Deutsche im russischen Dienst und ihr Anteil an der Erschließung des Fernen Ostens

Deutsche im russischen Dienst und ihr Anteil an der Erschließung des Fernen Ostens

Organisatoren
Institut für Europäische Geschichte der Universität Mainz; Russische Akademie für öffentliche Verwaltung in Moskau
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.12.2007 - 15.12.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Eugenia Massold, Universität Bonn; Diana Ordubadi, Universität Bonn

Die Konferenz war integrierter Bestandteil eines gleichnamigen, vom Institut für Europäische Geschichte in Mainz und der Russischen Akademie für öffentliche Verwaltung in Moskau durchgeführten Projekts, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Russischen Stiftung für die Geistes- und Sozialwissenschaften gefördert wird. Ausgangspunkt des Forschungsvorhabens ist die Frage, in welchem Umfang in russischen Diensten stehenden „Deutsche“ – als Diplomaten, als Militärs, als Verwaltungsbeamte, als Wissenschaftler – an dem Prozeß der Erschließung des Fernen Ostens und der Anbahnung von Kontakten zu den Nachbarstaaten beteiligt waren. Ein zweites Kolloquium soll sich im September 2008 in Moskau anschließen.

Nach der Begrüßung und einleitenden Worten der Organisatoren gab ALEXANDER TURCHINOV (Moskau) mit seinem Vortrag über die Politik des Russischen Reiches gegenüber Ausländern von Peter I. bis zum 20. Jahrhundert eine Einführung in das Konferenzthema. Er zeigte auf, dass die Grundlagen des modernen russischen Staatswesens am Ende des 17. Jahrhunderts gelegt wurden. Veranlasst wurde die Modernisierung einerseits durch innerrussische sozial-ökonomische Prozesse, anderseits aber auch durch äußere Faktoren. Fachleute aus Westeuropa spielten für die Entwicklung von Wissenschaft, politischem System, Kultur und Religion des Russisches Reiches eine äußerst wichtige Rolle. Die Personalpolitik Peters I. veränderte die politischen Rahmenbedingungen für die Anwerbung und Beschäftigung von Ausländern im russischen Dienst entscheidend. Peter I. gewährte ausländischen Fachleuten wichtige Privilegien und gab ihnen dadurch viele Möglichkeiten, im Russischen Reich zu arbeiten und sich zu „realisieren“, mit dem Ziel das Land durch eine neue gut ausgebildete Elite an westeuropäische Verwaltungsmaßstäbe heranzuführen. Der Politikansatz, einzelne Fachleute aus dem Ausland in den russischen Dienst zu holen, sollte bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen bleiben.

Ausländer in den eigenen Staats- oder Militärdienst aufzunehmen war eine gängige Praxis aller europäischen Länder, wie nachfolgend TATJANA ILARIONOVA (Moskau) betonte. In ihrem Vortrag über Diplomaten des Zaren im Fernen Osten ging sie auf fünf Männer ein, die als erste im Auftrag des Russischen Reiches diplomatische Beziehungen zu China aufnahmen: den Schweden Lorenz Lang, den Griechen Nikolaj Spafarij, den Holsteiner Isbrand Ides, den Deutschen Adam Brand sowie den Serben Sawwa Wladislawitsch. Die ersten Nachrichten über China, die nach Russland gelangten, stammten von diesen Männern, deren Briefe oder Abhandlungen über Botschaftsreisen heute im Archiv der Alten Akten in Moskau aufbewahrt werden. Sie waren maßgebend für die Chinapolitik des Russischen Reiches. So setzte sich beispielsweise Lang in seinen Briefen unnachgiebig für die Grenzsicherung zu China und die Kartographisierung der Grenzgebiete ein. Bedauerlicherweise wurden die Berichte der Diplomaten nicht mehr neu ediert.

Die bisher wenig erforschten diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und China behandelte anschließend auch DITTMAR DAHLMANN (Bonn) in seinem Vortrag über die russische Gesandtschaft nach Peking 1692 bis 1695 unter der Führung der bereits erwähnten Kaufleute Ides und Brand. Bereits vor 1692 hatte die russischen Regierung versucht, diplomatische Beziehungen mit dem chinesischen Kaiser aufzubauen. Der erste offizielle Kontakt im Jahre 1653 scheiterte an den konträren Erwartungen der beiden Länder. China verstand sich als Mitte der Welt und zählte alle übrigen Länder zu seinen Tributpflichtigen. 1689 wurde allerdings der sehr lukrative Vertrag von Nertschinsk mit China abgeschlossen. Die Reise von Ides und Brand hingegen war diplomatisch betrachtet ein Desaster. Historische Bedeutung erlangte die Gesandtschaftsreise durch die Reiseberichte, die Ides und Brand anschließend verfassten. Die Berichte enthalten viele Informationen über den Reiseweg und das Zeremoniell im Palast in Peking, allerdings wenig Sachinformationen über das Land und die Menschen, was bereits die Zeitgenossen bemängelten.

Die Beschreibungen des Reisewegs von Gesandten waren wichtige und einzigartige Quellen, aus denen Informationen für die Erstellung von Karten über das Russische Reich entnommen wurden. In vorpetrinischer Zeit hatte es bereits Russlanduntersuchungen in Westeuropa gegeben, wie CHRISTINE ROLL (Aachen) in ihrem Vortrag über die Kartographie im 18. Jahrhundert an einigen Weltkarten verdeutlichen konnte. Diesen Karten fehlten noch exakte Beschreibungen der Regionen Ost- und Nordasiens. Ebenfalls unklar war der Grenzverlauf zwischen Russland und China sowie zwischen Europa und Asien. Es fehlten einheitliche Bezeichnungen wie „Ferner Osten“ oder „Sibirien“. Die detaillierte Kartographisierung dieser Gebiete erfolgte erst auf der Basis der wissenschaftlichen Expeditionen im 18. Jahrhundert. Die Entwicklung der Karten geht mit den Veränderungen des Weltbildes der Kartographen einher, was die Bedeutung der Karten als historische Quellen deutlich unterstreicht. Das Weltbild wird in Karten nicht nur abgebildet, sondern ebenfalls gebildet.

DIANA ORDUBADI (Bonn) behandelte anschließend eine der bedeutendsten Expedition des 18. Jahrhunderts, die Billings-Saryčev-Expedition, die von der Forschung bisher fast unbeachtet geblieben ist. Im Kontext der europäischen Erschließung der asiatischen Territorien wurde Sibirien als eine wichtige zivilisatorische Brücke zwischen Europa und Asien verstanden. Der Nachlass des deutschen Arztes Carl Heinrich Merck, der von 1785 bis 1795 im Rahmen der erwähnten Expedition Ostsibirien und Alaska erkundete, vermittelt ein authentisches und faszinierendes Bild dieser Epoche. Außerdem bilden die Merck’schen Aufzeichnungen zu der aleutischen Folklore, Religion, Grabkultur und Moral eine erstrangige historische Quelle für die kulturwissenschaftliche und ethnopsychologische Erforschung dieses Volkes. Gleichzeitig ermöglichen seine Notizen eine Auseinandersetzung mit den Problemen und Schwierigkeiten des Kulturkontaktes zwischen europäischen Forschern und der autochthonen Bevölkerung.

Das kulturell „Fremde“ nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu betrachten, diese geistige Haltung erfordert in erster Linie Mut. Vom Mut eines deutschen Mediziners, Joseph Rehmann, der an der Golowkin-Gesandtschaft im Jahre 1806 teilnahm und dort mit der fernöstlichen Medizin in Berührung kam, berichtete HEINZ DUCHHARDT (Mainz). Nach seinem Medizinstudium in Wien machte Rehmann eine glänzende Wissenschaftler- und Beamtenkarriere im Russischen Reich. Aufgrund seiner Arzneistudien und gelehrten Abhandlungen wurde Rehmann einer der angesehensten Mediziner Russlands, der es bis zum Chef des russischen Zivilmedizinalwesens brachte. Rehmanns Schriften und Vorträge und seine Autorität haben deutlich dazu beigetragen, dass sich das Russische Reich zu China hin öffnete und Sympathien zumindest für Teile der chinesischen Kultur entwickelte.

Den zweiten Tag des Kolloquiums eröffnete der Vortrag von OLGA MALYSHEVA (Moskau) über Deutsche als russische Diplomaten. Die kulturelle Entwicklung Russlands ist organischer Teil der gesamteuropäischen Entwicklung und kann, ungeachtet der russischen Mentalitätsbesonderheiten, nicht von ihr losgelöst betrachtet werden. Anhand von drei historischen Figuren aus verschiedenen Epochen der deutsch-russischen Beziehungen – Andrej I. Ostermann, Andrej J. Budberg, Sergej J. Witte – wurde diese These veranschaulicht. Dem Hinzuziehen von Ausländern zum Aufbau des russischen Staates lag von Anfang an kein besonderes System zugrunde. Es zählten ausschließlich die persönlichen und beruflichen Qualitäten. Ein Problem stellte in diesem Zusammenhang die russisch-orthodoxe Kirche dar. Der russische Episkopat war unzufrieden damit, dass den zugereisten Ausländern das Privileg gewährt wurde, ihren Glauben beizubehalten und frei auszuüben. Seit Peter I. hatte allerdings die Kirche keine Möglichkeit mehr, ihre Bedingungen zu diktieren. Es ist besonders kennzeichnend für Russland, dass die weltliche Macht bereits so früh die Oberhand im Staat gewann und sich ausschließlich durch wirtschaftliche Interessen leiten ließ.

Die Vorstellung bedeutender Deutscher im russischen Dienst setzte EUGENIA MASSOLD (Bonn) mit einem Referat über deutschstämmige Wissenschaftler fort, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Altaj erforschten. Die ersten systematischen Daten über die autochthone Bevölkerung des Altaj wurden von deutschstämmigen Forschern gesammelt und auf Deutsch publiziert. Somit gelten sie als Pioniere auf diesem Gebiet. Die Erforschung der Altajregion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte im Wechselspiel von privater und staatlicher Initiative. Die tragende Rolle bei der wissenschaftlichen Erschließung Sibiriens kam der russischen Regierung zu, die enorme finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stellte. Außerdem war ab dem 18. Jahrhundert die Teilnahme an einer Forschungsexpedition oft mit einem akademischen Karriereschub verbunden und bot eine Chance, in der Rangtabelle des Russischen Reiches aufzusteigen, was einen zusätzlichen Anreiz für die Wissenschaftler darstellte.

Zwei weitere herausragende Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts stellte JAN KUSBER (Mainz) vor. Fedor Petrovič Lidke kann als ein für seine Epoche veralteter Typ eines Reiseforschers und Entdeckers bezeichnet werden, der sich durch seine Loyalität zur Krone und zum Imperium definierte. Lidke verstand sich als Wissenschaftler und versuchte sich von früheren Forschungsunternehmen zu distanzieren, die vor allem wirtschaftliche Interessen verfolgten. Im Gegensatz dazu wollte Petr Semenov nicht dem Zaren oder dem russischen Staat dienen, sondern direkt „dem russischen Volk“.

Die Reihe der Vorträge schloss mit einem Referat von FRANZISKA SCHEDEWIE (Heidelberg) über Weimar und die bereits in anderem Zusammenhang behandelte Golovkin-Gesandschaft. Anhand der Korrespondenz zwischen der Zarenfamilie und der mit dem Weimarer Erbprinzen Carl Friedrich verheirateten Großfürstin Maria Pavlovna zeigte sie, dass und inwieweit Weimar und der Ferne Osten in dem größeren politischen Kommunikationszusammenhang der russischen Außenpolitik miteinander verbunden waren. Dabei spielten zwei Aspekte eine entscheidende Rolle. Erstens waren Heiratsverbindungen mit dem Westen ein Mittel der russischen Außenpolitik, was der Fall Maria Pavlovnas unterstreicht. Durch ihre Ehe erhielt Russland eine feste Anbindung an eines der Zentren der Aufklärung in Deutschland. Dabei kam es – zweitens – der russischen Seite nicht so sehr auf die Erschließung einer anderen Kultur an, sondern vielmehr auf die Erhöhung des eigenen Prestiges auf der westeuropäischen politischen Bühne.

In der Abschlussdiskussion kristallisierten sich unter anderem folgende Problemfelder heraus, die auf dem Folgekolloquium im September 2008 in Moskau vertieft werden sollen:

- die Definition des historischen Begriffs „deutsch“ und die Veränderung von Identitäten und Loyalitäten der „Deutschen“ nach einem langen Aufenthalt in der Fremde;
- die Herausarbeitung bestimmter Berufsgruppen, die sich von der Erschließung einer „neuen Welt“ besonders angesprochen fühlten und auch am besten dafür geeignet waren (z.B. Naturwissenschaftler, Ärzte usw.);
- Die Frage nach der Position und der Bereitschaft des Russischen Reiches, sich der „neuen Welt“ zu öffnen. Ein wichtiger Ansatzpunkt in diesem Zusammenhang ist die Feststellung, dass die Erweiterung der staatlichen Grenzen nach Osten eine grundsätzliche Veränderung der russischen Mentalität nach sich gezogen hatte, woran die „Deutschen in russischen Diensten“ maßgeblich beteiligt waren.

Konferenzübersicht:

Deutsche im russischen Dienst und ihr Anteil an der Erschließung des Fernen Ostens

Tatjana Ilarionova, Moskau / Heinz Duchhardt, Mainz: Begrüßung, Vorstellung des Projekts

Tatjana Ilarionova, Moskau: Russische und deutsche Quellen über die Deutschen als Diplomaten der Zaren im Fernen Osten
Alexander Turnichov, Moskau: Ausländer in der Personalpolitik des russischen Reiches
Dittmar Dahlmann, Bonn: Die russische Gesandtschaft nach Peking 1692 bis 1695. China in den Beschreibungen von Isbrand Ides und Adam Brand
Christiane Roll, Aachen: Russland, Asien und der Ferne Osten in der russischen Kartographie des 18. Jahrhunderts und der Beitrag deutscher Wissenschaftler
Diana Ordubadi, Bonn: Carl Heinrich Merck und sein Beitrag zur Erforschung des Fernen Ostens im Rahmen der Billings-Sarycev-Expedition 1785-1795
Heinz Duchhardt, Mainz: Ein deutscher Mediziner im Fernen Osten. Die Teilnahme von Joseph Rehmann an der Golowkin-Gesandtschaft 1806
Olga Malysheva, Moskau: Deutsche als russische Diplomaten
Eugenia Massold, Bonn: Ethnologische Forschungen im Altaj in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Jan Kusber, Mainz: Imperiale Wissenschaften und Expansion: Das Beispiel Fedor Petrovic Lidke (1797—1832)
Franziska Schedewie, Heidelberg: Karl August von Sachsen-Weimar und der Ferne Osten


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