Aufgewickelt. Deutsches Fernsehen Ost

Aufgewickelt. Deutsches Fernsehen Ost

Organisatoren
DFG-Forschergruppe: "Programmgeschichte DDR-Fernsehen", Stiftung Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.05.2007 - 02.06.2007
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Von
Claudia Böttcher, Universität Leipzig; Judith Kretzschmar, Universität Leipzig

Nach der Abwicklung vor über 15 Jahren wurde das DDR-Fernsehen nun drei Tage lang wieder „Aufgewickelt“ – auf einer Veranstaltung der DFG-Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens” in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek / Museum für Film und Fernsehen und mit Unterstützung des Deutschen Rundfunkarchivs Potsdam-Babelsberg. Sechs Jahre lang haben rund 40 ost- und westdeutsche Wissenschaftler geforscht, dabei etwa 4.000 Stunden Programm gesichtet, 50.000 Archivmaterialien gelesen und in über 100 Publikationen ihre Ergebnisse veröffentlicht. Nun fand in Berlin die letzte öffentliche Präsentation statt, auf der die Forschergruppe exemplarische Ergebnisse des Projektes vorstellte. Ziel war es zu zeigen, was insgesamt 40 Jahre DDR-Fernsehen beinhaltet und ausgemacht haben.

Den Auftakt der dreitägigen Diskussionsreihe bildete die im Zeichen von Elf99 stehende Gesprächsrunde „Wege Ost – Wege West“ mit Wolfgang Lippert (Entertainer), Angela Fritzsch (Moderatorin rbb und Elf 99), Georg Langerbeck (Geschäftsführer CCL, ehem. Chefredakteur Elf 99) und Jan Carpentier (freier Autor, ehem. Reporter und Moderator Elf 99), die von Uwe Kammann (Grimme-Institut) moderiert wurde.
Die Jugendsendung startete am 1. September 1989, in einer Zeit der Bewegung und des Umbruchs in der DDR. Aus heutiger Sicht nur noch schwer zu verstehen ist, was in der empfindlichen Zeit 1989 höchst investigativ und mutig war. Elf99 wurde zwar live gesendet, aber bis Oktober 1989 war es gefährlich, Brisantes zu thematisieren und Missstände zu enthüllen, so dass bis zu diesem Zeitpunkt stets die Gefahr der Aufzeichnung und damit einer indirekten Zensur bestand. Schlimmer war noch, dass alle Mitwirkenden von Elf99 auch ihre berufliche Existenz riskierten, denn es gab in der DDR keine weitere Fernsehanstalt, zu der sie nach einer Entlassung hätten wechseln können. Und das, was die historischen Entwicklungen der folgenden Monate brachte, war zum damaligen Zeitpunkt kaum vorhersehbar.
In der lebhaften Diskussion wurden die Erinnerungen an den Herbst 1989 wieder wach: Das Elf99-Team war zu damaligen Zeit hoch motiviert und voller Idealismus. Georg Langerbeck sprach von einer „positiven Anarchie“ der Jugendsendung, deren historisch-politische Rolle sich allerdings Ende 1989 überholt hatte. Diskussionsstoff barg aber auch die noch heute vor allem für ehemalige Mitarbeiter brisante Thematik der Auflösung des DDR-Fernsehens zum 31. Dezember 1991. Ein Tod auf Raten, der nicht nur für Elf99, sondern für die gesamten Programme des DDR-Fernsehens galt. Als Grund für die Abwicklung nannte Rudolf Mühlfenzel (Abwickler in persona), dass das DDR-Fernsehen 40 Jahre lang das stalinistische Unrechtssystem begleitet hatte und ihm damit jede Berechtigung zum Weiterleben genommen worden sei. Alternative Konzepte waren zwar im Gespräch – beinahe wäre das DFF in einen „Ostdeutschen Rundfunk“ als dritte öffentlich-rechtliche Säule übergegangen, so Langerbeck, doch die ostdeutschen Ministerpräsidenten „wollten Länderanstalten nach West-Vorbild, wo sie sich jeden Abend im Fernsehen bewundern konnten“. Zum Schluss resümierte Langerbeck, dass man die Chance der deutschen Einheit beim Fernsehen „kongenial verstreichen“ lassen hat. Einziges Manko der Gesprächsrunde war der Moderator: Uwe Kammann, der sehr souverän die Gesprächsrunde moderierte, hatte leider nicht das kontextuelle Wissen zur Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, auf das die Wissenschaftler nach sechs Jahren hätten zurückgreifen können. So bleibt zu bedauern, dass kein Forscher auf dem Podium saß und die Diskussionsführung dadurch manchmal oberflächlich und klischeehaft wirkte.

Am zweiten Tagungstag standen hauptsächlich die Präsentationen der Teilprojekte im Vordergrund. Bilanzierende Worte als Auftakt des ersten Panels erfolgten von Reinhold Viehoff (MLU Halle), der Schwerpunkte und Ansätze der Forschergruppe vorstellte und einen Einblick in die sechsjährige Arbeit des Projektteams gab, das einen Bruch mit den sich um das DDR-Fernsehen rankenden Mythen bewirken wollte. Mit den unterschiedlichsten Programminhalten und -formen sowie mit dem Gesamtphänomen „Fernsehen in der DDR“ setzten sich die Forscher intensiv auseinander. Im Mittelpunkt der Arbeiten standen die inneren Strukturen des Medienapparates DDR-Fernsehen sowie die Entwicklung in den einzelnen Programmgattungen und -genres. Berücksichtigt wurden darüber hinaus auch gegenseitige Verschränkungen in der deutsch-deutschen Fernsehgeschichte, die in der Medienforschung bislang kaum eine Rolle spielten. Es wurden vorrangig unterhaltende und bildende Programmformate untersucht, da diese zu DDR-Zeiten beim Publikum eher auf Akzeptanz stießen. Trotz des von Beginn an politisch formulierten Programmauftrages fühlte sich die Mehrzahl der Programmmacher zwei Seiten verpflichtet: einerseits den Erwartungshaltungen der Politik, andererseits denen des Publikums. Dadurch sei durch alle Programmformen ein ständiges Lavieren zwischen diesen unterschiedlichen Erwartungen festzustellen. Viehoff konstatierte, dass heute eine Renaissance von Teilen des DDR-Fernsehprogramms zu beobachten ist und die Erinnerung an das Leben in der DDR in einem nicht zu unterschätzendem Maße auch von diesen Fernsehbildern transportiert wird, die für viele Ostdeutsche ein hohes identifikatorisches Potential bieten. Deshalb trägt das Forschungsprojekt, so Viehoff, dem gewachsenen Interesse an einer differenzierten, kritischen und substantiellen Erforschung des DDR-Fernsehens als Unterhaltungs- und Informationsmedium sowie als Teil des Herrschaftsapparates Rechnung.

Im Anschluss daran referierte Knut Hickethier (Universität Hamburg) über die Bedeutung des DDR-Fernsehens für die gesamtdeutsche Medienkultur und bot damit eine westdeutsche Außensicht auf die Mediengeschichte der DDR. Hickethier skizzierte die Geschichte des DDR-Fernsehens anhand der bundesdeutschen Entwicklung und stellte die gegenseitige Beeinflussung und Orientierung beider Mediensysteme heraus. Darüber hinaus verwies er mit Blick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fernsehsysteme Europas auf die Genregleichheit der ost- und westdeutschen Programme.

Die Projektpräsentationen begann mit dem Teilprojekt „Programmentwicklung“. Susanne Vollberg und Markus Schubert (beide Universität Leipzig) unternahmen eine überaus interessante Zeitreise durch die Programmstrukturen des DDR-Fernsehens. Zur Gliederung des Untersuchungszeitraumes von 1952 bis 1991 wurden so genannte „Zeitinseln“ bestimmt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen des DDR-Fernsehens verbinden sollten. Die Untersuchung der einzelnen Zeitinseln verdeutlichte, dass Einflüsse „von außen” immer erst mit einer gewissen Verzögerung auf das Fernsehen eingewirkt haben. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst auf der Zeitinseln 1958 bis 1964, in der das Fernsehprogramm seine konkrete Gestaltung und Bestimmung erfahren hat und mit der Entwicklung zum Massenmedium zunehmend politisch überwacht wurde. Auf der Zeitinsel von 1968 bis 1974 wurden die organisatorische Loslösung vom Rundfunk sowie ein zweites Programm und das Farbfernsehen vorbereitet und realisiert. Die dritte Zeitinsel lag zwischen 1981 bis 1985. In dieser erfuhr das 1. und 2. Programm eine umfassende Veränderung, die de facto zum Ziel hatte, den Fernsehschauer mit den eigenen Sendern besser zu unterhalten.

Den Abschluss des ersten Panels bildete der Vortag von Thomas Beutelschmidt und Henning Wrage (beide HU Berlin), der einen kulturell wertvollen Einblick in die Untersuchung der Fernsehdramatik in der DDR gab. Die Vorstellung und Ergebnispräsentation des Teilprojektes stand unter dem Axiom: „Den Sozialismus erzählen“. Schwerpunkt des Teilprojektes bildeten die Programmleistungen der Dramatischen Kunst im Fernsehen, wobei alle Literaturverfilmungen erfasst und unter medienhistorischen sowie -vergleichenden Fragestellungen untersucht wurden. Dank der systematischen Grundlagenforschung konnten sie, so Wrage, spezifische Aussagen zur Aneignung von Literatur durch das DDR-Fernsehen treffen, zentrale Begriffe (Erbe, Kanon oder Operativität) aus dem Blickwinkel einer heutigen Wissenschaftsperspektive neu betrachten, Wandlungen bestimmen und ideologische Haltungen extrahieren, um damit Prozesse der fiktionalen Produktion sichtbar zu machen.

Mit „Ein Wort dem Sport“ wurde darauf folgend eine Gesprächsrunde mit Lothar Zoller, Helmut Gerhardt und Werner Preiss eingeleitet, die – von Hans Jörg Stiehler (Universität Leipzig) und Lutz Warnicke (HFF Potsdam) moderiert – das Sportfernsehen der DDR in den Mittelpunkt rückte und im Gespräch mit Zeitzeugen, Schwerpunkte und Ergebnisse des Teilprojektes „DDR-Sportfernsehen“ vorstellte. Während Hans-Jörg Stiehler zu Beginn die Ziele des Projektes benannte (Aspekte wie Entwicklung, Stabilisierung und Veränderung verschiedener Formate und Programmraster der Sportfernsehberichterstattung, Durchsetzung neuer medientechnologischer und -ästhetischer Fortschritte sichtbar machen oder den Widerspruch zwischen der Eigengesetzlichkeit des Sports und seiner ideologischen Einbindung kennzeichnen) – verband Lutz Warnicke die Gesprächsfäden der Zeitzeugen auf dem Podium und der zahlreich erschienen Gäste im Saal mit den Ergebnissen der eigenen Forschung. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie schwierig es ist, Forschungsergebnisse aus Aktenstudien mit Erinnerungen der Zeitzeugen in Einklang zu bringen.

Das neue Panel widmete sich danach speziell der Unterhaltung. Die DDR-Fernsehunterhaltung war mehr als ein Kessel Buntes – dies vermochten Nicola Hochkeppel und Wolfgang Mühl-Benninghaus (beide HU Berlin) in ihrer Präsentation herauszustellen. Ihr Projekt hatte vor allem Wesen und Spezifik nonfiktionaler Unterhaltungssendungen zum Inhalt. Dazu zählen: Shows-, Quiz- und Spielformen, Musik- und Tanzsendungen, unterhaltende Magazine sowie Kabarett. Mühl-Benninghaus argumentierte abschließend, dass die Chance auf die Herausbildung einer gesamtdeutschen Fernsehunterhaltung nach der Wiedervereinigung vertan wurde, da Adlershof zu einem Zeitpunkt abgewickelt worden ist, als generelles Desinteresse des Westens an ostdeutscher Unterhaltung sowie starke inhaltliche Wandlungen der eigenen Sendungen (Fernsehunterhaltung entwickelte sich unter dem Druck der privaten Anbieter in Richtung Spaßfernsehen) die Agenda bestimmten.

Steffi Schültzke (MLU Halle) zeigte mit „So ein Fernseh-Theater!“ auf, wie „Heitere Dramatik“ im DDR-Fernsehen funktionierte, denn lachen wie bei Ohnsorg und Millowitsch sollten DDR-Bürger auch mit dem DDR-Fernsehen. Schültzke verdeutlichte eindrucksvoll, dass das ostdeutsche Fernsehtheater kein „niveauloser Klamauk” wie auf den Westbühnen sein sollte, sondern heiter und volkstümlich. Mit diesem Impetus wurden seit 1965 im Fernsehtheater Moritzburg zu Halle rund 300 Stücke inszeniert und institutionell im Programm des DDR-Fernsehens verankert. Mit dieser „volksnahen Fernsehkunst” begann sich eine ‚dritte Ebene‘ theatraler Vermittlungsformen herauszubilden, die zwischen intellektuellem Theater und indoktrinierter proletarischer Hochkultur als eine eigene Charakteristik changierte. Steffi Schültzke gab anschaulich am Beispiel des Stücks „Streichquartett“, das mehrmals und auf beiden Seiten der Mauer inszeniert wurde (SWR, ZDF und Fernsehtheater Moritzburg), einen Einblick in die Ambitionen, Möglichkeiten und Probleme dieser „sozialistischen Dramatik”. Im Vergleich stellte Schültzke wesentliche Unterschiede in der ost- und westdeutschen Inszenierungspraxis heraus und verdeutlichte, dass zwischen beiden Fernsehsystemen nicht nur direkte, sondern auch indirekte Bezüge bestanden.

Die „Frage des Deutschseins“ im Kern fiktionaler Geschichtssendungen der 1960er-Jahre stellte darauf folgend Ulrike Schwab (MLU Halle), die sich mit fiktionalen Geschichtssendungen auseinandergesetzt hat. Anhand prägnanter Filmbeispiele zeigte sie auf, dass die Konstruktion eines sozialistischen deutschen Geschichtsbildes, wie sie die DDR-Geschichtswissenschaft nach den theoretischen Vorgaben des Marxismus-Leninismus vorgenommen hat, in den untersuchten Fernsehproduktionen zeitgleich oder -versetzt nachvollzogen wurde. Schwab stellt dabei die These auf, dass sich die DDR-Geschichtswissenschaft und das Massenmedium Fernsehen arbeitsteilig an der Konstruktion und breitenwirksamen Vermittlung eines sozialistischen Geschichtsbildes beteiligt haben.

Im anschließenden Panel gaben drei Vorträge Einblick in die Bedeutung und Arbeit des Deutsche Rundfunkarchivs in Babelsberg, das den gesamten DDR-Fernsehbestand aufbereitet, verwaltet und pflegt und mit dem DFG-Projekt seit Anbeginn aufs engste kooperiert. Den Auftakt bildete Joachim-Felix Leonhard (Präsident der von Behring-Röntgen-Stiftung, Vorstand des DRA von 1991-2001) mit einem Vortrag über die Gründung des Deutschen Rundfunkarchivs Ost und deren Bedeutung für das audiovisuelle Gedächtnis der DDR. Der derzeitige Leiter des DRA-Babelsberg, Peter-Paul Schneider, referierte nachfolgend über die Pflege und Verwertung der Bestände heute und Uwe Breitenborn (Koordinator DFG-Projekt beim DRA) stellte „Offene Fragen“, mit denen er für die Wichtigkeit medienhistorischer Forschungen im Archiv plädierte.

Abgerundet wurde dieser zweite aufschlussreiche und gelungene Tag mit einer Gesprächsrunde, die mit „Programmauftrag Recycling?“ nach der Präsenz des DDR-Fernsehens im aktuellen Programm fragte. Eingeladen waren dazu Martina Körbler (MDR), Birgit Mehler (RBB) und Gerd Hallenberger (HU Berlin, Grimme-Jury-Mitglied 2007). Eine kurze Einführung erfolgte hierzu durch Hans Jörg Stiehler (Universität Leipzig) und als Moderator agierte eloquent Lothar Mikos (HFF Potsdam). Diskutiert wurde vor allem die Frage, was von 40 Jahren DDR-Fernsehen im heutigen Programm geblieben ist und welche Erwartungen und Wünsche ostdeutsche Zuschauer vor allem an MDR und RBB haben. Martina Körbler und Birgit Mehler machten diesbezüglich einhellig deutlich, dass ostdeutsche Unterhaltungsgewohnheiten historisch konditioniert seien und dass eine direkte und mittelbare Sehnsucht und Suche nach alten Sehgewohnheiten, eine Suche nach Heimat und Identifikation bestehe, die beim MDR und RBB bedient würden. In diesem Sinne verstünden sich MDR und RBB heute als wichtige Pfeiler zwischen Tradition und Aufarbeitung.

Den letzten Tagungstag eröffneten mit einem Einblick in die Familienserien des DDR-Fernsehens Sebastian Pfau und Sascha Trültzsch (beide MLU Halle). Zahlreich wurden die Serien produziert und erfreuten sich bei den Zuschauern bis zuletzt einer ungebrochenen Beliebtheit. Das Projekt legt eine beinahe vollständige Dokumentation der Entwicklungsgeschichte der Stil- und Präsentationsformen und eine Analyse der kommunikativen Funktionen wie der inhaltlichen Aspekte der Familienserien im Fernsehprogramm der DDR vor. Auf diese Weise wurde die Vielfalt der DDR-Familienserien dokumentiert und darüber hinaus die verschiedenen Mechanismen der Vermittlung des Familienleitbildes herausgearbeitet. Gerade dieses stellte sich am Ende als Widerspruch zwischen staatlichem Ideal und Lebenswelt heraus, so Trültzsch.

„Fröhlich sein und fernsehen“, unter diesem Motto stand die Präsentation des Kinderfernsehprojektes, das von Dieter Wiedemann und Klaus Streiber (beide HFF) vorgestellt wurde. Sandmann, Zu Besuch im Märchenland oder Fuchs und Elster sind Sendungen, die noch heute für Qualität und Popularität des einstigen DDR-Kinderfernsehens stehen. Und so betonten Widermann und Streiber die hohe Kontinuität und Stabilität im Gesamtprogramm sowie die bis heute beispielgebende Dramaturgie von Kindersendungen. Insgesamt zeichneten sich diese Sendungen aber zugleich durch eine starke Instrumentalisierung und einen hohen Erziehungsanspruch aus. Fernsehspiele, Magazinformate und Dokumentarfilme, die auch Erziehungs- und Bildungsaspekte bedienten, stießen bei den Heranwachsenden kaum auf Resonanz. Dagegen bevorzugten die jungen Zuschauer vor allem dramatische Produktionen, die märchenhafte, fantastische und humorvolle Komponenten besaßen.

Claudia Böttcher und Rüdiger Steinmetz (beide Universität Leipzig) des Projektes „Dokumentarische Genres“ boten im Anschluss mit „Erinnertes und Erforschtes“ einen Einblick in das Schaffen des international renommierten Dokumentarfilmstudios Heynowski & Scheumann (H&S). Ursprünglich war an dieser Stelle ein Gespräch mit Walter Heynowski in einer Art „DOKdialog“ geplant. Aufgrund seiner Erkrankung wurde aber kurzfristig umdisponiert. Anschaulich demonstrierten Böttcher und Steinmetz anhand von Originalquellen, Filmeinspielern und Interviews die Entwicklung des Studios. Sie zeigten auf, wie die Arbeiten von H&S maßgeblich das Bild, das die DDR-Bürger von der weltpolitischen und deutsch-deutschen Situation und von dem sozialistischen und nicht-sozialistischen Ausland sowie von der DDR und der Bundesrepublik hatten, beeinflussten. Steinmetz konstatierte, dass die spezifischen Erzählweisen und Stile beider Dokumentaristen zur Verbreitung, Akzeptanz und stilistischen Weiterentwicklung dokumentarischer Formen im DDR-Fernsehen beigetragen haben.

Thomas Lietz (Universität Leipzig) beleuchtete im Anschluss daran mit kräftiger Unterstützung durch zwei Zeitzeugen (Christa Seifert und Rolf Stockheim, DDR-Zuschauerforschung) überaus lebendig und interessant die Gründung und Arbeitsweise der Zuschauerforschung des DDR-Fernsehens. Das Forschungsinteresse des Projektes richtete sich besonders darauf, Muster der Fernsehnutzung zu ermitteln und diese im Zusammenhang mit den Arbeits- und Alltagsbedingungen sowie dem Freizeitverhalten der Rezipienten und der generellen Mediennutzung in der DDR zu verstehen. Lietz betonte, dass das DDR-Fernsehen insgesamt viel mehr Zuschauer gehabt habe, als ihm bisher attestiert wurde. Seifert und Stockheim gaben einen informativen Einblick in die Arbeit der Zuschauerforschung, die 1964 mit viel Idealismus gegründet wurde und schließlich immer mehr zur bloßen Attrappe verkam. Am Ende durften die Ergebnisse nur noch von Komiteemitgliedern eingesehen werden, den Programmmachern blieb hingegen der für ihre Arbeit notwendige Einblick über Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz ihrer Programme verwehrt.

Mit einem Außenblick auf das DDR-Fernsehen durch den Vortrag von Heather Gumbert (Virginia Tech University Blacksburg, USA) wurde die Tagung abgeschlossen. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand die Widerlegung des Mythos’ DDR-Fernsehen, den die internationale Forschung über das DDR-Fernsehen manifestiert habe. Daher plädierte sie für eine Eingliederung der Geschichte des Mediums in die Erforschung des westeuropäischen Mediensystems und machte deutlich, dass zur Analyse des Fernsehens die Totalitarismustheorie absolut unbrauchbar sei, da das Fernsehen ein Alltagsmedium sei. Zudem wies sie darauf hin, dass das DDR-Fernsehen nicht nur ein Dokument, sondern auch ein Gestalter der Zeit wäre. Eine Sichtweise, die in der internationalen Forschung bisher marginalisiert wurde, so Gumbert.

Mit dem Ende der DDR kam das Ende des staatseigenen Fernsehens. Die meisten DDR-Produktionen verschwanden sang und klanglos im Archiv. Nun wurden viele von ihnen wieder lebendig und der Öffentlichkeit in einem anderem Licht präsentiert: Die Tagung „Aufgewickelt“ war die gelungene Darbietung einer neuen und bisher unbekannten 40jährigen DDR-Programmgeschichte. Einmal mehr hat die sehr gut frequentierte Veranstaltung gezeigt, was das DDR-Fernsehen noch immer bedeutet, wie kontrovers seine Inhalte diskutiert werden können und welche differenten Sichtweisen auf das Programm existieren. Für einen regen Wissensaustausch zwischen Theorie und Praxis sorgten nicht zuletzt die zahlreich erschienenen ehemaligen Mitarbeiter des DDR-Fernsehens.

Kontakt

Dr. Uwe Breitenborn
Tel: 0331-5812 224
E-Mail: pdf@dra.de

Dr. Thomas Beutelschmidt
Tel: 030-859 1413,
E-Mail: box12161@aol.com

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