Das Unternehmen und sein Ort

Das Unternehmen und sein Ort

Organisatoren
Arbeitskreis Kleine und Mittlere Unternehmen der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Kreuzwertheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.09.2007 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Jörg Lesczenski, Frankfurt am Main

In seiner 4. Sitzung ging der Arbeitskreis Kleine und Mittlere Unternehmen den Zusammenhängen zwischen dem „Unternehmen und seinem Ort“ nach – eine Wechselbeziehung, die mit dem raschen Wandel der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder mehr denn je in den Focus von Wissenschaft und Publizistik gerückt ist. In wirtschaftshistorischer Perspektive ist der Zusammenhang kaum zu bestreiten, hing der Erfolg eines Unternehmens doch immer auch von dem Arbeitskräftepotenzial vor Ort, der lokalen Infrastruktur etc. ab. Eine Auflösung dieses Wechselspiels im Zeitalter der Globalisierung und „ortlose Unternehmen“ als Charakteristikum der Weltgesellschaft zu prophezeien, scheint indes zu voreilig. Einiges spricht dafür, dass gerade unter den Bedingungen beschleunigten weltwirtschaftlichen Wandels die Pflege der lokalen Identität ein Element der Unternehmensstrategien bleiben wird und sich der Zusammenhang von Unternehmen und Ort in Zukunft gewissermaßen als „Glokalisierung“ umschreiben lässt.

In seinem Beitrag „Extra Muros –der Standort vor den Mauern“ beleuchtete MATTHIAS J. BAUER grundherrschaftliche Probleme der Standortsuche städtischer Ziegeleien vom 14. Jahrhundert bis in die frühe Neuzeit hinein am Beispiel der Stadt Erding. Trotz der Stadtmauer als steinerne Grenze standen Stadt und Land stets in einer engen Wechselbeziehung, die sich als „transterritoriale Zusammenarbeit“ beschreiben lässt. Die Lehmvorkommen und hohen Transportkosten waren u.a. dafür verantwortlich, dass die Ziegeleien ihren Betrieb in der Nähe der Stadt aufnahmen, was freilich eine institutionelle Regelung der Verfügungsrechte voraussetzte. Entsprechend vielfältig gestalteten sich die eigentumsrechtlichen Arrangements: Ziegeleien wurden von den Stadtherren neu gegründet, aus klösterlichem Besitz übernommen oder – wie in Erding - von einem grundherrschaftlichen Konsortium begründet.

SONJA NEUDÖRFER (Darmstadt) zeichnete die Geschichte des Schönbacher Geigenbaus nach, der sich u.a. aus der Krise der Bergbaus in der frühen Neuzeit entwickelte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es vor allem ein arbeitsteiliges Produktionsnetzwerk vor Ort, das die rasche Entfaltung des Geigenbaus ermöglichte, der seine Kunden besonders im aufstrebenden Bürgertum, in der aufblühende Musik- und Kulturlandschaft sowie in Übersee fand. Die Konzentration von Geigen- und Bogenmachern, von Saitenspinnern, Mechaniken-Produzenten und spezialisierten Zulieferern an einen Ort wurde zu einer wichtigen Voraussetzung für den gelungenen Übergang von der nicht mechanisierten zur dezentralen Massenproduktion.

Aus kulturanthropologischer Sicht nährte sich CLAUDIA SCHÜTZE (Göttingen) der Enwicklung der Norddeutschen Seekabelwerke in der Stadt Nordenham in den Jahren 1899-1933 und stellte aus einer gegenwartsbezogenen Perspektive die Erinnerung an die Werke in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen: Was und wie wird heute über das Unternehmen erzählt? In Kapitänsfamilien gehört ein elitäres Selbstverständnis und die Erinnerung an ein heldenhaftes, harmonisches Leben auf See, die Gefahren ausblendet und familiäre Belastungen (wie die lange Abwesenheit der Väter) verklärt oder positiv wendet, zu den Mustern der Erzählstruktur. Gewissermaßen zum „Ortsgedächtnis“ zählt hingegen etwa das Erinnerungsmoment, dem Unternehmen ein „sauberes Image“ bei seinem Umgang mit den eigenen Mitarbeitern oder auch der Umwelt zu attestieren.

Die Unternehmensgeschichte der Firma Simson & Co. (1856-1933) als eines „wirtschaftlich erfolgreichen Außenseiters“ nahm ULRIKE SCHULZ (Bielefeld) in den Blick. Dem Suhler Waffengewerbe, das in seinen Anfängen bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht, fiel es im 19. Jahrhundert zunehmend schwer, sich am Markt zu behaupten: Misslungene institutionelle Arrangements, die fehlende Kooperation der Gewerbetreibenden untereinander etc. sorgten für strukturell bedingte Krisen. In einem schwierigen ökonomischen Umfeld gelang es der Firma Simson dennoch, sich als „Unternehmer-Händler mit Eigenkapital“ zu entfalten. Die hohe Fertigungstiefe, die Ausdifferenzierung der Produktion hin zu nichtmilitärischen Gütern (Fahrräder, später auch Automobile), aber auch die Strategie, Arbeitskräfte aus dem Umland zu rekrutieren und langfristig zu binden, katapultierten das Unternehmen nach der Jahrhundertwende in den Rang einer international renommierten Marke. Mit dem ökonomischen Erfolg verlor das örtliche Netzwerk allerdings an Bedeutung.

RAINER KURTZ beschrieb die Historie der Kurtz-Holding seit 1779 „im Spannungsfeld zwischen lokaler Wurzel und globaler Innovation“. Das Unternehmen, das mittlerweile in der sechsten Generation von Familienangehörigen geführt wird, entwickelte sich vom „Einzeller“ zum Konzern, von einer Hammerschmiede zu einer Firmengruppe, die sich mittlerweile in die Sparten Metals, Electronics, Plastics und Services ausdifferenziert hat. Seit jeher gehört die Identifizierung mit der lokalen Lebenswelt zu den konstitutiven Elementen der Unternehmenskultur. So beschäftigt das Unternehmen heute 850 Mitarbeiter aus dem Umkreis und engagiert sich auch über die Funktion als Arbeitgeber hinaus für die Region: Zweimal im Jahr richtet die Kurtz-Gruppe eine Kunstausstellung aus.

Dass dem Thema „Unternehmen und Ort“ nicht nur historische, sondern auch aktuelle wirtschaftspolitische Dimensionen innewohnen, unterstrich der abschließende Beitrag von Peter Seele (Essen), der über Fragestellungen, Untersuchungsebenen und Methoden des EU-Forschungsprojekts „Corporate Culture and Regional Embeddedness. Auswirkungen der regionalen Einbindung von Unternehmen auf die Unternehmenskultur“ berichtete. Im europäischen Vergleich steht die These von einem „homeless capitalism“ auf dem Prüfstand. Um den Zusammenhang zwischen der Globalisierung, den lokalen Praktiken sowie den Gemeinsamkeiten und Differenzen der Unternehmenskulturen auf den Grund zu gehen, werden u.a. das institutionelle Gefüge vor Ort, die Reputation der Mitarbeiter und die Bedeutung der „Weitergabe von lokalem Wissen“ für die Unternehmen beleuchtet. Die lokale Einbettung der Unternehmenskultur, der Rückgriff auf lokale Ressourcen scheint, so die Hypothese der Arbeitsgruppe, Unternehmen namentlich auch in Krisenzeiten Stabilität und Identität zu verleihen.

http://www.unternehmensgeschichte.de/
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Deutsch
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