Stadtverwaltung im Nationalsozialismus

Stadtverwaltung im Nationalsozialismus

Organisatoren
Stadtarchiv Hannover, Historisches Seminar der Universität Hannover
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.01.2003 -
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Von
Rüdiger Fleiter, Universität Hannover

Zu einem Workshop mit dem Thema „Stadtverwaltung im Nationalsozialismus“ kamen im Januar 2003 rund 30 Doktorandinnen und Doktoranden in Hannover zusammen. Initiiert wurde die Tagung vom dortigen Stadtarchiv und dem Historischen Seminar der Universität Hannover. Die Idee der Veranstalter war es, junge Historikerinnen und Historiker in Kontakt zu bringen, die in verschiedenen Städten an ähnlichen Projekten arbeiten und die Tätigkeiten der Stadtverwaltungen im „Dritten Reich“ erforschen.

1. Sektion: Die Rolle des städtischen Personals

Sabine Mecking (Münster) ging in ihrem Kurzreferat zum Thema „Demokratie – Diktatur – Demokratie: Beamte schwören Treue“ auf die symbolische und faktische Bedeutung des Treueides ein. Nach den gravierenden Staatsumbrüchen von 1918, 1933 und 1945 wandten sich die Beamten laut Mecking nicht gegen eine erneute Vereidigung: Es gab keine Arbeitsniederlegungen oder andere Formen des Protests. Eine klare, über den Treueschwur hinausgehende Bejahung der neuen Staatsform sei allerdings ebenso wenig nachweisbar. Selbst als der Eid sich nicht mehr auf den abstrakten Staat und seine Verfassung bezogen, sondern eine persönliche Verpflichtung auf die Person Adolf Hitler zum Inhalt gehabt habe, hätten sich die Beamten bereitwillig vereidigen lassen. Das Fehlen von Anzeichen für ein entsprechendes Problembewusstsein lege den Schluss nahe, dass die städtischen Beamten den Treueschwur in der konkreten Situation sozusagen als Selbstverständlichkeit abgelegt hätten – in guter „Beamtentradition“, um nicht zu sagen „Beamtenroutine“. Nach Mecking bezogen sich die Eide nicht auf „Politik“, sondern auf „Loyalität“; die Beamten fällten kein politisches Urteil, sondern akzeptierten die ständische Norm. Während ein Teil der bisherigen Forscher in der Wirkung des Treueides einen entscheidenden Beweggrund für das Verhalten der Staatsdiener gesehen hat, formulierte Mecking am Beispiel der Stadtverwaltung Münster die These, dass die Eidesproblematik vielfach und besonders in bezug auf Adolf Hitler überbewertet worden sei.

Bettina Tüffers (Frankfurt/M.) berichtete aus ihrem Dissertationsprojekt „Der braune Magistrat – Die Frankfurter Stadtregierung 1933–1945“. Die Untersuchung auf Basis des umfangreichen Personal- und Magistratsaktenbestands des Frankfurter Instituts für Stadtgeschichte sowie der Spruchkammerakten des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden habe für die verschiedenen Gruppen in der Frankfurter Stadtregierung dieser Zeit – 8 haupt- und 10 ehrenamtliche Stadträte sowie 36 Ratsherren – ein unterschiedliches biografisches und politisches Profil ergeben. Während die Positionen der Ratsherren und ehrenamtlichen Stadträte beinahe durchgängig mit Parteifunktionären der Ortsgruppen- und Gauebene besetzt gewesen seien, hätten die hauptamtlichen Stadträte eher die „traditionelle“ Administration repräsentiert, wenngleich auch hier seit 1933 einige Nationalsozialisten nachgerückt seien. Die Jahre 1933 bis 1935 sind für die personelle Neuorganisation der Stadtverwaltung laut Tüffers als Übergangsphase zu betrachten, denn erst mit Erlass der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) von 1935 sei es zu einer erheblichen Verschärfung der Auswahlkriterien gekommen. Einige vormals eher dem bürgerlichen Lager zuzurechnende ehrenamtliche Magistratsmitglieder (beispielsweise städtische Honoratioren) seien nun ebenfalls durch linientreue Nationalsozialisten ersetzt worden. Eine besondere Rolle habe dabei der hessen-nassauische Gauleiter Jakob Sprenger übernommen. Als – eigenmächtig ernannter – „Beauftragter der NSDAP“ für Frankfurt steuerte er laut Tüffers praktisch die gesamte kommunale Personalpolitik und nutzte diese Möglichkeit, um sich eine Hausmacht in der Frankfurter Verwaltung aufzubauen. Die allermeisten der von ihm Berufenen habe er persönlich bereits aus den Anfangsjahren der Frankfurter bzw. hessischen NSDAP gekannt. Für die städtische Politik habe dies zur Folge gehabt, dass durch den hohen Anteil von NSDAP-Funktionären in der Verwaltungsspitze massiv Druck ausgeübt und Parteiinteressen geltend gemacht worden seien. Vor allem die nichtnationalsozialistischen hauptamtlichen Stadträte hätten einer ständigen Kontrolle durch die Partei unterstanden. Zum Teil habe man versucht, sich dieses Einflusses zu erwehren – vor allem dann, wenn es um finanzielle Forderungen gegangen sei. Andererseits lasse sich eine Vermischung von Partei- und Stadtinteressen beobachten. Die „Trennung von Partei und Staat“ sei in dieser klaren Ausprägung nicht vorhanden gewesen; vielmehr sei von einer Vermengung beider Sphären auszugehen.

2. Sektion: „Arisierung“ jüdischen Eigentums

Doris Eizenhöfer (Frankfurt/M.) referierte über die Rolle der Stadt Frankfurt/M. bei der „Arisierung“ von Grundbesitz. Nachdem die Juden aus dem gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben hinausgedrängt worden seien, hätten viele zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder zur Finanzierung der Auswanderung ihren letzten Vermögensteil abgeben müssen – den privaten Haus- und Grundbesitz. Neben anderen „arischen“ Erwerbern habe auch die Stadt Frankfurt bebaute und unbebaute Grundstücke jüdischer Eigentümer gekauft. Den Höhepunkt habe diese Entwicklung – dem Verlauf des gesamten Arisierungsprozesses entsprechend – zwischen 1939 und 1942 mit dem umfangreichen Kauf zahlreicher Liegenschaften der jüdischen Gemeinde Frankfurts erreicht. Der Kaufpreis lag Eizenhöfer zufolge meist in Höhe des – im Vergleich zum Ertragswert überwiegend niedrigeren – Einheitswertes oder darunter und wurde den Verkäufern spätestens ab 1938 nicht mehr direkt gezahlt, sondern auf Sperrkonten überwiesen. Verwendet worden seien die Grundstücke zur Umsetzung städtebaulicher Maßnahmen und zur Unterbringung universitärer, kultureller oder behördlicher Einrichtungen. Bei ihren Bemühungen um den Erwerb von Liegenschaften habe die Stadt in Konkurrenz zu Parteistellen und -funktionären gestanden, die innerhalb der Stadtverwaltung durch die Gemeinderäte (Ratsherren) einen begrenzten Einfluss auf die Verwendung der erworbenen Grundstücke gehabt hätten.

Rüdiger Fleiter (Hannover) analysierte die Rolle der kommunalen Pfandleihanstalten bei der „Verwertung jüdischen Eigentums“. Im Frühjahr 1939 hätten alle Juden reichsweit binnen zwei Wochen sämtliche Edelmetallgegenstände (Schmuck, Silber, Gold, Juwelen usw.) bei den städtischen Leihämtern abgeben müssen. Dafür sei ihnen eine geringe Entschädigung gezahlt worden, die aber in keiner Weise dem tatsächlichen Wert entsprochen habe. Die Leihämter hätten die Aktion im Auftrag des Reiches durchgeführt. Während weniger wertvolle Gegenstände vor Ort „verwertet“, d.h. versteigert oder verkauft worden seien, hätten die Leihämter hochwertigere Stücke zu einer Zentralstelle bei der Pfandleihanstalt Berlin gesandt. Den Gewinn habe das Reich eingezogen – allerdings ließen sich die Leihämter ihre Tätigkeit mit einer Verwaltungskostenpauschale bezahlen, die vom Entschädigungspreis abgezogen wurde. Auch in anderer Hinsicht hätten die Stadtverwaltungen profitiert: Hannovers Oberbürgermeister Haltenhoff beispielsweise habe beim Leihamt Kunstsilber im Wert von rund 15.000 Reichsmark aus dem geraubten „jüdischen Besitz“ erworben, mit dem er das Ratssilber aufgestockt habe. Für das Funktionieren des gesamten Unrechtssystems spielten die lokalen Behörden laut Fleiter eine unverzichtbare Rolle: Sie hätten zuverlässig für die bürokratische Abwicklung einer – auch nach damaligen Normen als Unrechtsmaßnahme empfundenen – Aktion gesorgt, die das Reich ohne den Rückgriff auf die kommunalen Strukturen nicht so effizient hätte durchführen können. Nicht die Sonderbehörden der Partei, sondern die überkommenen Verwaltungsapparate hätten zentrale Verfolgungsmaßnahmen wie die „Verwertung jüdischen Eigentums“ umgesetzt.

3. Sektion: Stadtverwaltungen im Krieg

Jörn Brinkhus (Berlin) analysierte in seinem Vortrag die „Auftragsverwaltung der Gemeinden im Krieg“. Zwar habe der Zentralismus des NS-Staats die kommunale Selbstverwaltung radikal eingeschränkt; die Gemeinden seien jedoch von den Zentralbehörden zur Durchführung von Aufgaben herangezogen worden, die der Zentralebene aus ihren neuen Kompetenzen erwachsen seien. Gerade während des Kriegs sei den Kommunen bei dieser Auftragsverwaltung eine gewisse Eigenständigkeit gewährt worden. Um das komplexe Gefüge von Zentral- und Lokalverwaltung zu beschreiben, sei der Rückgriff auf idealtypisch formulierte Kategorien der sozialwissenschaftlichen Steuerungstheorie notwendig. Brinkhus präsentierte erste empirische Ergebnisse zu den Themenkomplexen des zivilen Luftschutzes und der Versorgung der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern, den Themen seines Dissertationsprojekts. Die Gemeindeverwaltungen haben laut Brinkhus im zivilen Luftschutz umfassende Aktivitäten entfaltet und dabei häufig mit der Partei kooperiert. Parallel zu dieser Selbststeuerung habe der Deutsche Gemeindetag versucht, die Gemeindeverwaltungen in einem Netzwerk zu koordinieren. Was die Versorgung der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern angeht, seien die eigenständigen Maßnahmen der Gemeinden bei der Regulierung des Tausch- und Gebrauchthandels hervorzuheben. Brinkhus schloss mit der Feststellung, dass diese vorläufigen Ergebnisse durch Lokalstudien erhärtet werden müssten.

Peter Klein (Berlin) befasst sich in seinem Dissertationsvorhaben mit dem Ghetto in Lodz (die Stadt wurde von den deutschen Besatzungsbehörden in „Litzmannstadt“ umbenannt). Er berichtete über die Tätigkeit der „Wirtschaftsstelle Ghetto“, einer Unterabteilung der Stadtverwaltung „Litzmannstadt“. Klein wies darauf hin, dass es sich beim Ghetto „Litzmannstadt“ um eine kommunale Einrichtung handelte – und damit um das einzige kommunal verwaltete Ghetto. Aus einer Notsituation heraus habe sich die Stadtverwaltung „Litzmannstadt“ zur zentralen Lenkungsbehörde entwickelt: Beispielsweise habe sie als zentrale Abrechnungsstelle für Zwangsarbeit im Warthegau fungiert. Die Stadtverwaltung habe 15.000 Zwangsarbeiter aus dem Ghetto rekrutiert, die Textilien für die Wehrmacht produziert hätten. Bei Beginn der Deportationen entstanden für die Stadtverwaltung „Litzmannstadt“ ungeahnte finanzielle Probleme durch Steuerausfälle, wie Klein weiter erläuterte. Zur Kompensation habe die Kommune beabsichtigt, sich „polnisches“ und „jüdisches Vermögen“ anzueignen. Laut Klein spielte die Gestapo im Ghetto eine untergeordnete Rolle: Sie habe mit Verwaltungstätigkeiten nichts zu tun gehabt und sich auf sicherheitspolizeiliche Aufgaben beschränkt.

4. Abschlussdiskussion

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erörterten zusammenfassend folgende drei Aspekte:

Quellenprobleme: Die Quellenlage erwies sich als unterschiedlich gut. In vielen Städten sind Akten ganzer Ämter durch Bombentreffer zerstört, andere Bestände mutwillig „gefilzt“ bzw. vollständig vernichtet worden – letzteres geschah mancherorts bis in die späten 1970er-Jahre hinein. Doch nicht nur Lücken in der Überlieferung bereiten Probleme: Als nicht minder schwierig wurde es beschrieben, die Materialfülle zu bewältigen und einen geeigneten Zugriff zu entwickeln.

Relevanz der „Doppelstaats“-Theorie: Während Rüdiger Fleiter betonte, in seiner Arbeit vom Paradigma „Dualismus von Staat und Partei“ abrücken und stattdessen mit Fraenkels juristischen Kategorien „Normenstaat“ und „Maßnahmenstaat“ arbeiten zu wollen, hielt Bettina Tüffers die Dualismus-These mit Einschränkungen weiterhin für gültig, auch wenn sie zur Analyse des NS-Staates nicht hinreichend sei. Peter Klein kritisierte, Beteiligungen der staatlichen Verwaltung an NS-Verbrechen würden nach wie vor häufig als „Sonderfall“ interpretiert.

Verhältnis von Norm und Praxis: Es wurde auf das Problem der einseitigen Perspektive von Verwaltungsakten hingewiesen. Die Notwendigkeit wurde unterstrichen, andere Quellen hinzuzuziehen (Oral History, Nachkriegsakten aus Restitutionsprozessen usw.). Dr. Hans-Dieter Schmid (Hannover) hob hervor, dass Verwaltungsakten selten über Opposition oder Verweigerung Auskunft gäben. Möglicherweise liege dies aber auch daran, dass alle Mitarbeiter, die zu solchen Handlungen fähig gewesen wären, 1933 entlassen worden seien.

Da sich der Workshop als intensives Diskussionsforum bewährt hat, ist für das kommende Jahr eine Fortsetzung geplant.

Kontakt

Rüdiger Fleiter (rfleiter@web.de)


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