1963: année pivot des relations franco-allemandes? - Der Blick des Historikers auf den Elysée-Vertrag

1963: année pivot des relations franco-allemandes? - Der Blick des Historikers auf den Elysée-Vertrag

Organisatoren
Pariser Sorbonne, die französische Forschungseinrichtung CNRS, Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
19.01.2003 - 20.01.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrich Pfeil, Institut d´Allemand d´Asnières Sorbonne/DHI Paris; Corine Defrance, Paris-CRNS

Der Blick des Historikers auf den Elysée-Vertrag

Den 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages nahmen die Pariser Sorbonne, die französische Forschungseinrichtung CNRS und das Deutsche Historische Institut in Paris am 20. Januar 2003 zum Anlass für ein internationales Kolloquium, das am Tag zuvor durch einen feierlichen Vortrag des ehemaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher an der Sorbonne eröffnet worden war. Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich referierten auf Grundlage neuer Archivfunde über die politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 und gingen der Frage nach, ob der Abschluss des Elysée-Vertrages am 22. Januar 1963 als Drehpunkt der bilateralen Beziehungen und als Beginn einer deutsch-französischen Erfolgsgeschichte zu verstehen sei.

I. Auf dem Weg zum Elysée-Vertrag

Hans-Peter Schwarz (Bonn) untersuchte den deutschen Weg zum Elysée-Vertrag und wies zu Anfang seiner Vortrages auf das Paradox hin, dass ein durch Fehlstart ziemlich verdorbener, im beiderseitigen Streit ausgeleierter, halbtoter Vertrag, reanimiert worden sei und dann nach 20 Jahren eine dauerhafte Kraft entfaltet habe. In den folgenden Ausführungen ging es Schwarz jedoch um die Frage, wie es zu dem anfänglichen Scherbenhaufen habe kommen können. Obwohl Adenauer alle Argumente gekannt habe, die gegen einen exklusiven deutsch-französischen Zweibund sprachen, habe er sich trotzdem für den Vertrag entschieden und die Idee des anfangs beabsichtigten gemeinsamen (risikoloseren) Protokolls verworfen. Folgende Motive machte Schwarz für die Intensivierung des deutsch-französischen Bilateralismus und für die Entscheidung zu einem Vertrag beim Kanzler aus: eine latente Disposition für diese Option sei immer vorhanden und gegebenenfalls aktivierbar gewesen; die dramatische Abkühlung im Verhältnis zu Washington während der Berlin-Krise und in den Monaten nach dem Bau der Mauer; die Erhöhung des Drucks auf die USA, um im Zusammenwirken mit Frankreich doch noch den Finger an den atomaren Drücker zu bekommen; die Sorge vor einem Wiederaufleben der französisch-russischen Allianz und schließlich seine innenpolitische Isolierung, so dass er am Abend des 21. Januar 1963 nicht mit leeren Händen habe dastehen wollen. Nur so sei das improvisierte Vertragskonzept und damit der peinliche Fehlstart zu erklären. "Ich bin Jungfrau geblieben", zitierte Schwarz den General, nachdem der Bundestag dem Elysée-Vertrag die berühmte Präambel vorangestellt und damit dem Atlantizismus den Vorzug gegeben habe.

Jacques Bariéty (Paris IV) analysierte seinerseits den französischen Weg zum Elysée-Vertrag und zeigte, wie de Gaulle und Adenauer im Januar 1963 das "Schicksal erzwungen" hätten und wie die Geschichte ihnen habe Recht geben müssen. Im ersten Teil seines Vortrages erinnerte er an den zwischen 1950 und 1958 zurückgelegten Weg, als Adenauer der Architekt der neuen (bundes-) deutschen Außenpolitik gewesen sei. Seit 1919 habe sich Adenauer bereits für die deutsch-französische Aussöhnung eingesetzt, und seine 1949/50 in der Presse gemachten Vorschläge hätten den Weg zum Schuman-Plan geebnet. In dieser Phase habe der Kalte Krieg die Annäherung wesentlich erleichtert und die Westalliierten zur Einbindung der Bundesrepublik in die westlichen Strukturen bewogen. Im zweiten Teil seines Vortrages beschäftigte sich Bariéty mit der Periode zwischen 1958 und 1963 und betonte die Ängste Adenauers vor einer eventuellen französischen-sowjetischen Annäherung. Habe der Kanzler 1958 nicht guten Grund zur Sorge gehabt, als de Gaulle, Gegner eines supranationalen Europas und nicht unbedingt bekannt für seine Nähe zu Deutschland, in Frankreich die Macht übernahm? 1958 habe die privilegierte deutsch-französische Kooperation noch nicht auf der Tagesordnung gestanden, bemerkte Bariéty. Dafür sei Adenauer 1959 von der französischen Haltung während der Berlin-Krise beeindruckt gewesen, doch hätten sich 1960 neue Spannungen wegen der neuen französischen Atomwaffen und den Europa-Ideen ("Vom Atlantik bis zum Ural") des Generals aufgebaut. In Rambouillet habe de Gaulle dann das Übel bei der Wurzel gepackt und sowohl die Idee einer politischen Union Europas und einer deutsch-französischen Achse lanciert, ein Thema, das heute immer noch für Gesprächsstoff unter Historikern sorge. Mit dem nötigen Abstand erscheine der Elysée-Vertrag als eine Ersatzlösung angesichts des gescheiterten Projekts einer multilateralen europäischen Zusammenarbeit ("Fouchet-Pläne").

Elisabeth du Réau (Paris III) kommentierte die beiden vorhergehenden Referate und wies auf die Existenz neuer Quellenbestände hin, so u.a. den Nachlass von Michel Debré in der Fondation Nationale des Sciences Politiques ("Sciences Po"), die Archive des Public Record Office und der Westeuropäischen Union in London. Sie erwähnte zudem die ersten Gespräche zwischen Adenauer und Pierre Mendès-France aus dem Jahre 1954, in denen der Kanzler bereits sehr früh sein Interesse für die deutsch-französische Aussöhnung zum Ausdruck gebracht habe, so dass der Weg zum Elysée-Vertrag nicht erst 1958 begonnen habe. Im zweiten Teil ihres Kommentars insistierte de Réau auf den Sicherheitsfragen und erinnerte an die Kuba-Krise, um mit der Frage zu schließen, ob Adenauer ernsthaft ein Abkommen mit Frankreich bei einem gleichzeitigen Engagement für die Multilateral Forces habe anstreben können.

II. Welche Ziele verfolgte der Elysée-Vertrag?

Ulrich Lappenküper (Bonn) ging in seinem Vortrag über die außenpolitischen Komponenten der Frage nach, in welchem Maße der Elysée-Vertrag das von ihm formulierte Ziel einer "gleichgerichteten Haltung" im außenpolitischen Handeln erreicht habe. Er konzentrierte sich dabei chronologisch auf die Periode vom Ende der Ära Adenauer 1963 bis zum Beginn der Ära Kohl 1982 und inhaltlich auf das Verhältnis der Bundesrepublik und Frankreichs zu den USA, zur UdSSR und zur europäischen Einigung. Ausgangspunkt war bei ihm die Feststellung, dass der Elysée-Vertrag auf einer fundamentalen Ambivalenz beruhe. Während Adenauer das Ziel verfolgt habe, die deutsch-französische Versöhnung und deren dauerhafte Verankerung voranzutreiben, habe de Gaulle nur die versöhnende und verbindende Absicht geteilt. Ihm sei es hingegen vor allem um die Emanzipation Europas von den USA gegangen. Doch trotz dieses offensichtlichen Missverständnisses, so Lappenküper, sei es beiden Ländern gelungen, einen Schlussstrich unter eine unheilvolle Vergangenheit zu ziehen und die Grundlage für einen in die Zukunft weisenden Anfang geschaffen. Auch wenn der Elysée-Vertrag zu keinem Kraftzentrum in der Mitte Europas geführt habe, habe er sich doch als lebensfähig erwiesen und für eine kontinuierliche Arbeit am Projekt der deutsch-französischen Aussöhnung gesorgt. Von einer "gleichgerichteten Haltung" in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik könne jedoch für die Periode 1963-1982 nicht die Rede sein.

Henri Ménudier (Paris III) unterstrich in seinem Kommentar die Bedeutung der "Paare" in den deutsch-französischen Beziehungen und schnitt die wichtigsten Gesprächsthemen an, die diese auf den Gipfeltreffen zu behandeln hatten, um abschließend auf die bilateralen und multilateralen Implikationen hinzuweisen. Als Beispiele nannte er die "Neue Ostpolitik" (und die Angst auf beiden Seiten vor einem "Rapallo", d.h. eines unilateralen Abkommens mit der UdSSR), die Frage der Oder-Neiße-Linie (die im Moment der deutschen Vereinigung wieder aktuell geworden sei), Vietnam, den "Prager Frühling", die Krisen im Mittleren Osten und in Afghanistan sowie Sicherheitsfragen, in denen Bonn und Paris nicht einer Meinung gewesen seien. In Bezug auf die "Paare" bemerkte Ménudier im Hinblick auf ihre Lebensdauer, dass nur de Gaulle und Mitterrand verschiedene deutsche "Partner" gehabt hätten und dass aus chronologischer Perspektive einzig Pompidou/Brandt und Giscard/Schmidt als wirkliche "Paare" bezeichnet werden könnten.

Nachdem Florence Krieger-Gauzy (Speyer) einleitend darauf hingewiesen hatte, dass die deutsch-französische Militärkooperation nicht erst mit dem Elysée-Vertrag begonnen habe, ging sie der Frage nach, ob das im Abschnitt B des Vertrages formulierte Ziel - Annäherung der jeweiligen Auffassungen auf dem Gebiet der militärischen Strategie und Taktik, um zu einer gemeinsamen Konzeption zugelangen - in die Tat umgesetzt wurde. Sie legte dann den Akzent auf die Befürchtungen in Bonn und Paris Anfang der 60er Jahre, dass sich die Nuklearmacht USA aus Europa zurückziehen könnte. Doch sei der daraufhin erfolgte Vorschlag aus Washington zur Aufstellung multilateraler Streitkräfte den Unabhängigkeitsbestrebungen de Gaulles zuwidergelaufen, der daher den im Elysée-Vertrag zum Ausdruck kommenden Bilateralismus favorisiert habe. Doch mit der vom Bundestag formulierten Präambel seien derartige französische Hoffungen umgehend enttäuscht worden. Bonn habe auf die atlantische Karte gesetzt und sich ab Sommer 1963 für ein Einschwenken auf die amerikanische Nuklear- und Europapolitik entschieden. Zu keiner Zeit habe die Bundesregierung eine strategische deutsch-französische Kooperation als annehmbare Alternative erachtet und deshalb zwei Mal (November 1963, Juli 1964) Angebote de Gaulles in diese Richtung abgelehnt. Nach dem Rückzug Frankreichs aus den integrierten Strukturen der NATO und der Vernunftentscheidung Bonns für Washington habe sich die militärische Kooperation zwischen beiden Staaten endgültig in der Sackgasse befunden. Erst in den 80er Jahren sei zwischen Paris und Bonn ein Neuanfang festzustellen gewesen (Eurocorps, Deutsch-Französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat usw.). Doch die bis dahin festgefahrenen Beziehungen zwischen beiden Ländern hätten keineswegs einen Austausch auf Truppenebene und laufende Konzertationen und Kooperationen auf dem Gebiet der militärischen Ausrüstung (z.B. Transall) verhindert. Florence Krieger-Gauzy referierte abschließend über die Konsequenzen des 11. September 2001 für die strategische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und sah einen Hoffnungsschimmer für eine verstärkte Zusammenarbeit am Horizont.

In seinem Kommentar insistierte Reiner Pommerin (Dresden) auf der Kooperation im politisch-militärischen Sektor im Geiste des Elysée-Vertrages. Obwohl Frankreich 1966 die NATO-Strukturen verlassen habe, sei es auch weiterhin zu regelmäßigen deutsch-französischen Generalsbesprechungen gekommen. In den Gesprächen auf den verschiedenen Ebenen sei u.a. auch das Verhalten und das gemeinsame Procedere in einem Konfliktfall besprochen worden, doch dürften diese Kontakte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bilaterale Kooperation nach 1963 hinter den Erwartungen zurückblieb. Erst mit der Schaffung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates auf der Grundlage eines Ergänzungsprotokolls zum Elysée-Vertrages (22. Januar 1988) sei ein wichtiger Meilenstein zur Verbesserung der Zusammenarbeit zurückgelegt worden. Weiterhin wies Pommerin auf die große Bedeutung der Deutsch-Französischen Brigade hin, die am 1. Oktober 1993 dem Eurokorps unterstellt worden war, und durch die Auslandseinsätze die Kontakte zwischen deutschen und französischen Soldaten gefördert habe. Problematisch für die Kohäsion der Streitkräfte beider Länder sei jedoch die Aufgabe der Wehrpflicht in Frankreich. Abschließend wies Pommerin auf die verschiedenen Kooperationsfelder hin, die von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen würden, doch könnten auch diese nicht verdecken, dass der prägende Unterschied weiterhin die stärkere Integration Deutschland in die NATO bleibe.

Ansbert Baumann (Tübingen/DFI Ludwigsburg) beschäftigte sich mit dem Teil C des Elysée-Vertrages (Erziehungs- und Jugendfragen) und gab Antworten auf die Frage, ob er zu engeren Verbindungen und einem besseren wechselseitigen Verständnis zwischen beiden Völkern beitrug. Er bettete diese Frage in die Rahmenbedingungen für die Auswärtige Kulturpolitik zwischen den beiden Staaten ein. Während Frankreich in den 50er Jahren keinen Weltmachtstatus mehr besessen und daher quasi als "Machtersatzpolitik" einen Schwerpunkt auf die auswärtige Kulturpolitik habe legen müssen, seien auf bundesdeutscher Seite erst Ansätze für eine Auswärtige Kulturpolitik festzustellen gewesen, die jedoch Ende der 50er Jahre eine bisher nicht gekannte Dynamik entfaltet hätten. Doch trotz eines verstärkten Interesses auf beiden Seiten Anfang der 60er Jahre hätten Wunschdenken und Realität auseinander geklafft. Gerade auf bundesdeutscher Seite seien die Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern auf den Gebieten der Kultur und des Erziehungswesens die Ursache für Verzögerungen gewesen, die durch die Schaffung eines "Kulturbevollmächtigten" halbwegs aufgehoben werden konnten. Baumann wies in der Folge auf den Fremdsprachenunterricht als neuralgischen Punkt der deutsch-französischen Zusammenarbeit hin und schnitt das Problem der Studienäquivalenzen an, das jedoch erst in den 80er Jahren ansatzweise gelöst worden sei, nachdem beide Staaten zuvor vor eigenen nationalen Schwierigkeiten in ihrer Bildungspolitik gestanden hätten. Während die unterschiedlichen Strukturen der beiden Bildungssysteme immer wieder hemmend gewirkt haben, sei nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages jedoch ein spürbarer Aufschwung in den wissenschaftlichen Beziehungen zu verzeichnen gewesen. Zu der Erfolgsgeschichte des Elysée-Vertrages, so Baumann, gehöre auch das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW), das seit seiner Gründung am 5. Juli 1963 über 200.000 Austauschprogramme aufgelegt habe, an dem sich über sechs Millionen Jugendliche beteiligt hätten. Abschließend wies Baumann auf die indirekten Einflüsse des Vertrages hin, die Grundlage für das breite Beziehungsgeflecht zwischen der Bundesrepublik und Frankreich gewesen seien, "das letztlich unabhängig von diplomatisch-politischen Imponderabilien sein sollte."

In seinem Kommentar zu den Erziehungs- und Jugendfragen bilanzierte Pierre Jardin (Centre Marc Bloch, Berlin) nacheinander die Auswirkungen des Elysée-Vertrages auf die drei Programmpunkte des Passus C, den er als "Gemischtwarenladen" qualifizierte: der Französischunterricht in Deutschland wie der Deutschunterricht in Frankreich entspreche weiterhin nicht den Erwartungen auf beiden Seiten; seine Bilanz über die wissenschaftliche Forschung fiel da schon deutlich positiver aus, was auch für den Jugendaustausch zu gelten habe. Dies sei an der Gründung des DFJW und seiner nachfolgenden Entwicklung abzulesen. Jardin legte dann den Akzent auf das zunehmende Interesse der Regierungen in Bonn und Paris, das diese in den 60er Jahren für diese Fragen aufbrachten und fragte nach den weitergehenden Motiven auf bundesdeutscher Seite. Eine Antwort sei nach Auffassung des Referenten auch in den verstärkten kulturellen Aktivitäten der DDR auf französischem Boden zu suchen.

III. Was der Vertrag nicht regelte

Nach einer Diskussion über die drei Teile des Vertrages widmeten sich die Redner im Folgenden jenen beiden Aspekten, die in den 50er Jahren noch Anlass für bilaterale Verträge gegeben hatten, im Jahre 1963 aber keine Aufnahme fanden: Wirtschaft und Kultur (mit Ausnahme der Erziehungs- und Jugendfragen).

Andreas Wilkens (Orléans) ging daher der Frage nach, warum die Wirtschaft nicht Teil des Elysée-Vertrages wurde und stellte einleitend fest, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vorfeld nie ganz abwesend gewesen sei, sondern stets im Rahmen der außenpolitischen Fragen diskutiert worden sei. Gleichzeitig sei es aber auch kein Zufall gewesen, dass sie keinen Eingang in den Vertrag gefunden habe, denn zum einen hätten die vorhergehenden Diskussionen um den Fouchet-Plan die Schwierigkeiten unter Beweis gestellt, zum anderen haben weder de Gaulle noch Adenauer an der Existenz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorbeigehen können. Auch in wirtschaftlichen Fragen seien die unterschiedlichen Grundpositionen der beiden Länder aufeinander geprallt: Während der Bundeskanzler die bestehenden Institutionen nicht in Frage stellen wollte, habe der General stets versucht, die supranationalen durch zwischenstaatliche bzw. intergouvernementale Strukturen zu ersetzen. Nach Wilkens müsse daher die Ausklammerung der Wirtschaft im Jahre 1963 als ein neutraler Akt gegenüber der Europäischen Gemeinschaft verstanden werden, deren Kompetenzen wie deren Entwicklung sie nicht in Frage stellen wollten. Sie seien daher bewusst Kritikern des deutsch-französischen Bilateralismus aus dem Weg gegangen, um den Erfolg der Übereinkunft nicht gefährden.

Werner Bührer (München) präsentierte in seinem Vortrag über den Einfluss und die Ziele der wirtschaftlichen Akteure im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit (1.) einen Überblick über Akteure und Formen der Zusammenarbeit, (2.) die gemeinsamen und "individuellen" Ziele sowie (3.) eine Analyse zum Einfluss der Industrie auf die deutsch-französische Zusammenarbeit vor und nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages. Dabei kam er zu dem Schluss, dass bereits Mitte der 50er Jahre ein dichtes Netz institutionalisierter bilateraler und multilateraler Kontakte bestanden habe, so dass zusätzliche Organisationen, wie es die Politiker zu verschiedenen Zeiten gewünscht hätten, überflüssig gewesen seien. Nachdem die französische Seite nach 1945 zuerst auf die Kontrolle des westdeutschen Industriepotentials und anschließend auf die Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen insbesondere bei der Stahlproduktion abgezielt und die deutsche Wirtschaft nach Gleichberechtigung, d.h. Beseitigung der alliierten Restriktionen mit französischer Hilfe gestrebt habe, hätten sich in den 50er Jahren verschiedene Formen der Zusammenarbeit herausgebildet, die auch politische Krise unbeschadet überstanden hätten. So habe die Wirtschaft nur wenig Interesse an einer Einbeziehung in das Vertragswerk gehabt. Da auch die entscheidenden politischen Akteure (Adenauer, de Gaulle) wirtschaftlichen Fragen seit jeher nur wenig Beachtung zugemessen hätten, sei die wirtschaftliche Materie nicht Teil des Vertrages geworden.

In seinem Kommentar über die "Leerstelle Wirtschaft" legte Gérard Bossuat (Cergy-Pontoise) den Akzent auf die Tatsache, dass die deutsch-französischen Wirtschaftskontakte nicht auf den Bilateralismus zu reduzieren seien, sondern immer im Zusammenhang zum europäischen Binnenmarkt und zum Welthandel gesehen werden müssten. Der Elysée-Vertrag sei hingegen in erster Linie als politischer und symbolischer Akt zu verstehen. Anschließend thematisierte Bossuat die Haltung des "allerhöchstens in Ansätzen frankophilen" Kanzlers Ludwig Erhard angesichts des nicht vorhandenen Abschnitts zur wirtschaftlichen Kooperation. Er erinnerte außerdem daran, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern seit den 50er Jahren erheblich intensiviert hätten und sich das Netz zwischen den Akteuren verdichtet habe, das sich vielfach auf die Beziehungen von vor 1945 habe stützen können.

Da es üblich geworden ist, von dem kulturellen Teil des Elysée-Vertrages zu sprechen, mag die Frage, warum die Kultur nicht Aufnahme in das drei Punkte umfassende Programm des Vertrages fand, im ersten Moment provokant erscheinen. Corine Defrance (CNRS-Paris) ging daher den Gründen für diese "Leerstelle" nach und wies zu Beginn ihres Vortrages auf das deutsch-französische Kulturabkommen von 1954 hin, das den Kulturbegriff noch sehr weit gefasst habe. Die These von einer breiten Zusammenarbeit auf den Gebieten Literatur, Kunst und Medien, die eine Wiederaufnahme in den Vertrag von 1963 überflüssig gemacht habe, wies sie zurück, genauso wie die von einer Behandlung dieser Thematik auf europäischer Ebene. Sicherlich müsse man, so Defrance, auf die asymmetrische Situation in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen verweisen - der Zentralisierung westlichen des Rheins stand die Kulturhoheit der Länder auf dem östlichen Rheinufer gegenüber -, doch sei auch bei den Erziehungsfragen mit der Schaffung eines Kulturbevollmächtigten eine Lösung gefunden worden. Die Referentin vertrat die Auffassung, dass die beiden Regierungen den "kulturellen" Fragen nur wenig Bedeutung beimaßen und sich nur in einer subsidiären Rolle im Verhältnis zu den nichtstaatlichen Akteuren sahen. Corine Defrance sah die Hauptgründe daher auf einem anderen Gebiet: Wollte das französische Außenministerium nicht eher aus Kompetenzstreitigkeiten das neu geschaffene Kulturministerium aus den bilateralen Beratungen mit der Bundesrepublik heraushalten? Da die Kultur weiterhin Objekt der Gespräche auf intergouvernementaler Ebene geblieben sei, habe der Quai d'Orsay auf diese Weise seinen exklusiven Einfluss geltend machen können. Trotzdem sei abschließend zu bemerken, dass Paris und Bonn erst 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages den eigentlichen Stellenwert der kulturellen Beziehungen erkannt und ihm einen größeren Platz eingeräumt hätten, nachdem dieser Aspekt im Vergleich zu den politischen und wirtschaftlichen Kontakten Gefahr gelaufen sei, an den Rand gedrängt zu werden.

Im zweiten Vortrag beschäftigte sich Hans Manfred Bock (Kassel) mit den soziokulturellen Akteuren in der deutsch-französischen Zusammenarbeit 1949-1963 als Wegbereiter des Elysée-Vertrages. Er wies zu Anfang darauf hin, dass die Phase zwischen 1949 und 1963 im Gegensatz zu 1945-1949 bisher nur wenig Anlass zu wissenschaftlichen Studien gegeben habe und führte dieses Forschungslücke auf zwei Ursachen zurück: Erstens habe es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine institutionell definierte Kulturpolitik der französischen Besatzungsmacht gegeben, die einen der konstruktivsten und nachhaltigst wirkenden Aspekte der französischen Deutschlandpolitik dieser Phase dargestellt habe. Es seien also die politisch-institutionellen und die positiv innovativen Qualitäten der im Kontext der frühen französischen Besatzungspolitik angeregten soziokulturellen Austauschbeziehungen mit den Deutschen, die so erfreulich vielfältige Forschungsinteressen geweckt hätten. Doch auch wenn die kulturellen Austauschvorgänge auf gouvernementaler Ebene für die 50er Jahre als mager zu bezeichnen seien und die Entstehungs- bzw. Wirkungsgeschichte des deutsch-französischen Kulturabkommens vom 23. Oktober 1954 als Ausdruck der vielfältigen Schwierigkeiten verstanden werden müsste, so wollte Bock trotzdem nicht von einer Karenzzeit sprechen, sondern bezeichnete die Jahre zwischen 1949 und 1963 als einen durchaus originellen und lebendigen Zeitabschnitt, in dem sich durch den intensivierten Erfahrungsaustausch zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Repräsentanten in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen eine neuartige Konzeption transnationaler Kommunikation abgezeichnet habe, die ihren Niederschlag im Elysée-Vertrag gefunden habe (Passus II, C 1 und 2) und das Fundament für die funktionale Verbindung zwischen privaten Initiativen und staatlicher Repräsentanz im Gründungs-Dokument für das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) vom Juli 1963 darstelle. Zum Abschluss konkretisierte Bock dann die Wechselbeziehung von soziokultureller Eigendynamik und staatlicher Kulturpolitik an verschiedenen Beispielen (z.B. GÜZ, BILD, Heinrich-Heine-Haus).

Jérôme Vaillant (Lille III) bemerkte zu Beginn seines Kommentars über das Fehlen der Kultur im Vertrag, dass die Erziehungsfragen zur Kultur gehören würden und sprach in diesem Zusammenhang vom erweiterten Kulturbegriff. Er rief somit dazu auf, sich das im Vertrag enthaltene "kulturelle Projekt" näher anzuschauen und wies zum einen auf das auffallende Desinteresse beider Seiten für Kultur oder die klassischen Felder kultureller Zusammenarbeit (z.B. Beziehungen zwischen Intellektuellen und Künstlern) hin, zum anderen aber auch auf das gestiegene Interesse für neue Formen des kulturellen Austausches zwischen Jugendlichen (z.B. Volkserziehung, internationale Begegnungen). Wichtig war Vaillant außerdem darauf hinzuweisen, dass der Staat nicht der einzige Akteur auf der Bühne der internationalen Kulturbeziehungen sei, sondern sich diese auch auf die Arbeit der Zivilgesellschaften stützen könnten. Er vertrat abschließend die Meinung, dass Frankreich und die Bundesrepublik in ihrer auswärtigen Kulturpolitik das Prinzip der Subsidiarität anwenden würden.

Robert Frank (Paris I) formulierte abschließend eine Synthese des Kolloquiums und fragte nach der symbolischen Wirkung des Elysée-Vertrages und ob er einen deutsch-französischen Erinnerungsort darstelle. Er untersuchte zunächst die notwendigen Grundbedingungen für die Herausbildung eines Erinnerungsortes (gemeinsames Handeln, kollektive Erinnerung und eine Verankerung in der Zeitdauer) und kam zu dem Schluss, dass bei den deutsch-französischen Feierlichkeiten die Routine dominiert habe und Enthusiasmus nur schwerlich nachzuweisen sei. Es habe augenscheinlich Zeit für die Herausbildung einer Symbolik gebraucht, so dass Frank nach den Gründen für diese 20jährige Wartezeit fragte (die Rede Mitterrands vor dem Bundestag im Jahre 1983 stelle ein Wendepunkt in der Geschichte der Feierlichkeiten dar). Zu Anfang habe ein Misserfolg gestanden, die "Fouchet-Pläne", (könne ein "Ersatz" überhaupt ein Erinnerungsort werden?) und dann ein Paradox: der Vertrag habe eine erste Phase des fruchtbaren Austausches zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossen und am Anfang einer Periode stetiger Spannungen gestanden. Trotzdem sei die Zusammenarbeit weiter gegangen, bei der die Zivilgesellschaften neben der intergouvernementalen Ebene eine wichtige Rolle gespielt hätten. Was die Symbolik des Vertrages angehe, so Frank, müsse stets beachtet werden, wie stark belastete Erinnerungsorte (z.B. Reims, Verdun, der Pariser Triumphbogen zu Ehren Napoleons) für die Bestätigung der bilateralen Kooperation benutzt wurden (z.B. gemeinsames Gebet, Andacht vor den Gräbern, Vorbeimarsch der deutsch-französischen Brigade), wie u.a. auch das Schloss von Versailles bei der Zusammenkunft der beiden Parlamente bei den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag im Jahre 2003. Die Mystifikation des deutsch-französischen "Paares" gehöre dabei zu den symbolischen Elementen dieser Feierlichkeiten, obwohl die realen Ebenen der Zusammenarbeit weit über die Fixierung auf die Persönlichkeiten hinausgehen. Abschließend stellte Frank die Frage, ob der Elysée-Vertrag nun zu einem Erinnerungsort geworden sei. Frank konstatierte, dass seit 1969 entscheidende Etappen zurückgelegt worden seien, doch verweigerte er sich schließlich einer definitiven Antwort. Vielmehr hielt er fest, dass es nicht die Aufgabe des Historikers sei, Erinnerungsort zu dekretieren; vielmehr gehöre es zu seinem Selbstverständnis, die Vergangenheit zu entmythisiere.

Die verschiedenen Beiträge dieses Kolloquiums zeigen, dass der Elysée-Vertrag in die nationalen, bilateralen und multilateralen Kontinuitäten und Brüche der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 eingeordnet werden muss, die bereits gleich nach Kriegsende auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene wieder aufgenommen wurden. Erst die hier geleistete Vorarbeit ermöglichte den bilateralen Abschluss, dessen in vieler Hinsicht improvisiertes und übereiltes Zustandekommen auch zu seiner Vorgeschichte gehört. Der Vertrag war dann in erster Linie das Ergebnis einer allmählichen Annäherung zweier Männer, zu deren Lebenszielen die deutsch-französische Aussöhnung gehört hatte, und die sich nach dem Scheitern von multilateralen Plänen für den Bilateralismus entschieden. So wurde der Elysée-Vertrag zwar zu einem symbolischen Ereignis, doch barg er bereits die Keime für sein kurzfristiges Scheitern, das in der Präambel, in dem sich beschleunigenden Autoritätsverlusts von Adenauer und in den sich anschließenden Spannungen zwischen Erhard und de Gaulle zu Ausdruck kam. Auch in den fehlgeschlagenen Kooperationen in Verteidigungs- und Erziehungsfragen artikulierte sich die schwierige Praxis des noch nicht bestehenden "couple franco-allemand", das erst in den 70er Jahren entstand. Dass es über zehn Jahre später jedoch den Tag erblicken konnte, lag nicht zuletzt auch am Elysée-Vertrag, der den Regierenden in beiden Ländern die Verpflichtung zu regelmäßigen Konsultationen aufgetragen und die Beziehungen zwischen den beiden Gesellschaften durch die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes auf eine zivilgesellschaftliche Grundlage gestellt hatte. Die Vor- und Nachgeschichte des Elysée-Vertrages kann daher nicht ohne weiteres als blütenweiße Erfolgsgeschichte verstanden werden, sondern zeichnet sich durch ein permanentes Auf und Ab, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien sowie Unvollkommenheiten.

Kontakt

Ulrich Pfeil
DHI Paris
8, rue du Parc-Royal, 75003 Paris
00331 44 54 23 91
ulrich.pfeil@wanadoo.fr

Dr. Corine Defrance
CNRS-Paris
150, rue Raymond Losserand
75014 Paris
00.33.1.45.45.44.52
cdefrance@9online.fr


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