Raum-Welten. Das historisch-geographische Informationssystem HGIS Germany als Internet-Ressource für Wissenschaft, Museum und Öffentlichkeit

Raum-Welten. Das historisch-geographische Informationssystem HGIS Germany als Internet-Ressource für Wissenschaft, Museum und Öffentlichkeit

Organisatoren
Projektgruppe HGIS Germany, Institut für Europäische Geschichte Mainz sowie Fachhochschule Mainz (i3) in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.05.2007 - 24.05.2007
Von
Silke Marburg, Institut für Europäische Geschichte Mainz

„Räume sind nicht, Räume werden gemacht.“ So bündig hat es Hans-Dietrich Schultz formuliert. Besonders plastisch und auf interaktive Weise lässt sich die Konstruiertheit von historischen Räumen mit HGIS Germany erleben. Denn mit Hilfe dieses historisch-geographischen Informationssystems kann man sich in unterschiedlichen historischen Räumen der deutschen Staatenwelt des 19. Jahrhunderts bewegen – man kann Räume aus Komponenten selbst konstruieren, sie visualisieren und mit ihnen eine Zeitreise durch ein ganzes Dezennium antreten.

Diese unterschiedlichen Räume von HGIS Germany bildeten dann auch die Schwerpunkte des Workshops „Raum-Welten“, der am 23. und 24. Mai 2007 im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) stattfand. Die Projektgruppe vom Institut für Europäische Geschichte und der Fachhochschule Mainz sowie das DHM als Kooperationspartner hatten eingeladen, um sowohl die jüngste Web-Version (www.hgis-germany.de) als auch die Museums-Version für die neue Dauerausstellung des Berliner Hauses zu besprechen. Letztere wurde am Abend des 23. im Pei-Bau des Museums im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung an das Deutsche Historische Museum übergeben.

Ziel des Workshops, an dem etwa 30 Wissenschaftler/innen aus dem In- und Ausland teilnahmen, war es, Macher und Nutzer von HGIS Germany miteinander ins Gespräch zu bringen. Nach jeweils einer kurzen Präsentation der Module des Informationssystems durch Projektbeteiligte kamen Vertreter unterschiedlicher Nutzergruppen zu Wort. Museumsleute, Journalisten, Wissenschaftler und Hochschullehrer formulierten ihre Interessen und ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit dem Informationssystem und bewerteten die Potenziale, die es ihnen bietet. Die jeweils anschließende Diskussion bot allen Teilnehmern die Möglichkeit zu Nachfragen und Hinweisen.

Nach der Begrüßung durch Dieter Vorsteher, den Stellvertretenden Direktor des DHM, machten die beiden Projektleiter Andreas Kunz (Institut für Europäische Geschichte Mainz) und Alexander Zipf (Fachhochschule Mainz) den Anfang mit einem Beitrag über die historischen und geografischen Grundlagen von HGIS Germany. Sie erläuterten Grundentscheidungen für den Aufbau des Informationssystems und seine Bauprinzipien. Jürgen Schweikart (Berlin) nahm die Rekonstruktion von administrativen Räumen unter die Lupe. Einen interessanten Kontext stellten insbesondere seine Ausführungen über die Tradition von Grenzen in Europa her. Die vom Geografen Schweikart vorgestellte Typologie von Grenzen ließ eine interdisziplinäre Debatte anklingen, die auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen natürlichen und anthropogenen Grenzen fußte. Ortwin Pelc (Hamburg) ging anschließend darauf ein, wie politische Räume im Informationssystem repräsentiert werden. Er prüfte aber auch, welche Angebote HGIS Germany für den Hamburger Landeshistoriker und Museumsmacher bereithält.

Der zweite Themenblock widmete sich den Wirtschaftsräumen und der historischen Statistik. Für das Projektteam gaben Andreas Kunz, Bettina Johnen und Monika Krompiec den Überblick zum Thema. Leonhard Dietze zeigte in seinem Werkstattbericht „Zeit- und raumbezogenes ‚GIS-Mapping’ für die historische Statistik“, wie die Geoinformatik dem Benutzer von den historischen Recherchen zur „selbstgemachten“ Karte verhilft. Mark Spörer (Hohenheim) berichtete darüber, was HGIS Germany als Ressource für die Wirtschaftsgeschichte und die Historische Statistik leisten kann.

Ein Beispiel für die Kreation ganz neuer historischer Räume liefert HGIS Germany mit seinen Dynastischen Informationen. Von Seiten des Instituts für Europäische Geschichte führte Silke Marburg in die Materie ein. Das System transportiert und systematisiert hier nicht nur bereits vorhandene Forschungsergebnisse, sondern etabliert eine eigene Thematik – z. B. die Verflochtenheit der deutschen und europäischen Staatenwelt über den regierenden Hochadel. Josef Matzerath (Dresden) schätzte das Thema als zukunftsweisend für die Adelsforschung ein. Außerdem hatte er ausgelotet, was das Informationssystem für die universitäre Lehre im Fach Geschichte beitragen kann.

Dem Anlass gemäß nahm die Debatte über die Museums-Version einen breiteren Raum ein. Für die HGIS Germany-Projektgruppe präsentierte Dorlis Blume (Mainz/Berliln) die von ihr gestalteten multimedialen Inhalte. Stefan Bresky und Stefan Kontra (Berlin) beleuchteten die musealen Anforderungen an eine Multimedia-Station. Kai-Britt Albrecht (Potsdam) analysierte vor allem die museumsrelevanten Ressourcen des Multimedia-Moduls.

Von Eva Pfanzelter (Innsbruck) berichtete darüber, welche Schlussfolgerungen in Österreich aus den Ergebnissen von HGIS Germany für die Planungen zu einem HGIS Austria gezogen werden. Anja Herold (Hamburg) ging davon aus, dass das Informationssystem auch für Journalisten eine wichtige Ressource sein wird. Dass diese bei der Qualitätssicherung ihrer Recherchen von dem Projekt profitieren, zeigte sie an konkreten Beispielen aus der Redaktion von GEO Epoche. Zum Abschluss demonstrierte Stefan Kroll (Rostock) welche raumbezogenen historischen Informationssysteme im WorldWideWeb angeboten werden. Damit wurde der internationale Forschungskontext des Projekts deutlich wie auch sein Profil als eines der wenigen nationalen historischen GIS Europas.

Vorträge und Diskussionen transportierten zunächst ein breites Interesse, teilweise sogar Begeisterung für HGIS Germany. Die meistgenannten Positiva waren die online-Verfügbarkeit der historischen Daten, ihre Qualität und wissenschaftliche Aufbereitung, der stets gegebene Raumbezug und die Visualisierungsmöglichkeiten. Aber auch das professionell kommentierte Bildmaterial des Multimedia-Bereichs wurde gelobt, das zum Teil aus den Beständen des Kooperationspartners DHM stammt. Dass das System neben der gezielten Suche nach historischen Informationen auch den explorativen Zugang zur Geschichte des 19. Jahrhunderts unterstützt, macht es überdies für die breite Öffentlichkeit und nicht zuletzt für Schulen interessant. Schließlich beeindruckte die Konsequenz, mit der die auch im 19. Jahrhundert häufigen Klein- und Kleinststaaten, wie etwa das Fürstentum Reuß-Ebersdorf, neben die European players der deutschen Staatenwelt, z. B. Preußen, gestellt und nach einheitlichen Kriterien betrachtet werden. Gerade letzteres hatte innerhalb des dreijährigen Projektes, das von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, und dem Land Rheinland-Pfalz umfassend gefördert wurde, einen erheblichen Forschungsaufwand beansprucht.

Auf den Geschmack gekommen, wurde aber auch vielfach der Wunsch nach "Mehr" formuliert: mehr Daten, ein größeres Beobachtungsgebiet und ein längerer Beobachtungszeitraum. Während einige dieser Wünsche mit dem Verweis auf den bevorstehenden Abschluss des Projekts gedämpft werden mussten, lassen sich andere durchaus erfüllen. Denn in der kommenden Zeit wird eine CD-ROM mit der sogenannten Experten-Version von HGIS Germany erscheinen. Gegenüber der Web-Version und ihren durch die Oberfläche präfigurierten Abfragemöglichkeiten wird jene einen noch umfangreicheren Datenbestand anbieten und eine freiere und kreativere Arbeit mit dem GIS-Instrumentarium ermöglichen. Schließlich gehen viele Anregungen aus den Diskussionen in die noch laufenden Arbeiten ein, sowohl am Web-GIS selbst als auch am eKompendium, das sich derzeit unter www.ekompendium-hgisg.de im Aufbau befindet.

Der Workshop „Raum-Welten“ machte potenzielle Nutzer auf HGIS Germany aufmerksam und verhalf allen Teilnehmern zu interessanten gegenseitigen Einblicken in ihre Arbeit. Durch den gemeinsamen Bezug auf die Erkundungsarbeit mit dem Informationssystem, die die Workshop-Teilnehmer im Vorfeld geleistet hatten, fand die interdisziplinäre Debatte immer wieder auf eine gemeinsame Basis zurück. Ausgewählte Beiträge des Workshops werden voraussichtlich in dem Begleitband zur CD-ROM-Version von HGIS-Germany enthalten sein.

Kontakt

Dr. Andreas Kunz
Institut für Europäische Geschichte
Alte Universitätsstr. 19
D-55116 Mainz

Fon +49-6131-3939363
Fax +49-6131-3930154
kunz@ieg-mainz.de

www.hgis-germany.de; www.ekompendium-hgisg.de
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