How collectivities remember: Structures and spaces of social and cultural memory

How collectivities remember: Structures and spaces of social and cultural memory

Organisatoren
Estonian Institute of Humanities, Tallinn University; Centre for Medieval Studies, Tallinn University; Centre for Central-Eastern Europe and the Balkans, University of Bologna
Ort
Tallinn
Land
Estonia
Vom - Bis
26.07.2007 - 02.08.2007
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Von
Steffen Jost, Marburg

Vom 26. Juli bis zum 02. August 2007 hatten das „Estonian Institute of Humanities, Tallinn University”, das „Centre for Medieval Studies, Tallinn University” und das „Centre for Central-Eastern Europe and the Balkans, University of Bologna” zur fünften „Tallinn Postgraduate Summer School in Social and Cultural Studies” eingeladen. Der diesjährige Kurs stand unter dem Thema: „How collectivities remember: Structures and spaces of social and cultural memory” und wurde von 35 NachwuchswissenschaftlerInnen aus ganz Europa, u.a. aus Finnland, Deutschland, Österreich, Slowenien, Rumänien, Großbritannien und Spanien besucht.

Neben dem Programm, welches unter anderem aus 15 Vorträgen zu den verschiedensten Aspekten der Gedächtnis- und Erinnerungsforschung und zwei Ausflügen zu „Erinnerungsorten“ in Tallinn und Südwest-Estland bestand, wurde den Teilnehmern zudem in zwei Blöcken die Möglichkeit gegeben ihre eigenen Forschungsprojekte vorzustellen. Aufgrund der Fülle der Vorträge können im folgenden Bericht nicht alle Beiträge so ausführlich behandelt werden, wie es angemessen wäre.

Der Eröffnungsvortrag wurde vom britischen Historiker Peter BURKE übernommen, der unter dem Titel „Performing the past” die Wichtigkeit von öffentlichen Aufführungen („performances”) für die Formung des kollektiven Gedächtnisses und der Gruppenidentität betonte. BURKE unterschied zunächst zwischen verschiedenen Arten von Aufführungen der Vergangenheit: organisierten Aufführungen (Shakespeare, Historical Plays), unorganisierten Aufführungen (Russische Revolution 1917, da diese auf die französische Revolution Bezug genommen hätte), das Nachstellen von Schlachten etc. Den größten Stellenwert sprach BURKE allerdings Co-Memorations und Paraden zu, da diese einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Formung von Identität und Geschichte einer Gruppe leisten würden. Als Co-Memorations bezeichnete BURKE, in Bezug auf die Thesen von Maurice Halbwachs, hierbei Geschehnisse, welche zwar die Sprache der Vergangenheit verwenden, aber für den Historiker vor allem etwas über die jeweilige Gegenwart aussagen würden. Besonders gut zu untersuchen seien diese Phänomene bei den im 17. Jahrhundert aufkommenden 100-Jahrfeiern von als bedeutend angesehenen Ereignissen. BURKE wies allerdings darauf hin, dass es für gewöhnlich nicht sinnvoll sein von einer einheitlichen Deutung solcher Ereignisse auszugehen und dass es zwischen verschiedenen Gruppen zu regelrechten „wars on memory“ um die Deutungshoheit der Vergangenheit kommen könne. So geschehen beispielsweise bei der 100-Jahrfeier der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung oder der 200-Jahrfeier der französischen Revolution. Abschließend präsentierte BURKE zwei ausführliche Fallbeispiele aus der britischen Geschichte. Zum einen die „Bonfire Night“, welche ursprünglich auch in der Erinnerung einen antikatholischen Hintergrund hatte, aber heute, bis auf die Ausnahme des englischen Ortes Lewis, Sussex, völlig losgelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung begangen wird und ein reines Volksfest darstellt. Zum anderen nennt BURKE die „Battle of the Boyne“ von 1690, welche bis heute eine stark politisch aufgeladene Bedeutung besitzt, die sich in den jährlichen Paraden der „Orange Order“ in Belfast manifestiert. Als Fazit präsentierte BURKE einige Punkte, auf welche Historiker bei der Betrachtung von „performances“ zu achten hätten: Gibt es ein Drehbuch? Wie viel Platz hat der Einzelne für eigene Deutungen und Aktionen? Was verändert sich im Lauf der Jahre und was bleibt beständig? „Performances“ stellen immer eine Art von Dialog dar: zwischen wem? Was sind die Aussagen?

Mit einer Art Einführung in das Thema der Summer School eröffnete Jeffrey K. OLICK (University of Virginia), den nächsten Tag mit dem Überblicksvortrag: „What is collective memory?” Nach einem Überblick über die Genese des Begriffes von Durkheim und Halbwachs bis Nora und Assmann & Assmann, stellte OLICK vier gängige Fehler vor, die in den Geisteswissenschaften bei der Beschäftigung mit Erinnerung und Gedächtnis regelmäßig begangen würden und präsentierte gleichzeitig sein Gegenkonzept dazu. Unter „Unity” summierte OLICK die irrige Vorstellung, dass es EIN kollektives Gedächtnis gäbe, wobei doch genau das Gegenteil der Fall sei und den Betrachter vielmehr eine riesige Anzahl verschiedener kollektiver Gedächtnisse, auch innerhalb einer Gruppe oder zu einem Ereignis, erwarte. Das Gegenkonzept dazu fungiert unter dem Begriff „Field”, wobei dahinter die Frage steht, WO das Erinnern stattfindet und die Feststellung, dass es unterschiedliche Felder der Erinnerung gibt, die verschiedenen Regeln unterworfen seien. „Representation” nannte OLICK die Vorstellung, dass das kollektive Gedächtnis eine absolute, klar erkennbare Wahrheit transportiere und stellte diesem unter dem Begriff „Media” (unter Rückgriff auf John Thompson) die Idee gegenüber, dass vielmehr die Medien welche das kollektive Gedächtnis transportieren, die eigentliche Aussage darstellen und diese formen. Als dritten Punkt führte OLICK die „Tangibility” an, worunter er die falsche Vorstellung fasste, dass das Gedächtnis ein greifbarer Gegenstand sei, der sich im Gehirn lokalisieren lasse. Vielmehr müsse man das kollektive Gedächtnis als einen fortlaufenden Prozess und einen sich ständig entwickelnden Dialog begreifen, weswegen er diesen Punkt unter den Begriff „Genre/Dialog” zusammenfasste. Der letzte Fehler sei, so OLICK, die Auffassung, dass Gedächtnis und Erinnerung für sich alleine ständen („Independence“). In Wahrheit sei es genau gegenteilig und das (kollektive) Gedächtnis sei Teil eines Ganzen. Es existierten immer unzählige Referenzrahmen, weswegen es von immanenter Wichtigkeit sei, so viel wie möglich von der Vergangenheit zu verstehen, wenn wir ein einzelnes Ereignis begreifen möchten („Profile“).

Am Nachmittag stellte Leonidad DONSKIS (Kaunas Vytautas Magnus University) „Competing Memories, Organized Forgetting, and Interpretative Fights in Changing Societies” vor. DONSKIS sprach nach einer historisch-literarischen Einführung über Probleme verschiedener Erinnerungen innerhalb einer Gesellschaft und über den Kampf um die Bedeutung historischer Daten, wie z.B. den 9. März 1945, der in Litauen nicht als Tag der Befreiung, sondern als Beginn einer zweiten Besatzungszeit interpretiert wird.

Abends gab der französische Anthropologe Maurice BLOCH (London School of Economics) einen öffentlichen Vortrag zum Thema: „How Culture Squeezes in between Social Memory and Autobiographical Memory”. Gleich zu Beginn äußerte BLOCH Kritik an der Häufung des Modebegriffes „kollektives Gedächtnis” und bemerkte, dass durch diesen Ansatz oftmals Dinge zusammenbracht werden, welche nicht zusammen passen würden. Er kritisierte, dass die meisten Wissenschaftler den empirischen Teil der Forschungen ausblenden würden, wobei dieser doch extrem wichtig bei der Beschäftigung mit diesen Fragestellungen sei. Passend zu dieser Einleitung merkte BLOCH an, dass Halbwachs in seinem zweiten, postum veröffentlichten Buch, begonnen hätte an seinem Konzept des kollektiven Gedächtnisses zu zweifeln. Auch im weiteren Verlauf des Vortrags ließ BLOCH immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit des Konzepts erkennen und schlug stattdessen vor, bei der Beschäftigung mit Gedächtnis und Erinnerung zwischen zwei differierenden Formen zu unterscheiden: dem episodischen Gedächtnis und dem autobiographischen Gedächtnis, wobei uns ersteres hilft die Erinnerungen so zu strukturieren, dass wir aus Teilen des episodischen Gedächtnisses unser autobiographisches Gedächtnis formen können.

Das Programm des nächsten Tages befasste sich speziell mit dem Baltikum und wurde von Jüri KIVIMÄE (University of Toronto) mit dem Vortrag „Writing History, Wounding Memory: Reflections on the Estonian Present” eröffnet. Ausgehend von Francis Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte”, erklärte KIVIMÄE, die „Singing Revolution” (1987-1991) in Estland hätte gezeigt, dass der Lauf der Geschichte niemals stoppt, sondern höchstens Pausen einlegt. Für Estland habe die Geschichte mit dem Verlust der Unabhängigkeit gestoppt und 1991 erneut begonnen. Des weiteren ging KIVIMÄE auf die Bedeutung der „Oral History” und des „Lingustic Turn” für die Gedächtnisgeschichte ein und schloss mit einer Zusammenfassung von Noras Projekt der „lieux de mémoire“. Besondere Aufmerksamkeit kam dabei Monumenten und ihren unterschiedlichen und wechselnden Bedeutungen zuteil, was KIVIMÄE am Beispiel des „Bronze Soldier” in Tallinn erklärte. Diese Statue war 1947 in Tallinn aufgestellt worden und erinnerte an die Befreiung Estlands durch die Rote Armee im Jahre 1944. Nach längeren Kontroversen in der estnischen Öffentlichkeit wurde die Statue in den Morgenstunden des 27. April 2007 durch die estnische Regierung von ihrem ursprünglichen Platz im Stadtzentrum entfernt, was die bereits seit dem Vorabend andauernden gewalttätigenden Proteste weiter anheizte und zu zweitägigen Plünderungen und Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und, mehrheitlich russischstämmigen, Demonstranten führte.

Karsten BRÜGGEMANN lenkte danach den Blick auf die russisch-baltischen Beziehungen und sprach über „Russia´s Baltic Memory“. Das Baltikum gehörte seit dem 18. Jahrhundert zum russischen Herrschaftsbereich und spätestens seit der Unabhängigkeit von Estland, Lettland und Litauen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, versuchen die Regierungen dieser Länder nationale Identitäten zu schaffen, was vor allem in einer scharfen Abgrenzung zu Russland geschieht. Doch laut BRÜGGEMANN lässt sich nicht abstreiten, dass „Pribaltika“ (so der russische Name für die Region) noch immer eine große Rolle im russischen Bewusstsein spielt. In der historischen Beziehung zwischen Russland und dem Baltikum konnte BRÜGGEMANN fünf verschiedene Diskurse ausmachen, welche die russische Beschäftigung mit dem Gebiet geprägt haben: 1. Die baltischen Länder sind historisches russisch-orthodoxes Territorium, 2. Geographisch gesehen sind die baltischen Länder Teil der „großen russischen Ebene“, 3. Die baltische Küste ist strategisch gesehen überlebenswichtig für das Imperium, 4. Die baltischen Provinzen dienen Russland als ein „Versuchslabor“ für Reformen, 5. Die baltischen Länder bereichern die russische Kultur. Die Heftigkeit mit welcher die russische Regierung auf die Umsetzung des „Bronce Soldier“ reagierte, zeigt, dass einige dieser Diskurse bis heute anhalten und die Region noch lange nicht aus dem russischen Gedächtnis verschwunden ist.

Passenderweise führte die für den Nachmittag angesetzte Exkursion zu den „Post-Soviet Monument Landscapes in Tallinn” zum früheren Standort des Denkmals, wo Andres Kurg (Estonian Academy of Arts) eindrucksvoll zeigte, wie die Umgebung des Denkmals schon in den 90ern bewusst verändert wurde. Eine dichte Baumreihe grenzte das auf einer Straßenkreuzung gelegene Gelände von der Umgebung, unter anderem einer stark frequentierten Bushaltestelle, ab und versperrte den Blick auf das Monument. Ein neu angelegter Weg quer durch die Rasenfläche vor dem Bronzesoldaten zerstörte zudem die Unantastbarkeit des gesamten Mahnmals und degradierte die Fläche zu einer schnöden Abkürzung für Fußgänger. Auf diese Weise wurde den Teilnehmern nochmals verdeutlicht, dass Erinnerung keine objektive Kategorie darstellt, sondern durch äußere Faktoren und Akteure bewusst beeinflusst werden kann.

Am nächsten Morgen wies der ungarische Europaabgeordnete und Politikwissenschaftler György SCHÖPFLIN in seinem Vortrag nochmals auf die Verbindung von kollektivem Gedächtnis und (nationaler) Identität hin. Siobhan KATTAGO (Tallinn University) beschäftigte sich dagegen in ihrem Vortrag „Making Amends: Coming to Terms with Past in Democratic Societies” mit Vergangenheitsbewältigung und Geschichtspolitik. Den Bogen von der Antike bis zur Gegenwart schlagend, zeigte sie die Wurzeln des westlichen Umgangs mit der Vergangenheit. Aus den griechischen, jüdischen und christlichen Traditionen habe sich sowohl die Möglichkeit der Vergebung von Schuld, als auch die persönliche Verantwortung für begangene Taten entwickelt. Am Beispiel der Nürnberger Prozesse, dem Umgang der BRD mit der Geschichte des Nationalsozialismus, den Kategorien von Karl Jasper und Ideen von Timothy Garton Ash zeigte KATTAGO den Umgang mit Schuld und Vergangenheit im 20. Jhd. auf. Drei abschließende Beispiele demonstrierten, welche Kontroversen entstehen können, wenn Gesellschaften die Vergangenheit mit Hilfe von Monumenten behandeln: das „Vietnam Veterans Memorial”, Washington DC, die „Neue Wache”, Berlin und noch einmal der „Bronze Soldier”, Tallinn.

In einem, „Collective and Individual Memory: Different Strategies of Being in History” betitelten Block, stellten danach sechs der Teilnehmer ihre aktuellen Forschungsprojekte vor. Gustavs STRENGA beschäftigt sich mit individuellen Strategien des Erinnerns im Mittelalter und stellte den Fall des Kaufmanns Bernt Pael in Reval vor um zu zeigen, welche Praktiken üblicherweise die Erinnerung an eine Person auch nach ihrem Tod aufrecht erhalten sollten. Steffen JOST untersucht derzeit die Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses über längere Zeiträume hinweg und stellte die Entwicklung des Jahres 1492 als Erinnerungsort in Spanien seit dem 19. Jahrhundert vor. Jocelyn PAROT zeigte, wie Finnland sich das Medium des Internets zu Nutze macht, und mit Hilfe einer eigens dafür eingerichteten Homepage versucht, mit der Geschichte des Bürgerkrieges umzugehen. Dabei untersuchte er besonders die Reaktionen der Bevölkerung auf das Projekt. Kaja ŠIROK erforschte unter dem Titel „Nas Tito“ (Unser Tito) geteilte Erinnerungen in der slowenisch/italienischen Grenzstadt Nova Gorica/Gorizia. Die sowjetische Besatzungszeit in estnischen Tagebüchern und in der Erinnerung von Zeitzeugen vergleicht Uku LEMBER und zeigte, dass Widerstand gegen das Regime in den 50er und 70er Jahren nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte.

Auch Stuart BURCH (Nottingham Trent University) beschäftigte sich in seinem Beitrag „Collective Remembering, Collective Forgetting – Monuments and Commemoration” mit Monumenten, am Beispiel des Löwen von Narva. Sein auf einem im September erscheinenden Artikel 2 aufbauender Vortrag, ging der Frage nach warum die Errichtung der Statue in der estnischen Stadt Narva nicht den gleichen Eklat auslöste, wie die Umsetzung des „Bronze Soldier” in Tallinn. Zunächst jedoch gab es ein paar einleitende Worte zu Monumenten, die laut BURCH einen Katalysator für das kollektive Gedächtnis darstellen. Monumente seien zunächst einmal allerdings nur „Steine in der Landschaft” und würden erst durch Paraden, Kranzniederlegungen und Jubiläen zum Leben erweckt. Viele Monumente, an denen solche Akte der Erinnerung nicht mehr praktiziert werden, fallen der Vergessenheit anheim und werden mit der Zeit auf ihren rein ästhetischen Zweck reduziert. Der Löwe von Narva wurde im Jahr 2000 errichtet und erinnert an den Sieg der schwedischen Armee über die Truppen Peters des Großen vor den Toren der Stadt. Bereits 1936 war auf dem Schlachtfeld ein ähnliches Denkmal errichtet worden, welches allerdings 1944 zerstört worden war. Der neue Löwe ist nun auch von einer ganz anderen, weniger aggressiven Qualität, wie z.B. die Tatsache zeigt, dass er nun mit dem Rücken zur russischen Seite der Stadt steht. Zudem scheint es so zu sein, dass die Statue viel mehr als Symbol der guten estnisch-schwedischen Beziehungen gesehen wird und weniger als Symbol des Sieges über Russland. Laut BURKE dürfte der Umstand, dass Peter der Große die Niederlage einige Jahre später verwunden hatte und die schwedische Armee in einer neuerlichen Schlacht vernichtend schlug, einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass Russland der Errichtung der Statue weitaus weniger Aufmerksamkeit schenkte, als der Umsetzung des „Bronze Soldier“ in Tallinn.

Gegen Ende der Summer School stand ein weiterer Nachmittag im Zeichen der Projekte der Teilnehmer, diesmal unter dem Titel „Realms of memory: This is (not) a Weeping Song“. Lilona PIKKANEN befasste sich in ihrem Beitrag über die finnische Oper und das Theater in den 1870er Jahren mit den Zusammenhängen zwischen kulturellem Gedächtnis, Sprache und nationaler Identität. Hanna STEINMETZ zeigte, ebenfalls unter Bezug auf das Assmannsche Konzept des kulturellen Gedächtnisses, welche verschiedenen Erinnerungen und Interessen sich rund um das Projekt Volkspalast in Berlin gebildet haben und wie es dabei zur sozialen Konstruktion von Erinnerung kommt. Lorena ANTON wählte als theoretische Grundlage ebenfalls die Ideen von Assmann und Nora, um sich von einer eher anthropologischen Position mit den rigiden Abtreibungsgesetzen in der rumänischen Diktatur zu beschäftigen. Einen vollkommen anderen Blickwinkel auf das Überthema präsentierte Jerzy ELZANOVSKI unter dem Titel „Fragile Architecture: How to build in a Post-traumatic City“. Dabei ging es um die Frage, wie Architektur, hier explizit am Beispiel Warschaus dargestellt, sich kollektiver Erinnerungen bedient und diese in Gebäudestrukturen umsetzt. Einen ebenfalls anderen Ansatz präsentierte zum Schluss Dorothee REMPFER, die sich mit den regionalen Gerichten beschäftigte, welche die Verbrechen des ruandischen Völkermords aufklären und gegebenenfalls bestrafen sollten: „Does Dealing with the Past Lead to Reconciliation?“ war dann auch die passende Frage im Titel ihres Vortrags.

Resümierend lässt sich die fünfte Auflage der Tallinn Summer School als voller Erfolg werten. Auch wenn es bei der großen Menge an Beiträgen nur verständlich ist, dass sich nicht alle Vorträge auf einem gleichbleibenden Niveau bewegten, konnte dem größten Teil der Vorträge dennoch eine hohe Qualität bescheinigt werden. Zu kritisieren wäre allerdings, dass die Anordnung der Beiträge zwar offensichtlich einem inhaltlichen Konzept folgte, so dass Vorträge mit ähnlichen Themen nah zusammen lagen, aber eine Gliederung in verschiedene Panels aufgrund der großen Anzahl dennoch hilfreich gewesen wäre und zu einer besseren Bewahrung des Überblicks verholfen hätte. Dass die Veranstaltung insgesamt inhaltlich äußerst befriedigend war, lag mit Sicherheit auch an der großen thematischen Bandbreite, sowohl der offiziellen Vorträge, als auch der Forschungsfelder der Teilnehmer der Summer School. Es zeigte sich, wie stark das Forschungsfeld Erinnerung und Gedächtnis inzwischen verbreitet ist und diskutiert wird und wie die verschiedenen interdisziplinären Ansätze auf vielen Ebenen miteinander kombinierbar sind. Zudem wurde deutlich, dass sich das Konzept des kulturellen Gedächtnisses von Jan und Aleida Assmann inzwischen weitgehend durchgesetzt hat und gegenüber dem Begriff des kollektiven Gedächtnisses bevorzugt wird. Die Atmosphäre der estnischen Hauptstadt und die Gastfreundlichkeit der Tallinner Studenten führte auch abseits des offiziellen Programms zu äußerst anregenden Diskussionen, bei denen zudem die Gelegenheit bestand, mit den Vortragenden selbst noch mal ins Gespräch zu kommen. Kleinere organisatorische Mängel vor und während des Kurses waren zwar vorhanden, können das positive Bild aber letztlich nicht trüben. Die Teilnehmer der Summer School werden auch in Zukunft in Kontakt bleiben und es bestehen Pläne, ein europäisches Nachwuchs-Netzwerk zur Erinnerungs- und Gedächtnisforschung aufzubauen.

Anmerkungen
[1] Halbwachs, Maurice, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt am Main 1985.
2 Burch, Stuart; Smith; David J., Empty Spaces and the Value of Symbols: Estonia’s ‘War of Monuments’ from Another Angle, in: Europe-Asia Studies 59 (2007), 6, S. 913 – 936.


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