Kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit – Cultural Exchange in the Early Modern Period

Kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit – Cultural Exchange in the Early Modern Period

Organisatoren
Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2007 - 22.09.2007
Von
Robert Riemer, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Die 7. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands – gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und der Universität Greifswald – fand vom 20. bis 22. September 2007 in Greifswald im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg mit Prof. Dr. Michael North als Gastgeber statt. Die Tagung stand unter dem Thema „Kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit – Cultural Exchange in the Early Modern Period“.

Die Arbeitstagung griff mit der Frage des kulturellen Austausches ein zentrales Problem der europäischen Frühneuzeitforschung auf. Während sich die Forschung unter dem Stichwort „Kulturtransfer“ lange Zeit auf die kulturellen Transfers zwischen nationalen Kulturen, z. B. zwischen Deutschland und Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert, konzentriert hat, ging es bei der Greifswalder Tagung in Anlehnung an Peter Burke nicht allein um bloße Transferprozesse, sondern um die bewusste oder unbewusste Änderung von Bedeutungsinhalten der transferierten Kultur. Dabei stellte sich die Frage, ob die mögliche Modifikation von Werten oder Symbolgehalten von der Ausgangskultur durchgeführt wurde oder ob sich jener Wandel eher im Kontext der Zielkultur vollzog. In beiden Fällen ermöglichte erst eine solche „kulturelle Übersetzung“ das Verstehen der transferierten Inhalte durch den Empfänger. Das Wissen um diesen Prozess führt den Historiker dann zu der Frage nach den Beweggründen bestimmte Kulturelemente zu vermitteln, seien die Motive ökonomischer, politischer oder sinnlich-ästhetischer Art.

Sektion I: „Kultureller Austausch theoretisch“
Zur Theorie des Kulturellen Austausches referierten MICHAEL WERNER (Paris; „Der theoretische Rahmen der Kulturtransferforschung“), MARTINA STEER (Berlin; „Kultureller Austausch in der jüdischen Geschichte“) und CORNEL ZWIERLEIN (München; „Kulturtransfer in der Frühen Neuzeit: Überlegungen zum Konzept im Rahmen der kulturgeschichtlichen Theoriediskussion“). Michael Werner stellte die Kulturtransferforschung in einen theoretischen Rahmen und an einen historischen Ort. Er eröffnet dazu vier Spannungsfelder – 1. Universalität vs. Spezifität, 2. Akteurbestimmung des Kulturtransfers, 3. friedliche vs. agonale Transfervorstellung sowie 4. Verhältnis zwischen Transfer und Verflechtung – und erläuterte diese. Martina Steer stellte fest, dass erst in den späten 1950er-Jahren eine umfassende jüdische Geschichtsschreibung einsetzte, die sich mit dem frühneuzeitlichen Judentum beschäftigte. Allerdings entstand der Eindruck einer damals existierenden, einheitlichen jüdischen Gemeinde, die lediglich zu anderen Religionen hin abzugrenzen sei. Doch gerade für die Beschreibung der Beziehungen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Gemeinde – so die abschließende Feststellung – wird die Kulturtransferforschung in Zukunft unumgänglich sein. Cornel Zwierlein verwies zunächst auf Sebastian Conrad und das Konzept der doppelten Marginalisierung. Ein Paradebeispiel dafür ist die Frühe Neuzeit als Epochenkonzept, welches in sich die Eurozentrik, die Modernisierungstheorie und die Prärogative der Zeit vereint. Conrad fordert demgegenüber eine Prärogative des Raumes, einen „spatial turn“ – die Neubewertung der räumlichen Sichtweise und die Rückdrängung der rein geopolitischen Sicht.

Diskussion:Die Transferforschung muss, so einige Diskussionsteilnehmer, aus mehreren Perspektiven erfolgen und darf dabei auch nicht den Machtfaktor aus den Augen verlieren, ohne ihn aber zu stark zu betonen. Der Gebrauch von Raummetaphern wurde als problematisch angesehen, weil diese eigentlich schon unbewusst und damit nicht klar definiert benutzt werden. Fernand Braudel wurde eine Rolle bei der Entwicklung einer Vorstellung von Kulturaustausch zugestanden, aber seine Raumkategorien seien nicht ohne Einschränkungen tragbar. Wichtig sei auch die Frage, wie transferiert wird – es werden Gegenstände materiell oder imaginär (z. B. mit Musterbüchern) weitergegeben oder eben auch Sichtweisen/Anschauungen. So wird z. B. bei Juristen verglichen, welches Rechtssystem besser geeignet ist, dann erfolgt die Übernahme des Systems, wenig später allerdings fast immer auch eine Anpassung.

Den Abendvortrag gestaltete MARK MEADOW (Santa Barbara), der zu „Aztecs, Augsburg and Ambras: The Transmission of Cultural Knowledge of the New World in the Sixteenth Century“ referierte. Er stellte Kulturtransfer aus der Neuen Welt anhand von Sammlerobjekten (z. B. aztekischer Federschmuck) dar, die zuerst mit Hernando Cortes den Weg in europäische Wunderkammern fanden. Dabei konstruierte er sich überschneidende Netzwerke (Ambras Aztec Network) zwischen Mittelamerika und verschiedenen europäischen Regionen, in die Abenteurer, Kaufleute und Monarchen eingebunden waren. Dieses Kommunikationsnetzwerk wurde u. a. über das Fuggersche Informationsmanagment (weltweite Faktoren) bedient und gesteuert. Kultureller Austausch zwischen der Alten und Neuen Welt insgesamt erfolgte auf verschiedenen gegenständlichen und immateriellen Ebenen – in Form von Kunst, Beute, Informationen und „kulturellem Wissen“.

Sektion II: „Kultureller Austausch national“
Den nationalen kulturellen Austausch präsentierten THOMAS TÖPFER (Leipzig; „Die Forschungskategorie ‚Bildungslandschaften’ aus universitäts- und schulgeschichtlicher Perspektive“), MATTHIAS ASCHE (Tübingen; „Glaubensflüchtlinge und Kulturtransfer im Konfessionellen Zeitalter – eine Bestandsaufnahme für das Heilige Römische Reich“) sowie NICOLE GROCHOWINA (Jena; „Wertetransfer durch Rechtsprechung – Aspekte der nationalen Rechtskultur um 1800“). Thomas Töpfer sprach am Beispiel der Anfänge der vergleichenden Landesgeschichte seit den 1890er-Jahren über das Verhältnis von Raum und Geschichte in der Geschichtswissenschaft; im Detail fragte er nach der Existenz einer Bildungslandschaft im Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Diese existierte in lokalen/regionalen bzw. territorialen Ausprägungen, die meist religiös bedingt waren. Kulturtransfer lässt sich hier an der Verbreitung bestimmter Schulmodelle nachweisen. Städte mit Bildungseinrichtungen profilierten sich als „Zentralorte“, die für das Umland nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch mit Blick auf das Bildungsangebot interessant waren. Matthias Asche stellte eine neue Ausprägung der personellen Mobilität im konfessionellen Zeitalter fest, nämlich die Wanderung wegen religiöser Verfolgung. Zugleich repräsentierten die Flüchtlinge einen Wissenstransfer – „Kultur“, Technik, merkantile und militärische Techniken sowie Sprachen wurden mitgebracht, die in den anwerbenden/aufnehmenden Ländern gefragt waren, z. B. technologische Spezialqualifikationen (Deichbauer usw.). Nicole Grochowina untersuchte die frühneuzeitliche Rechtskultur, die sich durch eine bemerkenswerte Rechtsvielfalt auszeichnete. Am Beispiel eines sächsischen Erbrechtsfalls aus dem 18. Jahrhundert ging sie der Frage nach, welche Rechtsvorschriften transferiert wurden und wer über diesen Transfer entschied – Richter und Gutachter wendeten im Allgemeinen einen Mix aus Reichs- und Landesrecht an, wobei immer stärker auf römisches Recht zurückgegriffen wurde.

Diskussion: Es wurde angemerkt, dass Aussagen über katholische Glaubensflüchtlinge relativ spärlich sind, weil die katholische Publizistik deutlich eingeschränkter war. Ebenso ist es bis jetzt nicht möglich, ausführliche Aussagen über konfessionell verschiedene Wege des Kulturtransfers zu tätigen. Arme Glaubensflüchtlinge transferierten zunächst vor allem ihre Arbeitskraft, während die Oberschichten die Überlieferung prägten. Ebenso muss die Frage nach der Homogenisierungserwartung im Gastland mit den Augen der Zeit gesehen werden – es gab eben keine Integrationserwartung, sondern lediglich den Tausch von Privilegien gegen Know-how; Integrationsvorstellungen im heutigen Sinne entstanden erst in den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Zugleich schmuggelten sich unter die Hugenotten auch katholische Franzosen, die von den zu erwartenden Privilegien in der neuen Heimat ebenfalls profitieren wollten („Scheinasylanten“).

Sektion III: „Kultureller Austausch sozial: ‚Herrschaftsvermittlung’ als ‚kultureller Austausch’“
Auch der soziale kulturelle Austausch wurde mittels dreier Beispiele illustriert, die BOGUSŁAW DYBAŚ (Toruń; „Zwischen Warschau und Dünaburg. Die adeligen Beamten in den livländischen Gebieten der polnisch-litauischen Republik“), ANDRÁS VÁRI (Budapest/Miskolc; „Herrschaftsvermittlung im Josephinismus in Ungarn. Ein Magnat, der technische Fortschritt, die Bauern, der Komitatsadel und ein Komitatsbeamter zwischen allen Fronten“) und KARIN GOTTSCHALK (Bielefeld; „Herrschaftsvermittlung als Vermittlung von Verwaltungskultur? Lokale Amtsträger in der Landgrafschaft Hessen-Kassel im 18. Jahrhundert“) lieferten. Bogusław Dybaś untersuchte verschiedene Integrationsprozesse (Rekatholisierung, Integrationspolitik) in der Wojewodschaft Livland, in der als neuer, strategisch wichtiger Region die Gliederung in Provinzen und die Einführung einer Verwaltungsstruktur in Anpassung an andere Gebiete in Polen-Litauen erfolgte, an denen sich auch die livländischen Familien orientierten und somit einen sozialen Aufstieg (z. B. als Senatoren) vollzogen. András Vári analysierte Verwaltungsstrukturen in Ungarn, wo bis in die 1770er/80er Jahre die Komitate wichtige Strukturelemente darstellten. Entsprechend war die ungarische Aristokratie in den Hof- und den Komitatsadel gegliedert. Allerdings stellte die fehlende Verwaltung vor Ort oftmals ein Problem dar, weil sich die eigentlichen Amtsträger kaum für ihre Komitate interessierten und sie verwalten ließen. Mit Graf Antal Károlyi zeigte der Referent eine Ausnahme von dieser Praxis, doch scheiterte dessen Meliorationsprojekt an Auseinandersetzungen mit der heimischen Bevölkerung. Karin Gottschalk untersuchte die lokale Verwaltung in Hessen-Kassel, die als Kontaktstelle bzw. Mittler zwischen den Untertanen und der Obrigkeit diente; ihr unterstand im Auftrag des Landesherrn auch die Zivil- und die freiwillige Gerichtsbarkeit. Ziel war die zunehmende Annäherung und Integration der lokalen Beamten in den zentralen Verwaltungsapparat, also der Transfer von Verwaltungskultur in beide Richtungen, die über die lokalen Beamten vermittelt wurde und die als Maßnahme zur Landesverbesserung diente.

Diskussion: Es erfolgte der Hinweis auf die verschiedenen Qualitäten von Kulturtransfer – Oktroyierung, Assimilation, Übersetzung, Transfer (eventuell mit Anpassung). Das „Wo“ des Austausches sei ein Ort und kein Raum, jedoch seien Ort und Raum kein Widerspruch, sondern eine Verräumlichung von Orten wäre möglich. Die Komplexität der ungarischen Verhältnisse resultierte teilweise aus einem vorherigen Machtvakuum, da es eine sehr mobile Bevölkerung gab, die bis zur Zeit Josephs II. keiner Erfassung (in einem Kataster) unterlag, also zumindest nicht mit diesen Aspekten staatlicher Gewalt/Macht konfrontiert wurde. Der Mehrwert des Konzepts Kulturtransfer für die Themen dieser Sektion liegt in der Interessenvertretung der Herrschaft durch die verschiedenen hierarchischen Ebenen einer Verwaltung mittels Anpassung an Sprachen und Verhaltensweisen, die einen zielgerichteten Austausch mit den Untertanen ermöglichen. Landesherrliche Anweisungen, die nicht den gewünschten Erfolg nach sich zogen, sind aber nicht unbedingt gescheiterte Transferprozesse, da diese Situation im Idealfall zu einem Lernprozess auf landesherrlicher Seite führte, z. B. in die Einsicht, dass das Fremdsystem besser funktionierte. Im Gegensatz zur einfachen Übertragung findet hier Interaktion statt.

Sektion IV: „Kultureller Austausch transnational (immateriell europäisch): Ansätze, Medien, Transformationen: Zur Kommunikation professionellen Wissens im frühneuzeitlichen Europa“
In dieser Sektion präsentierten die Referenten STEFAN PAULUS (Augsburg; „Fallstudie Architekturwissen: Zwischen Kontinuität und Wandel. Deutschsprachige Architekturtraktate in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Neuzeit“), HANS-UWE LAMMEL (Rostock; „Professionelles medizinisches Wissen“) und MARK HÄBERLEIN (Bamberg; „Aneignung, Organisation und Umsetzung von Kaufmannswissen in Süddeutschland im 16. und 17. Jahrhundert“) Beispiele für den transnationalen kulturellen Austausch professionellen Wissens in Europa. Stefan Paulus untersuchte den Transfer des für neue hybride Bauformen im Reich benötigten Wissens aus Italien, der über Bildungs- und Studienreisen, Holzschnitte, Zeichnungen usw. erfolgte. Als wichtige Autoren im Bereich der Architektur nannte er Leon Battista Alberti, Matthäus Roritzer und Hanns Schmuttermayer. Hans-Uwe Lammel analysierte den medizinischen Sektor, in welchem praktische anatomische Kenntnisse in Buchform verpackt wurden. Das medizinische Wissen um 1500 speiste sich aus mehreren Quellen: 1. wurde antikes und 2. arabisches Wissen genutzt, welches man 3. in die Medizinerausbildung integrierte. Andreas Vesalius wird wegen seines Werkes „Anatomie Mondinos“ (um 1400; Bezugnahme auf Mondino dei Luzzi, Anatom und Mediziner aus Bologna) als Ausgangspunkt der professionalisierten Wissensvermittlung im medizinischen Bereich angesehen, da er Abbildungen zur Unterstützung des beschreibenden Textes lieferte. Mark Häberlein beschäftigte sich mit kaufmännischen Abrechnungsformen, doch Beispiele für eine Buchführung oder gar gedrucktes kommerzielles Wissen fanden sich am Beginn der Frühen Neuzeit zunächst nur spärlich – zu groß schien die Gefahr, dass man der Konkurrenz in die Hände spielen könnte. Kaufmannswissen galt ohnehin bis ins 17. Jahrhundert als nicht wissenschaftlich und ist auch danach vor allem die reine Verschriftlichung von Praxiswissen, welches z. B. oberdeutsche Kaufmannssöhne bei Auslandsstudien, einer häufig praktizierten, systematischen Form der Ausbildung erwarben.

Diskussion: Es ist im Rahmen dieser Fallstudien schwierig, in den frühen Traktaten das Neue bzw. die Herkunft der Vorlage zu erkennen und zuzuordnen. Die Nachhaltigkeit der Veröffentlichungen zur Anatomie am Beispiel von Nicolaus Marschalk wird dadurch erkennbar, dass diese rezipiert und in anderer Literatur (z. B. in Spanien) weiter verbreitet wurden. Mit seinen vielen Abbildungen (über 20) bringt Marschalk ein „Sehen-wollen“ zum Ausdruck, d. h. er bediente eine andere Verständnisebene – eine künstlerisch-voyeuristische und nicht nur eine rein professionelle. Der Wechsel in der Buchführung im Verlauf der Frühen Neuzeit steht mit dem Wandel der Geschäftsfelder in Zusammenhang, da man bei der Gründung von Tochterfirmen eigene Bücher anlegte, die außerdem Zusatzinformationen, z. B. Marktpreise enthalten konnten. Sollte sich bereits bei der Ausbildung der oberdeutschen Kaufmannssöhne gezeigt haben, dass diese für den Kaufmannsberuf untauglich waren, dann wurden sie gezielt auf andere Karrieren vorbereitet, z. B. in verschiedenen Ämtern (Patrizier), Juristen oder Geistliche.

Sektion V: „Kultureller Austausch transnational (materiell europäisch)“
Den bereits in der vorhergehenden Sektion thematisierten transnationalen kulturellen Austausch untersuchten MARIKA KEBLUSEK (Leiden; „Selling Stuff: Merchants as Cultural Agents in the Early Modern World of Books“), KLAS NYBERG (Uppsala; „Cultural Transfer and the ‘Skeppsbron Nobility’ in 18th-Century Stockholm: Foreign Merchants as Intermediaries in the Introduction of New Wares“) sowie KIM SIEBENHÜNER (Basel; „Kostbare Güter globaler Herkunft: Der Juwelenhandel von Indien nach Europa in der Frühen Neuzeit“) auf der materiellen Ebene. Marika Keblusek zeigte Kontaktpunkte zwischen Handel und Kultur auf – Kontaktpunkte von Netzwerken von den Handelszentralen über finanzielle Mittler und Faktoren hin zu verschiedenen (sammelnden) Kunden, in deren Auftrag beispielsweise Bücher erworben wurden. Die Infrastruktur des europäischen Buchhandels ist inklusive des logistischen Netzwerkes rekonstruierbar, anhand der bereits erwähnten Bücher oder aber auch der Ladelisten (z. B. Seetransport von Paris über Hamburg ins Reich oder nach Skandinavien). Klas Nyberg referierte zu den Auswirkungen des Transfers „neuer Waren“ am Beispiel der „Skeppsbron Nobility“. Diese auswärtigen Kaufleute prägten aufgrund ihres eigenen Geschmacks und entsprechender Einfuhren nach Schweden dort einen neuen/anderen Geschmack – sie transferierten Produkte (z. B. Seide, Wolle und Baumwolle) und Wissen. Als Basis der Ausführungen von Kim Siebenhüner diente der Reisebericht des Edelsteinhändlers Johann Babtist Tavernier von 1681. Diese und ähnliche Darstellungen prägten das europäische Indienwissen, welches zunehmend konkreter und wahrer (realer) wurde. In diesen Reisebeschreibungen erwähnten die Autoren auch Fundorte von Edelsteinen und anderen Kostbarkeiten sowie den Diamanten- oder Rubinhandel, der eine Edelsteinausfuhr aus Indien nach Europa und die Mitnahme entsprechender Gewinne in Aussicht stellte; so konnte Tavernier einige Diamanten für 200.000 Livres an König Ludwig XIV. verkaufen.

Diskussion: Es wurde darauf hingewiesen, dass Buchhändler Restriktionen mittels Umetikettierungen der Bücherkisten oder Schmuggel umgehen konnten, galten doch gewöhnlich Bücher als normale Waren, auch für den Zoll, wenn denn ein solcher erhoben wurde (in den Niederlanden z. B. nicht). Kritisch müssen aber die Aussagen der Reiseberichte betrachtet werden, die bis 1550 im Stil noch sehr stark an literarische Indienberichte angelehnt waren. So ist erst im 17. Jahrhundert der Topos des Paradieses (bis auf die „Schatzkammern“) entfallen. Dass Reiseberichte im 17. Jahrhundert wirklich den realen Verhältnissen Rechnung trugen und derartige, literarisch angehauchte Aufzeichnungen verifizierbar und damit als Basis für eine wissenschaftliche Untersuchung ihrer Inhalte tauglich wären, ist ambivalent zu betrachten. Dies sei nicht unbedingt der Fall, obwohl man bestimmte Muster verfolgen könne. Der Bericht Taverniers enthielt außerdem Tipps zur Etablierung einer französischen Handelsgesellschaft in Indien. Zumindest in einzelnen Bereichen können diese Angaben mittels anderer Reiseberichte (solange die Autoren sich nicht gegenseitig kopierten) oder Kompanieakten bestätigt werden.

Sektion VI: „Kultureller Austausch global“
Den Abschluss der Tagung bildeten die Vorträge von MARKUS NEUWIRTH (Innsbruck/Madrid; „Diplomatische Austausch und globaler Kunsthandel um 1600“), HORST PIETSCHMANN (Hamburg/Köln; „Kulturaustausch zwischen Amerika und dem frühneuzeitlichen Europa: Malerei von und zu mexikanischen Indios in kolonialzeitlichen Beispielen“) und MARTIN KRIEGER (Greifswald; „Koloniale Wohnkultur an der Koromandelküste“) zum globalen kulturellen Austausch. Markus Neuwirth bezog sich zunächst auf den Einfluss von Transportbedingungen (Feuchtigkeit usw.) auf die Überlieferung von Kunst, wobei heute kaum zu klären ist, ob diese Kunstwerke als Gegenstände selbst transferiert wurden, oder ob sie von reisenden Künstlern gefertigt worden sind. So sammelte Albrecht VII. von Österreich Kunstgegenstände für die herrschaftliche Kunst- und Wunderkammer – kleine, wertvolle Präsente, z. B. ein exquisit gearbeiteter portugiesischer Klapptisch, der gut zu transportieren war und Darstellungen von Verhandlungen zeigte. Im Mittelpunkt der Ausführungen von Horst Pietschmann standen die Azteken (die einzige amerikanische Schriftkultur), die in einem Gebiet, welches heute von Mexiko City bis San Salvador reicht, beheimatet waren. Ein Bild zeigte Montezuma II., bezeichnet als „letzter König von Mexiko“. Die Abbildung repräsentiert einen Stilmix aus aztekischen Datums- und spanischen Legendenangaben. Diese und andere Darstellungen dienten der Legitimation von Herrschaft, z. B. Genealogien, in denen Montezuma auf den Thron verzichtet, weshalb ihn die Spanier rechtmäßig „beerben“. Philipp II. wird als „Kaiser der Indianer“ gegenüber „Kaiser“ Montezuma erhöht. Martin Krieger untersuchte den Transfer von Wohnkultur nicht nur in Richtung Europa, sondern auch in die Gegenrichtung, etwa die Anhäufung europäischer Kunst durch asiatische Sammler. Ähnlich wie in Europa gab es in Asien einen Mischung aus fremden und eigenen Elementen, was sich bei Möbeln, Grabsteinen usw. zeigt und den die Europäer in Asien schufen, da sie sich in den ersten Jahrzehnten der Kolonisierung in einer Phase zunächst schwacher Machtausübung auf die indigene Kultur einlassen mussten.

Diskussion und Schlussbetrachtung: Die Tagung machte deutlich, dass sich die Frühneuzeit-Historiker von dem Bild eines einseitigen Kulturtransfers von einem dominierenden Partner zu einem schwächeren unbedingt zugunsten eines – wenn auch nicht immer von gleich zu gleich stattfindenden – Austausches von Kultur und kulturellen Informationen verabschieden müssen. So konnte gezeigt werden, dass selbst die gewaltsame Eroberung und Kolonialisierung Mittelamerikas durch die Spanier im 16. Jahrhundert auch für Europa selbst wichtige neue kulturelle Ansätze lieferte und eben nicht nur in einem reinen Macht- und Wissenstransfer bestand. Das sich letzterer Eindruck in der aktuellen Kulturtransferforschung dennoch immer wieder aufdrängt, ist dem Ungleichgewicht bei der Erarbeitung der verfügbaren Quellen geschuldet, die sich bisher vor allem auf die europäische Sicht stützen. Die indigenen Quellen sind dagegen noch weitgehend unbekannt und harren, bevor sie überhaupt untersucht werden können, einer Neuverzeichnung. Die Frühneuzeit-Historiker können also für ihren Forschungszeitraum bisher – genau genommen – lediglich eine stark asymmetrische Bestandsaufnahme vorweisen. Hier ist ein Desiderat der Forschung festgestellt und zugleich angemahnt worden, sich bei den Betrachtungen und Analysen von transferierten und getauschten Objekten nicht nur auf den Gegenstand in seiner materiellen Ausprägung, sondern besonders auch auf die ihm innewohnende Bedeutung zu konzentrieren, um die eigentliche Intention für dessen Weitergabe zu erkennen. Hieraus eröffnet sich ein weites Feld für nationale und internationale Forschungskooperationen.

Die Beiträge sollen in einem Sammelband veröffentlicht werden.

Im Rahmen der Tagung fand die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands statt. Dabei wurde ein neuer Vorstand gewählt, der sich für die nächsten zwei Jahre aus den folgenden Mitgliedern zusammen setzt: Prof. Dr. Matthias Asche, Prof. Dr. Stefan Brakensiek, Prof. Dr. Mark Häberlein, Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz, Dr. Claudia Jarzebowski, Prof. Dr. Helmut Neuhaus, Prof. Dr. Michael North und Prof. Dr. Renate Dürr. Dazu gesellt sich Prof. Dr. Christine Roll, unter deren Leitung die nächste Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im September 2009 in Aachen stattfinden wird. Zum neuen Vorsitzenden wählten die anwesenden Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Prof. North.

Konferenzübersicht:

Kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit

Sektion I „Kultureller Austausch theoretisch“
WOLFGANG SCHMALE (Wien): Einführung in die Problemstellung
MICHAEL WERNER (Paris): Theoretischer Rahmen und historischer Ort der Kulturtransferforschung
MARTINA STEER (Berlin): Kultureller Austausch in der jüdischen Geschichte
CORNEL ZWIERLEIN (München): Kulturtransfer in der Frühen Neuzeit: Überlegungen zum Konzept im Rahmen der kulturgeschichtlichen Theoriediskussion

Abendvortrag
PETER BURKE (Cambridge): Translating Knowledge' in Early Modern Europe

Sektion II „Kultureller Austausch national“
GEORG SCHMIDT (Jena): Einführung in die Problemstellung
THOMAS TÖPFER (Leipzig): Die Forschungskategorie „Bildungslandschaften“ aus universitäts- und schulgeschichtlicher Perspektive
MATTHIAS ASCHE (Tübingen): Glaubensflüchtlinge und Kulturtransfer im Konfessionellen Zeitalter – eine Bestandsaufnahme für das Heilige Römische Reich
NICOLE GROCHOWINA (Jena): Wertetransfer durch Rechtsprechung – Aspekte der nationalen Rechtskultur um 1800

Sektion III „Kultureller Austausch sozial: ‚Herrschaftsvermittlung’ als ‚kultureller Austausch’“
STEFAN BRAKENSIEK (Essen-Duisburg) und HEIDE WUNDER (Kassel): Einführung in die Problemstellung
KARIN GOTTSCHALK (Bielefeld): Herrschaftsvermittlung als Vermittlung von Verwaltungskultur? Lokale Amtsträger in der Landgrafschaft Hessen-Kassel im 18. Jahrhundert
BOGUSŁAW DYBAŚ (Toruń): Zwischen Warschau und Dünaburg. Die adeligen Beamten in den livländischen Gebieten der polnischlitauischen Republik
ANDRÁS VÁRI (Budapest/Miskolc): Herrschaftsvermittlung im Josephinismus in Ungarn. Ein Magnat, der technische Fortschritt, die Bauern, der Komitatsadel und ein Komitatsbeamter zwischen allen Fronten
HEIKO DROSTE (Kassel/Kiel): Kommentar

Sektion IV „Kultureller Austausch transnational (immateriell europäisch): Ansätze, Medien, Transformationen: Zur Kommunikation professionellen Wissens im frühneuzeitlichen Europa“
WOLFGANG E. J. WEBER (Augsburg): Einführung in die Problemstellung
STEFAN PAULUS (Augsburg): Fallstudie Architekturwissen
HANS-UWE LAMMEL (Rostock): Fallstudie medizinisches Wissen
MARK HÄBERLEIN (Bamberg): Fallstudie Kaufmannswissen

Sektion V „Kultureller Austausch transnational (materiell europäisch)“
DAGMAR FREIST (Oldenburg): Einführung in die Problemstellung
MARIKA KEBLUSEK (Leiden): Selling Stuff: Merchants as Cultural Agents in the Early Modern World of Books
THOMAS DACOSTA KAUFMANN (Princeton): Cultural Transfer and (Inter-)Cultural Exchange in Central and East Central Europe
KLAS NYBERG (Uppsala): Cultural Transfer and the “Skeppsbron Nobility” in 18th-Century Stockholm: Foreign Merchants as Intermediaries in the Introduction of New Wares
KIM SIEBENHÜNER (Basel): Kostbare Güter globaler Herkunft: Der Juwelenhandel von Indien nach Europa in der Frühen Neuzeit

Sektion VI „Kultureller Austausch global“
RENATE PIEPER (Graz): Einführung in die Problemstellung
MARK MEADOW (Santa Barbara): Aztecs, Augsburg and Ambras: The Transmission of Cultural Knowledge of the New World in the Sixteenth
Century
MARKUS NEUWIRTH (Innsbruck/Madrid): Diplomatischer Austausch und globaler Kunsthandel um 1600
HORST PIETSCHMANN (Hamburg/Köln): Kulturaustausch zwischen Amerika und dem frühneuzeitlichen Europa: Malerei von und zu mexikanischen Indios in kolonialzeitlichen Beispielen
MARTIN KRIEGER (Greifswald): Koloniale Wohnkultur an der Koromandelküste

http://www.uni-greifswald.de/~histor/~neuzeit/fnz.htm
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