Nach-Bürgerkriege: Österreich, Spanien und Griechenland im Vergleich/Post-Civil Wars: Comparing Austria, Spain and Greece

Nach-Bürgerkriege: Österreich, Spanien und Griechenland im Vergleich/Post-Civil Wars: Comparing Austria, Spain and Greece

Organisatoren
Gerhard Botz, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien; Maria A. Stassinopoulou, Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, Universität Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
15.06.2007 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Regina Fritz, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien; Alexander Salzmann, Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft, Wien

Autoritäre Regime im Europa der Zwischenkriegszeit und Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Konflikte vor, während oder nach dem Zweiten Weltkrieg und deren Auswirkungen beeinflussen bis heute Geschichtsbilder in vielen Ländern und teilen die politischen Kulturen.

Die internationale Konferenz "Nach-Bürgerkriege: Österreich, Spanien und Griechenland im Vergleich“/“Post-Civil Wars. Comparing Austria, Spain and Greece" unternahm einen Vergleich zwischen drei Ländern, in denen innerstaatliche Gewaltereignisse die Nachweltkriegsordnung mitprägten und die individuellen und „kollektiven“ Erinnerungen bis heute bestimmen. Neu war dabei der Vergleich zwischen den beiden langen und opferreichen Bürgerkriegen in Spanien 1936-1939 und Griechenland 1943/44-1949 mit dem österreichischen Schutzbundaufstand des Jahres 1934, dessen Dimensionen zwar wesentlich kleiner waren, dessen Nachwirkungen dennoch die ideologischen Positionen und politischen Entscheidungen im Nachkriegsösterreich stark beeinflussten.

Die Konferenz fand am 15. Juni 2007 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien statt. Organisiert wurde die Tagung vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik und vom Institut für Zeitgeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft, der Balkankommission der ÖAW und der Österreichischen Gesellschaft für Neugriechische Studien.

Die einleitenden Worte sprachen Maria A. Stassinopoulou (Universität Wien) und Gerhard Botz (Universität Wien). Sie betonte das innovative Potential des Tagungsthemas und verwies auf die Bedeutung der komparatistischen Methode für einen neuen Blick auf die Ereignisse. Dabei verwies sie auf historiografische Entwicklungen, die sich in allen drei Ländern finden: Neutralisierung der Terminologie („Bürgerkrieg“ wird zu „Bandenkrieg), Individualisierung (Diversifizierung durch Oral History), Regionalisierung (Schwerpunktverlagerung auf die Regionalgeschichtsforschung, Etablierung von lokalen Erinnerungsorten).

Gerhard Botz vertrat die These von der „Amnestie durch Amnesie“1. Die Nachbürgerkriegsphase des Übergangs ist für ihn durch Schweigen und Nicht-Thematisieren charakterisiert und durch konsensuale, ausgleichende Lösungen gekennzeichnet. Den Vergleich der bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Österreich mit den deutlich länger dauernden und opferreicheren Bürgerkriegen in Spanien und Griechenland rechtfertigte Botz mit vergleichbaren Folgen und der insgesamt langen Dauer der Konflikte, die sich aus Brüchen in der politischen Kultur und der Gesellschaft der drei Länder nährten.

Oliver Rathkolb (Universität Wien) analysierte die sozialpartnerschaftlichen Akteure, Interessen und Strukturen der Zweiten Republik in Österreich in Bezug auf die Überwindung des Bürgerkriegs. Dabei wies Rathkolb darauf hin, dass die kontrollierte Verantwortungsdebatte zum Erstarken des österreichischen Demokratie- und Identitätsbewusstseins notwendig war, wobei zunächst die ÖVP die Hegemonie in der Identitäts- und Heimatdebatte hatte. Der „Mythos der Lagerstraße“, also das gemeinsame Erleben des Konzentrationslagers, wurde dabei Teil der österreichischen Basiserzählung. In der Auseinandersetzung mit 1934 kam dies einer Absolution gleich. Die These der geteilten Schuld wurde auch von der SPÖ akzeptiert, und so wurde der Diktaturcharakter des Dollfuß-Regimes außerhalb der Wissenschaft nicht ernsthaft politisch verhandelt. Trotz der fehlenden innenpolitischen Auseinandersetzungen kam es in den koalitionsfreien Räumen zu Diskussionen. Erst nach Abschluss der nationalen Identitätsbildung, nachdem also diese ausreichend gefestigt war, um Neuverhandlungen in politischen Fragen auszuhalten, sieht Rathkolb eine in den 1980er Jahren auftauchende Wende durch das Dominantwerden der sozialdemokratischen Interpretation.

Auch Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften) verwies in ihrem Vortrag „Konflikt und Konsens. Die Erinnerung an Bürgerkrieg und Nationalsozialismus im „Gedächtnishaushalt“ der Zweiten Republik“ auf den inszenierten Konsens auf offizieller Ebene und auf den Dissens auf parteipolitischer Ebene und erweiterte Rathkolbs Ausführungen durch die kulturwissenschaftliche Perspektive. Dabei betrachtete sie den Gedächtnisort „1934“ im „Gedächtnishaushalt“ der Zweiten Republik. An Hand ausgewählter Beispiele zeigte sie auf, welchen Stellenwert „1934“ im österreichischen Gedächtnishaushalt hatte, und wie sich dieser verändert hat. In der Waldheim-Debatte 1986 sieht sie einen Wendepunkt, denn ab diesem Zeitpunkt stellte sich die Frage, ob die Konzentration auf die Jahre 1934-1938 nicht auch die Funktion hatte, die Erinnerungen an die Jahre 1938-1945 zu überdecken.

Der spanische Bürgerkrieg stand im Mittelpunkt des zweiten Panels, das mit einem Vortrag von Julio Pérez Serrano (Universität Cádiz) eröffnet wurde. In seinem Vortrag „Folgen von Gewalt in Bürgerkriegen: Sozialpsychologische Perspektiven" kritisierte Pérez Serrano die Überbewertung der Rolle der politischen Eliten und der Wirtschaft bei der Transformation in Spanien und wies auf die Funktion der Zivilgesellschaft in der politischen Krise des Francismus hin. Obwohl er die Modernisierung der Wirtschaft als Voraussetzung für diese Krise sieht, wies er den sozialen Bewegungen eine entscheidende Bedeutung bei der Destabilisierung des Regimes zu, wodurch die Opposition erst zu einem politischen Akteur werden konnte.

Mercedes Vilanova (Universität Barcelona) ergänzte die Tagung durch die subjektive Perspektive der ZeitzeugInnen. Dabei kritisierte sie die politische Instrumentalisierung der Erinnerung und die Konstruktion „einer Erinnerung“. Durch die Analyse von drei Interviews konnte sie aufzeigen, wie Oral History zur Neuschreibung der Geschichte durch das Aufwerfen von bislang nicht berücksichtigten Fragen beitragen kann. Sie wies darauf hin, dass historische Dokumente oft viel verdecken. Diese Lücke könne nur durch die Heranziehung von Erzählungen des tatsächlich Erlebten geschlossen werden. Als Beispiel verwies sie auf schriftliche Dokumente aus den Konzentrationslagern, die das Lagerleben nur aus der Täterperspektive wiedergeben. Mit Hilfe der Analyse eines weiteren Interviews zeigte sie auf, wie Erinnerungen zum Verstehen der gegenwärtigen Gesellschaft beitragen können, denn diese macht das Erzählen über bestimmte Erfahrungen durch das Aufbrechen von Tabus oder durch die Anerkennung als Opfer erst möglich.

Stratos Dordanas’ (University of Macedonia, Florina) Paper eröffnete das Panel über Griechenland. Er wies auf die gespaltene griechische Gesellschaft hin, die aus „Siegern“ und „Besiegten“, „national Denkenden“ und „Feinden“ bestand. Dabei wurde jedoch die Frage der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland aus der Erinnerung gelöscht und die individuelle Erfahrung durch eine institutionelle Erinnerung überschattet.

Ausgehend von der These, dass Nach-Bürgerkriegs-Diskurse die Natur des Nach-Bürgerkriegssystems reflektieren, analysierte Nikos Marantzidis (University of Macedonia, Thessaloniki) die Historiografie des Bürgerkrieges in Griechenland. Dabei interessierten ihn insbesondere Wenden in der dominanten Erinnerung nach politischen Änderungen. Um diese aufzuzeigen, wertete er 1620 Erinnerungsbücher, die zwischen 1945 und 2003 entstanden sind, statistisch aus. Wie schon Dordanas, unterschied er dabei zwischen zwei verschiedenen Erinnerungen: die der „Sieger“ die der „Besiegten“. Insgesamt wurde der Grossteil der Memoiren (63,7 Prozent) von Autoren der politischen Linken verfasst. In der statistischen Auswertung konnte er zum Beispiel aufzeigen, dass nach 1974, dem Sturz der Diktatur der Obristen, die „rechten“ Erinnerungen an Dynamik verloren und durch eine steigende Zahl von „linken“ Erinnerungen abgelöst wurden. Die interne politische Entwicklung rückte in den Mittelpunkt der Forschungen. Dabei wurden Fragen nach Gewaltbereitschaft und Partizipation der Bevölkerung am Bürgerkrieg zu Tabus erklärt.

Den Abschluss der Konferenz bildete der Vortrag „Folgen von Gewalt in Bürgerkriegen: Sozialpsychologische Perspektiven“ von Peter Merkl (University of California, Santa Barbara). In einem tabellarischen Vergleich, in dem er die drei in der Tagung behandelten Länder durch Russland ergänzte, verband er die Grade der Intensität der vorhergehenden Revolutionen, Diktaturen und Bürgerkriegen mit den sozialpsychologischen Motiven der Sieger und Verlierer. Dabei kam Merkl zu dem Schluss, dass die Diktaturen umso repressiver waren, je blutiger die vorangehenden Revolutionen oder Bürgerkriege verlaufen waren.

Die Vorträge zeigten eindrucksvoll die starke Polarisierung in den Nachbürgerkriegserinnerungen. Dabei wurde insbesondere die sich ändernde Dominanz der „rechten“ bzw. „linken“ Geschichtsinterpretationen im Laufe der Jahre deutlich. Begrüßenswert war die Berücksichtigung der subjektiven Ebene der ZeitzeugInnen durch den beeindruckenden Vortrag von Mercedes Vilanova und die Herausarbeitung der Bedeutung von sozialen Bewegungen bei der Transformation in demokratische Systeme. Der transnationale Blick ermöglichte es, zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede festzustellen. Interessant war dabei der Vergleich der nur einige Tage dauernden bürgerkriegsähnlichen Kämpfen in Österreich mit den Bürgerkriegen in Spanien und Griechenland, wodurch die österreichische Selbstinterpretation der Februarkämpfe als Bürgerkrieg kritisch hinterfragt und überprüft werden konnte.

Die Publikation der Beiträge der Konferenz ist in Vorbereitung.

Anmerkung:
1 Die einleitenden Worte von Gerhard Botz erschienen am 30.6.2007 in „Die Presse“ unter dem Titel „Amnesie und Amnestie“ <http://www.diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/313952/index.do> (30.08.2007)

http://www.lbihs.at/civilwars
Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
Sprache des Berichts