Krieg, Gewalt und Besatzung – Partisanenkrieg im 20. Jahrhundert

Krieg, Gewalt und Besatzung – Partisanenkrieg im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Deutsches Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges; Hessische Landeszentrale für Politische Bildung; Universität Mainz
Ort
Wiesbaden
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2007 - 13.10.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Hilger

Partisanenkriege waren keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die frühe Bezeichnung Guerilla, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend durchsetzte, verdankt sich bekanntermaßen dem spanischen Aufbegehren gegen die französische Besetzung unter Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Francisco de Goya hat die ganze Brutalität dieser Geschehnisse mit schonungsloser Offenheit gemalt. Wenige Jahre später zog der griechische Unabhängigkeitskrieg die europäische Öffentlichkeit in ihren Bann: Der Tod des Romantikers Lord Byron (an Malaria) mochte dabei für viele Außenstehende sogar die inneren Zwistigkeiten der griechischen Bewegung überdecken. Im Fazit waren wichtige Problemfelder der „Volkskriege“ bereits in ihren Ursprüngen angelegt: Die nationale Überhöhung der Auseinandersetzungen erhöhte Intensität und Gewaltpotential derartiger Konflikte - sie konnte aber zugleich zu einer gesteigerten öffentlichen Anteil- und Parteinahme auch im Ausland führen. Der aktuelle Kampf um die öffentliche Meinung mündete schließlich sukzessive in ein Tauziehen um adäquate historische Deutungen: Den Meistererzählungen siegreicher Partisanenbewegungen - oder erfolgreicher Unterdrückungsmaßnahmen - sollten dann sowohl abweichende Interpretationslinien als auch reale, doch nun als unpassend empfundene Teilerfahrungen zum Opfer fallen. Vor diesem Hintergrund akzentuierte der von Sönke Neitzel organisierte Workshop des Deutschen Komitees für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges die Partisanenkriege des 20. Jahrhunderts. Angesichts der besonderen Relevanz und Dimensionen dieser Kriegführung gerade im Zweiten Weltkrieg galt es, über mögliche gemeinsame Nenner verschiedener Guerilla-Bewegungen im 20. Jahrhundert das spezifische Gewicht ideologischer Zusätze für die „Partisanenkriege“ ab 1939/1941 zu diskutieren.

Der Erste Weltkrieg erwies sich für diesen Bereich ebenfalls als wichtiger Erfahrungs- und Vergleichshorizont. OSWALD ÜBEREGGER (Universität Innsbruck) lenkte den Blick auf die „vergessene“ Balkanfront 1914, um die reziproke Radikalisierung der österreich-ungarischen und serbischen Kriegsparteien unter deren besonderen Bedingungen zu analysieren. Die serbische Armee setzte 1914 bewusst rund 4000 erfahrene Kämpfer in kleinen, schlagkräftigen Guerillatrupps ein, die durch Überfälle und Agitation für österreich-ungarische Panik und zugleich für eine Stärkung des serbischen Widerstandswillens sorgen sollten. Die harschen österreichisch-ungarischen Reaktionen auf diese besondere Kriegführung lassen sich durch die ungewöhnlich hohen eigenen Verluste nur unzureichend erklären. Vielmehr sei eine österreichische Dramatisierung der tatsächlichen Gefahren zu konstatieren. Sie speiste sich den Ausführung Übereggers zufolge besonders aus dem traditionellen negativen Slavenbild der österreichischen Truppen, das durch die propagandistische Diabolisierung des „emotionalen Hauptgegners“ Serbien vor und während der Kämpfe noch weiter überzeichnet wurde. Tatsächliche serbische Übergriffe gegen feindliche Soldaten oder Zivilbevölkerung bestätigten demnach in der übersteigerten und selektiven österreichischen Wahrnehmung alle Vorurteile. Die faktische Erfolglosigkeit der österreichischen Operationen ließ zudem eine besondere Härte als probates Mittel erscheinen, den empfundenen Prestigeverlust vor Ort auszugleichen: Dass militärische Bedenkenlosigkeit gerade einem vermeintlich minderwertigen Gegner gegenüber angebracht schien, dies war schon Überzeugung österreichischer Militärs des Ersten Weltkriegs.

Auch die deutsche Ostfront des Ersten Weltkriegs nahm in Ansätzen Mechanismen des Zweiten Weltkriegs vorweg. Dr. PETER LIEB (Royal Military Academy Sandhurst) unterstrich in seinem Vortrag über „Die deutsche Partisanenbekämpfung in der Ukraine 1918“ indes zugleich Entwicklungsbrüche im deutschen Umgang mit Partisanenbewegungen: Die vielfach gezogene direkte Linie von 1870/71 über die kaiserlichen Kolonialkriege, die deutsche Westfront 1914, die Besatzung in Polen bis hin zum „Unternehmen Barbarossa“ weist aus diesem Blickwinkel heraus doch deutliche Unterbrechungen respektive Zweigstellen auf. Lieb skizzierte die anfänglich harsche Reaktion der deutschen Truppen, die die im Lande schwach verankerte Marionetten-Regierung gegen bolschewistische und nationale Opponenten abstützten, auf tatsächlichen und vermeintlichen Widerstand. Kriegsgerichtliche Untersuchungen grausamer Massaker bewiesen aber, dass die Militärführung ihre Besatzungsmaßnahmen und damit ihre Gegner nicht grundsätzlich im rechtsfreien Raum verortete; völkerrechtliche Erwägungen spielten allerdings im deutschen – wie im österreichischen – Umgang mit feindlichen Partisanen auch schon im Ersten Weltkrieg kaum eine Rolle. Für den Frühsommer 1918 stellte Lieb schließlich ein deutliches Umdenken der Besatzungsstrategen fest, die auf eine Befriedung der Ukraine mit Hilfe einer großflächigen Integration weiter ukrainischer, nicht-bolschewistischer Kreise zielten. In dieser – durch die Ereignisse überholten – grundsätzlichen Bereitschaft zum besatzungspolitischen Kurswechsel lag ein wichtiger Unterschied zum deutschen Besatzungsregime der Jahre ab 1941. Dieser Befund übersieht nicht, dass bereits im Kontext der Besetzung der Ukraine 1918 anti-slavische, anti-kommunistische sowie anti-semitische Denkschulen innerhalb des deutschen Militärs wirksam waren. Sie traten aber 1918 im Kern hinter den kooperativen Ansätzen zurück – dies unterstreicht implizit noch einmal die Bedeutung der Novemberrevolution in Deutschland für die weitere Radikalisierung der Militärs.

Durch das Prisma der Partisanenkämpfe betrachtet, stellt sich der Erste Weltkrieg als Ansammlung nationaler Kämpfe und Erinnerungen dar, die sich durch staatliche Frontlinien und Allianzen nur unzureichend abdecken lassen. Dies trifft natürlich auch für den Zweiten Weltkrieg und hier in besonderem Maße für die sowjetische Partisanenbewegung ab 1941 zu. Die sowjetische Geschichtsschreibung hat „ihren“ Partisanenkrieg nicht nur als urwüchsiges, freiwilliges Phänomen, sondern auch als militärisch höchst relevantes und erfolgreiches Unternehmen beschrieben. Zunächst setzte sich ALEXANDER HILL (University of Calgary) im Vortrag „The military impact of the partisan movement in the Leningrad region 1941-1944: a case study in comparative perspective“ mit diesem zweiten Aspekt sowjetischer Vergangenheitspolitik auseinander. Er fand dabei in deutschen Verlustziffern und internen Moskauer Papieren keine Bestätigung für sowjetische Propagandazahlen über Partisanensiege und -beutezüge sowie über die Aktionen gegen das deutsche Kommunikationsnetz. Die Effektivität sowjetischer Operationen ließe sich indes nicht nur an bloßen Verlustzahlen messen. Hill hob in diesem weiteren Kontext die ab 1942 merkliche Störung deutscher wirtschaftlicher Aktivitäten in den besetzten Gebieten als wesentliches Resultat sowjetischer Partisanentätigkeit hervor. Daneben wirkte die Präsenz der Verbände für die Zivilbevölkerung selbst als psychologisches und politisches Signum für sowjetische Widerstandsfähigkeit und stalinistischen Machterhalt.

Der mehrschichtigen Funktion des Partisanenkriegs für die sowjetische Führung gingen weiterhin die Vorträge von BOGDAN MUSIAL (IPN Warschau/Hannover) und Aleksandr GOGUN (Humboldt-Universität Berlin) nach. Die UdSSR hatte in den 1930er-Jahren im Kontext offensiver Strategiekonzepte laufende Planungen für potentielle Partisanenkriege ad acta gelegt, so dass das NKVD 1941 zunächst nur einzelne Diversionsmaßnahmen im Hinterland der Wehrmacht organisierte. Die hohe Zahl „versprengter“ Rotarmisten veranlasste das GKO (Gosudarstvennyj komitet oborony / Staatliches Verteidigungskomitee) im Frühjahr 1942 zur Bildung eines Partisanen-Stabs, dem aber keine wirkliche Leitung und Kontrolle der Einheiten im Lande gelang. Stalin widmete der Partisanenbewegung nur vor dem Hintergrund militärischer Rückschläge verstärkte Aufmerksamkeit, so das Fazit der Ausführungen Musials über „Stalin und die Partisanenbewegung im „Großen Vaterländischen Krieg“. Von daher waren die Aufwertungen der Behörde Ponomarenkos im Sommer 1942 sowie im Frühjahr 1943 kurzfristiger Natur. Daneben zeichneten sich die Partisaneneinheiten mitunter als kommunistische Kaderschule und Bewahrer stalinistischer Autorität im besetzten Gebiet aus. Aus dieser Doppelfunktion heraus ergaben sich die verschobenen Frontlinien von „Stalins Partisanenkrieg in der Ukraine, 1941-1944“ (ALEKSANDR GOGUN). In der Ukraine agierten vor allem Verbände der polnischen Armija Krajowa, ukrainische Nationalisten (UPA) sowie „rote“ Partisanen. Die verschiedenen Zukunftsvisionen dieser Truppen schlugen direkt auf Taktik und Strategie des Partisanenkampfs gegen die deutsche Besetzung durch, da etwa polnische sowie ukrainische Einheiten in ihren Aktionen mögliche deutsche Gegenreaktionen gegen die Zivilbevölkerung zumindest partiell in Rechnung stellten. Dagegen nahmen kommunistische Aktionen auf gesellschaftliche Belange keinerlei Rücksicht und wollten mitunter bewusst radikale Repressionen provozieren. Dabei warf der Vortrag die wichtige Frage auf, ob sich Kohärenz, Moral, Kampfkraft sowie Gewaltpotential der verschiedenen Partisanenrichtungen signifikant voneinander unterschieden. Die Diskussion erweiterte den Ansatz um erste länderübergreifende Vergleichskizzen von Partisanenregimes und -bekämpfung, mittels derer die Alleinstellungsmerkmale der deutsch-sowjetischen Front deutlicher herausgearbeitet werden könnten.

Einem Spezifikum der deutschen Ostfront des Zweiten Weltkriegs ging schließlich der Vortrag von JÖRN HASENCLEVER (Frankfurt am Main) nach, der am Beispiel von General Max von Schenckendorff die Verzahnung von Partisanenbekämpfung und Holocaust beleuchtete. Schenckendorff, der noch in Polen gegen das Vorgehen der SS protestiert hatte, erwies sich im Unternehmen Barbarossa als treibende Kraft einer radikalen Partisanenbekämpfung, bei der die Wehrmacht vor einer recht engen Kooperation mit den Einsatzgruppen nicht zurückschreckte. In ihrem Kontext wurde die berüchtigte Gleichsetzung von „Juden“ und „Partisanen“ für das eigene Befehlsgebiet offenbar durchexerziert. Dagegen koppelte Schenckendorff seine rigide Besatzungspolitik vom Gesamtunternehmen des Holocaust ab, wenn er im Herbst 1941 die Deportation deutscher Juden in seinen Befehlsbereich unterbunden wissen wollte. Diese Vorgänge verweisen deutlich auf die enge, doch nicht unbedingt umfassende Symbiose deutscher militärischer und ideologischer Erwägungen: Aus militärischer Perspektive heraus konnten hier durchaus weiterhin unterschiedliche Prioritäten gesetzt werden.

Die aktuelle Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Partisanenkriege ist leider unbestritten: das zeigen nicht zuletzt die Beispiele Irak oder Afghanistan. Im Kontext historischer Debatten schärft die Einbeziehung dieser neuen Fallbeispiele das Bewusstsein für allgemeine Charakteristika sowie für regionale respektive zeitliche Besonderheiten dieser Kriegführung, während heutige Militärstrategien ihre Lehren aus früheren – aus ihrer Sicht geglückten – Kampagnen ziehen. Für die „British Counter-insurgency campaign in Afghanistan“ stellte DANIEL MARSTON (Royal Military Academy, Sandhurst), koloniale Erfahrungen des British Empire in Südasien als beachtenswerten Bezugspunkt heutiger Maßnahmen heraus (Indian Army; Frontier Scouts). Für den militärisch knapp präsentierten Dreischritt von „clear – hold – build“ erweisen sich den Ausführungen zufolge genaue Kenntnisse über lokale und regionale Motive und Antriebskräfte als ausschlaggebend, um Gegner dauerhaft in Stabilisierung und in den Aufbau breit akzeptierter Strukturen einbinden zu können. Diese Legitimierung des Besatzungshandels stellt eine doppelte Herausforderung dar, da die Maßnahmen nach innen, aber eben auch nach außen – sprich: vor der britischen beziehungsweise westlichen Gesellschaft – vertreten werden müssen. Inwieweit sich die historischen Orientierungspunkte dauerhaft für eine aus britischer militärisch-politischer Perspektive erfolgreiche Besatzungspolitik in Afghanistan fruchtbar machen lassen können, ist derzeit natürlich nicht abzusehen.

Am Beispiel der irakischen Provinz Al Anbar führte der abschließende Vortrag von DUNCAN ANDERSON (Royal Military Academy, Sandhurst): „’How the West was won’ – the evolution of American counter-insurgency in Iraq’s Al Anbar province 2004-07“ mögliche Fallstricke historischer Parallelen und Erfahrungswerte vor Augen. Das offiziell propagierte Modell Nachkriegsdeutschland konnte auf den Irak nicht zutreffen, da unter anderem die bedrohliche Alternative in Gestalt der UdSSR im Irak keinen Widerpart hatte. Überspitzt ausgedrückt, erinnerte das amerikanische Vorgehen 2004 in seiner Planlosigkeit, der personellen Unterbesetzung von aufbaufähigen und -willigen Kadern usw., der Rücksichtslosigkeit gegenüber regionalen sowie religiösen Werten und Überzeugungen vor Ort eher an die deutsche Besatzungspolitik von 1941 als an deutsche Besatzungserfahrungen nach 1945. Anderson konstatierte für die amerikanische Besatzungspolitik indes eine hohe Lernfähigkeit, die schließlich doch die regionalen Stammesstrukturen und Machtbeziehungen in ihr Kalkül einbezog: Für 2007 lasse sich ein Zerfall des irakischen Widerstands in konkurrierende Gruppen beobachten, der in Verbund mit der Drohkulisse Iran die amerikanische Position im Lande stärke. Zugleich erlaube die neue Beachtung einheimischer Befindlichkeiten die stetige Rekrutierung ehemaliger Gegner für Besatzungszwecke. Auch hier bleibt es abzuwarten, inwieweit der Strategiewechsel (allein) auf Dauer zur Eindämmung der Gewalt und zum Aufbau tragfähiger Strukturen und Lebensbedingungen beitragen kann.

Die unterschiedlichen Fallbeispiele legten die Multifunktionalität von Partisanenkrieg und -bekämpfung eindrucksvoll offen. Die Erhebung gegen Besatzungsmächte diente deutlich nie ausschließlich nur der direkten Bekämpfung, sondern war unweigerlich ihrerseits mit staats- und gesellschaftsbildenden Aspekten verwoben. Damit erscheint die außerordentliche Brutalität, die viele dieser Kriege auf beiden Seiten auszeichnete, als eine Mischung von militärisch kompromisslosem, oftmals ideologisch hergeleitetem Eroberungs- oder Widerstandswillen sowie tiefsitzenden nationalen wie innenpolitischen Konnotationen. Ein komparativer Blick auf Partisanenkriege, der in der Diskussion vielfach eingefordert wurde, wird die Gewichtung der Komponenten im historischen Einzelfall deutlicher herausarbeiten können – auf diese Weise stellte der Workshop profunde Bestandsaufnahmen der Forschung zum Partisanenkrieg und wesentliche Forschungsanstöße bereit, die über den Zweiten Weltkrieg und die Militärgeschichte hinaus weisen.

Konferenzübersicht:

Sönke Neitzel (Universität Mainz): Einführung
Oswald Überegger (Universität Innsbruck): Serbien 1914: Militärische Normübertretungen und ziviler Widerstand in den österreichisch-ungarischen Offensiven an der Südfront 1914
Peter Lieb (Royal Military Academy, Sandhurst): Wegweiser zum Vernichtungskrieg? Deutsche Partisanenbekämpfung in der Ukraine 1918
Alexander Hill (University of Calgary): The military impact of the partisan movement in the Leningrad region 1941-1944: a case study in comparative perspective
Jörn Hasenclever (Frankfurt am Main): Partisanenbekämpfung und Judenmord
Bogdan Musial (Hannover): Stalin und die Partisanenbewegung im „Großen Vaterländischen Krieg“
Aleksandr Gogun (Berlin): Stalins Partisanenkrieg in der Ukraine, 1941-1944
Daniel Marston (Royal Military Academy, Sandhurst): British counter-insurgency campaign in Afghanistan: learning from the past
Duncan Anderson (Royal Military Academy, Sandhurst): “How the West was won”: the evolution of American counter-insurgency in Iraq’s Al Anbar province 2004-07
Alexander Brakel (Berlin/Mainz): Resümee


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