Missverständnis: versteh’ mich richtig, es geht um Kommunikation / Malentendu: bien entendu, une affaire de communication

Missverständnis: versteh’ mich richtig, es geht um Kommunikation / Malentendu: bien entendu, une affaire de communication

Organisatoren
Astrid Nierhoff-Fassbender; Sidonie Kellerer; Alice Perrin-Marsol; Fabien Theofilakis; Interdiziplinärer Workshop für Nachwuchswissenschaftler organisiert von GIRAF-IFFD
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.05.2007 - 03.06.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Alice Perrin-Marsol

I. Konzeption und begriffliche Definition der Veranstaltung
Die nach französischem Gesetz eingetragene Forschungsgruppe GIRAF-IFFD (Interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft Frankreich-Deutschland) hat vom 31. Mai bis zum 3. Juni in der Universität zu Köln den dritten interdisziplinären Workshop für Nachwuchswissenschaftler unter der Schirmherrschaft des Kölner Zentrums für Moderneforschung und des Pariser Institut du Temps présent organisiert. Nach den Tagungen, die 2004 in Lille zum Thema „Tabus und Tabubrüche" und 2005 in Berlin zum Thema „Mittel und Kontrapunkte" stattfanden, ging es bei der dritten Tagung um "Missverständnis: versteh’ mich richtig, es geht um Kommunikation / Malentendu; bien entendu, une affaire de communication". Es kamen bei dem Workshop außer den Organisatoren, den Moderatoren und einem Keynote-Speaker 18 Nachwuchswissenschaftler aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Bereichen zusammen.

Das Missverständnis / Malentendu wird meist negativ definiert als eine per se schief gelaufene Kommunikation. Diese übliche Abwertung übersieht dabei seine herausragenden heuristischen Potenziale. Zum Missverständnis gehört immer eine Absicht zur Kommunikation von Seiten einer Person und/oder eines Autors.

In Frankreich wie auch in Deutschland, innerhalb und zwischen beiden Ländern, ruft die Kommunikation zwischen verschiedenen Instanzen und in verschiedenen Bereichen Missverständnisse hervor. Durch sie werden die differenzierten Identitäten der Gesprächspartner zum Ausdruck gebracht, sowie eine Kommunikation, die auf einer nicht gemeinsamen Realitätswahrnehmung und einem ungleichen Sprachverständnis beruht.

Diese verschiedenen Fragestellungen wurden im Vorfeld des Workshops entwickelt. Es wurde deutlich, dass sich zwar die deutsch-französische Perspektive besonders für die Erforschung der Missverständnisse anbietet, aber dennoch nicht ausschließlich sein sollte. Besonders wichtig war den Veranstaltern, eine vergleichende und fächerübergreifende Dimension dieser Konferenz zu gewährleisten.

II. Verlauf des Workshops
Bei dem am 31 Mai im deutsch-französischen Kompetenzzentrum La Villa unter dem Motto "Uni trifft City" organisierten Eröffnungsabend ging es darum, die Bereiche der Wirtschaft einerseits und der Uni andererseits zusammenzubringen. Höhepunkt des vom Leiter der Villa Denis Abraham eröffneten Abend war die Projektion mehrerer Auszüge der ARTE TV-Sendung Karambolage, die von der Produzentin Claire Doutriaux kommentiert wurden. Die sprachlichen oder durch falsch verstandene Gesten entstandenen Missverständnisse erhielten hier eine sehr bildhafte Darstellung. Anschließend setzte sich die Diskussion um das Büffet fort wo die Teilnehmer die Möglichkeit hatten, sich näher kennen zu lernen.

Am Freitag den 1 Juni eröffnete Wolfram Nitsch vom Romanischen Seminar der Universität zu Köln die Veranstaltung und die Organisatoren bedankten sich herzlich bei ihren Sponsoren, die die Tagung möglich machten: der Universität zu Köln und dem Institut historique des temps présent, dem Deutsch-französischen Jugendwerk, der Deutsch-französischen Hochschule, der Thyssen-Stiftung, dem CIERA, dem IHA (Paris) und dem Centre Marc Bloch (Berlin).

Der eigentliche Workshop bestand aus vier thematischen, halbtägigen Sektionen.

Die erste Sektion setzte sich mit der "Sprache des Missverständnisses" auseinander. Es waren ursprünglich fünf Beiträge vorgesehen, doch da eine Teilnehmerin im letzten Moment absagen musste, gab es mehr Zeit für die Diskussion. Philippe Lacour (Philosophie, Centre Marc Bloch, Berlin) machte eine sehr nützliche allgemeine, theoretische Einführung zum Thema, die die Definition des Missverständnis-Begriffs erhellte. Johanna Salomonsson (Germanistik, Stockholm) untersuchte ein konkretes Beispiel für die vorgängige Definition. Sie zeigte anhand der sog. "Höflichkeitstrategien" (Brown/Levinson) im Bereich der Internet-Kommunikation wie sich hinter dem vorgeblichen Missverständnis in Wirklichkeit der Wille verbirgt, Konflikte zu vermeiden. Am Beispiel der Internationalen Geographiekongresse von 1934 und 1938 und des Begriffpaares "Landschaft / paysage" zeigte Gaelle Hallair (Geographie, Sorbonne) wie sich die Grenze zwischen Mißverständnis und Unverständnis oftmals verschiebt. Abschließend legte Antonio Castore (Germanistik, Turin) anhand der Liebesbriefe von Franz Kafka an Milena Jesenská das widersprüchliche Verhältnis dar, das zwischen Missverständnis und Übersetzung bestehen kann. Er zeigte das schwierige Verhältnis des Autors zur Übersetzung seines Werks auf, eine Übersetzung, die im Grunde genommen immer auf eine unvermeidliche Transformation des Werks hinausläuft.

Die zweite Sektion setzte sich mit dem Missverständnis als Gegenstand politischer Strategien und Dynamiken auseinander. So zeigte Johanna Edelbloude (Centre Marc Bloch, Berlin) wie die "Ostrowski- Affaire", die Anfang der neunziger Jahre für großes Aufsehen innerhalb der PDS sorgte, Missverständnisse an den Tag brachte zwischen einerseits dem offiziellen Diskurs der PDS und andererseits einer gewissen Permeabilität der sächsischen Landesfraktion zu rechtsextremen Thematiken. Delphine Choffat (Deutsche Geschichte, Nantes/Düsseldorf) brachte zusätzliche Elemente zur Frage des Strategiepotenzials des Missverständnisses durch ihre Untersuchung des Begriffs der "Normalität" im deutschen medien-politischen Diskurs (1998-2002) ein. Der Beitrag von Aline Hartemann (Soziologie, EHESS, Paris / Centre Marc Bloch, Berlin) zur "Instrumentalisierung der Sprache und der Übersetzungsarbeit am Beispiel der Festlegung der editorialen Richtlinien" bei Arte-TV verschaffte einen spannenden Einblick in die Funktionsweise eines Symbols der deutsch-französischen Kooperation. Es wurde deutlich, dass in diesem Fall das Missverständnis unmissverständlich teil einer Machtstrategie ist. Der Fall der Lübecker Syndikus Finckelhaus zu Anfang des 17. Jh. verschob im Beitrag von Iwan Iwanov (Geschichte, Göttingen) die Analyse des Missverständnisses in Richtung des Betrugs. Dieses historische Fallbeispiel machte den Prozess des Missverständnisses deutlich, von seiner Entstehung bis zu seiner Auflösung. Abschließend präsentierte Christian Weber (Germanistik, Freie Universität Berlin) ein aktuelles Beispiel für die Instrumentalisierung des Missverständnisses: Es ging um das Serbien-Bild Peter Handkes. Besonders interessant war, dass in diesem Fall bewusst darauf verzichtet wird, das Missverständnis zu beheben, um eigene Interessen zu wahren.

Die zwei Sektionen am Samstag den 2 Juni bemühten sich darum, die gesellschaftliche Dimension der Missverständnisse zu vertiefen.

So ging es in der ersten Sektion um kulturelle und soziale Rezeptionsfragen. In ihrem Beitrag "Günter Eich / Wilhelm Lehmann: Missverständnis, ambivalente Missbilligung und poetische Innovation" untersuchte Sandie Attia (Germanistik, Sorbonne / Fribourg) zwanzig Jahre komplexer Verhältnisse zweier Autoren.

Hier wurden die Missverständnisse zu unerwarteten poetischen Innovationsmitteln im Zuge einer Art neuer Querelle zwischen Alten und Modernen. Weiterhin im Bereich der Literaturgeschichte, analysierte Dagmar Just (Germanistik, Humboldt Universität, Berlin) die zahlreichen misreadings (H. Bloom), die der berühmte Chandos-Brief von Hugo von Hofmannsthal verursachte. Sidonie Kellerer (Philosophie, Toulouse II / Bonn) erweiterte die vorhergehenden Überlegungen um eine philosophische Dimension, indem sie aufzeigte, wie das europäische Symbol des Cartesianismus oftmals als missverständlich ausgelegt wurde, um eigene philosophische Positionen zu legitimieren. Schließlich überraschte Emmanuel Prokob (Philosophie, EHESS Paris) mit dem Vortrag "Wozu philosophieren?". Er setzte zwei philosophische Zusammenkünfte parallel, zwischen Victor Cousin und Schelling einerseits und Jürgen Habermas und Michel Foucault andererseits. Deutlich kommt hierbei im Rahmen der jeweiligen Werkrezeptionen das zur Geltung, was Cornelius Castoriadis die "sozio-historischen Imaginationen" nennt.

Die letzte Sektion – "das kreative Missverständnis" - wurde von Sarah Clément (Germanistik, Paris VII) mit dem Vortrag "Der Leser auf dem Prüfstand in zwei ambivalenten Fiktionen: Le Bavard von Louis-René des Forêts und Béton von Thomas Bernhard" eröffnet. Es ging hierbei um ein vom Autor selbst intendiertes und bewusst gefördertes Missverständnis, als Kernstück des "Lesepaktes", bei welchem es darum geht, die Fiktion zu dekonstruieren. Clement machte deutlich wie so das Missverständnis zu einer "bewegenden und positiven Kraft" wird "die die Schrift nährt, indem sie sie möglich macht. "Thomas Münzmay (Musikwissenschaft, Stuttgart) untersuchte eine weitere Form der Fiktionalisierung durch das Missverständnis, indem er sich mit einem Musikzitat, einer amerikanischen Jazz-Melodie auseinander setzte: That Mysterious Rag, das Erik Satie in Parade von Jean Cocteau (1917) heraufbeschwört. Mit Alban Pichon (Filmwissenschaft, IUT Michel de Montaigne, Bordeaux) blieben die Vorträge in der Welt des Spektakels und der Fiktion. Er analysierte Alfred Hitchcocks North by Northwest (1959), in welchem die Missverständnisse gleichsam theatralischen Wert gewinnen und das Gleichgewicht der Fiktion bestimmen. Abschließend erweiterte Astrid Nierhoff-Fassbender (Germanistik, Montpellier III / Cologne) die Überlegungen noch um die Dimension der Malerei: "Identität als inszeniertes Missverständnis in der Malerei von Max Beckmann und George Grosz". Sie untersuchte die Masken in den Werken der zwei Maler, die eine enge Verbindung mit dem Missverständnis eingehen. Es ging dabei ganz zentral um das Verhältnis zwischen Bild und Wirklichkeit.

Franco La Cecla (Anthropologie und Architektur, Barcelona) hielt einen abschließenden Vortrag. Ihm zufolge bringen Missverständnisse Situationen zum Kippen, sie führen zu raum-zeitlichen Kommunikationskurzschlüssen, aber garantieren gleichzeitig die Wahrung individueller Grenzen. Durch das Missverständnis kann das Unbehagen, das der Andere auslöst überwunden werden. Als Anthropologe tat er seine Überzeugung kund, dass sozialen Praktiken die Funktion zukommt, die menschliche Freiheit zu gewährleisten. Insofern sprach er sich entschieden für einen Platz für das Missverständnis im Rahmen der Kommunikation aus.

Am Sonntag den 3. Juni konnten die Teilnehmer, die es wünschten, sich einem Ausflug zum Kölner Schokoladenmuseum anschließen und so die bereits geknüpften Kontakte in einem lockeren Rahmen vertiefen.

III. Bilanz und Perspektiven
Das Programm der Veranstaltung war überaus konzentriert und die Teilnehmer zeigten sich sehr zufrieden. Die regen und lebhaften Diskussionen zeugten von der Dynamik der Tagung und auch von der gelungenen thematischen Organisation der Sektionen. Die Missverständnis-Thematik erwies sich als besonders fruchtbar für interdisziplinäre Analysen, da die Beiträge immer wieder aufeinander verwiesen. Die Kommunikation zwischen den Teilnehmern verlief sehr gut trotz einiger Nicht-Zweisprachler, denen aber von den Organisatoren bereitgestellte Zusammenfassungen der Beiträge zur Verfügung standen. Die wissenschaftliche, aber trotzdem entspannte Atmosphäre auf Grund des nicht institutionell hierarchisierten Rahmens, trug sehr zur Geselligkeit und zum Erfolg der Tagung bei. Nicht zuletzt stieß der Eröffnungsabend auf großen Anklang.

Dieses 3. Atelier hat gezeigt, dass interdisziplinärer und interkultureller Austausch auf ein großes Echo stößt und Dynamiken in Gang bringt, die auch über die Veranstaltung hinaus Folgen zeitigen: Kontakte, Netzwerke, neue Projekte usw. Die Veröffentlichung der Beiträge in einem Sammelband ist für 2008 vorgesehen.


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts