Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismus-Paradigmas

Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismus-Paradigmas

Organisatoren
Geisteswissenschaftliches Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO)
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.02.2003 - 14.02.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Schunka, München

Zuckt es noch, das alte Schlachtroß des Absolutismus, oder liegt es schon regungslos am Boden, während man munter weiter darauf einschlägt? Und warum hat sich Absolutismus als Erklärungskonzept, das manch einer seit Nicholas Henshall für überholt halten könnte, in der historischen Erforschung der Habsburgermonarchie nie in dem Maße durchgesetzt wie im Falle anderer Territorien? Wie verhalten sich fürstliche und ständische Macht zueinander, wie wirkmächtig ist das Absolutismus-Paradigma für die komplizierten habsburgischen Staatenverbindungen, die teils innerhalb, teils außerhalb des Römisch-Deutschen Reiches lagen und trotz ihrer Komplexität und Eigendynamik unter einer Regierung vereint waren?

Fragen wie diesen wurde auf einer Tagung zur Habsburgermonarchie nachgegangen, die vom 12. bis zum 14. Februar 2003 am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig stattfand und deren wissenschaftliche Organisation in den Händen von Petr Mat'a (Prag) und Thomas Winkelbauer (Wien) lag. Ausgewiesene Kenner der Materie aus verschiedenen europäischen Ländern (allein unter den ReferentInnen waren die Niederlande, Tschechien, Österreich, Kroatien, Ungarn, Italien und Deutschland vertreten) diskutierten die Leistungen und Grenzen des Absolutismus-Konzeptes im Hinblick auf die Habsburgermonarchie, mit besonderem Schwerpunkt auf der Periode zwischen der Schlacht am Weißen Berg (1620) und dem Regierungsantritt Maria Theresias (1740). Auch wenn diese Zäsuren im Verlauf der Konferenz nicht selten in Frage gestellt wurden, so sind sie doch von der Forschung lange Zeit als zentrale Einschnitte wahrgenommen worden. Dies lag freilich auch an der mangelnden gegenseitigen Rezeption ‚westmitteleuropäischer' und ‚ostmitteleuropäischer' Forschungsergebnisse. Als besonders fruchtbar erwies sich daher, daß sich nach der Ausprägung unterschiedlicher nationaler Geschichtsdiskurse in den Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs und nach der jahrzehntelangen Zersplitterung der Forschung durch die Teilung Europas der wissenschaftliche Austausch zunehmend verbessert hat, wie gerade diese Tagung eindrucksvoll zeigte.

Die Beziehungen von Zentrale und Peripherie, von fürstlichem ‚household' und Herrschaftsfunktionen, von Machtverteilung zwischen Monarch und Ständen spielten in der einen oder anderen Form in allen Vorträgen eine Rolle. Diese Aspekte sind auch in der Erforschung der Habsburgermonarchie für sich genommen nicht neu - neu war freilich die Bündelung unterschiedlicher regionaler und nationaler Blickwinkel, auf deren Grundlage der Absolutismus-Begriff von verschiedenen methodischen und geographischen Seiten her hinterfragt werden konnte. Bereits der Eröffnungsvortrag von Jeroen DUINDAM (Utrecht) ergab manch überraschende Einsicht. In einem Vergleich der Höfe von Versailles unter Ludwig XIV. mit dem Wiener Hof plädierte Duindam für eine Sicht auf den Absolutismus als Übergangsphänomen, das sich erst bei der Überschreitung traditioneller Epochengrenzen und nationalstaatlicher Verengungen angemessen gewichten lasse. Ausgehend von der fürstlichen Hofhaltung als dem "Schwerpunkt des Staates" stellte sich der französische König, lange Zeit in der Forschung das Musterbeispiel eines absolutistischen Fürsten, bedeutend stärker an die strukturellen Zwänge von Hof und Adel gebunden dar als der Kaiser in Wien. Während am Habsburgerhof durch einen Mangel an erblichen Stellen für die Hofeliten der Rekurs auf die Gunst des Monarchen entscheidend für den Aufstieg blieb, entwickelte sich zeitgleich in Versailles durch Erblichkeit und Käuflichkeit von Ämtern ein stärkeres Eigenleben des Adels am Hof.

Mark HENGERER (Konstanz) sprach sich gar dafür aus, den Begriff des Absolutismus mangels Trennschärfe ganz zu den Akten zu legen. In einer kommunikationsorientierten Netzwerkanalyse zeigte Hengerer, welche Möglichkeiten sich am Kaiserhof für die Erlangung von Ressourcen boten und welcher Eigendynamik das Hofleben unterworfen war. Dies spräche gegen die Vorstellung von Planbarkeit und "Elitenmanagement" (H. Chr. Ehalt), eher hingegen für einen Differenzierungsprozeß, innerhalb dessen der Monarch durch die Vorstrukturierung der Hofbedingungen zeitweise einen Machtzuwachs verzeichnen konnte, auch wenn er selbst weniger lenkend daran beteiligt war.

Einen Blick in das Frauenzimmer der Kaiserinnen gestattete Katrin KELLER (Wien). Ihre prosopographische Studie verwies im Gegensatz zu Hengerer stärker auf die lenkend-integrativen Aspekte der Hofbindung, die sich etwa in den Heiratskreisen bei Hofe ausdrückten. In der Herkunft der untersuchten fast 200 Hofdamen schlugen sich Zentrum und Peripherie ebenso nieder (Ungarinnen oder Schlesierinnen scheinen schwächer vertreten als Hofdamen aus kaisernahen Gebieten) wie die konfessionellen Verhältnisse: Nach der Rekatholisierung dienten weibliche Hofämter auch als Bindemittel für Konvertitinnen.

Thomas WINKELBAUER verließ den engeren Hofkontext und bot einen Überblick über das habsburgische Finanzwesen. Nicht die legendäre Heiratspolitik der Habsburger, sondern ihre Vernetzung von Krieg und Finanzen, die sich im Steuersystem ebenso ausdrückte wie in den Kreditverbindungen zu den großen Bankiers des frühen 18. Jahrhunderts, zeigen die Bedeutung dieser eher klassisch-absolutistischen Herrschaftsmechanismen für die Staatsbildung der Habsburgermonarchie. Daß militärische Eroberungen für die Staatsverwaltung der Peripherie neue Herausforderungen an die Zentrale stellten, verdeutlichte Alexander BUCZYNSKI (Zagreb). Im Zuge der Türkenkriege des 17. und 18. Jahrhunderts dehnte Wien seine Macht in das Gebiet Kroatiens auf Kosten der lokalen politischen Vertretung aus und stabilisierte mit "machiavellistischen" Mitteln die Direktverwaltung der Militärgrenze, auch als diese ihre eigentliche Berechtigung zu verlieren begann.

Anders in Ungarn: Dort stieß die habsburgische Zentralmacht seit jeher gegenüber dem lokalen Adel an ihre Grenzen. Der Habsburgerabsolutismus stellte sich in Ungarn, so Joachim BAHLCKE (Erfurt), eher als ein "weicher Absolutismus" dar, der auch nach der Rückeroberung des osmanischen Gebietes an den Herrschaftsstrukturen des lokalen Adels scheiterte bzw. jene Strukturen, welche die osmanische Zeit recht unbeschadet überstanden hatten, in das habsburgische Gesamtkunstwerk stärker als anderswo integrieren mußte. Dies warf denn auch die Frage auf, ob bzw. wann überhaupt von einem "harten" Absolutismus gesprochen werden könne, ob es sich dabei nicht eher um ein idealtypisches, allenfalls vorübergehend und in Kriegszeiten feststellbares Phänomen handle und was dies für die Verwendung des Absolutismusbegriffs überhaupt bedeute. Ungarn blieb jedenfalls, dies hob auch Géza PÁLFFY (Budapest) hervor, den Wienern fremd; nirgendwo übte die traditionelle Lokalverwaltung ihre Herrschaftsmöglichkeiten derart effizient aus wie im Magyarenstaat, obgleich sich dadurch nur für wenige Adelsfamilien Beziehungen zum Hof in Wien etablieren ließen. Weitgehend unberührt von der andernorts mehr oder weniger energisch durchgeführten Rekatholisierung behauptete sich auch der protestantische Landadel im 17. Jahrhundert relativ unbeschadet. Der Beginn der Rekatholisierung in den Erb- und Kronländern galt dagegen lange Zeit als politischer Einschnitt, als Beginn der absolutistischen Zentralisierung und endgültigen Zurückdrängung der Ständemacht. Petr MAT'A (Prag) plädierte allerdings auch hinsichtlich der Beziehungen des Habsburgermonarchen zu seinen Ständen für ein Konsensmodell, eine "institutionalisierte Polarität", die ihre Stabilität aus ihrer Regelmäßigkeit bezog. Dies bedeutete, daß man die Rolle der Stände gerade für die Zeit zwischen 1620 und 1740 aufwerten müsse, die als unverzichtbarer Bestandteil einer "composite monarchy" eher als Stabilitäts- denn als Störfaktor zu sehen seien. Dabei ließen sich im Vergleich der verschiedenen Landtage in den Ländern der Erbmonarchie deutliche strukturelle Ähnlichkeiten feststellen. Ziel der Habsburgermonarchie sei nicht die Abschaffung der Stände, sondern ihr Einbau in die Verwaltungsstruktur des werdenden Staates gewesen. Das Jahr 1620 oder die Verneuerte Landesordnung Böhmens von 1627 als Epochengrenzen des Habsburgerabsolutismus gerieten auch durch Eduard MAUR (Prag) unter Beschuß, der die Beziehungen zwischen Staat und Grundherrschaften in Böhmen ins Zentrum seines Vortrags stellte. Die Übernahme quasistaatlicher Funktionen der Grundherren zur Aufrechterhaltung kommunaler, wirtschaftlicher oder konfessioneller Ordnung machte jene als subsidiäres Herrschaftsinstrument unverzichtbar und wurde im allgemeinen als "gegenseitig vorteilhafte Symbiose" mit der Zentralmacht betrachtet. Freilich bedeuteten die Konfiskationen im Zuge der Rekatholisierung Böhmens, die Tomáš KNOZ (Brünn) untersuchte, deutliche personelle Veränderungen. Juristisch handelte es sich bei den Konfiskationen um eine Angelegenheit des mittelalterlichen Lehensrechts, doch durch die Abtrennung der protestantischen Adeligen von ihren wirtschaftlichen Ressourcen und die Verleihung der Güter an dem Kaiser gewogene Familien wurde versucht, Günstlinge einzusetzen. Dabei ging es allerdings nicht um die direkte Umwandlung von Lehengut in Domanialbesitz, d. h. an den ständischen Strukturen wurde festgehalten. Alessandro CATALANO (Florenz/Pisa) hob denn auch hervor, daß auch nach 1620 die Spannungen zwischen böhmischen - nunmehr katholischen - Ständen und den Instanzen der katholischen Kirche erhalten blieben. Gerade die Person des Prager Erzbischofs Ernst Adalbert von Harrach zeigt die Konfliktlinien zwischen Jesuiten, Erzbischof und Staat und machte das "Fehlen eines kohärenten kirchlichen Regierungsprogramms" der Habsburger deutlich. Daß es freilich Versuche Wiens gab, den "Heiligenhimmel" politisch zu instrumentalisieren, eine sakrale Herrschaftsauffassung durch Genealogien und barocke Frömmigkeitsformen abzusichern und einzelne Heilige mit der Regierung bestimmter Herrscher zu verknüpfen, zeigte Stefan SAMERSKI (Leipzig). In erster Linie aber war die "Pietas austriaca [...] marianisch - allerdings wies selbst die Marienfrömmigkeit in Ungarn mitunter antihabsburgische Züge auf.

Jaroslav PÁNEK (Prag) fragte schließlich, ob man in der politischen Praxis von einer absolutistischen Zielgerichtetheit der Habsburger ab 1620 sprechen könne. Gerade die westliche Forschung habe viel zu lange die Verneuerte Landesordnung Böhmens (1627) als Dokument des Absolutismus überschätzt, ungeachtet der Tatsache, daß bereits unter Ferdinand I. die Bestrebungen zu direkter Einflußnahme auf den böhmischen Staat bedeutend stärker waren und man deshalb den Beginn eines Habsburgerabsolutismus eigentlich in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückverlegen müsse. Sinnvoller sei es dagegen, die Flexibilität der (vertikalen) Herrschaftsintegration zu betonen und die Absolutismuskategorie ebenso kritisch zu hinterfragen wie die Zäsur von 1620/27.

Wenn man die beiden zuletzt genannten Aspekte als Ziele der Tagung betrachten darf, dann wurden sie erreicht. Übrig blieb allerdings weder die Beerdigung des Schlachtrosses Absolutismus noch die völlige Überzeugung, die vorgeschlagene Periodisierung gänzlich zu den Akten zu legen. Der Begriff des Absolutismus, der sich kaum definitorisch eindeutig verwenden ließ und in der Regel mit einer etwas diffusen Mischung aus monarchischer Machtkonzentration, höfischem Prunk und Zurückdrängung lokaler Kräfte gleichgesetzt wurde, ist als politisches ‚Konzept' oder gar ‚Paradigma' vielleicht mittlerweile fragwürdig geworden, insbesondere da man im Falle der Habsburgerherrschaft, allein schon durch nötige regionale Differenzierungen, wohl nicht von einem klar gefaßten absolutistischen Regierungsprogramm oder -stil sprechen kann. Hierzu hätten vielleicht zeitgenössische programmatische Schriften oder überhaupt die politische Ideengeschichte etwas stärker berücksichtigt werden können, wie dies in der Schlußdiskussion anklang. Als heuristisches Mittel ist der Begriff dennoch bisher nicht ersetzt, wenngleich vielleicht eher von einem "organisch-föderativen" (W. Schulze) oder "weichen" Absolutismus gesprochen werden sollte, eingedenk der Tatsache, daß man nach einem Absolutismus in Reinkultur auch in der Habsburgermonarchie vergeblich sucht. Scharfe Periodisierungen wie die eines habsburgischen "Zeitalters des Absolutismus" der Jahre von 1620 bis 1740 werden damit zwar nicht obsolet, aber ihrer Starre und Eindeutigkeit entkleidet. Dadurch ergäben sich vielleicht neue Möglichkeiten für innerhabsburgische und übergreifende Vergleiche, für eine stärkere Integration der Reichsperspektive ebenso wie für die bei der Tagung etwas am Rande stehenden konfessionellen Zusammenhänge der Staatsbildung, Aspekte der Kommunikation oder der Herrschaftswahrnehmung durch die Zeitgenossen. All dies ließe sich vielleicht unter dem Dach einer "politischen Kulturgeschichte" der komplizierten Habsburgermonarchie integrieren - auch wenn der Absolutismus dann nicht mehr so ‚absolut' wäre wie zuvor. Nichts desto weniger lebt das alte Schlachtroß noch - es zuckt noch kräftig, und das ist gut.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts