Sachsen und seine Sekundogeniturfürstentümer

Sachsen und seine Sekundogeniturfürstentümer

Organisatoren
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V., Dresden; Museum Barockschloss Delitzsch; Historische Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Ort
Delitzsch
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.06.2007 - 23.06.2007
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Von
Frank Metasch, Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.

Bereits vier Jahre vor seinem Tod hatte der sächsische Kurfürst Johann Georg I. († 8. Oktober 1656) testamentarisch die Erbfolge seiner vier Söhne geregelt. Um auch seine drei nachgeborenen Söhne standesgemäß abgesichert zu wissen, wollte Johann Georg I. diese mit selbständigen Herrschaftsbereichen ausstatten und suchte hierfür einen Mittelweg zwischen der alleinigen Primogenitur des Kurprinzen und einer die Landeseinheit vollkommen auflösenden Erbteilung. Gemäß des väterlichen Willens verständigte sich Johann Georg II. im „Freundbrüderlichen Hauptvergleich“ vom 22. April 1657 mit seinen Brüdern August, Christian und Moritz über die Errichtung von drei weitgehend selbständigen Herzogtümern: den so genannten Sekundogeniturfürstentümern Sachsen-Weißenfels, Sachsen-Merseburg und Sachsen-Zeitz.

Das 300jährige Jubiläum der sächsischen Sekundogenituren bot den Anlass für eine vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, dem Museum Barockschloss Delitzsch und der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig durchgeführte geschichtswissenschaftliche Tagung. Gemeinsame Zielstellung war, sich intensiver mit den von den Historikern bislang nur am Rande wahrgenommenen Sekundogeniturfürstentümern auseinander zu setzen und deren Bedeutung für die Landes- wie Reichsgeschichte neu zu beurteilen. Insbesondere sollte kritisch hinterfragt werden, ob die Landesteilung von 1657 wirklich nur als die „Geschichte eines im Grunde doch missglückten staats- und verwaltungspolitischen Experiments“ (Hellmut Kretzschmar, 1927) betrachtet werden darf. In zehn thematisch breit gefächerten Vorträgen wurden hierfür vor allem verfassungs-, wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte erörtert, wobei die Referenten zumeist noch wissenschaftlich brach liegendes Terrain betraten und eine Vielzahl neuer Erkenntnisse herausarbeiten konnten. Über 100 Tagungsteilnehmer belegen das im Jubiläumsjahr deutlich gestiegene geschichtswissenschaftliche Interesse an den kursächsisch-albertinischen Nebenlinien.

22. Juni:
In seinem Einführungsvortrag zeichnete MANFRED RUDERSDORF (Leipzig) die historischen Rahmenbedingungen in „Deutschland zwischen Reformation und Absolutismus“ nach. Vor allem für den Zeitraum vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Ende des Alten Reichs (1806) befasste er sich mit den Verfassungsstrukturen im Reich sowie den normativen und politischen Handlungsspielräumen der Reichsstände. Bei seinen Ausführungen zur institutionellen Ausformung des Reichs zeigte Rudersdorf, dass die „starke Verrechtlichung des Reichssystems“ mit ihrem Schutz der althergebrachten Strukturen zwar einerseits zu einer „gesellschaftlichen Versteinerung“ führte, andererseits aber gerade den kleineren Territorien einen wirksamen Schutz bot. Auch die sächsische Kurlinie war an diese konstitutive Ordnung gebunden und konnte nicht einfach aus der Position des Stärkeren heraus die ihr hinderlichen Sekundogenituren einfach gewaltsam beseitigen.

Daran anschließend bot JOCHEN VÖTSCH (Dresden) einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der kursächsischen Nebenlinien. Hinsichtlich seiner Kernfrage, inwieweit der Freundbrüderliche Hauptvergleich zu einer „Staatsbildung im mitteldeutschen Raum“ geführt hatte, hob Vötsch ausdrücklich hervor, dass es sich bei den Sekundogeniturfürstentümern um keine geschlossene Territorialbildung handelte. Die Fürsten der Nebenlinien herrschten nur über äußerst heterogene Herrschaftskonglomerate, die aus unterschiedlichen mediaten und immediaten Territorien bestanden. Zusammen mit der ungenügenden finanziellen Ausstattung sollte sich gerade dieser Umstand in der weiteren Entwicklung als ein „schwerer Geburtsfehler“ für die Sekundogenituren herausstellen.

Eine zusätzliche Belastung für die Nebenlinien brachte die ihnen von Anfang an vom Kurhaus entgegengebrachte repressive Politik. Während die Sekundogenituren nach der Emanzipation von der Kurlinie und aktiver Teilhabe am Reich und seinen Institutionen strebten (Reichsunmittelbarkeit als oberstes Ziel), sahen die sächsischen Kurfürsten ihre Oberherrschaftsansprüche massiv gefährdet und versuchten die Nebenlinien politisch zurückzudrängen. Wenn die Sekundogenituren letztendlich ihre politischen Zielstellungen nicht verwirklichen konnten, haben sie doch bedeutsame Erfolge im kulturellen Bereich vorzuweisen: beispielsweise haben sie mit dem Bau von Residenzen und den davon ausgehenden kulturellen Impulsen einen „ganz eigenen Kulturraum“ geschaffen.

Von der Frage ausgehend, ob die Domkapitel von Merseburg und Naumburg geschwächt oder gestärkt aus der Sekundogeniturzeit hervorgingen, kam MARKUS COTTIN (Merseburg) anhand der Untersuchung der Verfassung und personellen Zusammensetzung der Domkapitel zu einem geteilten Ergebnis. Auf der einen Seite war es Kursachsen im Westfälischen Frieden erstmalig gelungen, seine Besitzansprüche auf die seit der Reformation inkorporierten Hochstifte reichsrechtlich abzusichern. Die Kur- wie auch die Nebenlinien sahen sich damit zu dem Versuch in der Lage, die Sonderrechte der Domkapitel sukzessive abzubauen sowie die Hochstifte politisch und territorial stärker zu integrieren. Auf der anderen Seite schlossen sich beide Kapitel in ihrem Widerstand gegen diese Eingriffe eng zusammen und waren mit ihrer vehementen Gegenwehr teilweise recht erfolgreich. So konnten die Wettiner trotz aller Erfolge am Ende doch nicht die im Testament Johann Georgs I. avancierte Auflösung der Domkapitel durchsetzen. Zum Teil gelang es den Kapiteln sogar, den Einfluss des Kurhauses noch hinter den Stand des Jahres 1657 zurückdrängen – so zum Beispiel geschehen in der Kapitulation des Naumburger Domkapitels von 1726.

Im Anschluss daran untersuchte JOACHIM SÄCKL (Naumburg) beispielhaft das „Traditionsdenken und Selbstverständnis des albertinischen Fürstenhauses Sachsen-Weißenfels“. Er kam hierbei zu dem Ergebnis, dass sich auch die Weißenfelser Nebenlinie einerseits im Rahmen eines fürstlichen Hauses mit eigenen Ansprüchen bewegte, andererseits aber immer noch Teil der Gesamtdynastie blieb. Gerade mit ihrer Anwartschaft auf die sächsische Kurwürde sah sich die Weißenfelser Nebenlinie als „lebender und blühender Ast der Gesamtdynastie“ und trug diesen Anspruch bewusst nach außen. Es genügte ihr daher nicht, dem eigenen Herrschaftsanspruch beispielsweise über die Ausübung repräsentativer Ämter, den Aufbau eines exklusiven Hofes oder auch einer intensiven Bautätigkeit Ausdruck zu verleihen, es musste auch das Bild eines harmonischen Verhältnisses zur Kurlinie in die Öffentlichkeit getragen werden. Trotz aller aus dem Hegemoniestreben des Kurhauses resultierenden Gegensätze – so das Resümee Säckls – darf der Blick nicht mehr wie bisher nur einseitig auf das Trennende zwischen Primo- und Sekundogenituren gelegt werden, sondern es muss gerade das Gemeinsame stärker herangezogen werden.

Dass außereheliche Beziehungen auch im Hochadel des 17. und 18. Jahrhunderts keine Besonderheit darstellten, verdeutlichte MANFRED WILDE (Delitzsch) am Beispiel des außerehelichen Verhältnisses der Herzogin Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg. Ihre unglückliche Ehe wie auch der instabile psychologische Zustand ihres Ehemanns hatten die Herzogin in die Arme des Merseburger Hofmarschalls getrieben. Als sich abzeichnete, dass aus diesem Verhältnis ein Kind resultieren würde, entwickelte sich das Ganze zu einem „diplomatischen Ränkespiel“. Die sich ergebenden politischen Komplikationen erregten unter anderem das Interesse der Kurlinie. Anhand der verschiedenen Pläne, wie mit dem unehelichen Kind nach der Geburt verfahren werden sollte, bot Wilde nicht nur Einblicke in die höfische Welt und deren personellen Netzwerke, sondern auch allgemein in das Verhältnis zwischen Sekundo- und Primogenitur.

Abgerundet wurde der erste Tagungstag mit verschiedenen Führungen durch das Schloss Delitzsch. Die Gelegenheit zur vertiefenden Diskussion, die ein anschließender Empfang bot, wurde rege wahrgenommen.

23. Juni:
Den zweiten Tag eröffnete UWE SCHIRMER (Leipzig) mit seinem Vortrag „Zwischen Fürstentestament und Freundbrüderlichem Hauptvergleich: die politische Wirkkraft der kursächsischen Stände auf dem Landtag von 1657“. Da das Testament Johann Georgs I. nicht alleine nur die Versorgung der nachgeborenen Söhne sichern sollte, sondern ebenfalls weitreichende Verfassungsänderungen formulierte, war es von den Ständen abgelehnt worden. Schirmer konnte anhand der Verhandlungen auf dem kursächsischen Landtag von 1657 eindrücklich herausarbeiten, wie die Stände aus ihrer zu diesem Zeitpunkt hohen Machtposition heraus Johann Georg II. den Freundbrüderlichen Hauptvergleich regelrecht diktierten. Unter anderem gelang es ihnen 1657, die mit der Errichtung der Sekundogenituren eigentlich vorgesehene Teilung der sächsischen Landstände zu verhindern. Die Verhandlungen zur Umsetzung des kurfürstlichen Testaments verdeutlichen daher noch einmal, wie die Landstände zu diesem Zeitpunkt die politische Wirkkraft des Fürsten in einem hohen Maße zu begrenzen wussten.

MANFRED STRAUBE (Leipzig) analysierte anschließend „Die Bevölkerungsstruktur des Herzogtums Sachsen-Weißenfels 1663/64 und die Verluste durch den großen Krieg“. Bekanntermaßen gehörte das Kurfürstentum Sachsen mit seinen zahlreichen Toten und dem Verlust vieler wirtschaftlicher Strukturen zu den am stärksten vom Dreißigjährigen Krieg heimgesuchten deutschen Ländern. Anhand der Bevölkerungsstruktur und des Steueraufkommens des Weißenfelser Herzogtums zeigte Straube, dass die Sekundogeniturfürstentümer knapp 20 Jahre nach Kriegsende immer noch vor einer Vielzahl wirtschaftlicher und demografischer Schwierigkeiten standen.

Die „Außenpolitischen Handlungsspielräume und das Gesandtschaftswesen der Sekundogeniturfürstentümer“ stellte JUDITH MATZKE (Dresden, Stuttgart) in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Auch im Bereich der Außenpolitik war der Freundbrüderliche Hauptvergleich nicht eindeutig formuliert worden, was zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Primo- und Sekundogenituren führte. So vertrat die Kurlinie zwar außenpolitisch weiterhin das Gesamtterritorium, die Nebenlinien beanspruchten jedoch, eigenständige diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das ihnen zugestandene Recht auf eigene Gesandtschaften hatte für die Sekundogenituren eine besondere Bedeutung, gab es ihnen doch die Möglichkeit, sich politisch vom Kurhaus zu emanzipieren und eigene Ziele – vor allem die Erlangung der Reichsunmittelbarkeit – zu verfolgen. Wie ein Blick auf die Rahmenbedingungen und die Organisation des Gesandtschaftswesens der Nebenlinien allerdings zeigte, blieben deren Wirkungsmöglichkeiten schon alleine aus finanziellen Gründen von vornherein begrenzt.

„Mosaiksteine“ zu den nur schlecht erforschten Lebenswelten der Sekundogeniturfürstinnen bot MARTINA SCHATTKOWSKY (Dresden). Aufbauend auf der wettinischen Heiratspolitik und Wittumsversorgung beschrieb sie am konkreten Beispiel der Herzoginwitwe Christiane von Sachsen-Merseburg (1634–1701) die Existenzbedingungen und Handlungsspielräume einer adligen Witwe. Hierfür vermittelte Schattkowsky Einblicke in die Herrschafts- und Lebenspraxis Christianes, darunter zur wirtschaftlich-finanziellen Basis ihres Wittums, ihrer Amtsführung und Hofhaltung aber auch ihrer dynastischen Selbstdarstellung. Insbesondere die sukzessive Steigerung des in ihrem Ehevertrag eigentlich festgesetzten Einkommens zeigte deutlich, dass auch eine Fürstenwitwe durchaus ihre nur eng gesteckten Rahmenbedingungen zu erweitern wusste.

Als letzter Referent hinterfragte DETLEF DÖRING (Leipzig), inwieweit die „großen geistigen Tendenzen“ der Zeit um 1700 – allen voran Pietismus und Aufklärung – an den Sekundogeniturhöfen Resonanz gefunden haben. Aufgrund ihrer nur eingeschränkten politischen und finanziellen Möglichkeiten hatten die kursächsischen Nebenlinien versucht, über kulturelle Leistungen eine ihnen entsprechende Außenwirksamkeit zu erlangen. Hierbei konkurrierten sie äußerst erfolgreich mit weitaus größeren Höfen. Wie alleine die bisherigen Arbeiten zur Theater-, Musik- und Literaturgeschichte eindrücklich zeigen, sind die drei Sekundogeniturhöfe nicht mehr aus der Kulturgeschichte Mitteldeutschlands wegzudenken. Trotzdem steht die Forschung im Bereich der Geistes-, Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte noch immer am Anfang. Aufgrund der mangelnden wissenschaftlichen Vorarbeiten konnte Döring nur erste Anregungen in dieser Richtung geben. Er betonte dabei, dass für die Frage nach den kulturellen Leistungen der Sekundogenituren der Blick nicht nur einseitig auf die Fürsten gerichtet werden darf; auch die Funktionsträger unterhalb dieser Ebene (Hofbeamte, Hofprediger, Leibärzte, Prinzenerzieher usw.) müssen mit einbezogen werden, wofür er verschiedene Beispiele anführte – so etwa den lange Jahre in Sachsen-Zeitz wirkenden Veit Ludwig von Seckendorff oder auch den Zeitzer Hofprediger Gottfried Teuber.

Die Schlussdiskussion brachte resümierend noch einmal zum Ausdruck, dass die Sekundogeniturfürstentümer eben nicht nur als „Betriebsunfall“ gewertet werden dürfen, was nicht alleine ihr noch heute nachwirkendes kulturelles Erbe belegt. Die auf der Tagung erbrachten neuen Erkenntnisse dürften wesentlich zu einem ausgewogeneren Bild der Sekundogenituren beitragen. Aufgrund der neuen Ergebnisse wie auch der damit neu aufgestoßenen Fragen wurde abschließend die Hoffnung geäußert, das geschichtswissenschaftliche Interesse an den kursächsischen Sekundogenituren werde nach dem Jubiläumsjahr nicht wieder abrupt nachlassen.

Die Beiträge werden in einem Band innerhalb der ISGV-Reihe ‚Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde’ publiziert.

Kontakt

PD Dr. Martina Schattkowsky
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.
Zellescher Weg 17
D-01069 Dresden
Telefon: 0351 – 436 16 30
Fax: 0351 – 436 16 51
E-Mail: Martina.Schattkowsky@mailbox.tu-dresden.de


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