Unternehmen, Technik und Innovationen

Unternehmen, Technik und Innovationen

Organisatoren
Arbeitskreis Kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU)
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.10.2007 - 12.10.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Caroline Schulenburg, BMW Konzernarchiv

Am 11. und 12. Oktober 2007 fand im Deutschen Museum in München, die Jahrestagung des AKKU (Arbeitskreis Kritische Unternehmens- und Industriegeschichte) zum Thema Unternehmen, Technik und Innovationen statt.

In seinem einleitenden Impulsreferat stellte Reinhold BAUER die Grundsatzfrage nach der Schnittstelle und den Verbindungen zwischen Technik und Wirtschaft: Ist Technik die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens?

Ausgehend von dieser Fragestellung standen bei Bauer auch Fehlinnovationen im Zentrum des Interesses. Bauer lehnte sich dabei an die lineare Schumpetersche Definition von Innovationen an, nach der eine Innovation die Durchsetzung einer technischen oder organisatorischen Neuerung und nicht allein ihre Erfindung ist. Er betonte dabei aber auch gleichzeitig deren prozesshaften Charakter, indem er Innovationen als erstmalige wirtschaftliche Verwertung einer Problemlösung definierte.

Um das komplexe Thema der Innovationen zu erschließen, waren die Sektionen des ersten Tages nach einzelnen Industrie-Branchen gegliedert: Pharma/Chemie, Automobil sowie Elektro/Energie. Die Vorträge des zweiten Tages standen in Zeichen der Innovationsgeschichte der DDR und stellten aktuelle Forschungsprojekte zu einzelnen Themen des Tagungsschwerpunktes vor.

Dem interdisziplinären Ansatz der Tagung geschuldet waren die unterschiedlichen Perspektiven auf das Tagungsthema, wie in den vorgestellten Beiträgen deutlich wurde. Hierbei bildeten sich zwei Schwerpunkte heraus. Rückten einige Referate den Aspekt der industrienahen Forschung und Entwicklung ins Zentrum, fragten andere – im Sinne des Impulsreferats – nach den ökonomischen Aspekten von neuen Produkten oder Prozessen. Dieser Bericht stellt die Beiträge der Tagung nicht in der gehaltenen Reihenfolge, sondern gemäß dieser zweifachen Schwerpunktsetzungen vor: Zunächst werden die technikorientierten Beiträge behandelt, bei denen es letztendlich um Inventionen geht. Danach folgen die Vorträge, bei denen die ökonomische Verwertung, also Innovation im eigentlichen Sinne im Vordergrund steht.

Elisabeth VAUPEL untersuchte das Fallbeispiels des Wirkens von Heinrich Wieland für C.H. Boehringer. Sie zeigte auf, in welchem Maße die Forschungen Wielands, der einen Beratervertrag mit Boehringer hatte, dem Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil brachten. Boehringer hatte somit durch die Nutzung eines „externes Labors“ einen Teil seiner Forschung ausgelagert und dadurch die Risiken und Kosten bei der Entwicklung neuer Präparate reduziert.
Das Verhältnis von Zulieferindustrie und Automobilhersteller nach 1945 analysierte Stephanie TILLY. Sind die Zulieferer tatsächlich als „stumme Diener“ der Fahrzeughersteller, als die sie so oft bezeichnet werden, eher passiv ausführend als pro-aktiv tätig? Letztendlich kann, abgesehen vom Beispiel sehr großer Firmen wie etwa Bosch, nur ein überlegenes Know-how auf Seiten der Zulieferer dazu führen, dass sie mit der Automobilindustrie als gleichberechtigte Partner diskutieren können.

Anhand des Patentstreits um das Elektronenmikroskop zwischen Siemens und AEG zeigte Falk MÜLLER auf, welche Folgen die unterschiedliche Politik in der wissenschaftlichen Forschung für die beiden Unternehmen hatte. Deutlich wurde vor allem auch der externe, politische Einfluss des NS-Regimes auf die Forschungstätigkeit der beiden Firmen. Die Vernachlässigung der Forschungstätigkeiten bei der AEG während des Nationalsozialismus führte 1951 letztendlich zur Schließung des Forschungsinstituts.

Silke FENGLER untersuchte pfadabhängiges Verhalten am Beispiel der Agfa-Gevaert AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen. Für die Fotobranche lässt sich eine relativ starke Pfadabhängigkeit feststellen, die mit einer geringen Risikobereitschaft einherging. In der Regel wird auf bereits vorhandenen Innovationen aufgebaut. Im Falle von Agfa führte dies in letzter Konsequenz zum Konkurs des Unternehmens, da die Innovation von Digital-Kameras nicht aufgenommen wurde. Stattdessen hielt man bei Agfa so lange wie möglich an den vorhandenen Entwicklungsverfahren fest.

Thomas SCHÜTZ zeigte anhand der Firma Hager & Elsässer, wie ein mittelständischer Anlagenbauer aufgrund des Impulses eines Kunden innovativ tätig wurde und eine neuartige, auf Ionenaustauschtechnik beruhende Wasser-Aufbereitungsanlage entwickelte. Interessant ist dabei vor allem die Tatsache, dass die Entwicklungstätigkeit nicht so sehr von akademisch ausgebildeten Technikern und Chemikern theoretisch vorangetrieben wurde, sondern auf den Erfahrungswerten von Werkmeistern und Praktikern basierte.

In seinem Vortrag zur Innovationsstrategie der BMW AG 1917 bis 1937 führte Florian TRIEBEL aus, dass sich diese vor allem dadurch auszeichnete, dass das Unternehmen schon bereits bekannte Basis-Innovationen zu einem „intelligenten Gesamtpaket“ zusammenfügte. In keiner der drei Produktsparten (Flugmotoren, Motorräder, Automobile) stellte BMW eine Basis-Innovationen vor, sondern trat vor allem mit „Verbesserungs- und Veränderungsinnovationen“ auf.

Kilian STEINERS Vortrag beschäftigte sich mit dem Konsumenten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Industrie anhand des zentralen Aspekts der Sicherheit im Fahrzeug. An zwei Fallbeispielen, der amerikanischen SAE-Schablone und der in Deutschland entwickelten „Kieler Puppe“, zeigt er die Professionalisierung der Nutzerkonstruktion innerhalb der Automobilindustrie. Steiner betonte, dass es der Automobilindustrie weniger um die Kontrolle des Nutzers als vielmehr um eine Kostenkontrolle ginge.

Markus SPEIDELS Untersuchung von Loewe als Hersteller BTX-tauglicher Fernsehgeräte zeigte exemplarisch die Handlungsweise bzw. Handlungsstrategie eines Unternehmens in einem neuen Technikfeld. Das Scheitern Loewes war nicht etwa dadurch bedingt, dass das Unternehmen eine Innovation nicht konsequent durchgeführt hätte. Es lag vielmehr darin begründet, dass die Innovation an sich, die BTX-Technologie, scheiterte.

Warum es in der DDR kaum zu Innovationen gekommen ist, erklärte Heike KNORTZ am Beispiel des Petrolchemischen Kombinats Schwedt. Dargelegt wurde der Einzelfall des Generaldirektors des Kombinats PCK, der ein Rationalisierungsprogramm mit dem Ziel der Arbeitskräfteeinsparung durchführte, das in Umfang und Konsequenz in der DDR neu war und somit eine Prozessinnovation darstellte.

Abschließend wurden auf der Tagung drei laufender Forschungsprojekte präsentiert. Michael C. SCHNEIDER skizzierte sein Projekt, in dem er die Beschaffenheit wissenschaftlicher Forschung in Unternehmen der Chemie-Branche untersuchen möchte. Timo LEIMBACH und Paul ERKER beschäftigen sich mit dem Einsatz moderner EDV in deutschen Unternehmen seit den 50er Jahren und deren Folgen. Einen soziologischen Ansatz verfolgen Matthias KLEMM und Jan WEYAND, die anhand von drei Fallbeispielen analysiert, ob sich marktorientiertes Verhalten positiv oder negativ auf die Innovationen eines Unternehmens auswirken.

In den Vorträgen und den Diskussionsbeiträgen der Tagung wurde deutlich, dass die Schnittstellen zwischen Technik- und Unternehmensgeschichte vielfältige und „innovative“ Einsichten und Perspektiven bieten. Es hat sich auch gezeigt, dass weitere gemeinsame oder sich überlappende Forschungen zwischen den beiden Disziplinen ertragreiche Ergebnisse versprechen und daher unbedingt weiterverfolgt werden sollten.

Konferenzübersicht:

Reinhold Bauer: Impulsreferat: Innovationsgeschichte – Erfolgsgeschichte?

Sektion Pharma/Chemie:
Elisabeth Vaupel: Naturstoffchemie im Dienste der Pharmaindustrie: Heinrich Wieland (1877-1957) als Berater der chemisch-pharmazeutischen Fabrik C.H. Boehringer/Ingelheim
Thomas Schütz: Die Genese kontinuierlicher Ionenaustauschertechniken: Das Beispiel der Firma Hager & Elsässer

Sektion Automobil:
Florian Triebel: Die Innovationsstrategie der Bayerischen Motoren Werke 1917 bis 1937
Kilian Steiner: Konsumenten im Spannungsfeld von Wissenschaft du Industrie. Wissenschaftlich konstruierte Nutzerbilder in der Automobilindustrie seit 1950
Stephanie Tilly: Stumme Diener" der Automobilindustrie? Zu den Beziehungen zwischen Automobil-Zulieferern und PKW-Herstellern nach 1945

Sektion Elektro/Energie
Falk Müller: „Harmonie und Disharmonie in der Industrieforschung: wissenschaftliche und wirtschaftliche Interessen bei Siemens und AEG und der Patentstreit um das Elektronenmikroskop.“
Markus Speidel: Loewe und der Bildschirmtext. Ein Unternehmen agiert zwischen Innovation, Markt und technischen Standards. Sektion Innovationen in der Bundesrepublik und in der DDR
Heike Knortz: Akteure, Institutionen und Innovationen in der DDR nach der Kombinatsreform
Silke Fengler: "Entwickelt und fixiert" - Pfadabhängiges Verhalten am Beispiel der Agfa-Gevaert AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945-1985)

Forschungsprojekte
Michael C. Schneider: Wissenschaft im Unternehmen. Überlegungen zu einem Forschungsprojekt
Timo Leimbach/Paul Erker: Auf dem Weg zu IT-based Industries: Aspekte der Computerisierung der deutschen Unternehmen
Matthias Klemm/Jan Weyand: Innovation lost? Wissensintensive Unternehmen zwischen Expertise und Marktstrategien


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