierung soldatischen Sterbens Ausdruck verliehen worden. Systematisch habe man christliche und nationalsozialistische Motive und Symbole miteinander verknüpft.

Neben den Besonderheiten der Kirche diskutierte das Podium vor allem ihre Nutzungsperspektiven. SIGMUND KROLL (leitender Denkmalpfleger von Tempelhof-Schöneberg) hob die einzigartige Stellung der Martin-Luther-Gedächtniskirche in der Berliner Denkmallandschaft hervor. Eine Nutzung der Kirche als Diskothek oder Supermarkt sei für ihn, ebenso wie ein Teilabriss, daher schwer vorstellbar. Einen Abriss der Kirche würde die Denkmalbehörde auf keinen Fall akzeptieren. Ziel müsste vielmehr die Entwicklung von Nutzungsvorstellungen sein, die die Erhaltung des Bauwerks gewährleisteten.

HANS-MARTIN BREHM (Pfarrer der Martin-Luther-Gedächtniskirche) ging zunächst auf den Umgang der Kirchengemeinde mit ihrer Kirche und deren Geschichte ein. Seit den 1980er-Jahren setzt sich die Gemeinde in Gesprächen, im Konfirmandenunterricht und durch den Auschwitz-Zyklus des polnischen Künstlers Pawel Warchol, der ab 1987 in der Martin-Luther-Gedächtniskirche gezeigt wird, mit diesem Ort und dem Thema Nationalsozialismus auseinander. Seit 2003 ist sie Nagelkreuzgemeinde. Es sei ein Wunsch der Kirchengemeinde, auch im Falle einer neuen Nutzung weiterhin Mitträger und -nutzer der Kirche zu sein.

Der Architekt WOLFGANG GÖSCHEL entwarf mit der „Architektengruppe Wassertorplatz“ den Umbau der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg zu Beginn der 1990er-Jahre. Für ihn ist die Kommentierung des Kunstprogramms der Martin-Luther-Gedächtniskirche, unabhängig vom letztlich realisierten Nutzungskonzept, eine unverzichtbare Maßnahme. Er schlug vor, wie im Fall der Heilig-Kreuz-Kirche, einen Runden Tisch mit Vertretern aus Gemeinde, Landeskirche, Gedenkstätten, etc. einzurichten, um über nächste Schritte und Finanzierungsmöglichkeiten zu beraten.

ELISABETH ZIEMER (Verein Denkmal an Berlin e.V.) unterstrich, die Martin-Luther-Gedächtniskirche müsse als historisches Zeugnis unbedingt erhalten werden. Die Bewahrung solcher authentischen Orte sei unerlässlich, um auch zukünftige Generationen noch an Originale heranführen zu können. Die evangelische Kirche müsse an ihre Verpflichtung erinnert werden und könne nicht einfach diesen Teil ihrer Geschichte ausblenden. Denn der Bürger verbinde mit der Zahlung von Kirchensteuern auch den Anspruch auf verantwortungsvolles Handeln von Seiten der Kirche.

Auch MATTHIAS HOFFMANN-TAUSCHWITZ (Leiter des Kirchlichen Bauamts in Berlin) plädierte dafür, dass sich die evangelische Kirche ihrer Verantwortung für die Martin-Luther-Gedächtniskirche stellt. Aufgrund des dramatischen baulichen Zustandes der Martin-Luther-Gedächtniskirche und der geringen Auslastung der Kirchen im Nordbereich Tempelhofs habe sich die Situation zugespitzt. Es sei nun ein Interessenbekundungsverfahren in die Wege geleitet worden, das als letzte Option den Abriss der Kirche vorsieht. Man dürfe es aber auf keinen Fall so weit kommen lassen und sich einfach dieses Erbes entledigen. Mit der Umwandlung der Martin-Luther-Gedächtniskirche in einen Dokumentationsort könnte das Fenster der nationalsozialistischen Geschichte der Berlin-Brandenburger Kirche geöffnet werden.

Stefanie Endlich plädierte für eine Konkretisierung der Nutzungsdebatte in Bezug auf die Martin-Luther-Gedächtniskirche, gerade auch angesichts des nun eingeleiteten Interessenbekundungsverfahrens. Die Innengestaltung der Kirche, die im Unterschied zu den meisten anderen sakralen Bildprogrammen dieser Zeit noch überwiegend erhalten ist, lege in ihrer Anschaulichkeit eine Nutzung als Dokumentationsstätte für sakrale Kunst und Architektur der NS-Zeit nahe. Es komme jetzt darauf an, durch Öffentlichkeitsarbeit die Martin-Luther-Gedächtniskirche bekannt zu machen und ein Netzwerk zu schaffen. Als Beispiele für bereits initiierte Aktivitäten nannte sie die Bestrebung des Landesdenkmalamtes, die Martin-Luther-Gedächtniskirche zum Denkmal nationaler Bedeutung erklären zu lassen, und die für April 2008 geplante Ausstellung des Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V. (Stefanie Endlich, Monica Geyler, Beate Rossié) in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Hier soll die Martin-Luther-Gedächtniskirche im Kontext anderer Beispiele sakraler Architektur und Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt werden.

Die nähere Betrachtung der Martin-Luther-Gedächtniskirche aus zeit-, architektur- und kunstgeschichtlicher Sicht stand im Mittelpunkt des zweiten, von Stefanie Endlich moderierten Teils der Veranstaltung, mit fünf Vorträgen und einer zweiten, abschließenden Podiumsdiskussion. „Wie braun war die Berliner Kirche im Dritten Reich? Und was tut sie heute für eine angemessene Erinnerungskultur?“ Diesen Fragen ging MANFRED GAILUS (Technische Universität Berlin) in seinem Beitrag nach. Die Berliner Kirche sei seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten von der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) zunächst im Sturmschritt erobert worden. Bei den Kirchenwahlen vom Juli 1933 errangen die DC circa 75 Prozent der Mandate. Rund ein Viertel der Berliner Kirchengemeinden wurden von den „Deutschen Christen“ dominiert. Mehr als die Hälfte der Berliner Gemeinden waren „gespaltene Gemeinden“, in denen sich Gruppen der DC und der Bekennenden Kirche (BK) um die Vorherrschaft stritten. Nur wenige „resistente Gemeinden“ bildeten einen Lichtblick, wie etwa Dahlem, wo die gesamte Gemeinde der BK anhing. Die Mariendorfer Gemeinde selbst war laut Gailus keine tiefbraune Kirchengemeinde. Es habe jedoch eine aktive DC-Gruppe in der Gemeinde gegeben, der es offensichtlich gelungen sei, der inneren Gestaltung der Martin-Luther-Gedächtniskirche ihren Stempel aufzudrücken. Gailus Antwort auf die zweite Frage lautete: Die Berliner Kirche tut leider zu wenig für eine angemessene Erinnerungskultur. Die evangelische Kirche sei eine öffentlich-rechtliche Institution und schulde der allgemeinen Öffentlichkeit eine Aufarbeitung ihres Tuns. Verglichen mit Projekten anderer Landeskirchen etwa Bereich Nordelbien verlaufe die hauptstädtische Aufarbeitung schleppend. Als Vorbilder für eine angemessene Dokumentation von Geschichte nannte Gailus die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Topographie des Terrors und das Deutsche Historische Museum. Die Martin-Luther-Gedächtniskirche sei ein Geschichtszeugnis allerersten Ranges und ein geeigneter Ort, um die Protestantismusgeschichte des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren.

WOLFGANG KROGEL (Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Berlin) stellte die verschiedenen Projekte der evangelischen Landeskirche zur Erinnerungskultur vor. Neben der Arbeitsgemeinschaft für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte, Herausgeberin des gleichnamigen Jahrbuchs, nannte er das von Gerlind Lachenicht geleitete Forum für Erinnerungskultur, eine Arbeitsstelle des Landeskirchlichen Archivs. Die Arbeitsgruppe NS-Zwangsarbeit wiederum erforscht die Geschichte des kirchlichen Zwangsarbeiterlagers auf dem Friedhof an der Neuköllner Hermannstraße. 2002 wurde dort ein Mahnmal errichtet. Auch die Suche und Entschädigung der damaligen Opfer gehört zu den Aufgaben der Arbeitsgruppe. Der Arbeitskreis „Christen jüdischer Herkunft“ setzt sich mit dem Schicksal dieser Gruppe in der NS-Zeit auseinander. Die evangelische Kirche verfüge zudem über viele authentische Orte des lebendigen Erinnerns. Als einen nächsten Schritt nannte Krogel den Aufbau einer Internetseite zur Erinnerungskultur der protestantischen Kirche, auf der die verschiedenen dezentralen Tätigkeiten zusammengeführt werden könnten.

Wie der Kunsthistoriker HANS-ERNST MITTIG (ehemals Universität der Künste Berlin) ausführte, ist es nicht selbstverständlich, dass Kunstwerke und Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus noch wenig verändert erhalten sind. Als drei Aspekte, die zur Erhaltung von Bauten aus der NS-Zeit beigetragen haben, nannte er ihre unmittelbare Nutzbarkeit, ihre repräsentativen Qualitäten und ihren historischen Zeugniswert. Ein Beispiel für die Verbindung dieser drei Funktionen ist für ihn die Martin-Luther-Gedächtniskirche, wobei auch die nationalsozialistischen Bildzeichen Teile dieses historischen Zeugnisses seien. Da sich nur noch die wenigsten aus eigener Sachkenntnis an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern könnten, müsse sie aus solchem Anschauungsmaterial erschlossen werden. Deshalb verdiene unter allen denkbaren Nutzungsmöglichkeiten für die Martin-Luther-Gedächtniskirche die Einrichtung einer Dokumentationsstätte den Vorzug. Damit würde im Übrigen eine Institution geschaffen, die eine Alleinstellung hätte. Anschließend unterzog Mittig Kunst und Architektur der Martin-Luther-Gedächtniskirche, unter anderem das Relief der Kanzel, einer näheren Betrachtung. Die dort vorgenommene Parallelisierung des Weltkriegssoldaten mit dem Parteisoldaten sei auch Leitmotiv in der Selbstdarstellung Hitlers und Thema damaliger Propagandakünstler gewesen. Das ursprünglich offene, von zwölf Pfeilern getragene Glockengeschoss auf dem geschlossenem Turmschaft der Martin-Luther-Gedächtniskirche wiederum verglich er mit den Pfeilerkreisen bzw. „tempelhaften Rahmenbauten“, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrfach für Kriegerdenkmäler vorgeschlagen und teilweise realisiert wurden. Dieses Denkmalmotiv eignete sich seiner Meinung nach dazu, den nicht selbstverständlichen Namensbestandteil der Martin-Luther-Gedächtniskirche zu akzentuieren.

SIGRID BRANDT (Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege der Technischen Universität Dresden) sprach über den Kirchenbau in der Zeit des Nationalsozialismus. Zunächst skizzierte sie die nationalsozialistische Sakralbautheorie Friedrich Seeßelbergs, damaliger Professor an der Berliner Technischen Hochschule. In seiner 1934 vorgelegten Theorie des modernen protestantischen Kirchenbaus habe sich dieser als entschiedener Gegner des akademischen Historismus und Befürworter moderner Bauformen gezeigt. Die mittelalterliche Romanik habe Seeßelberg als „megalithischen Stil“, als „Reaktion gegen alles Zerlegte, Zerspaltene, Vereinzelte“ gepriesen. Anschließend ging Brandt auf die Mittelalter-Rezeption im Nationalsozialismus ein. Das „deutsche Mittelalter“ wurde als eine Epoche mit einer vermeintlich „geschlossenen Weltanschauung“ bewundert. Der christlich-religiöse Gehalt des romanischen Stils sei umgedeutet worden in den Drang nach völkischer Selbstdarstellung und Selbstverherrlichung, der sich am besten in monumentaler Architektur ausdrücke. In der Kirchenarchitektur, so Brandt, erlangte die konservative Auffassung die Vorherrschaft, wenngleich man nicht von einer rigorosen Stildiktatur sprechen könne.

Der Architekt KLAUS BLOCK (Technische Universität Berlin) ist auf den Umbau denkmalgeschützter Kirchen spezialisiert. So wurden der Umbau der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Stadtpfarrkirche St. Marien in Müncheberg zum Gemeinde- und Kulturzentrum oder der der Eliaskirche zum Kinder- und Jugendmuseum Prenzlauer Berg nach seinen Entwürfen realisiert. Er charakterisierte die Martin-Luther-Gedächtniskirche als authentisches bauliches Zeugnis für die flächendeckende normale Präsens der nationalsozialistischen Ideologie. Im Hinblick auf eine zukünftige Umnutzung empfahl er, keine baulichen Veränderungen an dem Kirchenbau vorzunehmen, „vor allem nicht mit erhobenem Zeigefinger“. Ein auch seiner Meinung nach sinnvolles Dokumentationszentrum sollte nicht als „Latte-macchiato-Zentrum“, sondern auf die Auseinandersetzung mit dem Thema hin konzipiert sein.

In der folgenden Podiumsdiskussion, die von FRANK PAULI (Religionswissenschaftler und Publizist) moderiert wurde, ging es um die Frage, wie die Zukunft der Martin-Luther-Gedächtniskirche aussehen könnte. Er bat die Podiumsteilnehmer, ihre Vorstellungen vom zukünftigen Schicksal der Kirche darzulegen. HELGA SCHMIDT-THOMSEN (Architektin und Mitglied des Landesdenkmalrates) betonte, die bauliche Wiederherstellung des Gebäudes sei Grundvoraussetzung jedweder zukünftigen Nutzung. Sie bezeichnete die Martin-Luther-Gedächtniskirche als ein Dokument der Gleichschaltung und einen für den Nationalsozialismus charakteristischen Ort, weil hier der Übergang vom Mittelmäßigen zum Gefährlichen besonders deutlich werde. Hier könne am authentischen Ort wichtige Bildungsarbeit geleistet werden.

Gailus erklärte, die Martin-Luther-Gedächtniskirche mit ihrer Innengestaltung sei unverzichtbar, um diesen Abschnitt protestantischer Kirchengeschichte darzustellen. Seiner Meinung nach sollte man den Fokus jedoch nicht ausschließlich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 richten, sondern das Thema des Protestantismus im 20. Jahrhundert insgesamt behandeln. Gailus schlug vor, die Martin-Luther-Gedächtniskirche als authentischen Ort mit einem modernen Museumsbau zu verbinden, in dem eine solche Dokumentation gezeigt werden könne. So ein Ort habe das Potenzial, zu einem großen Anziehungspunkt zu werden. Er verwies auf die hohen Besucherzahlen vergleichbarer Dokumentationsstätten, etwa der Topographie des Terrors. Ein Problem sieht Gailus in der Abgelegenheit des Standorts der Martin-Luther-Gedächtniskirche. Er schlug daher vor, das Gebäude in das Stadtzentrum zu versetzen. Dem widersprach ANDREAS SANDER (wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Topographie des Terrors). Eine Dokumentationsstätte dieser Art müsse von dem gegebenen authentischen Ort ausgehen und einen eher archäologischen Zugang zu ihrem Thema aufbauen. Er warnte davor, das Thema einer solchen Dauerausstellung zu weit zu fassen, und plädierte für eine Konzentration auf das Thema Kirche im Nationalsozialismus.

Der Moderator Frank Pauli fragte nach den nächsten konkreten Schritten, die man in Bezug auf diesen ehemaligen „Ort des Seelenterrors“ ergreifen müsse. Welche Trägerschaft wäre für eine Dokumentationsstätte denkbar? Welche Instanzen müssten jetzt initiativ werden? Zuallererst müsse jetzt die Kirche selbst die Initiative ergreifen, war die einhellige Antwort des Podiums auf die letzte Frage. Helga Schmidt-Thomsen meinte, das Interesse der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) müsse jetzt dringend auf diesen Fall gerichtet werden. Auch Gailus unterstrich, dass die Kirche selber initiativ werden müsse. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Berliner Hauptstadtkirche seien aufgerufen, schnell zu reagieren und sie hätten die finanziellen Mittel, solch ein Dokumentationszentrum zu finanzieren. Hoffmann-Tauschwitz betonte, sofortiges Handeln sei erforderlich. Der erste konkrete Schritt sei mit der Initiierung eines Interessenbekundungsverfahrens getan worden. Er stimme Gailus voll und ganz zu: Die Hauptstadtkirche betreibt keine angemessene Aufarbeitung ihrer Vergangenheit. Hauptstadtkirche und EKD müssten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Lösung für die Martin-Luther-Gedächtniskirche zu finden, wobei die Einrichtung eines Dokumentationsorts seiner Meinung nach absolute Priorität haben müsse. Laut Andreas Sander ist es eine zentrale politische Aufgabe der Kirche, sich des Themas anzunehmen. Die Kirche müsse den ersten Schritt tun; dann erst könne man über Kooperationen oder Mitträgerschaften einer bestehenden Einrichtung, des Landes oder einer Stiftung nachdenken.

Die Fachtagung fand statt unter Mitwirkung von Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Sparten, von Architekten, Vertretern der evangelischen Kirche, des Bezirks, der Gedenkstätten sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Mit guter Publikumsbeteiligung stellte sie einen wichtigen Schritt in der Auseinandersetzung um die Zukunft der Martin-Luther-Gedächtniskirche dar, die seit 2004 geschlossen ist. In Vorträgen und Redebeiträgen wurden die Besonderheiten der Kirche und ihres bis heute erhaltenen nationalsozialistischen Kunstprogramms als historisches Sachzeugnis und ihre Einzigartigkeit in der Berliner wie auch in der deutschen Denkmalslandschaft hervorgehoben und im umfassenderen Kontext der NS-, Architektur-, Kunst- und Kirchengeschichte erörtert. Aus diesen Besonderheiten, so wurde betont, ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, das Kirchengebäude nicht nur zu erhalten, sondern auch Nutzungskonzepte zu finden, bei deren Realisierung auf überformende Umbauten des Innenraums verzichtet werden soll. Der vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V. entwickelte Vorschlag, hier eine Dokumentationsstätte für sakrale Kunst und Architektur der NS-Zeit einzurichten, fand große Zustimmung. Ergänzt wurde er durch die Idee, auch Musik aus jener Zeitepoche hier zu dokumentieren. Notwendig ist nun – neben mehr Öffentlichkeitsarbeit und stärkerer Vernetzung – vor allem die ausdrückliche Bereitschaft der Landeskirche, an solch einer Lösung mitzuwirken und die eigenen Planungen damit zu verbinden.

Konferenzübersicht:

Podiumsdiskussion mit Bezirksvertretern und Anwohnern zur Zukunft der Kirche
Moderation: Sigrid Hoff
Sigmund Kroll (Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, Amt für Planen, Genehmigen und Denkmalschutz); Pfarrer Hans-Martin Brehm (Evangelische Gemeinde Berlin-Mariendorf); Stefanie Endlich (Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V.); Wolfgang Göschel (Architekt, Berlin); Elisabeth Ziemer (Denkmal an Berlin e.V.)

Moderation: Stefanie Endlich
Manfred Gailus (TU Berlin): "Wie braun war die Berliner Kirche im Dritten Reich? Und was tut sie heute für eine angemessene Erinnerungskultur?"
Wolfgang Krogel (Leiter des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs, Berlin): „Gedenk- und Erinnerungskultur in der evangelischen Landeskirche“
Hans-Ernst Mittig (Kunsthistoriker): „Über den gegenwärtigen und zukünftigen Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit“
Sigrid Brandt (Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege, TU Dresden): „Die Bedeutung der Martin-Luther-Gedächtniskirche im Kontext des nationalsozialistischen Kirchenbaus“
Klaus Block (Architekt): „Wie viel bauliche Veränderung verträgt die Martin-Luther-Gedächtniskirche?“

Podiumsdiskussion "Welche Nutzung für die Martin-Luther-Gedächtniskirche?"
Moderation: Frank Pauli
Helga Schmidt-Thomsen (Architektin, Mitglied des Landesdenkmalrats Berlin)
Manfred Gailus (Historiker, TU Berlin)
Andreas Sander (Wiss. Mitarbeiter der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin)
Matthias Hoffmann-Tauschwitz (Kirchliches Bauamt, Berlin)


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