Geschichtsbilder und ihre Visualisierung in Vergangenheit und Gegenwart. Die museale Darstellung der Geschichte der Deutschen in den polnischen Gebieten

Geschichtsbilder und ihre Visualisierung in Vergangenheit und Gegenwart. Die museale Darstellung der Geschichte der Deutschen in den polnischen Gebieten

Organisatoren
Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e.V.
Ort
Herne
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2007 - 23.09.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Markus Krzoska, Mainz

Die wissenschaftliche Tagung der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e.V. vom 21.-23.9. in der Martin-Opitz-Bibliothek Herne befasste sich vor dem Hintergrund der musealen Darstellung der Geschichte der Deutschen in den polnischen Gebieten mit Geschichtsbildern und ihren Visualisierungen in Vergangenheit und Gegenwart.

Das Weiterwirken und die Renaissance tradierter Überlieferungen im Polen des Jahres 2007 beschrieb in ihrem Einführungsvortrag ANNA WOLFF-POWĘSKA (Poznań) in Bezug auf das Deutschen- und Deutschlandbild seit dem politischen Wechsel des Jahres 2005. Sie skizzierte die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, an die man sich erst gewöhnen müsse, und wies auf die vielen neuen Entwicklungen hin. Dabei kritisierte sie die moralisch-zivilisatorische Mission der Regierung Kaczyński, die alte Vorurteile wiederzubeleben versuche, äußerte aber zugleich die Erwartung, dass sich die breite Bevölkerung angesichts der Erfolge der EU-Mitgliedschaft ihr Bild von den anderen nicht mehr von oben aufzwingen lasse.

STEFAN DYROFF (Bern) erläuterte anschließend das Konzept und die Hintergründe der Tagung anhand seiner einführenden Überlegungen über das Deutschlandbild in polnischen Museen. Er verwies auf die Tradition nationaler Sichtweisen auch in der Kunstgeschichte seit dem 19. Jahrhundert und dem Bedürfnis nach eindeutigen Zuschreibungen, was es mitunter bis heute schwer mache, Nuancen und Varianten zu präsentieren. Mitunter seien aber gerade in den regionalen Museen die nationalen Prämissen überwunden worden. Dies habe insbesondere für Sonderausstellungen gegolten. Als Beispiel nannte er eine Ausstellung mit Bildern des deutschen Malers Walter Leistikow im polnischen Bromberg, die im Jahre 1928 recht problemlos zustande kam, obwohl zur gleichen Zeit grundsätzliche Besitzstreitigkeiten um Kunstobjekte zwischen deutschen und polnischen Bewohnern der Stadt existierten. Gerade die Mehrung „lokalen Ruhmes“ durch überregional bekannte Akteure habe aber mitunter Kompromisse möglich gemacht. In den Jahren nach 1989 habe es zwar einige wichtige deutsch-polnische Gemeinschaftsprojekte bei Ausstellungen gegeben, in den Dauerausstellungen vieler polnischer Museen dominiere aber weiterhin ein polonozentrisches, die historischen Ereignisse vereinfachendes Bild. Dyroff führte dies näher anhand des Historischen Museums der Stadt Warschau auf, wo die Deutschen nur als Besatzer in den Jahren 1793, 1914 und 1939 auftauchen.

Im Anschluss daran betrachtete KRYSTYNA RADZISZEWSKA (Łódź) die Museumslandschaft ihrer Heimatstadt. Sie konnte dabei die große Vielfalt zeigen, die in den Inhalten und Präsentationen bestehen, wobei die erhaltenen historischen Gebäude, insbesondere die ehemaligen Paläste der Großindustriellen, eine wichtige Rolle spielen. Anders als noch vor wenigen Jahren sei nun die Entwicklung einer regionalen Identität in vollem Gange, es dauere aber wohl noch etwas, bis die Verantwortlichen der Stadt das touristische Potenzial erkennen würden, so dass heute Objektbeschriftungen außer auf Polnisch nur vereinzelt auf Englisch und Hebräisch zu finden seien.

TADEUSZ ŻUCHOWSKI (Poznań) befasste sich mit der Posener Museumsgeschichte im Spannungsfeld der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte und dabei insbesondere mit dem 1904 eröffneten Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Nationalmuseum. Es war Teil eines neuen preußischen Museumskonzeptes, das ein Nachzeichnen der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit zum Ziel hatte und zugleich eine symbolische Verlängerung der kaiserlichen Macht darstellte. Ähnliche Museen waren in Berlin, Magdeburg und Görlitz entstanden. Den Grundstock in Posen bildete die Berliner Sammlung Atanazy Raczyńskis. Die Konzeption ging auf die Reformära Caprivis in den 1890er Jahren zurück. Eine klare Frontstellung zur polnischen Teilgesellschaft gab es somit nicht. Auch die bis 1914 hohen Besucherzahlen sprächen gegen eine klare nationale Trennung, wenngleich spätestens seit 1907 die antipolnischen Tendenzen deutlich zunahmen. Nach 1919 wurde das alte Konzept als Feindbild übernommen; der neue Direktor Marian Gumowski ersetzte die preußischen Objekte durch „große polnische Kunst“, ohne deren Inhalt genauer zu definieren und die Sammlungen weiterzuentwickeln.

HANS-JÜRGEN BÖMELBURG (Gießen) widmete sich der Bewertung der Sachsenzeit in deutschen und polnischen Ausstellungen. Vor 1918 wurde die Epoche praktisch nur in Sachsen rezipiert, von der freilich bemerkenswerten Ausnahme einer Präsentation im Schloss Wilanów im frühen 19. Jahrhundert abgesehen. Das polnisch-litauische Element spielte in den Präsentationen der Zwischenkriegszeit und der großen Dresdner Ausstellung zu August dem Starken von 1933 praktisch keine Rolle. In der NS-Zeit wurde dann die „deutsche kulturelle Leistung“ hervorgehoben, im Grunde genommen auch in dem deutsch-polnischen Film „August der Starke“ von 1936, der als „Propagandawerk“ dann in Polen nicht gezeigt wurde. Diese Einordnung hatte zur Folge, dass nach 1945 die negativen Konnotationen der Epoche verstärkt hervorgehoben wurden und auch ein Wiederaufbau der von den Deutschen zerstörten „sächsischen“ Baudenkmäler Warschaus nicht erfolgte. Erst in der Kooperation Polens mit der DDR wurden nach 1960 drei große Ausstellungen gezeigt, die bestimmte Aspekte der Sachsenzeit thematisierten. Ende der 1970er Jahre brach diese Zusammenarbeit jedoch wieder ab. Die große Doppelausstellung zur Polnisch-Sächsischen Union in Warschau und Dresden 1997/1998 als offizielles Staatsprojekt kanonisierte zwar gewissermaßen das Thema, klammerte aber z.B. die Frage nach den Trägerschichten oder dem Funktionieren der Union aus.

LARS JOCKHECK (Hamburg) untersuchte die deutschen Ausstellungen im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs. Er unterschied dabei zwei Typen: die Hygiene- und aktuellen Ausstellungen sowie die Kunst- und kulturhistorischen Ausstellungen. Erstere dienten der Propaganda für die einheimische Bevölkerung. Unter Einsatz moderner Ausstellungstechniken hatten sie inhaltliche und weltanschauliche Teile. Seuchenbekämpfung erschien dabei etwa in der großen Fleckfieberausstellung als Vorläuferin der Judenvernichtung, die auch in der Schau „Die jüdische Weltpest“ von 1943 zumindest implizit erwähnt wurde. Der zweite Typus betraf das Kernstück des rassenideologischen Programms, nur zwei dieser Ausstellungen waren Polen überhaupt zugänglich. Sie rühmten in Fortsetzung von Ausstellungskonzepten der 1920er Jahre die „deutsche Leistung im Weichselraum“ (1940) oder das „deutsche Volkstum im Generalgouvernement“ (August 1944, als die Evakuierung der Deutschen aus Krakau bereits begonnen hatte). Diese Ausstellungen dienten vor allem der Identitätsstiftung und Traditionsbildung bei gleichzeitiger Zerstörung abweichender Geschichtsbilder.

SABINE AREND (Berlin) beschäftigte sich mit der Präsentation der sogenannten „deutschen Kunst“ in den besetzten Gebieten Polens. Schon in den 1930er Jahren war das Paradigma der „deutschen Kunst im deutschen Volksraum“ von Wilhelm Pinder weiterentwickelt worden und hatte sich in der Kunstgeschichte durchgesetzt. Das Nationale als unveränderliche Substanz bedingte eine vollkommene Kontinuität zwischen Mittelalter und Moderne. Zur Steigerung des Selbstwertgefühls u.a. vor dem Hintergrund des deutsch-französischen Konflikts um Originalität und Nachahmung grenzte man sich entschieden von allem ab, was irgendwie „östlich“ erschien. Als Beispiel präsentierte Arend die große Veit Stoß-Ausstellung, die 1941 in Krakau eröffnet wurde und die im Kern auf eine Ausstellung der „Publikationsstelle Dahlem“ in Breslau 1938 zurückging. Den insgesamt etwa 5.000 ausschließlich deutschen Besuchern sollte Stoß als „von bewusst deutscher Gesinnung und Mission“ präsentiert werden. Mit Hilfe einer spezifischen Erstellung und Auswahl an Karten wurde der deutsche Kulturraum massiv nach Osten ausgeweitet. Vor diesem Hintergrund erschien Stoß dann als Pionier einer aktuellen Aufgabe, der Rückgewinnung jenes angeblich verloren gegangenen „Lebensraums“. Einmal mehr habe die Wissenschaft hier die Grundlagen für die konkrete Besatzungspolitik gelegt.

ANDREAS MIX (Berlin) untersuchte das Deutschlandbild in Museen und Erinnerungsstätten auf dem Gelände ehemaliger Konzentrations- und Arbeitslager in Polen am Beispiel von Majdanek und Auschwitz. Unmittelbar nach 1945 wurden die Lager zunächst teilweise weiter genutzt, einige Spuren gesichert, andere aber zerstört. 1947 wurden die Gedenkstätten verstaatlicht, die ersten Ausstellungen wurden von ehemaligen Häftlingen entwickelt. Relativ früh legte man sich auf Opferzahlen fest, die Ausstellungstexte zeigten eine stark propagandistische Färbung. Erst in den 1960er Jahren entwickelte sich das heutige Gedenkstättenkonzept. Das marxistisch-leninistische Geschichtsbild erforderte aber eine Akzentuierung der negativen Rolle des westdeutschen Staates. Im Bereich der nationalen Ausstellungen in Auschwitz wurde seit 1961 von der DDR der antifaschistische Widerstand und seit 1978 von der Republik Österreich, deren Rolle als „erstes Opfer des Faschismus“ dargestellt. Nach dem politischen Umbruch von 1989 setzten gewisse Akzentverschiebungen ein, die die Bedeutung Birkenaus stärker betonten. Die nationalkommunistische Darstellung verschwand, allerdings wurde in Auschwitz im Unterschied zu Majdanek, wo man 1996 ein neues, heute jedoch bereits veraltet wirkendes didaktisches Konzept umsetzte, keine neue Dauerausstellung installiert. Zudem bleibe es ein Desiderat, die Rolle der Deutschen als Täter, Opfer und Profiteure stärker herauszustellen.

WOLFGANG KESSLER (Herne) lieferte einen umfassenden Überblick über die Sammlungen zur Geschichte der Deutschen aus den polnischen Gebieten in Deutschland, die er nach den verschiedenen Überlieferungssträngen in Archive, Bibliotheken und Heimatsammlungen unterteilte. Dabei verwies er unter anderem auf die schwierige deutsche Quellenlage zu Mittelpolen. Hier setzte wie in anderen Regionen auch das Interesse an den Auslandsdeutschen erst nach der Russischen Revolution von 1905 ein. Auch ältere regionale Literatur ist in Deutschland heute nur schwer nachweisbar, denn erst seit etwa 1890 gab es einen Tauschverkehr der regionalen historischen Gesellschaften untereinander. Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen bedeuteten eine weitere Reduzierung der Bestände, manche zentralen Sammlungen wie die Preußische Staatsbibliothek waren zeitweise unzugänglich. Die Vielzahl der heute meist ehrenamtlich betreuten Heimatsammlungen stehe nun vor einem Umstrukturierungsprozess, der eine Folge des sich vollziehenden Generationswechsels verbunden mit dem Aussterben der Zeitzeugen darstelle. Kessler nannte die wichtige Rolle, die seine, die Martin-Opitz-Bibliothek, in diesem Zusammenhang spiele.

Zum Abschluss skizzierte SUSANNE PETERS-SCHILDGEN (Ratingen-Hösel) die Arbeit des Oberschlesischen Landesmuseums und dessen internationale Kontakte. Das Präsentationskonzept gehe von der persönlichen subjektiven Erinnerung des Einzelnen aus und ende in einer Gesamtdarstellung. Eine kritische Überarbeitung und Ergänzung der Dauerausstellung gerade in Bezug auf die Jahre nach 1945 sei allerdings in Kürze erforderlich. Seit 1989 habe man aber immerhin über 50 Wechselausstellungen, oft in Kooperation mit polnischen und tschechischen Partnern gezeigt. Gerade die Zusammenarbeit mit dem Land Nordrhein-Westfalen entwickle sich in den letzten Jahren sehr erfolgversprechend.

Die Abschlussdiskussion konzentrierte sich sehr stark auf Fragen der zukünftigen Erforschung und Präsentation der altostdeutschen Geschichte in der Bundesrepublik. Während Wolfgang Kessler dafür plädierte, schriftliche Überlieferung an möglichst vielen Stellen zu gewährleisten, wogegen es schwierig sei, Sachgut und regionale Überlieferung in Überblicksmuseen zu zeigen, stellte MARKUS KRZOSKA (Mainz) die Frage, ob man die jeweiligen Themen nicht am Geeignetsten vor Ort in Polen, und nicht in Deutschland präsentieren solle, da man auf diese Weise auch die weitere Herausbildung regionalen Bewusstseins unter Einschluss der deutschen Vergangenheit fördern würde.

Konferenzübersicht:

Anna Wolff-Poweska (Posen/Poznań): Das Deutschland- und Deutschenbild der Polen in den letzten Jahren

Stefan Dyroff (Bern): Das Deutschlandbild in polnischen Museen. Einführende Überlegungen.

Diskussion

Krystyna Radziszewska (Lodz/Łódź): Die Darstellung des deutschen Anteils an der Stadtgeschichte in den Museen der Stadt Łódź

Tadeusz Żuchowski (Posen/Poznań): Die Posener Museumsgeschichte im Spannungsfeld der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte

Hans-Jürgen Bömelburg (Gießen): Die Darstellung der Zeit der Sächsisch-Polnischen Union unter besonderer Berücksichtigung der Ausstellungen „Unter einer Krone“ aus dem Jahre 1997

Lars Jockheck (Hamburg): Deutsche Ausstellungen im besetzten Polen 1939-1945

Sabine Arend (Berlin): Deutsche Meister im Osten Kunst und Künstler als Zeugen (1939-1945)

Andreas Mix (Berlin): Das Deutschlandbild in Museen und Erinnerungsstätten auf dem Gelände ehemaliger Konzentrations- und Arbeitslager in Polen am Beispiel von Majdanek und Auschwitz

Wolfgang Kessler (Herne): Überblick über die Sammlungen zur Geschichte der Deutschen aus den polnischen Gebieten in Deutschland

Susanne Peters Schildgen (Ratingen-Hösel): Die museale Darstellung der Geschichte Schlesiens in der Bundesrepublik Deutschland


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