Minorities in Greece – historical issues and new perspectives

Minorities in Greece – historical issues and new perspectives

Organisatoren
Historisches Seminar Universitaet Freiburg im Breisgau, Osteuropa Institut Freie Universitaet Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.01.2003 - 01.02.2003
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Von
Christian Voss

Internationale Tagung des Sonderforschungsbereichs 541 “Identitäten und Alteritäten” (Universität Freiburg/Br.) und des Osteuropa-Instituts/FU Berlin im Clubhaus der FU Berlin

Die von Sevasti Trubeta und Christian Voss organisierte und von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte internationale Tagung zu Minderheiten in Griechenland hat eine breit gefächerte Expertise versammelt, die das Thema aus dem Blickwinkel der Geschichtswissenschaft, (Bildungs)Soziologie, Sozialanthropologie, Rechtswissenschaft, Geographie, Soziolinguistik und Dialektologie angeht und eine interdisziplinäre Systematisierung bisheriger Ergebnisse anstrebt. Hiermit haben sich die Organisatoren bewußt der unvermeidbaren Politisierung des Gegenstands gestellt und so den rein dekonstruktivistischen Ansatz vieler jüngerer Studien zu balkanischen Kleingruppen überwunden.

Das Programm berücksichtigte fast alle indigenen Minderheitengruppen Griechenlands: zunächst einmal die westthrakischen Muslime (d.h. Türken, Pomaken und Roma), die aufgrund des Lausanner Vertrags von 1923 als religiöse Gruppe offiziellen Minderheitenstatus besitzen (im Reziprozitätsprinzip mit der griechisch-orthodoxen Minderheit in Istanbul), weiterhin die Slavophonen in Griechisch-Makedonien, die infolge des bulgarisch-griechischen Antagonismus stärker als jede andere Gruppe nach 1913 als “national deviant” minorisiert wurden und seit 1949 als “Phantomminderheit” offiziell geleugnet werden.
Dem stehen die Aromunen gegenüber, die – wie auch die albanophonen Arvaniten – heute sprachlich weitgehend assimiliert sind und aufgrund ihrer orthodoxen Religion bereits seit dem frühen 19. Jh. maßgebliche Träger des griechischen Nationalmus waren, der sich erst um die Wende zum 20. Jh. ethnisch zu definieren begann. Als Sonderfall stellt sich die muslimische Gruppe der Çamen in Westepirus dar.

Die Thematik hat aus mehreren Gründen eine enorme Dynamik und Aktualität entwickelt: einerseits der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Südosteuropa, andererseits die mittelfristigen Folgen der griechischen EU-Mitgliedschaft und das inzwischen recht krasse Wohlstandsgefälle Süd-Nord. Das Zusammenspiel beider Faktoren hat zu einer starken binnenbalkanischen Arbeitsmigration nach Griechenland geführt und die – bisher nur autochthone Gruppen betreffende – Minderheitenfrage um neue Parameter bereichert, vor allem aber das Bewußtsein für ethnolinguistische und/oder religiöse Alterität geschärft.
Der Nexus von “alten” und “neuen” Minderheiten in Griechenland ist in den Referaten von Tsitselikis/Thessaloniki (“Legal aspects of religious and linguistic otherness in Greece”), Lafazani/Athen (“Migration as a «tool» in states’, groups’ and individuals’ strategies”) und Trubeta/Freiburg (“«Minorization» and «Ethnicization» in the Greek society: comparative perspectives on Moslem migrants and the Moslem minority”) thematisiert worden und stellt methodisch das eigentliche Novum der Berliner Tagung dar. Die Referate von sechs Gästen aus Griechenland (neben Tsitselikis und Lafazani: Mavrommatis/Thessaloniki “Constructing identities for the Thracian Muslim youth: the role of education”; Kostopoulos/Athen “«Counting the Other»: official census and classified statistics in Greece (1830-2001)”; van Boeschoten “«Bratstvo i jedinstvo»? Macedonian political refugees in Eastern Europe”; Ioannidou/Athen: “Linguistic research in Greece: The slavic dialects in Western and Central Macedonia. First observations and comments”) zeigt an, daß bisherige Denkverbote dort längst abgeschüttelt worden sind und eine neue Generation die Thematik professionell angeht.

Nach der Eröffnung durch Holm Sundhaussen/Berlin folgten zwei thematisch übergreifende Referate von zwei ausgewiesenen Minderheitenexperten zu Mitteleuropa, Peter Haslinger/München (“Imagined Territories and Ethnoscapes – ways to conceptualize the role of minorities in international settings”) und Christian Promitzer/Graz (“The body of the Other: «Racial Science» and minorities in Southeastern Europe”), deren Bezug zu Griechenland sehr schnell deutlich wurde. Haslinger stellte die Konzepte des “imagined territory” und der “ethnoscapes” vor, d.h. der semantischen Aufladung von Landschaften und Regionen als genuin national, während Promitzer (vorwiegend am serbischen Fall) die balkanische Rezeption westeuropäischer Rassenkunde zu einer somit biologistisch gestützten nationalen In- bzw. Exklusion von Minderheiten thematisierte.

Die Beiträge von Vemund Aarbakke/Oslo (“Adjusting to the new international framework for minority protection – challenges for the Greek state and its minorities”) und Georgios Mavrommatis boten den Einstieg in den griechischen Fall: Aarbakke gelang die historische Herleitung des griechischen Tabustandpunkts in Minderheitenfragen: Nach dem Ende des Kalten Krieges stand der griechische Staat den Forderungen nach internationalen Minderheitenrechtsstandards durch zahlreiche NGOs völlig unvorbereitet gegenüber. Mavrommatis führte die Schwächen im griechisch-türkischen Minderheitenschulsystem in Thrakien vor, das die politischen Schwankungen im griechisch-türkischen Verhältnis mitträgt und die Schüler letztlich zu doppeltem Semilingualismus verdammt. Trotz der durch das griechisch-türkische minoritäre Bildungssystem transportierten exklusiven Identitätszuschreibungen bildet sich bei der heutigen thrakischen Jugend eine neue lokale und/oder supralokale, oft auch “europäisch” konnotierte Identität heraus.

Der aktuellen Arbeitsmigration in Verbindung mit der Minderheitenproblematik widmeten sich die Beiträge von Konstantinos Tsitselikis/Dimitris Christopoulos, Dora Lafazani und Sevasti Trubeta: Der Jurist Tsitselikis veranschaulichte die Notwendigkeit der Modernisierung der minoritären Rechtssituation in Griechenland, die bis heute in der osmanischen “millet”-Tradition Sprachrechte nach Religionszugehörigkeit vergibt. Gleichzeitig machte er deutlich, wie der griechische Staat angesichts des Arbeitsmigrantenstroms der 1990er Jahre, der zu einem Großteil aus nicht griechischsprachigen und nicht griechisch-orthodoxen Spätaussiedlern besteht, mit der bisherigen Kategorisierung “homogeneis” (d.h. “gleicher Abstammung”) und “allogeneis” in eine Sackgasse geraten ist: Die Abstammungskategorie der “homogeneia”, so Tsitselikis, habe nur bis in die frühen 1990er Jahre als “historischer Passepartout” für den ideologischen Hellenismus funktionieren können. Lafazani kontrastierte anhand einer Fallstudie zu Dörfern in Ostmakedonien (Präfektur Serres) Migration als staatliche (Entzug des Rückkehrrechts für muslimische Minderheiten) oder private (mittelfristige Verbesserung des sozialen Status) Strategie. Trubeta lieferte einen Vergleich von Minorisierungs- und Ethnisierungsprozessen bei den autochthonen Muslimen und der “neuen” Minderheit von muslimischen Migranten.

Der Komplex der Slavophonen in Griechisch-Makedonien wurde in fünf Referaten abgehandelt: historisch von Tasos Kostopoulos und Philip Carabott/London (“The politics of constructing the Other: the Greek state and its Slavic-speaking citizens, ca. 1923 – ca. 1949”), soziolinguistisch von Christian Voss/Freiburg (“Sociolinguistic perspectives for the Slavic minorities in Greek Thrace and Greek Macedonia”), dialektologisch von Alexandra Ioannidou, anthropologisch von Claudia Rossini/Zürich (“Graecophiles and Macedonophiles: The clash of identities at village level”). Kostopoulos – Autor des Buches “Die verbotene Sprache. Staatliche Unterdrückung der slavischen Dialekte in Griechisch-Makedonien” – legte eine umfassende Übersicht über die griechischen Bevölkerungsstatistiken zu den einzelnen ethnolinguistischen Gruppen vor. Gerade die slavophone Bevölkerung wurde mit unterschiedlichen Kategorien vermessen, wobei die ehemalige Zugehörigkeit zum bulgarischen Exarchat als potentiell illoyal eingestuft wurde und daher auch Kategorien wie “unbeständig im (National)Bewußtsein” (“revsta syneidita”) eingeführt wurden. Carabott warf den Blick auf die ersten Jahrzehnte der Integration der “Neuen Länder” in den griechischen Staat nach 1913: Erst mit dem Assimilationsterror des Metaxasregimes (1936-1941) begann die Entfremdung der weitestgehend national indifferenten slavophonen Landbevölkerung vom griechischen Staat, die im 2. Weltkrieg und im Bürgerkrieg 1946-1949 eskalierte.

Die beiden linguistischen Darstellungen ergänzten sich methodisch: Die Prognose von Voss für die slavischen Dialekte in Makedonien und Thrakien sah ein starkes, durch die staatliche Repressionspolitik mitbedingtes “verstecktes Prestige” in Makedonien, eine neue Generation von Muttersprachlern und somit ein gutes Potential für Revitalisierungsmaßnahmen, während das Pomakische (das Idiom der muslimischen Bulgarophonen in Thrakien) vom Sprachtod bedroht ist. Ioannidou faßte aufgrund einer 1994 von ihr geleiteten dialektologischen Untersuchung des “Instituts für Balkanstudien/Thessaloniki” die bisherigen Ergebnisse zusammen. Rossini zeigte anhand des Dorfes Meliti bei Florina, dem Zentrum der makedonischen Bewegung in Griechenland, daß auf lokaler Ebene keine ethnonationale Dimension vorhanden ist, sondern daß sich sozial konstruierte Konfliktgruppen im Dorf gegenüberstehen, die sich als “Makedonophile” und “Graecophile” ethnisch essentialisieren.

Grenzüberschreitende Minderheiten wurden mit den Aromunen von Thede Kahl/Wien (“Religious, linguistic and ethnic labels. The case of the Vlachs”) und mit den Pomaken von Evangelos Karagiannis/Berlin (“Pomaks of Bulgaria and Greece – comparative issues”) behandelt. Kahl arbeitete die Spezifika der aromunischen Gruppen heraus, die anders als die slavophonen Grenzminderheiten nicht einer unerbittlichen nationalen Bipolarität ausgesetzt waren, sondern als weitverstreute Inselsprachgruppen und als urban-bürgerliches Segment bereits früh von der jeweiligen Nationalbewegung absorbiert worden sind. Karagiannis stellte die Identitätsoptionen für die bulgarischen und griechischen Pomaken dar. Er prüfte die Auswirkungen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Pomakengebiete in beiden Ländern auf die Identitätsmuster der Minderheitengruppen, die aufgrund der verfehlten Nationalisierungspolitik in Griechenland und Bulgarien zur türkisch-nationalen Option tendieren.

Die Referate von van Boeschoten und Kretsi/Berlin (“From landholding to landlessness. The relationship between the property and legal status of the Cham Muslim Albanians”) thematisierten zwei Fälle, wo ethnische Homogenisierung in Nordgriechenland durch Vertreibung erreicht wurde. Die aktuelle Entschädigungsdiskussion trägt sicherlich zur griechischen Intransigenz in Minderheitenfragen bei. Kretsi fokussierte auf die “Austauschbarkeit” und die Eigentumsverhältnisse der epirotischen Çamen in der Zwischenkriegszeit, die als muslimische Großgrundbesitzer in den 1920er Jahren vom ansonsten obligatorischen griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch ausgenommen wurden, 1945 jedoch als “Kollaborateure” nach Albanien verjagt wurden (2000 Tote, 20000 Flüchtlinge). Van Boeschoten analysierte die makedonische Kulturpolitik der Ostblockdiaspora, die sich aus den mehr als 60000 kommunistischen (ethnisch griechischen und slavischen) Bürgerkriegsflüchtlingen 1948-1949 rekrutierte. Unter der Ägide der griechischen KP wurden sie als “Griechen” im gesamten Ostblock (bis auf Rußland) angesiedelt. Die “Brüderlichkeit-und-Einigkeits”-Ideologie des Bürgerkriegs brach erst 1982 auseinander, als das neue griechische Repatriierungsgesetz nur ethnisch griechischen Politemigranten die Rückkehr nach Griechenland erlaubte (“ellinas to genos”).

In der Abschlußdiskussion wurde extensiv der Begriff “Minderheit” und seine kognitiven Inhalte diskutiert, da nicht alle ethnolinguistischen Gruppen Griechenlands – konkret die Aromunen und Arvaniten – auf soziologischer Ebene Objekt von gesellschaftlicher Minorisierung und Marginalisierung geworden sind wie etwa die Slavophonen nach 1949 oder die Muslime Thrakiens. Gleichzeitig würde eine simple Zuordnung zu einer “Minderheit” auf der Basis von Religion oder Sprache die Dynamik im Wechselspiel von Eigen- und Fremdzuschreibung bei der Gruppenbildung ignorieren. Einige Gründungsmitglieder des 1996 eingerichteten “Minority Groups Research Centre”/Athen definierten Minoritätsstatus vor allem als Ergebnis eines Prozesses, durch den Bevölkerungsgruppen in einen minderen politischen und sozialen Status versetzt werden, was auch das Staatsbürgerschaftsrecht betrifft.
Deutlich zutage trat die schon von Sundhaussen im Opening angerissene Diskrepanz zwischen dem dekonstruktivistischen Ansatz der Geisteswissenschaften, der Identität kontextualisiert und diskursiv analysiert, und dem stark essentialistischen Identitätsentwurf von anwesenden Angehörigen von Minderheiten, die ihre Ethnizität als überzeitlichen Faktor sozialen Handelns werten und sich befugt sehen, im Namen ganzer Minderheitengruppen zu sprechen.

Für eine Fortsetzungskonferenz, die dann in Griechenland stattfinden soll, wurden – neben dem Postulat eines umfassenden Minderheitenmodells – drei bisher noch zu kurz gekommene Aspekte auf die Agenda gesetzt: a) die Rolle der jeweiligen Diaspora, evtl. gar als “nationales Zentrum”, und ihre Positionierung auf der zwischenstaatlichen Konfliktebene, b) weitere analytische Ebenen, so die Minorisierung auf Mikroebene oder die ökonomische Ebene (etwa die Diskussion um die Repatriierung und Entschädigung der slavophonen Bürgerkriegsflüchtlinge), c) die Entwicklung geeigneter Methoden der Feldforschung, vor allem die Kompatibilität von “oral history” und der Erhebung quantifizierbarer Daten.
Die Beiträge werden als Themenband in “History and Culture of South Eastern Europe. An Annual Journal” als Band 5 (Vorschau unter www.uni-mainz.de/FB/Geschichte/Osteuropa/JGKS/) in der Tagungssprache Englisch veröffentlicht, um so die sprachliche Barriere zu überwinden, der griechischsprachige Fachliteratur ausgesetzt ist, und um sich so der komparativen Forschung zu öffnen.

Kontakt

Weitere Informationen und Kontakt:

Sevasti Trubeta (sev.trubeta@freenet.de)
Christian Voss (Christian.Voss@geschichte.uni-freiburg.de)


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