Die kommunikative Konstruktion des "Anderen". Das Bild des Moslem in der europäischen Welt - das Bild des Christen in der islamischen Welt

Die kommunikative Konstruktion des "Anderen". Das Bild des Moslem in der europäischen Welt - das Bild des Christen in der islamischen Welt

Organisatoren
Gabriele Haug-Moritz, Graz; Ludolf Pelizaeus, Mainz
Ort
Graz
Land
Austria
Vom - Bis
28.11.2007 - 30.11.2007
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Von
Verena Kasper, Allg. Geschichte der Neuzeit, Karl-Franzens-Universität Graz

Anknüpfend an eine auf dem Konstanzer Historikertag des Jahres 2006 von den Veranstaltern durchgeführte Sektion „Das Bild des Moslem im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit“1 ging die Grazer Tagung das dort behandelte Themenfeld nunmehr in einem integraleren Zugriff an. Der Kürze der Zeit geschuldet standen 2006 „nur“ die kommunikativen Konstruktionen des Islam in den Ländern der Ungarischen Krone, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sowie des iberischen Raumes im Vordergrund der Betrachtung sowie für das Österreich des 19. und 20. Jahrhunderts exemplarisch deren Nachleben. Die Grazer Tagung wählte daher einerseits einen räumlich weiter ausgreifenden Fokus, andererseits versuchte sie, der intermedialen Dimension des europäischen Islamdiskurses Rechnung zu tragen, und schließlich, mit der Thematisierung der europäischen Welt respektive der christlichen Gesellschaft als „fremde“ Welt, die „Gegenperspektive“ einzunehmen. Die Veranstalter und Referenten der Konstanzer Sektion ANDRAS FORGO (Budapest), GABRIELE HAUG-MORITZ (Graz), ALMUT HÖFERT (Basel), LUDOLF PELIZAEUS (Mainz) und PETER RAUSCHER (Wien) brachten ihre Expertise als Kommentatoren und Moderatoren ein. Als Grundperspektive diente die, so GABRIELE HAUG-MORITZ in ihren einleitenden Bemerkungen, bereits als Ergebnis der Konstanzer Sektion entgegentretende Frage nach der Konstruiertheit und daraus resultierenden Wandlungsfähigkeit der Bilder des „Anderen“, seien sie visueller oder sprachlicher Natur, um multifunktionale Stereotypen fassbar zu machen und die allzu statische Dichotomie europäische versus islamische Welt, Christen versus Muslime, zu relativieren.

Innereuropäisch traten zunächst die, offensichtlich korrelierend zu Konfrontations- und Konfliktgrad mit dem Osmanischen Reich, recht unterschiedlichen europäischen Rezeptionen in den Blick. So zeigten sich klare Analogien in den Bildtraditionen und Chiffren der Länder beispielsweise der Habsburgischen Herrschaft, die besonders intensives Konfliktpotenzial und/oder räumliche Nähe mit dem Osmanischen Reich aufwiesen, während in (konflikt)fernen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder der Niederländischen Republik auch andere Kommunikationsformen und -muster zu Tage traten.

VÁCLAV BŮŽEK (Budweis) verwies für Böhmen auf die stereotypisierenden Niederschläge der „Türkengefahr“ und „Türkenangst“ in zeitgenössischen Husarentunieren, höfischen Spielen und Theatervorstellungen, aber auch Tagebüchern und Memoiren böhmischer Adeliger, in denen der überzeichneten Brutalität der Osmanischen Truppen mit den „klassischen“ Bildern von Kindsmord, Brandschatzung, Zerstückelung der Körper etc. die geeinten Verteidiger des christlichen Glaubens im Bild des miles christianus gegenübergestellt wurden. Das Bild des „geistigen“ Krieges, also die Überhöhung der realpolitischen Machtkonflikte zum religiösen, endzeitlichen Krieg zwischen Gegnern und Verteidigern des „wahren“ Glaubens in einem heilgeschichtlich narrativen Rahmen, fand dominant Raum, was integrativ auf die protestantisch-katholischen Konflikte im Land wirken und ein adeliges Handlungs- und Wertemuster etablieren sollte. Jedoch gelte es zwischen Stilisierung und Realität zu unterscheiden, da die Ständeopposition durchaus gegen die Habsburger agierte und gegen deren militärische Niederlagen als mangelhafte Verteidigung der ständischen und kirchlichen Freiheiten polemisierte. Mit der erfolgreichen Abwehr der Osmanischen Truppen jedoch wandelten sich die Bildtraditionen und –kontexte, Furcht- und Angstbeschreibungen verschwanden, vielmehr fanden sich nun verspottende Darstellungen der Osmanen, visuell-attributiv standardisiert wiederum z.B. durch Turbane, Bärte, Krummsäbel in Fassaden, Fresken, Prunkarchitektur, Heraldik und Malerei.

Eine analoge Entwicklung konstatierte KARL VOCELKA (Wien) für die österreichischen Länder. Er unterstrich die diskursprägende Rolle der Geistlichkeit für die „Ideologisierung“ der Konflikte, in der die Osmanen zu religiösen Gegnern und einer „Geißel Gottes“ stilisiert wurden sowie deren Niederschlag in kirchlichen Kommunikationskanälen wie Prozession, Gottesdienst und theologischer Publizistik. Insbesondere der „Bekehrungstopos“, der den „christlichen Sieg“ an die „religiöse Stärke“ koppelte, sei auch von weltlicher Seite gern aufgegriffen und forciert worden, da moralisch disziplinierte Untertanen den Herrschaftsträgern zuträglich waren. Türkendiskurs und das Bemühen um Sozialdisziplinierung seien daher aufs engste miteinander verknüpft. Funktional sei derlei „Propaganda“ und „Angstinszenierung“ aber auch noch in einem anderen Kontext gewesen, denn sie habe die Erhebung der Steuern von den Ständen ideologisch unterfüttert und damit die Finanzierung der Kriege ins soziale Gefüge eingebunden. Auch VOCELKA konstatierte einen Wandel des Türkenbildes am Ende des 17. Jahrhunderts, der neben der Verdrängung der „Türkenangst“ durch „Türkenspott“ und Triumphdarstellungen damit einherging, dass sich bei den gesellschaftlichen Eliten ein verstärktes Interesse an den „fremden“ Welten einstellte, welches sich z.B. in Mode und Musik („Turquerien“) niederschlug, in die Gründung eines orientalischen Sprachinstituts (1754) durch Maria Theresia einmündete und (neben anderem) die orientalischen Studien im Österreich des 19. Jahrhunderts etablieren half.

MUSTAFA SOYKUT (Ankara) konnte bei Päpsten und Dogen im Umgang mit den Osmanen ebenfalls Ambivalenzen konstatieren. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung war Venedig an einer friedlichen Koexistenz mit dem Osmanischen Reich interessiert, die sich bekanntlich auch in politisch diplomatischen Beziehungen niederschlug. Insofern habe man sich dort lediglich im akuten Konfliktfall, wie im Umfeld der Schlacht von Lepanto (1571), zu agitatorischen Zwecken der propagandistischen Bilder der „Türkengefahr“ bedient. Aber auch am Heiligen Stuhl zeige sich ein funktioneller Wechsel in der Bewertung des Osmanischen Reiches während des 30jährigen Krieges. War zuvor der „Kreuzzugsgedanke“ und „Gerechte Krieg“ der „unitas christiana“ gegen die Osmanen als „Barbaren“ zentrales Thema, sollte nun die Aufmerksamkeit von der fragil gewordenen religiösen Kontextualisierung auf eine andere Kriegsfront außerhalb der innerchristlichen Konfliktfelder verlagert werden, weshalb seither auf religiöse Einbettung der militärischen Konflikte nahezu verzichtet worden sei. Feindnarrative seien daher als in hohem Maße variabel zu betrachten, so dass ihre Analyse immer in Relation zu Intention und Akteuren zu setzen sei.

JAN KUSBER (Mainz) zeichnete in seinen Ausführungen zum Russischen Zarenreich ebenfalls den bereits skizzierten Wandel in der Wahrnehmung der Islamischen Welt nach, unterstrich jedoch die besondere Struktur des multiethnischen Reiches, das im 18. Jahrhundert bereits 47 Prozent Nichtrussen beheimatete. Die Erfahrung des „Anderen“ war in Russland daher zunächst Alltags- und nicht nur Kriegserfahrung, insofern kann nicht von Distanzangst, wohl aber von Abgrenzung gesprochen werden. Seit der Eroberung Kasans im 16. Jahrhundert habe Russland bereits muslimische Untertanen gekannt, zudem sei mit der christlichen Kirchenspaltung die Papstkirche als primärer religiöser „Feind“ kommuniziert worden. Zunehmend sei daher die Loyalität zum Zaren, nicht die religiöse Zugehörigkeit zur Identitätsstiftung “genutzt“ worden, weshalb die Verwendung antiosmanischer Stereotypen und Bilder in Russland funktional eher dem Anschluss an die westeuropäischen Eliten gedient haben könnte.

Den ersten interdisziplinären wie medialen Bogen spannten alsdann NEDRET KURAN-BURÇOĞLU (Istanbul), MALGORZATA MORAWIEC (Mainz), ANNE DUPRAT (Paris) und CHRISTIEN DOHMEN (Delft) mit Analysen zu Alteritätskonstruktionen in verschiedenen literarischen Gattungen und deren Rezeption in Großbritannien, Polen, Frankreich und den Niederlanden. Insbesondere für die Literatur gelte, so MORAWIEC, dass „nur gelesene Texte Konstruktionen entstehen lassen können“, Produktionsbedingungen und Verbreitungsgrad daher für den sozialen Einfluss von Texten eminente Wirkungsfaktoren darstellen. Die spezifisch weibliche Komponente in der Sicht auf den oder die „Andere“ wurden von ihr anhand des Bildes der „wehrhaften Frau“ in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts sowie anhand der Beschreibung von Differenzerfahrungen in frühneuzeitlichen (weiblichen) polnischen Reiseberichten aufgezeigt. MORAWIEC konstatierte, dass reisende Frauen im Orient in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich waren, weibliche Reiseberichte jedoch eher aus dem französisch- oder italienischsprachigen Raum bekannt seien, da sie in Polen nicht beziehungsweise erst im 19. Jahrhundert gedruckt wurden. Allgemein sei für polnische Reiseberichte zu konstatieren, dass personen- und ereignisbezogene „Fremdheiten“ und nicht das „Bedrohliche“ oder „Minderwertige“ des „Anderen“ im Vordergrund stünden – es seien hier also durchaus differenziertere Bilder der Islamischen Welt gezeichnet worden als in der allgemeinen Publizistik. Da diese Texte jedoch sehr viel weniger als beispielsweise literarisch fiktive Texte gelesen worden seien, blieb das Bild der „wehrhaften Frau“, wie in Henryk Sienkiewiczs Romanfigur Baśka im Polen des 19. Jahrhundert verkörpert, wesentlich dominanter, das überhöhte mythische Beschreibungen von bewaffneten, aus patriotischem Antrieb kämpfenden, siegreichen Heldinnen im Abwehrkampf gegen die Osmanen zeichnete. Ein Desiderat bilden daher Analysen zu möglicherweise anders konstruierten weiblichen Alteritätsvorstellungen in Texten von Frauen, die sich den kriegerischen Aktivitäten in ihren Lebenswelten ja nicht entziehen konnten, was gleichwohl nicht mit Bildern von Frauen in Texten verwechselt werden darf.

NEDRET KURAN-BURÇOĞLU (Istanbul) verwies hierzu auf die Methodik der Imagologie, die in den Vergleichenden Literaturwissenschaften verwandt wird, um die intertextuelle Verwendung von Bildern des „Anderen“ und die Transformationsprozesse in soziokulturelle Kontexte im supranationalen Vergleich auf deren Verwendungszusammenhänge, Konstruktionen und Prozesshaftigkeit zu befragen. So zeigte ANNE DUPRAT (Paris) für die literarische Rezeption in Frankreich nachdrücklich auf, dass die Stereotypisierung des Orientalischen, die sich beispielsweise in zahlreichen französischen Novellen des 17. Jahrhunderts in gleichförmigen Textbausteinen nachweisen lässt, die die Intertextualität des Islamdiskurses unterstreichen, hauptsächlich zur Darstellung von Problem- und Bruchstellen innerhalb der französischen Gesellschaft genutzt wurde, also über weite Strecken einen selbstreflexiven Prozess darstellte. Auf ein ähnliches Phänomen verwies auch CHRISTIEN DOHMEN (Delft) anhand ihrer Analyse von orientalischen Märchen in den Niederlanden des 18. Jahrhunderts, in die ebenfalls wenig von dem bereits vorhandenen Wissen über Struktur und Gesellschaft des Osmanischen Reichs einfloss. Statt dessen wurde mit Stereotypen gearbeitet, der Gattung Märchen entsprechend auch mit „Lessons“, die Ähnlichkeiten, gemeinsame Werte und „soulmateness“ betonten bzw. konstruierten. Wie MONICA JUNEJA (Delhi/ Atlanta) in der Diskussion anmerkte, haben aber gerade auch positive Konnotationen einen intentionalen Konstruktionscharakter, binden beispielsweise den „soulmate“, den „Seelenfreund“, als zivilisier- oder erziehbar in das aufklärerische Bildungsideal ein bzw. drücken den europäischen Anspruch auf Festschreibung und Konstruktion von Wissensbeständen aus. Es ließ sich jedoch sowohl für Frankreich, die Niederlande als auch Großbritannien eine deutlich andere kommunikative Konstruktion der „Islamischen Welt“, des „Moslem“ oder des „Anderen“ festhalten, als dies für die mittel-, ost- und südeuropäischen Ländern bislang gezeigt wurde, da hier die Bilder sowohl in Alteritäts- wie auch Identitätskonzepte eingebunden und transformiert wurden.

Wurde am ersten Tagungstag der räumlichen wie zeitlichen Differenzierung des frühneuzeitlichen europäischen Islamdiskurses nachgegangen, so wurde am zweiten Tag der Aspekt, der schon in den Vorträgen des ersten Tages entgegengetreten war, vertiefend betrachtet – die multimediale Dimension des Kommunikationsprozesses. Dass die Audiovisualität des Islamdiskurses, um die es an diesem Tag primär gehen sollte, nur in Hinblick auf deren auditiven Bestandteile thematisiert werden konnte, war, so die Veranstalter, Folge des Ausfalls einer Referentin.

NORBERT HAAG (Tübingen) strich in seinem Vortrag zu Recht den besonderen Quellenwert von Predigten und Liedern (nicht nur) für die historische Forschung heraus, wenn es darum gehe, die für frühneuzeitliche Gesellschaften essentielle orale Kommunikationsdimension zu erschließen. In seiner Analyse der Türkenpredigten des 16. und 17. Jahrhunderts verwies er auf den zentralen Stellenwert der Kommunikationsform „Predigt“, da der Gottesdienst integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens gewesen sei. Die genuin politische Dimension und Funktion werde gerade bei „Türkenpredigten“ augenscheinlich, da „Türkenkrieg“ und „Türkenpredigt“ aufs engste korrelierten: Einerseits wurde insbesondere im Vorfeld der Konflikte, worauf auch VOCELKA aufmerksam gemacht hatte, an Leistungs- und Opferbereitschaft von Obrigkeiten wie Untertanen appelliert, andererseits im Nachhinein Siege wie Niederlagen „deutbar“ gemacht. Wie BŮŽEK und DUPRAT wies auch HAAG auf die Einbindung des „Türkendiskurses“ in innerchristliche Auseinandersetzungen hin, insofern in protestantischen „Türkenpredigten“ abweichende Glaubensvorstellungen und Glaubenspraktiken der katholischen Seite diskreditiert, in katholischen „Türkenpredigten“ hingegen die Neugläubigen in die Nähe der Ungläubigen gerückt wurden. Auch die schon in den vorhergehenden Referaten mehrfach entgegentretende Veränderung des „Islamdiskurses“ um 1700 sei bei den Predigten nachweisbar. Konstatiert werden könne eine Schwerpunktverschiebung von den dominant protestantischen, apokalyptisch geprägten Predigten im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert zu katholischen, auf kaiserliche Triumphdarstellungen abhebende Predigten seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert.

Dem Prozess des „Übersetzens“ (JUNEJA) des Orientalischen in europäische Musik und Musikforschung zwischen 1550 und 1740 widmete sich Ralf MARTIN JÄGER (Münster/ Weimar). Zwar wies er nachdrücklich auf kulturelle Importe türkischer Musik und türkischer Einflüsse über Gesandtschaften, Reisende und Musiker auf die europäische Kultur hin, hielt aber fest, dass die musikalischen „türkischen Elemente“, wie sie aus den so genannten Turcica des 18. Jahrhunderts bis heute bekannt sind, durchweg europäische Interpretationen des eigenen Hörerlebnisses, vor allem der Janitscharenmusik, seien. Tatsächlich verfügte nämlich die türkische Musik über ein ganz anderes Harmonie- und Notationssystem, ein transkultureller Austausch von Methoden, Wissensbeständen, Techniken fand kaum statt.

Den sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts verändernden epistemologischen Rahmenbedingungen, die nicht zuletzt für die Rezeption des frühneuzeitlichen europäischen Islambildes wichtig waren, wie sie DAVID PARRA (Valencia) beispielhaft für das moderne Spanien darstellte, wandte sich MARKUS KÖHBACH (Wien) zu. Er stellte die Grundlegung der Wiener Orientalistik vor, die sich prominent mit dem Namen des aus Graz gebürtigen Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall verbindet. KÖHBACH führte aus, dass eine Grundintention institutioneller Gründungen wie der maria-theresianischen Akademie für Orientalische Sprachen (1754) das Verständnis der biblischen Texte im Original war, doch war dies wohl gegenüber deren politischer Funktion nachrangig. Denn die Wertigkeit, die der Kenntnis der gegenseitigen, eben nicht nur religiösen und sprachtheoretischen Wissensbestände und kulturellen Chiffren beigemessen wurde, wie sie sich in den zahlreichen bedeutenden Literaturübersetzungen dieser frühen Orientalisten niederschlug, lässt Rückschlüsse auf das Politikverständnis der Zeit zu, das sich der Bedeutung der hierüber zu ermittelnden Bilder, Wert- und Weltvorstellungen ihres Gegenübers offensichtlich bewusst war.

Die politische Instrumentalisierung solcher Institutionen zeigte David PARRA am spanischen Orientalistik-Pendant des „Arabism“ und „Africanism“ auf, die im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle in der Identitätsstiftung und Geschichtsbildung der spanischen Nation innehatten. In der Funktion einer Legitimationswissenschaft kam ihnen die Aufgabe zu, der imperialistischen Politik Instrumente und Begründungen für Expansionsbestrebungen an die Hand zu geben, vor allem aber auch, das Phänomen Al-Andalus in die Geschichtsvorstellungen zu integrieren. Die kommunikative Konstruktion eines „Spanischen Islam“, der in keiner Relation zum „Afrikanischen Islam“ stünde, sondern gleichsam durch das jahrhundertelange Zusammenleben als Minderheit mit einer spanischen Mehrheit zur „Hispanisierung“ von Religion wie „race“ geführt habe, ermöglichte die Einbindung der Figur des „Spanish-Muslim“ in eine „natural brotherhood“, die freilich spanisch dominiert blieb. Sie stand in klarer Abgrenzung zu dem mit den bekannten negativen Stereotypen behafteten „anderen Islam“. In der Folge seien je nach politischem System und Intention diese Vorstellungen aktiviert oder deaktiviert worden. Die Konfrontationsthematik jedoch sei in Spanien bis weit ins 20. Jahrhundert aktuell geblieben und fand selbst Eingang in moderne mediale Formen wie Comics und Filme.

Der dritte Tagungstag schließlich kehrte den Blickwinkel um und thematisierte Europa respektive die dortige christliche Mehrheitsgesellschaft als Gegenstand von Fremdwahrnehmung in außereuropäischen Ländern. MONICA JUNEJA (Delhi/ Atlanta) beleuchtete diese Fragestellung für das indischen Mogulreich vom 16.-19. Jahrhundert, wie sie sich insbesondere in der visuellen Herrscherrepräsentation äußerte. Sie beschrieb die kulturelle Politik der muslimischen Mogulen als einen steten Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen muslimischen Gruppen und den nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften der Christen und Hindus. Die Stilisierung der Herrscher als über diesen Gruppen stehende Mediatoren, die alle religiösen Gruppen als gleichberechtigt anerkannten, fand symbolischen Niederschlag in ihrer visuellen Selbstrepräsentation, indem „fremde“ Elemente in ihre Herrscherdarstellung aufgenommen wurden. So wurden für den christlichen Kontext beispielsweise stilistische Elemente aus der europäischen Kunst wie Heiligenschein, Putten, Weltkugel oder Zentralperspektive übernommen. Zwar diente diese „Aneignung des Fremden“ in erster Linie der Untermauerung der eigenen Machtansprüche, doch schuf es zugleich einen „Aushandlungsraum, in dem das Fremde in Beziehung zum Eigenen steht, ohne seine Eigenart zu verlieren“, in dem also keine direkte Auf- oder Abwertung stattfinde. JUNEJA führte zur Beschreibung dieser Prozesse den aus der Ethnologie entlehnten Begriff des „Übersetzungsprozesses“ in die Diskussion ein, der einem statischen Begriff des „Kulturtransfers“, der von zwei autonomen Welten ausgehe, eine größere Dynamik und die Vorstellung einer kulturellen Verbindungszone, die den Blick mehr auf Handeln und Aushandeln zwischen Kulturen lenke, voraus habe. Die Prozesshaftigkeit, die stetige Grenzverschiebungen und -aushandlungen beinhalte, aber auch Akteure und Vermittler dieser Prozesse, müssten zentrale Kategorien bei der Analyse von Fremdwahrnehmungen bilden. Der ergänzende Vortrag von MONICA GRONKE (Köln) zur Wahrnehmung der europäischen Welt in Persien entfiel leider.

Den Schlusspunkt der Tagung setzten HENNING SIEVERT (Zürich) mit der bislang kaum erforschten Wahrnehmung Europas im Osmanischen Reich sowie STEFAN LITT (Jerusalem), der die „nahen Fremden“ (Rotraud Ries), nämlich die jüdische Bevölkerung in Europa und ihre Sicht auf die christliche Mehrheitsgesellschaft, behandelte. SIEVERT unterstrich, dass es weit weniger belegbare Beschreibungen aus Sicht des Osmanischen Reich auf die „Franken“ (ifranº/ferenk), die Bewohner des westlichen, lateinischen Europas, gebe als umgekehrt, wenngleich „das Nebeneinander von Feindschaft und Respekt, Furcht und Sympathie, Dünkel und Interesse“ nicht weniger ambivalent und vielfältig gewesen sei. In nach religiösem Recht gedachten, normativen Kategorien habe man zwar schematisch lediglich zwischen dem „Territorium des Islams“, das zumeist mit dem Osmanischen Reich gleichgesetzt wurde, und dem „Territorium des Krieges“ unterschieden, in Egodokumenten wie auch in Gesandtschaftsberichten jedoch träten sehr viel genauere, differenziertere Beobachtungen der europäischen Gesellschaft zu Tage, die mit zunehmender Nähe des Betrachtungsstandpunktes eine umso pragmatischere Sicht aufzeigten. Neben stereotypen Bildern des „Fremdartigen“ oder „Fremden“ stehe daher vielfach der Versuch, die politischen und gesellschaftlichen Systeme in Form von „Anverwandlungen“ in eigenen Kategorien deutbar zu machen, das Fremde im eigenen kulturellen Kontext plausibel werden zu lassen. Ob sich ein ähnlicher Wandel wie in Europa in der Wahrnehmung nach Ende der offenen Konflikte vollzogen habe, lasse sich aufgrund bislang kaum erschlossener Quellen noch nicht beantworten und bilde ein Desiderat der Forschung.

Stefan LITT beleuchtete zuletzt die jüdische Perspektive auf die christliche europäische Mehrheitsgesellschaft, deren „interne“ Kommunikation jedoch - bedingt durch das prekäre Abhängigkeitsverhältnis vom obrigkeitlichen Wohlwollen und äußere Bedrängungsfaktoren wie straffe Zensur, ständige Kontrolle und Überwachung - entweder kaum schriftlichen Niederschlag fand oder bewusst auf Kritik verzichten musste. Gleichwohl waren die Differenzerfahrungen, die die jüdische Bevölkerung mit den für sie ebenfalls „nahen fremden“ Christen machte, sicherlich beträchtlich, stand doch die gesellschaftliche Realität der religiösen Konnotierung der Christen als Volk, die eben keinen direkten Bund mit Gott hatten, diametral gegenüber. LITT stellte exemplarisch die Memoiren des berühmten jüdischen Vertreters Josel von Rosheim (ca. 1478-1554) vor, in dessen Schriften sich die wohl als realistisch anzunehmende Ambivalenz der Wahrnehmung zeige, finden sich doch sowohl Differenzerfahrung und Kritik in seinen Ausführungen, z.B. über Luther, als auch positive, ehrerbietige Naheverhältnisbeschreibungen, beispielsweise zum Kaiser und anderen Herrschaftsträgern. Von besonderem Interesse werde in Zukunft sicherlich die Auswertung von Quellen aus den Grenzregionen von Europäischer und Islamischer Welt sein, die zudem vielfach innerjüdische Schnittstellen zwischen Sephardim und Aschkenasim berühren.

In der von den Veranstaltern moderierten Schlussdiskussion kam resümierend zum einen die Frage nach Beschreibungskonzepten auf, die die derzeit vorherrschenden dichotomischen und (oftmals) statisch gedachten Konzepte von Identität und Alterität, dem Fremden und Eigenen, des „Kulturtransfers“ ablösen könnten, um den in den Beiträgen verdeutlichten kommunikativen Dynamiken und funktionalen Verschränktheiten der Kommunikationen über das „Eigene“ und „Andere“ Rechnung zu tragen. Zum anderen, und unmittelbar damit verknüpft, wurde über die Art und Weise diskutiert wie die Wahrnehmung ermöglichende, wie begrenzende und sich verändernde Medialität der Kommunikationsprozesse in einer die kulturelle Differenz einbeziehenden Form systematisch für den geplanten Tagungsband fruchtbar gemacht werden könnten.

Konferenzübersicht:

Kommentator: Dr. Andras Forgó, Kath. Péter Pászmány Universität Budapest/ Piliscaba
Die türkischen Motive in der Selbstdarstellung der Adeligen in den böhmischen Ländern am Beginn der Neuzeit: Prof. Dr. Václav Bůžek, Universität České Budějovice (Budweis)
Erblande gegen Erbfeinde. Die österreichischen Länder und das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit: Prof. Dr. Karl Vocelka, Universität Wien

Kommentator: HD Dr. Ludolf Pelizaeus, Universität Mainz
Europe and the Turks in Early Modern Age. A Representation of “otherness” according to the Popes and Doges: Dr. Mustafa Soykut, Universität Ankara
Muslim Heroes in Early Modern French Literature: Inventing History: Dr. Anne Duprat, Universität IV (Sorbonne) Paris

Kommentatorin: Dr. Almut Höfert, Universität Basel
Frauen, die reisen…Zum Bild des Fremden in der polnischen Reiseliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts: Dr. Malgorzata Morawiec, Institut für Europ. Geschichte Mainz
Feind, Fremder, Untertan. Zum Bild des Moslem im frühneuzeitlichen Zarenreich: Prof. Dr. Jan Kusber, Universität Mainz
Das Türkenbild in der/(n) Literatur(en) des englisch (und deutsch)sprachigen Raumes Europas zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert: Prof. Dr. Nedret Kuran-Burçoğlu, Universität Istanbul
Scheherazade’s Shadow in the Dutch Republic: Eighteenth-Century Oriental Tales and the Images of Orient and Islam: Dr. Christien Dohmen, Delft

Kommentator: PD Dr. Peter Rauscher, Universität Wien
Der türkische Orient in Musik und Musikforschung. Zu den Diskursen zwischen 1550 und 1740: PD Dr. Ralf Martin Jäger, Universität Münster
„Erbfeind der Christenheit“. Türkenpredigten im 16. und 17. Jahrhundert: Dr. Nobert Haag, Universität Tübingen
Von der Magd zur Herrin. Zur Geschichte der orientalischen Studien in Österreich und der Beitrag Joseph von Hammer-Purgstalls zu ihrer Emanzipation und Internationalisierung: Prof. Dr. Markus Köhbach, Universität Wien
The view of the Muslim past in 19th and 20th century Spain: David Parra, Universität Valencia

Stadtführung: Auf den Spuren der Osmanen in Graz: Prof. Dr. Alois Kernbauer, Universität Graz

Kammermusikkonzert „Turquerien“ – Islamische Kulturen im Spiegel europäischer Cembalo- und Kammermusik des 17./ 18. Jahrhunderts, in Kooperation mit der KUG Universität für Musik und Darstellende Kunst, Institut für Alte Musik und Aufführungspraxis: Prof. Eva-Maria Pollerus, Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz

Kommentator: HD Dr. Ludolf Pelizaeus
Die Rhetorik des Fremden. Visuelle Praktiken einer pluri-religiösen Kunstproduktion – Christen, Muslime und Hindus in der Hofkultur des indischen Mogulreichs: Prof. Dr. Monica Juneja, Universität Delhi, Indien/ Emory University, Atlanta, USA
Das frühneuzeitliche Europa aus osmanischer Sicht: Dr. Henning Sievert, Universität Zürich
Die Wahrnehmung der europäischen Welt in Persien: Prof. Dr. Monica Gronke, Universität Köln
Verborgener Groll: Christen aus der Sicht der Juden im Alten Reich während der Frühen Neuzeit: Dr. Stefan Litt, Hebrew University Jerusalem

Schlussdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz/ HD Dr. Ludolf Pelizaeus

Anmerkung:
1 Vgl. Tagungsbericht Das Bild des Moslems im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit. 19.09.2006-22.09.2006, Konstanz. In: H-Soz-u-Kult, 18.10.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1170> (17.01.2008)

Kontakt

Verena Kasper

Karl Franzens Universität Graz, Institut für Geschichte

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