Journeys into Madness: Representing Mental Illness in the Arts and Sciences, 1850–1930

Journeys into Madness: Representing Mental Illness in the Arts and Sciences, 1850–1930

Organisatoren
Sabine Wieber; Gemma Blackshaw
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
11.10.2007 - 12.10.2007
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Von
Elisabeth Dietrich-Daum, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Innsbruck; Elena Taddei, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Innsbruck

Die Konferenz war als interdisziplinärer Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft über Vorstellungen und Repräsentationsformen psychischen Krankseins in Europa zwischen 1850 und 1930 konzipiert. Im Hintergrund dieses Treffens steht das Projekt „Madness and Modernity: Architecture, Art and Mental Illness in Vienna and the Habsburg Empire 1890–1914”, das vom „Arts and Humanity Research Council” gesponsert wird.

Die Beiträge der Vormittagssektion vom 11. Oktober unterzogen Bilder und Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, die psychisch Kranke darstellen sollen, einer kritischen Analyse. Die gemeinsame Fragestellung richtete sich auf Aspekte von Komposition, Konstruktion, Funktion und Rezeption dieser Medien.

ANTHEA CALLEN (University of Nottingham) eröffnete mit ihrem Vortrag „Expressions of madness c. 1800–1880“ die Konferenz mit einer vergleichenden Analyse von Ölportraits und frühen Fotografien, die psychisch kranke Menschen darstellen sollten: Auf der einen Seite Théodore Géricaults Portraits von PatientInnen des Hospitals Salpêtrière, die zwischen 1821 und 1824 entstanden sind und die unterschiedliche Psychopathien zeigten, auf der anderen Seite Fotografien von Hugh Diamond (um 1850), Fotos aus Charles Darwins „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ (1872) sowie aus Albert Londes’ „Iconographie de la Salpêtrière“ (späte 1870er-Jahre). Die Referentin betonte, dass vor der Produktion dieser Medien die Vorstellung über das Krankheitsbild im Kopf des Künstlers und Fotografen bereits existieren musste, bevor es künstlerisch konstruiert bzw. komponiert und schließlich vermittelt werden konnte. Die Bilder bzw. Fotografien repräsentierten somit Imaginationen von spezifischen Krankheitsbildern. Der/die konkrete Patient/Patientin trete als Subjekt dabei völlig in den Hintergrund. Entscheidend sei weiter, wie diese Bilder heute auf die RezipientInnen wirkten.

FAE BRAUER (University of New South Wales) schloss mit einer Sequenz von Bildern (Paul Richer, Gustave Courtois) und Fotografien (ebenso von Londe), die zwischen 1888 und 1922 in populären Medizinjournalen und -büchern abgedruckt wurden, an den Eröffnungsvortrag an. Ihr Beitrag konzentrierte sich auf die Konstruktion des hysterischen Mannes in der französischen Kunst. Die von der Referentin gebotene Konfrontation von Jules Dalous’ Bronzeskulpturen, den starken republikanischen, französischen Mann symbolisierend, mit den Darstellungen von Hysterikern, angelehnt an bekannte Bilder des hl. Sebastian bzw. an homo-erotische Bilder (Amor und Paris), zielte weniger auf ikonografische Typologien, als auf das durch Jean Martin Charcot eingeleitete „outing“ des hysterischen Mannes. Da Charcot Hysteriker bei den Handwerkern, Seeleuten, Soldaten und Familienvätern vertreten fand, und wider Erwarten weniger bei den Künstlern und Intellektuellen, wurde das republikanische Männlichkeitsbild in Frankreich in Frage gestellt.

SUSAN SIDLAUSKAS (Rutgers University) stellte eine Serie von in London entstandenen Fotografien aus den 1880er-Jahren vor, die Frauen vor und nach der so genannten „rest cure“ (Liegekur) darstellen sollten. Die Vermittlungsabsicht dieser von Sidlauskas als „hybrids“ zwischen Dokumentarbildern aus dem Bürgerkrieg und Studiofotos der 1880er-Jahre stehenden sechs Fotopaaren, hätte in der kontrastierenden Visualisierung kranker und geheilter Frauen bzw. der Dokumentation der Transformation durch die Kur bestanden. Die Komposition der Portraits orientierte sich an den zeitgenössischen Idealisierungen weiblicher Schönheit (Haltung, Kleidung, Frisur, Gesichtsfarbe, Gesichtsausdruck, Gewicht), deren Attribute den abgelichteten Frauen vor der Kur völlig abhanden gekommen zu sein schienen.

Die Funktion von Fotoaufnahmen sowie deren Einzug in die Krankenakten stellten COLLIN GALE und CAROL SMITH (Bethlem Royal Hospital) zur Diskussion. Die präsentierten Beispiele stammten aus der Sammlung des Bethlem Royal Hospital und wurden von Henry Hering in den späten 1850er-Jahren aufgenommen. Die Unterschiede in der Komposition zwischen diesen Fotos, die AnstaltspatientInnen abbildeten, und verschiedenen Beispielen aus der zeitgenössischen viktorianischen Portraitfotografie wurden ebenso deutlich, wie die stillen Arrangements zwischen dem Fotografen und den abgelichteten Personen. Wie im Referat von Sidlauskas schon angesprochen, dienten auch hier die Fotografien der Dokumentation des Krankheitsverlaufes (als Bestandteil der Krankenakte) und des Therapieerfolgs.

Auch in der Nachmittagssektion konzentrierten sich die Vorträge auf die Konstruktionen von Krankheitsbildern sowie deren Repräsentationen; Gegenstand der Analysen waren nun aber verschiedene Textsorten und Objekte.

LISABETH HOCK (Wayne State University, Detroit) begann ihren Beitrag mit einem Überblick über die in der deutschsprachigen medizinischen Literatur zwischen 1840 und 1917 verbreiteten Bildern der Melancholie. Das Hauptaugenmerk legte die Referentin auf geschlechterspezifische Unterschiede in den Konstruktionen männlicher und weiblicher Formen („gendered illness“) und auf die von Juliana Schiesari und Jennifer Radden formulierte Gendergap-These, wonach Melancholie bei Männern als Teil des künstlerischen Temperaments, bei Frauen aber als Krankheit galt. Im zweiten Teil des Referates problematisierte Hock die Repräsentationen von Melancholie in Texten von Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts.

AUDE FAUVELS (Centre Alexandre Koyré, Frankreich) Beitrag ging ausgehend vom im Frankreich des 19. Jahrhundert geführten Diskurs über normales und abnormales Verhalten bzw. dem entsprechenden „counter-discourse“ der Frage nach, wie das Konzept der „dangerous normality“ zu einem neuen Verständnis von „mad“ und „sane“ führte und Krankheit als Geschenk und Zeichen hoher Kreativität interpretierte. Fauvel interessierte vor allem der Einfluss literarischer Arbeiten von AnstaltspatientInnen auf diesen Prozess.

GEOFFREY C. HOWES (Bowling Green State University, Ohio) schloss mit seinen Ausführungen zu Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ unmittelbar an die Ausführungen Fauvels über Normalität und Abnormität an, die seiner Interpretation nach ein zentrales Grundthema des 1930 erschienenen Romans bildeten. Die von Musil vorgestellten Charaktere treten als symbolträchtige Bilder der politischen und sozialen Zustände der Zeit („struggle between society and the state“) in Erscheinung. Theoretisch bezog sich der Referent auf Michel Foucault und auf den Psychoanalytiker und Schriftsteller Arno Grün („Der Wahnsinn der Normalität“).

LOUISE HIDE (Birkbeck College, University of London) suchte in über 100 „case notes“ von Patienten und Patientinnen aus den Asylen in Calybury, Horton und Bexley zwischen 1890 und 1914 nach Informationen über PatientInnenerfahrungen sowie über das zeitgenössische Verständnis von Rationalität und Irrationalität. Die Faktoren Alter, Klasse, Geschlecht und „race“ hätten, so Hide, die Ausprägung der „delusion“ (Wahn) bei den PatientInnen maßgeblich mitbestimmt. Ob die in den „case notes“ beschriebenen Verläufe als Wiedergabe konkreter PatientInnenerfahrungen zu verstehen oder doch eher als von den Anstaltsärzten sozial und kulturell konstruierte Fälle zu interpretieren sind, wurde aber nur am Rande problematisiert.

LYDIA MARINELLI (Sigmund Freund Stiftung, Wien) und ANDREAS MAYR (Max Planck Institut, Berlin) zeigten am Beispiel der Couch, wie sie die Geschichte der Psychoanalyse verstanden wissen möchten. Das symbolische Objekt, ein ursprünglich in den französischen Adelsfamilien des 18. und 19. Jahrhunderts gebräuchliches erotisch konnotiertes Möbelstück, wurde bereits vor Freuds Zeit in den bürgerlichen Haushalt gebracht und diente als Gebrauchsgegenstand der Entspannung im hektischen Stadtleben der Industriegesellschaft. Um 1910 waren, so die beiden Vortragenden, mechanische Möbelstücke wie Sofas oder der mit einem Teppich abgedeckte Diwan auch in privaten Arztpraxen durchaus üblich. Freud hätte dieses, erst später für die Psychoanalyse symbolträchtige Möbelstück, selbst nie als „Couch“ bezeichnet, sondern als „Diwan“ oder „Untersuchungsbett“. In der Diskussion wurde vorwiegend eine der Schlussbemerkungen aufgegriffen, nämlich dass diese psychoanalytische Behandlungsform, das „couch setting“, sowohl Kritik aus der Reihe der PsychoanalytikerInnen als auch von außen erfahren hat und noch heute erfährt.

Die Beiträge des zweiten Kongresstages konzentrierten sich in der Vormittagssektion auf Fragen der Architektur und der Position von psychiatrischen Anstalten in ihrem Umfeld, in der Nachmittagssektion auf das künstlerische Schaffen von AnstaltspatientInnen bzw. die Problematisierung von psychischen Leiden im Avantgarde-Film.

LESLIE TOPP (Birkbeck College, University of London) und SABINE WIEBER (Roehampton University) machten mit dem Thema „Architecture, Psychiatry and the Rural Idyll: The Agricultural Colony at Kierling-Gugging” den Auftakt. 1899 wurde die landwirtschaftliche Kolonie Haschhof als Satellit der niederösterreichischen Anstalt Kierling-Gugging vom Wiener Bürgermeister Karl Lueger feierlich eröffnet und sollte als Vorzeigebeispiel der angewandten „Beschäftigungstherapie“ für sogenannte ungefährliche psychisch Kranke dienen. Die Referentinnen nahmen sich hierbei besonders der Architektur und deren Medienrezeption an und zeigten, wie sehr bei dieser Behandlungsform („Siedlungsbewegung“) die Idee der heilenden Wirkung der Natur als Antwort auf die von Verstädterung und industrieller Modernisierung verursachten Krankheiten maßgebend war. Das Quellenmaterial der Kolonie Haschhof stellt eine interessante Mischung aus Repräsentationsstrategien und den Ideen der Verfechter der „Siedlungsbewegung“ innerhalb der österreichischen Psychiatrie dar. Die Therapieform des freiwilligen Arbeitens im Dienste der Anstalt verankerte den Schein von Freiheit und das Bild des glücklichen Patienten in der Öffentlichkeit während die medialen Beschreibungen des Äußeren und des Handelns der PatientInnen weiterhin die zeitgenössische Vorstellung von psychisch Kranken prägte.

Der Arzt und Medizinhistoriker THOMAS MÜLLER (Universität Ulm) setzte sich mit der 1875 auf den Mauern eines säkularisierten Prämonstratenserklosters errichteten württembergischen Anstalt Schussenried und insbesondere mit ihrem Einfluss auf das Leben in der Kleinstadt auseinander. Der Referent stellte diese gegenseitige Beeinflussung vor allem am Beispiel der Anstaltszeitschrift „Schallwellen“ (1897-1936) dar. Zunächst als hausinternes Kommunikationsmedium gedacht, trat die Zeitschrift mit dem Ziel nach außen, die Anstalt zu repräsentieren, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und den Kontakt mit den Angehörigen der PatientInnen aufrecht zu erhalten. Man wollte, so Müller, die moderne psychiatrische Anstalt, die als eine der ersten die „Arbeitstherapie“ in größerem Stil anwandte, popularisieren und versuchte u.a. durch künstlerische Werke (Gedichte, Zeichnungen, Essays) von PatientInnen und Anstaltspersonal aber auch mittels Anstaltsbällen und -festen die Kultur der Stadt zu bereichern. Auf der anderen Seite reflektierte die Zeitschrift die politischen und sozialen Entwicklungen außerhalb der Anstaltmauern. Müller führte am Schluss seines Beitrages drei für die Tagung, aber auch für die weiteren Forschungen im Bereich der Psychiatriegeschichte wichtige Aspekte an: Erstens gäbe es im Hinblick auf theoretische und methodologische Fragen nicht die eine beste Interpretationslinie (etwa die Foucaultsche), sondern viele geeignete, die eine „historie croisèe“ und vielfältige Perspektiven und Ansätze ermöglichten. Mit Blick auf die Terminologie monierte Müller zweitens eine größere Sensibilität und Präzision in der Definition und Übersetzung von Begriffen, die mit den institutionellen, medizinischen, räumlichen und zeitlichen Aspekten der Psychiatrie zusammenhängen. Hinsichtlich des Problems der internationalen Vergleichbarkeit in Bezug auf Heilbarkeit oder Unheilbarkeit in verschiedenen Anstalten unterschiedlicher Länder meinte Müller drittens, dass dieses ein nicht zu unterschätzendes aber nicht ausschließlich „deutsches“ Problem sei.

In der Anstalt Villejuif in der Nähe von Paris eröffnete 1905 Dr. Auguste Marie ein „Musée de la folie“, das als wichtiger Impuls für die Entwicklung der „Art brut“ gewertet wird. Dieses Museum bestand aus Werken von PatientInnen, die während der Therapie entstanden waren („Beschäftigungstherapie“) und bildete den ersten Bestand zur Untersuchung und Kritik von Kunst psychisch Kranker („art malade“). Marie, der mit seinem „Museum of pathological art“ auf Ausstellungstour durch ganz Europa ging, zielte damit u.a. darauf ab, das öffentliche Bild der Anstalt als Gefängnis zu revidieren. Wie schmal der Grad zwischen diesem hehren Vorhaben und der Degradierung zu einem Kuriositätenkabinett war, vor allem dann, wenn sich die Besucher verwundert zeigten, wie „normal“ die ausgestellten Stücke doch wären, zeigte ALLISON MOREHEAD (King’s College, Cambridge University) anhand verschiedener Beispiele.

Auch im Beitrag von ELEANOR STANSBIE „Psychiatry, Patronage and the Passions: Richard Dadd’s Asylum Art“ ging es um künstlerische Werke (1853–1857) des Psychiatriepatienten der Anstalt Bethlem, Richard Dadd. Jedes gezeigte Bild stellte ein Gefühl oder die Folgen desselben dar („Jealousy“, „Love“, „Brutality“) und spiegelte die Theorien des 19. Jahrhunderts über die Entstehung von psychischen Störungen wider. Zum einen waren Dadds Werke Ausdruck eines neuen, modernen Zuganges in der Psychiatrie (Therapieform bzw. Werkzeug zur Diagnosestellung). Zum anderen wurde in Bethlem, so Stansbie, eine Form von Patronage gefördert, von der sowohl PatientInnen als auch Ärzte profitierten.

Die Prinzhorn Sammlung der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg beinhaltet Werke von PatientInnen, darunter das Bild „Durch die Lüfte spazierend“ des Avandtgarde-Malers Josef Forster, der zwischen 1919 und 1941 mit der Diagnose Schizophrenie in der Anstalt Regensburg lebte und malte. BETTINA BRAND-CLAUSEN und THOMAS RÖSKE, die beide an der Katalogisierung der Prinzhorn-Sammlung gearbeitet haben, versuchten zusammen mit Kunsthistorikern, Psychiatern, Therapeuten und Philosophen Forsters Bilder zu interpretieren. Forster kam aus der Münchner Schule und galt als Genie und Erfinder. Als skurril und an der Grenze zwischen Genialität und Wahnsinn befindlich wurden hingegen seine Bemühungen angesehen, die Auswürfe seines Körpers (Exkremente, Sperma, Schleim) zu bewahren (sie zu essen, damit zu malen oder z.B. dank einer von ihm erfundenen Maske den Schleim im Kopf zu behalten), um keine Energie zu verlieren bzw. zu verschwenden. Die zahlreichen Selbstporträts waren Teil seiner Therapie und dienten der Selbstfindung des Patienten.

Auch JANE KROMM (Purchase College, State University of New York) beschäftigte sich in ihrem Beitrag „Trauma and the Therapeutic“ mit den künstlerischen Werken von Patienten, hier aber von jenen, die den Ersten Weltkrieg – meist an vorderster Front – erlebt hatten und traumatisiert („war neurosis“) zurückgekehrt waren (z.B. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Conrad Felixmuller u.a.). Hierbei, so Kromm, standardisierten sich bestimmte Erkennungszeichen in der Kunst, die Kranke von Gesunden unterscheiden sollten: Handskelette sollten zitternde Hände darstellen und ein offener Mund Verwirrtheit.

Auch Oskar Kokoschka setzte sich mit von Kriegsneurosen geplagten Menschen auseinander. GEMMA BLACKSHAW (University of Plymouth) beschäftigte sich insbesondere mit jenen Werken Kokoschkas, die 1911 in der Gruppenausstellung des „Hagenbundes“ besondere Aufmerksamkeit und Kritik auf sich gezogen hatten, da sie psychische Erkrankungen darstellten (die Kritik sprach von „psychologischen Porträts“). Als Ausdruck verbaler Pathologien untersuchte die Referentin in ihrem Beitrag „Pathological Portraits: Kokoschka’s reception at the Hagenbund, Vienna 1911“ Textquellen und die darin gewählte Sprache, vor allem jene der Presse. Außerdem ging sie der Frage nach, warum Adolf Loos, Kokoschkas Mentor, Patron und Agent diese, von der Kritik als „schlimme“ Darstellung des kranken Körpers bezeichneten Werke dennoch unterstützte und kaufte. Die Antwort wäre im allgemeinen Voyeurismus der Zeit und im Wunsch, das „Irrsein in der Stadt“ aufzuzeigen, zu finden.

Abgerundet wurde der zweite Konferenztag von einer Präsentation von EMMA BELL (University of East Anglia, Norwich) über Repräsentationen psychischer Störungen im modernen Avantgarde-Film, welche die Absicht verfolgt hätten, die Zuseher auf gesellschaftliche Zwänge, Entwicklungen und Veränderungen aufmerksam zu machen oder die mit den Stilmitteln Horror, Spannung und Entsetzen Widerstand und Kritik gegen politische oder bürgerliche Kräfte und Konventionen signalisieren wollten. Diese dramaturgischen Mittel verbanden sich im Avantgarde-Film, so die Referentin, im Unterschied zur Malerei, sehr häufig mit Erotik, wie allgemein Wahnsinn und Erotik beide in Zusammenspiel mit Gewalt im avantgardistischen Film eng miteinander verbunden sind.

Resümierend bleibt festzustellen, dass die Tagung wenig für theoretische Diskussionen und Reflexionen genutzt wurde, was möglicherweise an der Faszination für die vorgestellten vielfältigen Formen von Repräsentationen lag, die vor allem von den NachwuchswissenschaftlerInnen mit besonderer Sorgfalt und Kreativität präsentiert wurden. Leider wurde kein Versuch unternommen, Repräsentation als kulturwissenschaftliches Konzept eingehender zu diskutieren. Auch standen wichtige Begriffe z. B. „mental illness“, „insanity“, „madness“ voraussetzungslos im Raum, was den Berichterstatterinnen auch gewisse Schwierigkeiten in der Benutzung und Übersetzung dieser Termini brachte.

Vor allem vom 1. Konferenztag ist der Eindruck geblieben, dass die Rezeption über Sprachbarrieren hinweg inzwischen besser funktioniert als jene zwischen verschiedenen zum Teil eng verwandten wissenschaftlichen Disziplinen. Der von den Veranstalterinnen intendierte „Dialog“ zwischen Kunst und Wissenschaft ist allerdings – nicht zuletzt aufgrund der treffenden Auswahl und Positionierung der eingereichten Beiträge – gelungen, sodass sowohl die ReferentInnen als auch die Veranstalterinnen zahlreiche Impulse mitnehmen konnten.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag
Anthea Callen ‘A Pre-History of the Representation of Mental Illness’

Sektion 1

Fae Brauer ‘Hysterical Men and Republican Manhood: Charcot and the Outing of Male Hysteria’
Susan Sidlauska ‘Before and After: Picturing the Rest Cure’
Colin Gale und Caroline Smith ‘Before the Mugshot: Mid-Victorian Asylum Photography’

Sektion 2

Lisabeth Hock ‘Nineteenth-Century German Psychiatry and the Gender of Melancholy’
Aude Fauvel ‘The Danger of Being Normal: Patients’ Writings, Literature and Medical Discourse in 19th Century France’
Geoffrey C. Howes ‘Without Qualities, Without Choice: The Representation of Madness in Robert Musil’s The Man without Qualities’

Sektion 3

Louise Hide 'Reading delusions: patient delusions as representations of social and cultural discourse, 1890-1914'
Lydia Marinelli und Andreas Mayer ‘The Psychoanalytic Couch’
Abendvortrag
Steven Beller Rethinking Freud’s Contribution to Viennese Modernism

Sektion 4

Leslie Topp und Sabine Wieber ‘The mental patient as farm worker and the rural idyll in Austrian psychiatry, ca 1890-1918'
Thomas Mueller The Wuerttemberg Asylum of Schussenried. A Psychiatric Space and its Encounter with (the) Literature and Culture ‘outside’.

Sektion 5

Allison Morehead ‘The Musée de la Folie and the History of Art Brut’
Eleanor Fraser Stansbie ‘Psychiatry, Patronage and the ‘Passions’: Richard Dadd’s Asylum Art’
Bettina Brand-Claussen und Thomas Roeske ‘Walking through the Air: How to Interpret Josef Forster’

Sektion 6

Jane Kromm ‘Trauma and the Therapeutic’
Gemma Blackshaw Pathological Portraits: Kokoschka’s Reception at the Hagenbund, Vienna 1911
Emma Bell ‘Eye-less Visions: Madness as Spectatorial Strategy in Modernist Avant-Garde Film’


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