Politisches Wissen, Spezialisierung und Professionalisierung: Träger und Foren städtischer „Außenpolitik“ während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Politisches Wissen, Spezialisierung und Professionalisierung: Träger und Foren städtischer „Außenpolitik“ während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Christian Jörg, Trier; Michael Jucker, Münster; Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum Mainz-Trier; Katholische Akademie Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.12.2006 - 09.12.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Peter Hesse, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Am 8. und 9. Dezember 2006 fand die Tagung „Politisches Wissen, Spezialisierung und Professionalisierung: Träger und Foren städtischer ‚Außenpolitik’ während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ als Internationaler Workshop des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums Mainz-Trier in Zusammenarbeit mit dem SFB 496 Projekt A9 der Universität Münster statt. Tagungsort war die Katholische Akademie Trier. Organisiert wurde die Veranstaltung von Christian Jörg (Trier) und Michael Jucker (Münster).

Die Geschichte des städtischen Gesandtschaftswesens in Mittelalter und Früher Neuzeit ist ein von der Forschung lange vernachlässigtes und erst in den letzten Jahren aufgegriffenes Thema.

Im Zentrum der Betrachtung sollten die städtischen Gesandten und die Charakteristika des städtischen Gesandtschaftswesens stehen. Über Gesandte vertrat der städtische Rat seine Politik über die Stadtgrenzen hinweg nach außen. Sie sind demnach die wesentlichen Träger seiner Politik, die sie auf verschiedenen Foren vertraten. Der Workshop hatte zum Ziel, über den wissenschaftlichen Austausch die Erkenntnisse über Rahmenbedingungen und Voraussetzungen dieser städtischen Außenbeziehungen zu vertiefen.

Begrüßt wurden die Versammelten durch Martin Przybilski als Vertreter des „Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums Mainz-Trier“ und des „Trierer Zentrums für Mediävistik“ sowie von Katharina Zey-Wortmann als Vertreterin der „Katholischen Akademie Trier“.
In der anschließenden Eröffnung der Tagung führten die Organisatoren Christian Jörg (Trier) und Michael Jucker (Münster) in das Thema ein, indem sie einen Überblick über den Forschungsstand gaben, die grundsätzlichen Voraussetzungen städtischer „Außenpolitik“ im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit darlegten und in diesem Zuge die von ihnen für die Tagung aufgestellten Leitbegriffe – Politisches Wissen, Spezialisierung, Professionalisierung – erörterten, um schließlich das Ziel der Tagung zu formulieren.

Beide gingen in ihren Ausführungen zudem detaillierter auf einzelne Forschungsgegenstände der aktuellen Diplomatiegeschichte anhand jeweils eines Fallbeispiels ein. Jucker thematisierte die Bedeutung der Geheimhaltung in der städtischen Diplomatie, wobei er besonders auf das diesbezügliche Spannungsverhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie auf die spezifischen Ausformungen im Umgang mit politischem Wissen durch dessen Träger einging. Er wies insbesondere darauf hin, dass administrative Schriftlichkeit in der städtischen Geheimpolitik nicht Mündlichkeit ersetzte, sondern steuernd auf diese wirkte. Jörg widmete sich dem Handlungsspielraum der städtischen Gesandten. Hatte die ältere Forschung angenommen, dass dieser eng bemessen war, konnte er anhand von Quellenbeispielen zeigen, wie die häufig aus der städtischen Elite stammenden Gesandten Einfluss auf den Inhalt der Instruktionen nehmen konnten, die der Durchführung ihrer eigenen Gesandtschaften dienten.

In der ersten, von Alfred Haverkamp (Trier) moderierten Sektion stand die Frage im Zentrum, welche Bedeutung und Wirkung städtische Bünde für die Kommunikation und die Außenbeziehungen ihrer Mitglieder hatten.

Eröffnet wurde die Sektion durch Bernhard Kreutz (Bremerhaven) mit einem der Kommunikation zwischen den Städten Mainz, Worms und Speyer im Spätmittelalter gewidmeten Vortrag, worin Kreutz auf die unterschiedlichen Grade der Institutionalisierung der zwischenstädtischen Kommunikation einging. Dabei konnte er nachweisen, dass der Austausch während des Rheinischen Bundes (1254 - 1257) und des Rheinisch-Schwäbischen Städtebundes (1381 - 1389) Höhepunkte erreichte, die genannten Städte sich jedoch auch außerhalb dieser Zeiten um eine gemeinsame Politik bemühten. Bei der Untersuchung ging der Referent insbesondere auf das leistungsfähige Boten- und Nachrichtenwesen der Städte als Voraussetzung für den Austausch ein. Als größtes Hemmnis der Kommunikation stellten sich für den gesamten Untersuchungszeitraum die mangelnden Vollmachten der Städteboten heraus.

In ihrem anschließend gehaltenen Vortrag „Der Krieg als ,Grenzfall städtischer ,Außenpolitik’? Zur Institutionalisierung von Kommunikationsprozessen im schwäbischen Städtebund (1376 – 1390)“ befasste sich Stefanie Rüther (Münster) mit der Frage, inwiefern Hochzeiten im kommunikativen Austausch zu einer Professonalisierung des reichsstädtischen Gesandtschafts- und Botenwesens beitragen konnten. Die Referentin ging dabei auf die in der Gründungsurkunde des schwäbischen Bundes vereinbarten Bestimmungen über das Prozedere der Kommunikation zwischen den Mitgliedern ein und berücksichtigte dabei besonders ein zentrales Organ des Bundes, nämlich seinen ständigen Rat in Ulm, der zumindest formal das Recht besaß, die Städte zu gemeinsamen Tagen zu versammeln und die Zusammenstellung und Entsendung von Gesandtschaften festzulegen. Die starke Position dieses Rates und der damit verbundene Kompetenzverlust der Städte waren Anlass für Konflikte, wenn die Städte etwa zusätzlich zu den Vertretern des Bundes ihre eigenen Gesandten zu Verhandlungen schickten. Die durch wechselnde Bündnissysteme bedingte Notwendigkeit, die Politik immer neu abzustimmen, machte den Krieg vollends zu einem „Grenzfall städtischer Außenpolitik“.

Die Sektion wurde mit einem Vortrag von Stefan Selzer (Halle) zu den Auseinandersetzungen zwischen dem Preußischen Bund und dem Deutschen Orden beschlossen. Die Diplomatie des letzteren war nach den Maßstäben der Zeit bereits hoch professionalisiert. Da der Bund den Streit um seine Rechtmäßigkeit an den Kaiserhof und die Kurie verlagern wollte, mussten sich die Städte, die ihm angehörten, innerhalb kurzer Zeit juristisch und diplomatisch professionalisieren, um dem Orden dort entgegentreten zu können. Der Referent erläuterte daraufhin Methoden und Techniken der städtischen Diplomatie, wozu nicht nur die Anwerbung von gelehrten Beratern, Beschaffung von Rechtsgutachten, Prozessrednern und teils gefälschten Privilegien sowie die Finanzierung solcher Transaktionen, sondern auch die Art des Auftretens der Gesandten am Kaiserhof gehörten.

Die zweite von Jörg Rogge (Mainz) geleitete Sektion hatte das Gesandtschaftspersonal als Träger der städtischen Außenpolitik und damit auch die Frage nach Kompetenzen und Handlungsspielräumen dieser Personengruppe zum Thema.

Klara Hübner (Bern) hinterfragte die von der Forschung vorgenommene Trennung zwischen den für die Verhandlungen zuständigen städtischen Gesandten und den berittenen oder laufenden Boten, die angeblich nur als Übermittler von Informationen fungierten. Die Referentin strich heraus, dass beide in eidgenössischen Quellen als „botten“ bezeichnet wurden und konnte mit dem Ergebnis aufwarten, dass den Boten häufig diplomatisch delikate Sonderaufträge, wie etwa die Übermittlung von Geheimkorrespondenzen oder Spionagediensten anvertraut wurden. Nicht nur die Gesandten, sondern auch die Boten sind daher als Personen zu betrachten, die das besondere Vertrauen des Rates besaßen. Eine Reihe von Einzelbeispielen veranschaulichte die Verschiedenartigkeit der Einsatzfelder, die Beziehungsnetze und Herkunft dieser Personengruppe im diplomatischen Verkehr.

Bastian Walter (Münster) untersuchte mithilfe von Bourdieus Kapitalbegriff die Aktivitäten der Familie von Diesbach in den Außenbeziehungen Berns im 15. Jahrhundert. Detailliert erläuterte der Referent die bewusst und strategisch betriebene Familienpolitik in der ,Außenpolitik’ einer Stadt. Dabei ging er nicht nur auf die Akkumulierung des hohen finanziellen Kapitals ein, dass der Familie die Abkömmlichkeit für ihre politischen Aktivitäten sicherte, sondern auch auf die Ausbildung der Nachkommen, die sie für spätere diplomatische Missionen qualifizierte, außerdem auf die Reisetätigkeit, das Knüpfen von Netzwerken, die Heiratspolitik, sowie den Erwerb eines Adelstitels und überhaupt das Bemühen der Diesbach, Lebensformen des Adels zu übernehmen.

In einem Vortrag zu den „Spezialisierungstendenzen von Braunschweiger Gesandten am Anfang des 15. Jahrhunderts“ sprach Katharina Neugebauer (Mainz) über die Beziehungsnetze der Stadt innerhalb der Hanse sowie des Sächsischen Bundes und ging ihrer Vertretung auf den Zusammenkünften dieser Zusammenschlüsse nach. Für den gleichen Zeitraum untersuchte die Referentin die vermehrten Kontakte zum Reichsoberhaupt in Form von Gesandtschaften, die vor allem der Wahrung der Privilegien Braunschweigs galten. Neugebauer konnte zeigen, dass der überwiegende Teil der städtischen Gesandten aus dem engen Kreis der städtischen Führungsschicht stammte und dort meist bestimmten Korporationen angehörte.

Michael Rothmann (Köln) präsentierte eine Typologie der diplomatischen Funktionselite der Stadt Frankfurt im Zeitraum von ca. 1350 bis 1520, indem er drei ihrer Vertreter vorstellte. Siegfried zum Paradies (gest. 1386), der von 1347 an der bedeutendste Diplomat der Stadt war und sowohl die Interessen Frankfurts beim König als auch die des Königs in der Stadt vertrat. Walter von Schwarzenberg (1378 – 1459), der in enger Absprache mit dem städtischen Rat über 250 Gesandtschaften durchführte und schließlich Dr. Ludwig zum Paradies (ca. 1430 – 1502), der über eine gelehrte juristische Bildung verfügte und neben seinen Aufgaben in Frankfurt auch in den Diensten des Königs und des Landgrafen von Hessen stand. Jeder der vorgestellten Diplomaten bekleidete hohe Ämter innerhalb der Stadt und besaß weitreichende Beziehungen, vor allem zu einem der wichtigsten Ansprechpartner Frankfurts, dem König und seinem Hof.

Die dritte von Andreas Tacke (Trier) geleitete Sektion hatte zum Oberthema die Bedeutung der gelehrten Bildung für das Gesandtschaftswesen und die Wahrnehmung und Darstellung der städtischen Gesandten in den visuellen Medien des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit.

Harm von Seggern (Kiel) befasste sich mit Gästen in Nachlassauseinandersetzungen vor dem Lübecker Ratsgericht im ausgehenden 15. Jahrhundert. Dazu wertete von Seggern als Quelle die Niederstadtbücher der Jahre 1478 bis 1495 aus, in denen die Fälle festgehalten wurden, in denen die Erben von in Lübeck verstorbenen Gästen versuchten, den Nachlass vor dem Stadtgericht auszulösen. Dabei ergab sich, dass es unter den Fernhandelskaufleuten Spezialisten im Lübecker Recht gab, die für die Bürger ihrer Städte als Ansprechpartner fungierten und vor dem Lübecker Rat deren Ansprüche vertraten. Anhand des Beispiels eines Kölner Fernhändlers konnte der Referent belegen, dass im Laufe der Zeit drei Kölner ihren in Lübeck als Gast ansässigen Mitbürger beauftragten, vor dem Rat ihre Interessen zu vertreten.

Mit Syndici als Diplomaten in der Frühen Neuzeit beschäftigte sich André Krischer (Münster). Die Möglichkeiten der Reichsstädte, gegenüber den Fürsten ,Außenpolitik’ zu betreiben, waren in der Frühen Neuzeit merklich eingeschränkt, weil die Fürstengesellschaft die Reichsstädte nur unter Vorbehalt als völkerrechtlich souveräne Staatsgebilde akzeptierte. Zu den Mitteln der Reichsstädte, sich dennoch Gehör zu verschaffen, zählten manchmal der Verhandlungsgegenstand selbst, häufig Geschenke, stets aber die Interaktionskompetenzen der städtischen Diplomaten. Vor diesem Hintergrund ging der Referent der Frage nach, was unter Professionalisierung in der ,Außenpolitik’ überhaupt zu verstehen ist. Krischer zeigte, dass dazu nicht nur das Wissen über den rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Gehalt der Interessen, sondern auch die Formen gehörten, in denen die Verhandlungen abliefen. Rekonstruiert wurden idealtypisch die Voraussetzungen, die ein städtischer Gesandter für seine Tätigkeit besitzen musste, wozu Ausbildung, Lektüre, Berufungsvorgang, Verhandlungsstrategien und Spezialwissen gehörten.

Mit Dorothee Linnemann (Münster), die sich mit Visuellen Medien als ,außenpolitischem’ Forum des 16. Jahrhunderts zwischen Stadt und Reich befasste, wurde die Reihe der Vorträge beschlossen. Die Referentin verwies darauf, dass die Zusammenführung der an der Ständegesellschaft beteiligten Korporationen und die steigende Institutionalisierung der Verhandlungsforen eine „Dynamisierung außenpolitischer (symbolischer) Kommunikation“ bedingte. Im Zuge der Medienrevolution des 16. Jahrhunderts entstanden vermehrt Quellen, in denen die Gesandtschaftsaktivitäten abgebildet wurden. In diesen Bildern von Sitzordnungen des Reichstages, Begrüßungszeremonien und Vertragsabschlüssen wurde der rechtliche und politische Status der Akteure visualisiert und teilweise erstmals festgelegt. Linnemann thematisierte nicht nur die spezifische Bildsprache der Quellen, sondern auch ihre Rezeption innerhalb des Reichs.

In der abschließenden Zusammenfassung kommentierte Martin Kintzinger (Münster) den Workshop und benannte dabei nicht nur die zentralen Ergebnisse der Tagung, sondern brachte auch weiterführende Anregungen für die Diskussion um die Existenz einer spezifisch städtischen Außenpolitik in Spätmittelalter und früher Neuzeit ein. Dabei thematisierte er nochmals insbesondere die im Rahmen des Workshops zentrale Frage des Verhältnisses von „Außenpolitik“ und „Professionalisierung“, um welche auch die an die einzelnen Vorträge anschließenden regen Diskussionen vielfach gekreist hatten.

Die Tagung brachte Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz zusammen, deren Beiträge sich zeitlich vom 13. bis zum 17. Jahrhundert spannten. Diese auch inhaltlich weitgefächerten Vorträge entwarfen insgesamt ein facettenreiches Spektrum der Voraussetzungen von Diplomatie in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Die Beiträge werden in der Reihe des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums Mainz-Trier „Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften“ publiziert.


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