The Reception of Isaac Newton in the European Enlightenment

The Reception of Isaac Newton in the European Enlightenment

Organisatoren
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Helmut Pulte (Ruhr-Universität Bochum); Scott Mandelbrote (University of Cambridge); Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.04.2007 - 04.04.2007
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Von
Helmut Pulte, Institut für Philosophie, Ruhr-Universität Bochum

Das von der Herzog August Bibliothek veranstaltete, von Helmut Pulte und Scott Mandelbrote geleitete und von der DFG geförderte Symposion hatte das Ziel, – komplementär zur Vorgängertagung am Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach im Februar 2006, die vorwiegend der Newton-Rezeption in der reinen und angewandten Mathematik sowie der Physik gewidmet war – eine vergleichende Untersuchung der Aufnahme des Newtonschen Werkes in den verschiedenen Ländern und Regionen des Kontinents zu unternehmen und dabei insbesondere die philosophische und allgemeinkulturelle (ideengeschichtliche, literarische und künstlerische) Wirkung in den Blick zu nehmen. Dabei wurde ein besonderes Gewicht auf Ländervergleiche sowie die philosophische und allgemeinkulturelle Newton-Rezeption gelegt.

Äußerlich erwies sich neben der inspirierenden Atmosphäre der Herzog August Bibliothek als sehr vorteilhaft, dass das kleine Rahmenprogramm (Führung durch die musealen Räume der Bibliothek am späten Nachmittag des 2. April; Empfang im Anna-Vorwerk-Haus am späten Nachmittag des 3. April) um ein Konzert „Klang und Farbe“ in der Augusteerhalle der Biblitohek am Abend des 3. August und eine Führung durch die Ausstellung „Gottfried Wilhelm Leibniz“ in der alten Stadtbücherei Wolfenbüttel nach Abschluss der Tagung am 4. April erweitert werden konnte. Neben den inhaltlichen Erträgen wurden diese Angebote – insbesondere von den ausländischen Teilnehmer – als ausgesprochene Bereicherungen einer intensiven Arbeitstagung zur Newton-Rezeption in der Aufklärung an einer der wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen zur Epoche der Aufklärung wahrgenommen.

Wie bereits die Oberwolfacher Tagung im Jahre 2006, profitierte auch diese Veranstaltung davon, dass alle Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erbracht wurden, die über Newtons Werk und dessen Rezeption bereits intensiv und zum Teil langjährig geforscht und publiziert haben: Sowohl die Vorträge als auch deren Diskussion bewegten sich auf hohem Niveau und reflektierten den aktuellen Stand der Newton-Forschung. Während die Darstellung der vorgestellten Ergebnisse im Einzelnen der vorgesehenen Publikation vorbehalten bleiben muss, lassen sich doch aus den Vorträgen und Diskussionen einige übergreifende Resultate destillieren und Perspektiven entwickeln, die kurz benannt werden sollen – und zwar zunächst hinsichtlich der Newton-Rezeption in Ländern und Regionen, danach stärker bezüglich inhaltlicher Aspekte:

– Frankreich und die deutschsprachigen Länder heben sich von allen anderen Ländern dadurch ab, dass die Newton-Rezeption stark durch rivalisierende philosophische Paradigmen (Cartesianismus, Leibnizianismus) geprägt wurde. In diesen Ländern ist auch am ehesten von breiten, ganze ‚scientific communities’ betreffenden und institutionell (insbesondere durch die Akademien) strukturierten Rezeptionsprozessen zu sprechen. Zudem ist eine Periodisierung der Newton-Rezeption (bis hin zur allgemeinen Anerkennung) anzuwenden, die drei Phasen unterscheidet, welche jeweils etwa ein Drittel des 18. Jahrhunderts einnehmen. Die frühe Phase wird charakterisiert durch die mathematische Durchsetzung, die mittlere durch die philosophische Transformation des Newtonschen Denkens, während die späte Phase durch dessen ideologische Vereinnahmung geprägt wird.

– In der europäischen Peripherie (Skandinavien, Baltische Staaten, Ungarn, Portugal) verläuft die Durchsetzung der Newtonschen Lehre wesentlich eklektischer, das heißt inhaltlich äußerst uneinheitlich, und weist auch in zeitlicher Hinsicht ganz beträchtliche Differenzen auf – bis hin zu einer Dilatation der ungarischen Newton-Aufnahme erst im frühen 19. Jahrhundert. Gemeinsam erscheint den lokalen Rezeptionsgeschichten dieser Regionen, dass sie stark von herausragenden Individuen geprägt werden: Gelehrte wie J. Kraft (Dänemark), A. Celsius (Schweden), A. J. Lexell (Finnland), R. Markó (Ungarn), D. M. Zapata und B.-J. Feijoo (Spanien) nahmen maßgeblich Einfluss auf Art und Umfang der Newton-Durchsetzung in ihren jeweiligen Ländern.

– Italien nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als hier Elemente der französischen Debatte um Cartesianismus versus Newtonianismus wie auch der deutschen Debatte um Leibnizianismus versus Newtonianismus aufgegriffen, aber nur lokal wirksam wurden. Wie in Spanien und Portugal war hier zudem die Rezeption durch die Jesuitenschulen ein besonders relevanter Faktor. Generell erweist sich der Katholizismus in Italien wohl als weniger ‚widerstandsmächtig’, als es bisherige Darstellungen nahe legen.

– Inhaltlich sehr beachtlich erscheint, dass in allen vertretenen Ländern eine Diskussion um die theologischen Implikationen der Newtonschen Lehre geführt wird: Newtons eigene Untersuchungen zur Chronologie und seine Bibelexegese werden, soweit im 18. Jahrhundert bekannt, zwar oft heruntergespielt oder sehr kritisch kommentiert; die Bedeutung seiner physikotheologischen Auffassungen ist jedoch in den (affirmativen wie kritischen) Kommentaren der verschiedenen Ländern allgemein anerkannt – ähnlich wie die Newtonsche Gravitationstheorie also ein Gegenstand der europäischen Diskussion um die Newtonsche Lehre von Anfang an.

– Eine weitere inhaltliche Gemeinsamkeit zeigt sich darin, dass die „Newtonian philosophy“, ähnlich wie in der britischen Rezeptionsgeschichte, aber mit zeitlichem Verzug zu dieser, zum Synonym für die „Experimental philosophy“ bzw. für die moderne Experimentalwissenschaft wurde und sich generell als Wissenschaftsideal durchsetzte. In diesem Prozess wurde jedoch in der Regel kaum auf Newtons Schriften selber, sondern auf Schriften seiner Schüler, auf (andere) Popularisierungen oder auf ein diffuses Newton-Bild der gelehrten Öffentlichkeit zurückgegriffen: Die erste Hälfte des 18. Jahrhundert konstruiert einen Newtonianismus, der nur noch bedingt die Züge des Newtonschen Werkes erkennen lässt.

– Nicht in der bisher vermuteten Breite bestätigen lässt sich die Vermutung, dass die Newtonsche Lehre in ihren ‚ideologischen Vereinnahmungen’ zu einem quasi-säkularen Surrogat der Spätaufklärung für verloren gegangene transzendente Letztbegründungen und Gewissheiten wurde: Diese Hypothese lässt sich zwar für materialistische Interpretationen, die insbesondere in Frankreich anzutreffen sind, verteidigen. Theistische Positionen sahen jedoch zeitgleich Newtons Lehre – gerade auf Grund ihrer physikotheologischen Implikationen – als durchaus kompatibel an; auch weist die Newton-kritische Tendenz der Spätaufklärung in Deutschland (z. B. Goethe, Hegel) in eine andere Richtung.

Die Wolfenbütteler Tagung hat – wie auch die sehr positive Resonanz der Teilnehmer unterstreicht – der Newton-Rezeptionsforschung einen wichtigen neuen Impuls gegeben und die geplante Publikation „The Reception of Isaac Newton in Europe“ einen großen Schritt vorangebracht. Als fruchtbar erwies sich dabei insbesondere das interdisziplinäre Gespräch von Newton-Experten und Expertinnen verschiedenster Fachrichtungen (Philosophen, Wissenschaftshistoriker der Naturwissenschaften, Ideengeschichtler, Literaturhistoriker und Kulturwissenschaftler), das auch zu interessanten historiographischen Diskussionen Anlass gab.
Die beiden Tagungsleiter und Herausgeber von „The Reception of Isaac Newton“ beabsichtigen – nicht zuletzt auf Grund der äußerst positiven Erfahrungen zur Wolfenbütteler Tagung – im Mai 2008 einen dritten und letzten ‚Workshop’ zur Rezeption des Newtonschen Werkes an der Ruhr-Universität Bochum durchzuführen. Dieser soll die Vorstellung und Koordinierung der Beiträge zu den beiden geplanten Bänden abschließen. Deren Veröffentlichung ist für Anfang 2009 vorgesehen. Die Herausgeber hoffen, damit ein Referenzwerk für die Rezeption eines Wissenschaftlers und Philosophen vorzulegen, der die Epoche der Aufklärung geprägt hat wie kaum ein zweiter.

Programmübersicht:
Scott Mandelbrote/Helmut Pulte (Cambridge/Bochum): Introduction: Newton and the Enlightenment
J. B. Shank (Minneapolis):Newton in the French-speaking lands
Francois de Gandt (Ivry-sur-Seine): Newton and Voltaire
Sarah Hutton (London): Newton and Du Châtelet
Massimo Mazzotti (Exeter): Newton in Italy

Thomas Ahnert (Edinburgh): Newton in the German-speaking lands
Myles W. Jackson (Salem): Newton and Goethe
Helge Kragh (Aarhus): Newton in Scandinavia
Maija Kallinen (Oulu): Newton in Finland and the ‚Baltic States‘
Gábor Zemplén (Budapest): Newton in Hungary

Antoni Malet (Barcelona): Newton in Spain and Portugal
Scott Mandelbrote (Cambridge): Newton and Religious Thought
Thomas Ahnert (Edinburgh): Newton and Wolff
Wolfgang Bonsiepen (Bochum): Newton and Hegel
Scott Mandelbrote/Helmut Pulte (Cambridge/Bochum): Final discussion: Comparative Aspects of the Reception of Newton in the European Enlightenment


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