Christlicher Norden – Muslimischer Süden. Die Iberische Halbinsel im Kontext kultureller, religiöser und politischer Veränderungen zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert

Christlicher Norden – Muslimischer Süden. Die Iberische Halbinsel im Kontext kultureller, religiöser und politischer Veränderungen zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert

Organisatoren
Hugo von Sankt Viktor-Institut der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen; J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main; Universitat Autònoma de Barcelona
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.06.2007 - 23.06.2007
Von
Alexander Fidora, Universitat Autònoma de Barcelona; Matthias M. Tischler, Hugo von Sankt Viktor - Institut, Frankfurt/M.

Das iberische Mittelalter hat in den letzten Jahren zusehends an Beachtung gewonnen, wie zahlreiche Einzelstudien in den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen dokumentieren.

Der Kontakt der Religionen und die kulturellen, sozialen und politischen Integrations- und Desintegrationprozesse auf der Iberischen Halbinsel sind, so scheint es, in ihrer zentralen Rolle für die Formierung einer europäischen Identität neu entdeckt worden. Gleichwohl stößt die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Phänomene immer wieder und deutlich spürbar an ihre disziplinären und nationalen Grenzen.

Vor diesem Hintergrund veranstalteten das Hugo von Sankt Viktor-Institut der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, die J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main und die Universitat Autònoma de Barcelona vom 20.-23. Juni 2007 eine Internationale Tagung, deren Ziel es war, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen, um ein fachübergreifendes und möglichst umfassendes Bild der religiösen, kulturellen und politischen Veränderungsprozesse im iberischen Mittelalter zu zeichnen.

Neunundzwanzig renommierte Judaisten, Latinisten, Arabisten, Romanisten, Geschichtswissenschaftler, Kunsthistoriker sowie Philosophie- und Theologiehistoriker aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Israel, Kanada und den USA reflektierten in ihren Vorträgen die unter dem Titel „Christlicher Norden – Muslimischer Süden“ bewusst provokativ zugespitzte Thematik der Konferenz. Einige zentrale Kategorien, die sich über die Disziplingrenzen hinweg in den Vorträgen und Diskussionen durchhielten, zeichneten sich dabei als systematisch besonders fruchtbare Deutungsmuster ab:

Als erste Kategorie ergab sich die Mobilität von Texten und künstlerischen Ausdrucksformen, die sich über kulturelle und religiöse Schranken hinweg ihren Weg bahnen. Dieses Phänomen, das in direktem Zusammenhang mit der Permeabilität von Sprach- und Glaubenswelten zu verstehen ist, stand im Mittelpunkt der Ausführungen von ALMUDENA BLASCO (Barcelona), CHARLES BURNETT (London), ÓSCAR DE LA CRUZ (Barcelona), HANS DAIBER (Frankfurt), ALEXANDER FIDORA (Barcelona/Frankfurt), CHAIM HAMES (Beersheba), JOSÉ MARTÍNEZ GÁZQUEZ (Barcelona), CHRISTIANE KOTHE (Köln), RAFAEL RAMÓN GUERRERO (Madrid), MATTHIAS M. TISCHLER (Frankfurt) und JOHN TOLAN (Nantes), die mit ihren Beiträgen zeigten, wie sich auf der Iberischen Halbinsel ein komplexes Netz von Übersetzungen, Transmissionen und Appropriationen in verschiedenen Richtungen und Medien ausbreitet: textuell vom Arabischen ins Lateinische und Hebräische, aber auch vom Lateinischen ins Arabische und Hebräische; sowie künstlerisch in der Vermittlung spätantiker Elemente durch die Ummayaden an die iberisch-okzitanische Kunst und architektonisch im Bereich der arabisch inspirierten königlichen und kirchlichen Bauplastik in Spanien.

Als weitere Kategorie, die gleichfalls die Permeabilität der kulturellen und religiösen Kontexte verdeutlicht, erwies sich die Liminalität und Fragilität der Akteure. So befassten sich die Beiträge von ANNA AKASOY (London), WOLFRAM DREWS (Bonn), MARIBEL FIERRO (Madrid), FREDEREK MUSALL (Heidelberg), ÁNGEL SÁENZ-BADILLOS (Cambridge/Mass.) und YOSSEF SCHWARTZ (Tel Aviv) mit dem Phänomen der kulturellen Grenzgängerschaft zwischen Judentum, Christentum und Islam und der damit eng verknüpften Frage nach der Rolle und dem Status der Konvertiten. Dabei arbeiteten die Vorträge heraus, wie gerade in der Figur der kulturellen Grenzgänger, insbesondere der Juden in ihrer als solcher bereits liminalen Exilsituation, die strikte Nord-Süd-Opposition porös wird und sich statt dessen ein dynamischeres Bild der Austauschprozesse zwischen den Religionen und Kulturen auf der Iberischen Halbinsel abzeichnet. Im Zentrum stand hier neben Petrus Alfonsi und seiner Apologie als literarischer Eigenkonstruktion v.a. die Situation der Juden im 11. und 12. Jahrhundert, zumal ihre Ausweisung bzw. Zwangskonversion unter den Almohaden. Zugleich wurde in diesen Beiträgen deutlich, dass die iberische Nord-Süd-Perspektive um eine gesamtmittelmeerische Ost-West-Achse zu erweitern ist, die dem jüdischen Exilbewusstsein Rechnung trägt.

Als Kontrapunkt zu den beiden genannten Deutungsmustern ließ sich ferner die Kategorie identitätsstiftender Stabilität ausmachen, die vor allem im Bereich des institutionellen Handelns und des kodifizierten historischen und juridischen Wissens eine große Rolle zu spielen scheint. So ergaben die Vorträge von PATRICK HENRIET (Bordeaux), PHILIPPE JOSSERAND (Nantes), MATTHIAS MASER (Erlangen), CARLOS REGLERO DE LA FUENTE (Valladolid) und LUDWIG VONES (Köln), dass die Chronistik sowie das kanonische Recht von einer schroffen geographischen und religiösen Zweiteilung Spaniens in eine islamische und eine christliche Sphäre ausgehen. Diese Beschreibung setzt sich in einen deutlichen Widerspruch zu der beobachtbaren religiösen und kulturellen Durchlässigkeit und muss als Ausdruck einer interessegeleiteten Wahrnehmung interpretiert werden, der es um die Stabilisierung und klare Abgrenzung der z.T. (zer)fließenden kulturellen und religiösen Verhältnisse zu tun ist. Diese inszenierte Eigenwahrnehmung, die sich später in Begriffen wie „Reconquista“ und „Heiliger Krieg“, von denen Nikolas Jaspert (Bochum) sprach, verfestigen sollte, ist freilich selbst ein Teil des Phänomens, das sich hier in einer Vielschichtigkeit manifestiert, die die Simultaneität von Integration und Desintegration erklärt.

Weitere Beiträge beschäftigten sich kritisch mit den missionstheoretischen Reflexionen der Zeit, die in den Vorträgen von ROGER FRIEDLEIN (Berlin), JESÚS SANTIAGO MADRIGAL TERRAZAS (Madrid), ROBIN J. E. VOSE (Fredericton) und HENRIK WELS (Berlin/Würzburg) aus literaturwissenschaftlicher, philosophisch-theologischer und ordensgeschichtlicher Perspektive untersucht wurden, wobei mit Ramon Llull und Johannes von Segovia zwei auch für die gegenwärtige Diskussion systematisch ergiebige Denker besonders gewürdigt wurden. Damit wurden neben den zentralen Aspekten der Mobilität von Texten und künstlerischen Ausdrucksformen, der Liminalität und Fragilität der Akteure und der identitätsstiftenden Stabilisierung auch wichtige Fragen im Hinblick auf das interkulturelle und -religiöse Dialogkonzept und seine Tradition aufgeworfen.

Die Konferenz wurde umrahmt von einem einleitenden Vortrag zur Gesamtthematik von KLAUS HERBERS (Erlangen) sowie von einem Ausblick auf die politische Entwicklung Spaniens im gesamteuropäischen Kontext der Frühen Neuzeit von MARIANO DELGADO (Fribourg). Im Zusammenhang mit der Tagung wurde schließlich auch ein musikalischer Leckerbissen offeriert. Im Beisein des Spanischen Generalkonsuls Rafael Linage de León und des Kulturdezernenten der Stadt Frankfurt am Main Felix Semmelroth bot die Gruppe Trío Sefarad (El Escorial) vor über 150 Zuhörern mittelalterliche sephardische Musik dar und erinnerte damit eindringlich an den Sitz im Leben der Thematik dieser Konferenz.

Die Akten der Tagung werden von den Veranstaltern, Matthias M. Tischler und Alexander Fidora, in der Reihe „Erudiri Sapientia“ des Hugo von Sankt Viktor-Institutes herausgegeben werden (Erscheinungsdatum voraussichtlich Ende 2008).

Weitere Informationen zum Stand der Veröffentlichung sowie eine detaillierte Übersicht zu den Inhalten der einzelnen Vorträge finden sich auf der Homepage der Tagung:

http://www.sankt-georgen.de/hugo/spanien_tagung2007_tagungsbericht.htm
Redaktion
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