Das Heimatbuch. Geschichte - Methodik - Wirkung

Das Heimatbuch. Geschichte - Methodik - Wirkung

Organisatoren
Mathias Beer; Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (Tübingen); Schwäbischer Heimatbund;Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.10.2007 - 27.10.2007
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Von
Andreas Müller, Tübingen

Heimatbücher gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Mit Tausenden von Veröffentlichungen stellen sie auf dem Gebiet der Lokalgeschichtsschreibung einen enormen Fundus dar. Ob in Form von Büchern zu Ortsjubiläen, als Vertriebenenheimatbücher, als Ergebnis engagierter Laiengeschichtsforschung oder in einer Mischform hatten und haben sie einen beachtlich großen Leserkreis. Sie fungieren als „Erinnerungsorte“, dienen der historischen Selbstvergewisserung und Selbstverortung und stiften Identität. Was liegt also näher, als bei einem solch alten, weit verbreiteten und vielgestaltigen Phänomen eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema „Heimatbuch“ oder eine verbindliche Definition des Begriffs zu erwarten? Dass jedoch ziemlich genau das Gegenteil der Fall ist, war der Anlass zur Tagung "Das Heimatbuch. Geschichte - Methodik - Wirkung", die vom 25. bis 27. Oktober in Tübingen stattfand. Veranstalter waren das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (Tübingen), der Schwäbische Heimatbund und die Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa.

Angesichts dieses Widerspruches stellte MATHIAS BEER (Tübingen), der Verantwortliche für die Konzeption und Organisation der Tagung, dann auch – nicht zur Entschuldigung, sondern zur Begründung des Tagungsthemas – fest, man habe "ein Thema für die Tagung gewählt, das es offensichtlich nicht gibt." In seinem Beitrag zu Beginn der ersten Sektion „Grundlagen und Kontext“ verwies Beer auf die Tatsache, dass der Begriff 'Heimatbuch' weder im Duden noch im Brockhaus noch in Fachwörterbüchern zu finden ist. Ebenso bringt auch die Recherche im Internet keine relevanten Ergebnisse. Ganz im Gegensatz dazu stehen jedoch die in den letzten 100 Jahren zu Tausenden erschienenen Veröffentlichungen, die sich als Heimatbuch verstehen und verstehen lassen. Trotz dieses "nicht wegzudenkenden Faktums" Heimatbuch ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bisher als äußerst dürftig einzuschätzen; eine Monographie zum Thema liegt noch nicht vor. Beer verband daher mit der Tagung die Hoffnung, mit der Forschung zum "Dickicht Heimatbuch" voranzukommen, vor allem die Trennung zwischen „Vertriebenenheimatbüchern“ und "anderen" Heimatbüchern aufzuheben und die Abgrenzung zwischen von Laien und von Wissenschaftlern verfassten Heimatbüchern als eine scheinbare zu entlarven. Bei der Beantwortung der zentralen Frage "Was ist ein Heimatbuch?" sollten vor allem die gemeinsamen historischen Wurzeln und Merkmale der Heimatbücher beachtet, sowie ein Zugang gewählt werden, der die Definition des Heimatbuches über seine Funktion anstrebt.

Wie vielfältig und verschieden die Zugänge zu Heimat und zum Heimatbuch sein können, hob CHRISTEL KÖHLE-HEZINGER (Jena) in ihrem eröffnenden Festvortrag "Passt Heimat in ein Buch?" hervor. Köhle-Hezinger wählte einen biographischen Zugriff auf das Buch als Heimat und auf die verschiedenen äußerlichen und inhaltlichen Ausformungen, in denen Heimatbücher vorliegen. Ob als zwei Kilogramm schweres Werk oder eher im Broschüreformat, bilden Heimatbücher jedoch immer auch eine "Brücke zwischen Lebenden und Toten". Hiermit hob Köhle-Hezinger den Aspekt der Zeit hervor. Dass dieser für die Gattung Heimatbuch konstitutiv ist, gehört – soviel sei vorweggenommen – zu den Haupterkenntnissen der Tagung.

Die Heimat als Gegenstand organisierter Interessenvertretung thematisierte WILLI OBERKROME (Freiburg) in seinem Beitrag zur Geschichte der Heimatschutzbewegung. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden, sah sich die Heimatschutzbewegung der Weimarer Republik vor allem als Abwehrer ‚undeutscher Tendenzen’ und revolutionärer Ideen. Die von den Heimatschützern erhoffte Aufnahme ihrer Ansichten und Konzepte ins Handeln der Nationalsozialisten erfüllte sich nach deren Machtübernahme jedoch nicht, wie Oberkrome anschaulich darstellte. Während den Heimatschützern ein den 'stammestümlichen Eigenschaften' gerecht werdendes Konzept vorschwebte, sahen sie sich mit gleichmachenden Betonbauten, Hochsprache statt Dialekt, Blues statt Harfengesang und an landschaftlichen Eigenheiten kaum interessierten 'Bier- und Bockwurst-Touristen' des KdF konfrontiert. Dass aus dieser konzeptionellen Inkongruenz von Volk und Heimat allerdings keine Opposition des Heimatschutzes zum Nationalsozialismus abgeleitet werden kann, betonte Oberkrome. Durch den Zweiten Weltkrieg erlebte der Heimatschutz nach 1945 regen Zulauf in Form eines neuen Regionalismus, unter anderem auch bei den Vertriebenen. Ab dem Ende der 1950er-Jahre, konstatierte Oberkrome, setzte eine kontinuierliche Abkehr von der Heimatorientierung ein.

Beinahe gleichzeitig zum Interesse an Heimat lässt sich auch das Entstehen und Aufleben des Heimatbuchs festmachen. In allen in der zweiten Sektion „Geschichte und regionale Ausprägungen“ behandelten Regionen setzte das Verfassen von Heimatbüchern in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein. Bei denjenigen Publikationen, die den Begriff "Heimatbuch" explizit in ihrem Titel tragen, stellte JUTTA FAEHNDRICH (Leipzig) für die Jahre der Weimarer Republik einen enormen Anstieg der Veröffentlichungen fest. Die Entstehung des Heimatbuchs setzte Faehndrich mit der von Wilhelm Harnisch konzipierten Heimatkunde in Verbindung, die sich zur gleichen Zeit reichsweit als Schulfach durchsetzte. Diese Heimatkunde sollte die Fragmentierung in der Moderne aufheben und einen ganzheitlichen Wissenszugang ermöglichen. Im Zuge dessen verstanden sich auch die Heimatbücher als allumfassend angelegte Gesamtschauen, die wissenschaftlich und anschaulich zugleich als Hausbuch angelegt waren. Als idealtypisch für ein Heimatbuch stellte Faehndrich seine Ortsbezogenheit heraus; es überwogen Orts- oder Kreismonographien, dagegen gab es kaum Großstadt-Heimatbücher. Die sowohl von Laien, Fachleuten und Autorenkollektiven verfassten Werke verstanden sich als "aus der Region, für die Region" Geschriebenes.

Eine "wahre Flut" von Heimatbüchern stellte auch JOSEF WOLF (Tübingen) für die donauschwäbischen Heimatbücher in den 1920er-Jahren fest. Wenn diesen Büchern auch ein explizites einheitliches Grundkonzept fehlte, setzten sie sich doch in der Regel aus den gleichen Hauptbestandteilen zusammen: Die Vorgeschichte der Ansiedlung deutscher Siedler, die Ansiedlung selbst und das Leben der Ahnen, wobei allerdings bei den Ungarndeutschen das volkstümliche Heimatbuch mit dem Schwerpunkt auf Sagen, Geschichten, Sitten und Bräuchen dominierte. Nach 1945 und dem durch Flucht und Vertreibung erlittenen Heimatverlust dienten donauschwäbische Heimatbücher vorrangig der Bewahrung des "Schatzes der heimatkundlichen Erinnerungen", der Bewahrung vor dem Vergessen. Die verlorene Heimat sollte als geistige Heimat fungieren, um in der neuen Heimat leichter „Wurzeln schlagen“ zu können. Das Moment der Erinnerungsbündelung betonte auch WOLFGANG KESSLER (Herne) hinsichtlich der Heimatbücher mit Bezug zum preußischen Nordosten. Die Leistung der Heimatbücher bestehe zudem in der Informationsbündelung, die als Ausgang für weitere Studien dienen könne. Heimatbücher schließen, so Kessler, die Lücke, die die Landesgeschichtsforschung aufgrund ihres größeren Fokus offen lässt.

Für die unterschiedlichen Entstehungsmotive und -bedingungen, unter denen Heimatbücher entstehen, können exemplarisch die beiden Tagungsbeiträge von ANDREAS SCHMAUDER (Ravensburg) und GEORG SCHMIDT (Grevenbroich) stehen. Sie thematisierten, als Erfahrungsberichte angelegt, das Schreiben von Heimatbüchern durch Wissenschaftler und durch Laien. Dabei stand nicht die Frage im Vordergrund, ob es "gute" und "schlechte" Heimatbücher gibt; vielmehr standen hier die unterschiedlichen Motivationen im Vordergrund, die den Ausgangspunkt für das Verfassen von Heimatbüchern bilden und die verschiedenen Arten und Ausprägungen von Heimatbüchern mitbegründen. Was KONRAD GÜNDISCH (Oldenburg) quasi synoptisch anhand dreier Heimatbücher der Gemeinde Heltau gezeigt hatte, wurde auch in diesen beiden Beispielen deutlich: Dass der Zugang zum Heimatbuch zwischen den Polen "wissenschaftlich" und "emotional" gelagert sein kann. Schmauder berichtete von seinen Erfahrungen bei der Herausgabe bzw. Koordination der Erstellung von 17 Heimatbüchern im deutschen Südwesten: Allesamt Auftragsarbeiten, die für Gemeinden zu besonderen Anlässen unter wissenschaftlichen Kriterien von Fachautorenkollektiven verfasst wurden. Die chronologisch angelegten, sozial- und wirtschaftsgeschichtlich aufbereiteten Bände streben einen hohen Quellenbezug an und sollen Spezifisches der Ortsgeschichte herausarbeiten und diese in die allgemeinen historischen Entwicklungen einbetten. Die biographische Ortsverbundenheit der Autoren ist in diesem Fall von Heimatbuch selten gegeben und auch nicht ausschlaggebend. Ganz im Gegensatz dazu bildet eben gerade die biographische Ortsverbundenheit das Motivationsfundament für den Typ Heimatbuch, den Schmidt vorstellte. Er berichtete aus seiner Arbeit an den Heimatbüchern der Gemeinden Semlak und Kleinjetscha (Geburts- bzw. Heiratsgemeinde) im rumänischen Banat, die er nach dem 2. Weltkrieg verlassen musste. Die auch über die langjährige Trennung vom Ort wirkende Verbundenheit zur Heimatgemeinde, „Achtung vor der Arbeit der Vorfahren und der Stolz auf die Landsleute“ seien der Antrieb für das Verfassen des Heimatbuchs gewesen. Das Heimatbuch dient hier auch zur Herkunftsrechtfertigung: „Wir haben eine Heimat, die nicht etwas [...] ist, wo niemand war“, es soll für die Lebenden und deren Nachkommen eine „Bereicherung emotionaler Art“ sein.

Den Blick auf die Publikation von Heimatbüchern in den neuen Medien, insbesondere dem Internet, richtete ELISABETH FENDL (Freiburg) in ihrem Beitrag. Die inzwischen große Zahl von Heimatbuch-Websites, meist von der Erlebnisgeneration betrieben, weist wie ihr gedrucktes Pendant eine große qualitative Bandbreite auf. Das Ziel, die Erinnerung bei den nachfolgenden Generationen wach zu halten, kann durch Websites im Vergleich zur Buchform günstiger erreicht werden. Allerdings halten die Sites oft an alten Identitätsstrukturen fest und übernehmen zuweilen Inhalte aus älteren gedruckten Heimatbüchern unhinterfragt; die Sites der 1990er-Jahre waren oft polemisch und unkritisch in Bezug auf den Nationalsozialismus. Websites stellen somit bisher eher eine neue Form, weniger einen neuen Zugang zum Heimatbuch dar. Potenzial sieht Fendl vor allem in der kommunikativen Struktur des Internets, das die Vernetzung unter Heimatbuch-Webmastern und unter ehemaligen Bewohner eines Ortes fördern kann.

Dass Heimatbücher, die von historischen Laien verfasst werden, nicht automatisch von historisch zweifelhaftem und problematischem Inhalt sein müssen, wurde – auch mit Blick auf die Arbeit von Schmidt – festgestellt. Ein auf Wissenschaftlichkeit und Allgemeinverständlichkeit fußendes Heimatbuch sei sowohl für die intendierte Zielgruppe als auch für die Wissenschaft von Nutzen, wie im Anschluss WOLFGANG SANNWALD (Tübingen) betonte. Qualitativ gut gemachte Heimatbücher (seien sie aus Experten- oder Laienhand) sind für die Heimatgeschichtsforschung wichtig, allein schon, weil sie die oftmals umfangreichen ortsgeschichtlichen Quellen erschließen. Ebendiese sind bisher vielfach wissenschaftlich noch nicht hinreichend erschlossen. Als weiteren wichtigen Anhaltspunkt, wie Wissenschaft und Heimatgeschichte voneinander profitieren können, nannte Sannwald die wissenschaftliche Grundlage. Mithilfe von Quellentreue und -belegen könne Glaubwürdigkeit hergestellt werden. Dies gelte auch für die von Nicht-Wissenschaftlern verfassten Heimatbücher. In dieser Form können Heimatbücher einen Beitrag zur Konstituierung von Heimat und zu räumlich konkreter Traditionspflege leisten.

Ob in gedruckter oder in digitaler Form – die Gattung Heimatbuch wirft unzweifelhaft Fragen auf, die teilweise schon vom Charakter des Heimatbuchs als Erinnerungsmedium herrühren und die vor allem in der dritten Sektion „Methodik und Funktion“ in den Fokus der Beiträge und Diskussionen rückten. Hier ist zunächst die in der Ortsgebundenheit des Heimatbuchs begründete Exklusivität zu nennen. Die allermeisten Heimatbücher richten ihren Fokus auf eine Gemeinschaft, zum Beispiel auf die alteingesessenen Bewohner oder die deutschen Bewohner eines Ortes. Mitwohnende, Parallelgemeinschaften oder Minderheiten werden selten thematisiert. Heimat kann weitere Kreise haben, so etwa die bis ins Globale reichenden sieben Heimatkreise Theodor Bäuerles (1882-1956), die GUSTAV SCHÖCK (Stuttgart) ansprach, und muss nicht an der Gemeindemarkung oder einer anderen Sprache enden. Eben diese Tendenz zur räumlichen und zeitlichen Horizontverengung gehört zu den spannendsten Aspekten des Heimatbuchs, da sie sowohl als defizitär wie auch als konstitutiv verstanden werden kann. Ein weiteres Merkmal des Heimatbuchs, und zwar unabhängig von seiner zeitlichen und regionalen Ausprägung, stellen seine „weißen Flecken“ dar. Verschwiegen oder tendenziös behandelt werden in Heimatbüchern Personen, Themen und Zeitabschnitte, wobei dies besonders hervorsticht, wenn das Beschwiegene ansonsten eine hohe gesellschaftliche Relevanz hat; hier wiederum ist der Nationalsozialismus hervorzuheben. Schöck verdeutlichte dies an Beispielen süddeutscher Heimatbücher, wie etwa dem von Pfullingen, das 1937 als durch und durch NS-lastiges Werk erschien und in dem 20 Jahre später bei einer Neuauflage durch den selben Autor die historisch ‚schwierigen’ Kapitel schlicht weggelassen wurden. WINFRIED SETZLER (Tübingen) verdeutlichte in seinem Beitrag, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Heimatbüchern bis zum Ende der 1970er-Jahre hinein so gut wie nicht stattfand. Behandelt wurden die militärischen Aspekte des Krieges, Gefallene aus der Gemeinde oder die Besatzungszeit. Erst ab den 1980er-Jahren thematisierten Heimatbücher zunehmend die lokale Geschichte des Nationalsozialismus, so dass ab den 1990er-Jahren in den meisten Fällen eine umfangreiche und kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gegeben war. Blindheiten in Bezug auf den Nationalsozialismus sind jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der Heimatbücher. Die nur zögerlich und reichlich spät einsetzende Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus teilen die Heimatbücher mit der Gesellschaft, mit Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt mit der historischen Forschung der Bundesrepublik selbst. Generell kann festgestellt werden, dass die Auseinandersetzung mit schwierigen historischen Themen in Heimatbüchern stets zeitversetzt zur historischen Forschung erfolgt. In ihren historischen Teilblindheiten und Kurzsichtigkeiten unterscheiden sich die von Setzler untersuchten süddeutschen Heimatbücher und die von Vertriebenen prinzipiell nicht, wie auch aus den Vorträgen von ULRIKE FREDE (Münster) und RENATE und GEORG WEBER (Münster) deutlich wurde. Bei den „Vertriebenenheimatbüchern“ erweist sich oft die Vorkriegszeit des Dritten Reiches und die Vertreibungszeit als problematisch. Viele der Darstellungen basieren hier auf Oral-History und der eigenen Erinnerung der Autoren, was vor allem Konflikte zwischen subjektiver Wahrheit und objektivem Geschehen mit sich bringt. Allerdings zeichnet sich auch hier seit den späten 1980er-Jahren im Zusammenhang mit den Grenzöffnungen in Ostmitteleuropa und mit der zeitlich größer werdenden Distanz zum Geschehenen eine größere methodische Distanz in der Darstellung ab.

Kommt man auf die eingangs der Tagung gestellte Frage, was ein Heimatbuch sei, zurück, besteht das Verdienst der Tagung vor allem darin, die Tragfähigkeit des Begriffs ‚Heimatbuch’ in einer großen Breite ausgelotet zu haben. Unzweifelhaft ist, dass es nicht ‚das’ Heimatbuch gibt, sondern dass hinter dieser Bezeichnung viele verschiedene Arten von Heimatbüchern stehen können, wie dies auch FRIEDEMANN SCHMOLL (Augsburg) in seinem Resümee zur Tagung feststellte. Dies ist unter anderem darin begründet, so Schmoll, dass Geschichte und Erinnerung unterschiedlichen Logiken folgen. Die unterschiedlichen Motivationen, Methoden und Ziele der Verfasser von Heimatbüchern bringen eine Vielzahl auch qualitativ unterschiedlicher Publikationen hervor. Das von Historikern zum 1000-jährigen Gemeindejubiläum verfasste Auftragswerk wird daher fast immer einen anderen Charakter haben als das vom Laien im Ruhestand verfasste Heimatbuch einer deutschen Siedlung im Banat – um bewusst zwei Extrembeispiele zu nennen.

Die Tagung machte jedoch auch deutlich, dass allen Heimatbüchern zumindest drei Merkmale gemeinsam sind: Erstens richten sie sich an eine meist klar erkennbare Gemeinschaft und haben zum Ziel, deren Geschichte erinnerungsfördernd darzustellen. Sie sollen Identität stiften, sollen die Geschichte der Heimat zu einem Bestandteil der eigenen Identität werden lassen und eine Stabilisierungsfunktion (Frede) übernehmen. Das Versprechen, den „Kosmos“ heimatgeschichtlicher Ereignisse und Eigenschaften vollständig darzustellen, lösen sie dabei allerdings nicht ein, wie Schmoll betonte. Dies hängt auch mit der zweiten Gemeinsamkeit zusammen: Heimatbücher folgen „Logiken des Sagens, aber auch des Nichtsagens“ (Schmoll), sie neigen zur Absolutsetzung des Eigenen und zum Übersehen der Anderen. Drittens ist bei aller Diversität "der Verlust das Verbindende" (Beer) der Heimatbücher, genauer gesagt: der Verlust der Zeit. Es ist daher kein Zufall, dass die Produktion von Heimatbüchern in der von gesellschaftlichen, sozialen und daraus folgend lebensweltlichen Umbrüchen geprägten Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts einsetzte. Heimat wurde zum festen Bezugspunkt in einem sich wandelnden Umfeld, zu einem (häufig idealisierten und stereotypisierten) Versöhner des Widersprüchlichen. Das Heimatbuch sollte dem Rückblick in eine zunehmend verloren geglaubte Zeit und ihre Besonderheiten dienen und den Zurückblickenden und seine Lebenszeit mit der der Vorfahren in Verbindung setzen. Der Verlust der Zeit als Motivation zum Verfassen trifft sowohl auf die Heimatbücher der Vorkriegszeit als auch auf die der Vertriebenen zu, sowie auf die Heimatbücher, die von Gemeinden zum Beispiel aus Anlass eines Gründungsjubiläums in Arbeit gegeben werden. Bei den Heimatbüchern der Vertriebenen kommt eine weitere Motivation hinzu: der Verlust des Ortes. Diese Heimatbücher werden verfasst über Orte, an denen man nicht mehr ist; das Buch wird gleichsam zum Denkmal: "Wenn eine Gemeinschaft von Menschen [...] aufhört, verdient sie auch eine Inschrift", so das Vorwort zu einem Heimatbuch der Gemeinde Heltau im rumänischen Siebenbürgen. Heimatbücher sind somit immer auch Produkte ihrer Zeit und Erfahrungsausdruck der erlebenden Generation.

Weil es gelungen ist, bei der Tagung fast alle mit Heimatbüchern befassten Wissenschaftler zu versammeln, war es möglich, sowohl diese Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, als auch deren Grenzen näher zu bestimmen. Zur weiteren Erforschung der Gattung Heimatbuch und seines wissenschaftlichen Potenzials dürfte sowohl die Tagung als auch der angekündigte Sammelband beitragen.

Konferenzübersicht:

Das Heimatbuch. Geschichte – Methodik – Wirkung

I. Grundlagen und Kontext

Das Heimatbuch. Begriffsgeschichte, Themenaufriss, Leitfragen: Dr. Mathias Beer, Tübingen
Das Heimatbuch. Passt Heimat in ein Buch?: Prof. Dr. Christel Köhle-Hezinger, Jena

Der Heimatbund im Kontext der Heimatbewegung: PD Dr. Willi Oberkrome, Freiburg

II. Geschichte und regionale Ausprägungen

Entstehung und Aufstieg des Heimatbuches: Jutta Faehndrich M.A., Leipzig

Donauschwäbische Heimatbücher. Entwicklungsphasen und Ausprägungen: Josef Wolf M.A., Tübingen

Der preußische Nordosten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Erlebte und erinnerte Geschichte: Dr. Wolfgang Kessler, Herne

Der deutsche Südwesten. Zwei Modelle ortsgeschichtlicher Forschung: Dr. Andreas Schmauder, Ravensburg

Eine Gemeinde, drei Perspektiven. Lokalpatriotische, nationale und wissenschaftliche Zugänge zu Ortsmonographien: Prof. onor. Dr. Konrad Gündisch, Oldenburg

Das neue Heimatbuch. Neue Medien, neue Perspektiven: Dr. Elisabeth Fendl, Freiburg

Warum schreibt man ein Heimatbuch? Ein Erfahrungsbericht: Georg Schmidt, Grevenbroich

III. Methodik und Funktion

Heimatbuch und Wissenschaft. Irrwege und Anhaltspunkte: Dr. Wolfgang Sannwald, Tübingen

Weiße Flecken. Heimatbücher und die jüngere Zeitgeschichte: Prof. Dr. Wilfried Setzler, Tübingen

„Unsere Heimat war deutsch!“ Überlegungen zum Umgang mit Geschichte und Geschichts-bildern in ostdeutschen Heimatbüchern: Dr. Ulrike Frede, Münster

Zwischen ‚vaterländisch’ und ‚identitätsstiftend’. Perspektivenwechsel bei den Heimatbüchern in Südwestdeutschland: Dr. Gustav Schöck, Stuttgart

Das Heimatbuch. Erfahrungen und kritische Reflexionen: Prof. Dr. Georg Weber, Münster

Resümee und Perspektiven
PD Dr. Friedemann Schmoll, Augsburg