Das Haus Schaffgotsch – Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne

Das Haus Schaffgotsch – Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne

Organisatoren
Joachim Bahlcke; UlrichSchmilewski; Thomas Wünsch; Historische Kommission für Schlesien; Stiftung Kulturwerk Schlesien; Deutsch-Polnisches Forschungsprojekt „Adel in Schlesien/Szlachta na Śląsku“
Ort
Hirschberg (Jelenia Góra)
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.10.2007 - 27.10.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Simon Donig, Universität Passau; Rafael Sendek, Universität Stuttgart

Unter den Schlagworten der Konfession, Politik und des Gedächtnisses hatte sich eine von der Historischen Kommission für Schlesien, der Stiftung Kulturwerk Schlesien und dem deutsch-polnischen Forschungsprojekt „Adel in Schlesien/Szlachta na Śląsku“ initiierte Tagung in Hirschberg (Jelenia Góra)/Polen zusammengefunden, um am Beispiel der schlesischen Adelsfamilie Schaffgotsch zentrale Aspekte der schlesischen Adelslandschaft zu erkunden und zugleich den Forschungsstand über diese Familie zu ergänzen 1. Moderiert wurde die im Schloß Warmbrunn (Cieplice), dem ehemaligen Sitz der Schaffgotsch, veranstaltete Konferenz, auf der 16 Mitglieder der Adelsfamilie zu Gast waren, von Mirosława Czarnecka (Breslau/Wrocław), Marek Hałub (Breslau/Wrocław) und Winfried Irgang (Marburg a. d. Lahn).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine monumentale 18-bändige Geschichte des Hauses Schaffgotsch angedacht worden, von der aber nur der zweite Band in den Druck ging 2, während sich der erste Band als Manuskript erhalten hat. Seit damals sind wiederholt kleinere Arbeiten zu einzelnen Zweigen der Familie, Persönlichkeiten oder spezifischen Aspekten der Familiengeschichte entstanden, der Versuch einer Synthese ist dagegen nicht mehr unternommen worden. Alleine die 723 laufende Meter umfassende Überlieferung des Hauses im Staatsarchiv Breslau (Wrocław) ist, wie Joachim BAHLCKE (Stuttgart) in seiner Einführung herausstrich, noch nicht einmal ansatzweise ausgewertet worden. Angesichts der Bedeutung, die der Genealogie sowohl im Rahmen adeliger Selbstdefinition als auch als Legitimationsgrundlage politischer Machtansprüche zukam, gab Ulrich SCHMILEWSKI (Würzburg) einen systematischen, historisch-genealogischen Überblick über das Haus Schaffgotsch und erleichterte damit die Orientierung der Teilnehmer und Gäste über die Zugehörigkeit der einzelnen Mitglieder zu den verschiedenen Linien des Hauses. Im Rahmen der chronologischen Darstellung arbeitete er drei große Krisen des Hauses heraus: das Zeitalter der konfessionellen Gegensätze, den Einmarsch Preußens und die Flucht in den Westen im Jahr 1945. Die Diskussion beschäftigte sich vorrangig mit den Ursachen des spektakulären Aufstiegs der Schaffgotsch und der Frage, ab wann von einer systematischen Familienpolitik innerhalb des Hauses gesprochen werden kann. Tomasz JUREK (Posen/Poznań) nutzte seinen Vortrag über das Vorkommen der Schaffgotsch im spätmittelalterlichen Landbuch des Fürstentums Schweidnitz-Jauer vor allem auch, um an deren Beispiel die Herausforderungen dieser Quellengattung zu zeigen. Er betonte besonders die Bedeutung der Landbücher als serielle Massenquellen, die in der zersplitterten schlesischen Urkundenlandschaft großes Potential für systematische Forschung böten.

Ivo NUSSBICKER (Stuttgart) befaßte sich mit der im nördlichen Niederschlesien gelegenen Standesherrschaft Trachenberg, die sich seit 1592 im Besitz der Schaffgotsch befand. Diese Erwerbung stellte für die Familie, die dadurch eine fürstenähnliche Position erhielt, einen Höhepunkt in ihrer frühneuzeitlichen Geschichte dar und ermöglichte auch die Heirat Hans Ulrich von Schaffgotschs mit der Piastin Barbara Agnes von Liegnitz-Brieg. Michał WITKOWSKI (Kattowitz/Katowice) stellte die Karriere Christoph Leopold von Schaffgotschs (1623-1703) vor, dem es gelang, nach der Hinrichtung seines Vaters und der erzwungenen Konversion zum Katholizismus bedeutende politische Ämter im habsburgischen Schlesien zu erlangen, darunter das Amt des Präsidenten der Schlesischen Kammer, das er bis zu seinem Tod bekleidete. An diesem Beispiel wird auch die Personalpolitik der Habsburger im 17. Jahrhundert sichtbar: Im Gegensatz zu Böhmen sollten einflußreiche schlesische Adelsgeschlechter rekatholisiert und durch Übernahme wichtiger politischer, administrativer und militärischer Aufgaben an den Wiener Hof gebunden werden. Der Prager Oberstburggraf Johann Ernst Anton von Schaffgotsch (1675-1747) stand im Zentrum des Vortrags von Petr MAT’A (Prag/Praha), der mit ihm auch den böhmischen Zweig des Hauses vorstellte. Trotz der im Vergleich zur schlesischen Hauptlinie deutlich schwächeren sozialen und wirtschaftlichen Position gelang es diesem Zweig der Familie, im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts einen Güterkomplex in Ostböhmen planmäßig aufzubauen, den Grafentitel zu erlangen und einige bedeutende Ämter in der Verwaltung Böhmens zu besetzen. Peter BAUMGART (Würzburg) thematisierte die Krise, in die die Familie – bis dahin Exponent der österreichischen Herrschaft in Schlesien – durch den Übergang des Landes an Preußen (1740/42) gestürzt wurde. Trotz ihrer anfänglichen Loyalität gegenüber den Habsburgern gelang es den Schaffgotsch, sich langfristig in der neuen politischen Situation zurecht zu finden, denn politische Loyalitäten waren schon immer eng mit wirtschaftlichen Familieninteressen verbunden. Maximilan EIDEN (Stuttgart) zeigte am Beispiel der Familie Schaffgotsch die Bedeutung der Piasten in der Erinnerungskultur des schlesischen Adels im 17. und 18. Jahrhundert. Besonders im neuen Familienwappen nach 1708, aber auch in verschiedenen Stammbäumen, wurde die Verwandtschaft mit dem Piastengeschlecht besonders hervorgehoben. Auf einigen genealogischen Tafeln wurde die Familie sogar als Fortführung der 1675 ausgestorbenen Piasten dargestellt, so daß man von einem Übergang der Piasten-Identität auf die Schaffgotsch sprechen kann.

Auf die Bedeutung der Konfession für den Adel ging Jörg DEVENTER (Leipzig) ein und zeigte am Beispiel der Familie Schaffgotsch die Verbindung von ökonomischen und sozialen Interessen sowie konfessionellen Entscheidungen, die im Grunde eine Antwort auf die Anforderungen im konfessionellen Zeitalter waren und der eigenen Selbstbehauptung dienten. Gerade die Familie Schaffgotsch, die auf eine konsequente Rekatholisierung ihrer Untertanen verzichtete, nahm bewußt Bikonfessionalität in Kauf. Joachim Bahlcke (Stuttgart) zeigte die Möglichkeiten und Grenzen einer kirchlichen Familienpolitik und stellte geistliche Karrieren in der Familie Schaffgotsch vor, die neben zahlreichen Domherrenstellen auch drei Bischofssitze erlangen konnte, jedoch mit anderen, in der Kirche deutlich stärker vertretenen Adelsfamilien im Reich nicht zu vergleichen war. Gleichzeitig stellte er fest, daß die geistlichen Karrieren regional stark begrenzt waren und es nicht zu einem Ausgreifen in die Reichskirche kam. Über die oberschlesische Linie der Schaffgotsch im 19. Jahrhundert sprach Simon DONIG (Passau), indem er die Heirat zwischen Hans Ulrich von Schaffgotsch und Johanna Gryczik von Schomberg-Godulla, der kurz vor der Ehe geadelten Erbin eines bürgerlichen Industrieimperiums, als Prozeß einer Elitenvergesellschaftung begriff. Er analysierte die Wirkung der widerstreitenden Erfordernisse adeliger Lebensführung und ökonomischer Moderne, aber auch der institutionellen Zwänge des modernen Verwaltungsstaates auf den Industriebesitz des Paares. Hinsichtlich der Heirat betonte er die Brücken zwischen Adel und Bürgertum und zeigte auf, wie die Eheleute sich als adeliges Paar selbst inszenierten.

Die Repräsentation von Adeligkeit war zugleich auch ein zentraler Teil der kunstgeschichtlich angelegten Vorträge der Tagung. Jan HARASIMOWICZ (Breslau/Wrocław) wandte sich in seinem Vortrag über die Kunststiftungen der Schaffgotsch als Herren von Kynast und Greiffenstein an drei Beispielen der Symbolisierung der Ansprüche auf Zugehörigkeit zum Hochadel. Anhand der Grabkapelle in Reußendorf verfolgte er die Verwendung eines dezidiert lutherischen Bildprogramms, und auch in den Deckengemälden der Kirche von Greiffenberg sowie dem dortigen Grabmal konnte er ein dezidiert protestantisches Programm nachweisen. Der Umbau der Kirche in Altkemnitz durch Hans Ulrich von Schaffgotsch (1635 hingerichtet) zeige demgegenüber zum einen die hohe Liquidität der Schaffgotsch, die sich eine solche Bautätigkeit in den Krisenjahren von 1620 bis 1630 leisten konnten, zum anderen die moderne, westlichen protestantischen Bauten vergleichbare architektonische Programmatik. Mit der Tätigkeit des mehrfach auf der Konferenz thematisierten Hans Anton Schaffgotsch (1675-1742) als Sammler beschäftigte sich Michał MENCFEL (Berlin). Er hob die Bedeutung des „Schönen, Raren, Künstlichen und Kuriosen“ als Statussymbol für Adeligkeit hervor. Am Beispiel der Hermsdorfer Familienbibliothek, die eine Vielzahl weiterer Sammlungen beherbergte, darunter zur Numismatik, Kartographie, zu wissenschaftlichen Instrumenten, einem Naturalienkabinett und einer Rüstkammer, illustrierte er den Repräsentationscharakter der Kollektionen. Hans Anton habe damit sein Mäzenatentum inszeniert, andererseits habe er sich als idealer, „ausgebildeter“ Edelmann gezeigt, der den Weg des Degens und des Studiums gleichermaßen beherrschte. Magdalena MUSIK (Breslau/Wrocław) sprach über die Darstellung des Adam von Schaffgotsch in den Leichenpredigten von Esaias Heidenreich d. J. und schloß damit in vielen Aspekten an die Untersuchungen von Jan Harasimowicz an. Am Beispiel der Memorialrhetorik für den Vertreter einer Schaffgotsch-Linie illustrierte sie besonders den auf die Zukunft ausgerichteten religionspolitischen Gehalt der Leichenpredigt. Mit ihrem Beitrag über die Portraitgallerie des Hauses Schaffgotsch im Schloß Warmbrunn wandte sich Magdalena PALICA (Breslau/Wrocław) dem Bild als Medium, vor allem aber dem bewußten Arrangement von Bildern als Medium der Repräsentation zu. Anhand der von ihr rekonstruierten Hängung der Bilder im Schloßbereich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermochte der Vortrag, der aus Krankheitsgründen leider verlesen werden mußte, eine klare Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Familiengedächtnis aufzuzeigen. Daneben zeigte der Vortrag die unterschiedliche Funktion der für einzelne europäische Dynastenfamilien (Piasten, Habsburger) zahlreich vertretenen Portraitgruppen auf, die von einer Verwendung im Rahmen der Ego-Repräsentation der Familie im Ensemble des Schlosses bis hin zu einem Verleih solcher Bildgruppen etwa anläßlich der Görlitzer Gewerbe- und Industrieausstellung von 1885 reichte.

Eine Besonderheit der Konferenz war schließlich noch die Premiere des Dokumentarfilms „Die Schaffgotsch – Chronik einer vergessenen Adelsfamilie“, produziert von Andrzej Klamt (www.halbtotalfilm.de), der von Thomas Wünsch (Passau) eingeführt wurde. Der halbstündige Film bestach vor allem durch die dichten Zeitzeugeninterviews, die ebenso einen Einblick in die untergegangene Adelskultur Schlesiens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu geben vermochten, wie auch die Situation der einzelnen Linien des Hauses nach der Flucht in den Westen zeigten. Den Abschluß der Veranstaltung bildete eine von Ulrich Schmilewski (Würzburg) geleitete Exkursion zu den Schlössern und Kirchen des Hirschberger Tales. Die Beiträge der Tagung werden 2008 in einem Sammelband publiziert werden.

Konferenzübersicht:

Joachim Bahlcke (Stuttgart): Begrüßung und Einführung
Ulrich Schmilewski (Würzburg): Das Geschlecht der Schaffgotsch – ein genealogisch-historischer Überblick
Tomasz Jurek (Posen/Poznań): Die Schaffgotsch im Landbuch des Fürstentums Schweidnitz-Jauer (1366-1407)
Ivo Nußbicker (Stuttgart): Politik – Landesbewußtsein – Repräsentation. Die Schaffgotsche Standesherrschaft in Trachenberg im 17. Jahrhundert
Michał J. Witkowski (Kattowitz/Katowice): Zwischen Landesorientierung und Hofadel: Christoph Leopold von Schaffgotsch (1623-1703)
Petr Mat’a (Prag/Praha): Der Prager Oberstburggraf Johann Ernst Anton von Schaffgotsch (1675-1747) und die böhmische Familienlinie des schlesischen Adelsgeschlechts
Peter Baumgart (Würzburg): Die Schaffgotsch zwischen Habsburg und Preußen. Zur Bewältigung einer Krise
Maximilian Eiden (Stuttgart): Die Piasten in der Erinnerungskultur des schlesischen Adels im 17. und 18. Jahrhundert – das Beispiel der Schaffgotsch
Jörg Deventer (Leipzig): Adel und Konfession. Beobachtungen am Beispiel der Schaffgotsch
Joachim Bahlcke (Stuttgart): Geistliche Karrieren der Schaffgotsch im 18. und 19. Jahrhundert
Simon Donig (Passau): Ökonomische Strategien im langen bürgerlichen Zeitalter. Die Schaffgotsch als Grundbesitzer (1770-1918)
Jan Harasimowicz (Breslau/Wrocław): Reussendorf – Greiffenberg – Altkemnitz: Drei evangelische Pfarrkirchen der Familie Schaffgotsch im schlesischen Gebirgsland
Michał Mencfel (Berlin): „Hier wohnt an allen Ecken Kunst und Werth und Seltenheit.“ Graf Hans Anton von Schaffgotsch (1675-1742) als Sammler
Magdalena Musik (Breslau/Wrocław): Die Schaffgotsch in Trachenberg im Lichte der Leichenpredigt von Esaias Heidenreich d. J.
Magdalena Palica (Breslau/Wrocław): Die Portraitgalerie im Warmbrunner Palais Schaffgotsch

Anmerkungen:
1 Zum Programm vergleiche die Konferenzankündigung von Ivo Nußbicker vom 25.7.2007 unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=7669>
2 Kaufmann, Johannes, Hausgeschichte und Diplomatarium der Reichs-Semperfreien und Grafen Schaffgotsch, Bd. 2: Besitzgeschichte. Die Erhaltung der Schaffgotschischen Stammgüter durch Fideicommisse, Bad Warmbrunn 1925.


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