Aktion Reinhardt - Extermination of the Jews in the General Government

Aktion Reinhardt - Extermination of the Jews in the General Government

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau, Institut des Nationalen Gedenkens
Ort
Lublin, Ostpolen
Land
Poland
Vom - Bis
07.11.2002 - 09.11.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Jochen Böhler

Anfang November 2002 trafen sich Teilnehmer aus Europa, Israel, den USA und Kanada auf einer vom Deutschen Historischen Institut Warschau und dem polnischen Institut des Nationalen Gedenkens gemeinsam veranstalteten Konferenz in Lublin, Ostpolen, um sich mit einem der schrecklichsten Kapitel des 20. Jahrhunderts zu befassen: Der Ermordung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs. Die Holocaust-Forschung hatte bisher allzu selten die konkrete Umsetzung des von den deutschen Besatzern auf polnischem Boden, im so genannten "Generalgouvernement", verübten Massenmordes behandelt. Zu Recht wurde der Schwerpunkt der Konferenz daher auf die Planung, Organisation und Durchführung der "Aktion Reinhardt", wie die Täter selbst die Auflösung der Ghettos in Polen, die Deportation ihrer Bewohner in die Todeslager und ihre dortige Vernichtung bezeichneten, gelegt. In fünf Sektionen wurden insgesamt 23 Kurzreferate präsentiert, die am Ende einer jeden Sektion in einem Kommentar zusammengefasst und anschließend unter Einbeziehung des Auditoriums diskutiert wurden. Im Folgenden werden die einzelnen Sektionen jeweils summarisch abgehandelt, da eine vollständige Präsentation aller gehaltenen Referate den Rahmen einer Konferenzbesprechung sprengen würde (eine Auflistung der einzelnen Beiträge findet sich am Ende dieses Beitrages)

Sektion 1 - Origins of "Aktion Reinhardt"

In der einleitenden Sektion zu den Ursprüngen und Hintergründen der "Aktion Reinhardt" traten die Unterschiede in den Interpretationen von Holocaustforschern der ersten Generation und Historikern nachfolgender Generationen deutlich zu Tage. Während erstere die zentrale Rolle der rassistisch-antisemitischen nationalsozialistischen Ideologie der Berliner Zentrale für die Entscheidungsfindung zur Vernichtung der europäischen Juden hervorhoben, verwiesen letztere auf Faktoren, die an der Peripherie des Reiches zum Tragen kamen: Die Versorgung der Juden im Generalgouvernement wurde nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 zu einem (selbst geschaffenen) wirtschaftlichen Problem für die deutsche Verwaltung, woraufhin eine "Lösung der Judenfrage" durch die Einrichtung von Vernichtungslagern vor Ort ins Auge gefasst wurde. In Odilo Globocnik, dem Höheren Polizei- und SS-Führer Lublin, einer zentralen Person des Holocaust an der Peripherie, fand sich ein willfähriger Vollstrecker dieser Ideen. In der anschließenden Diskussion zeigte sich allerdings, dass solcherlei Differenzen heutzutage lange nicht mehr so unüberwindbar erscheinen wie noch in den 80er Jahren im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Intentionalisten und Funktionalisten.

Jenseits dieser Kontroverse entspann sich eine Diskussion um den Wissenstand der Opfer: Obwohl bereits ab März 1942 in einzelnen Ghettos genaue Vorstellungen vom Schicksal der in die Vernichtungslager Deportierten existierten, waren die Reaktionen der Betroffenen höchst unterschiedlich und reichten von Fatalismus bis Flucht. Die Ausweglosigkeit der Situation der Juden in den Ghettos des Generalgouvernements wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es keine verlässlichen Überlebensstrategien gab: Die Biographien von Opfern belegen, dass sowohl der Abtransport in ein Arbeitslager als auch die Flucht in die umliegenden Wälder für die Betroffenen tödlich enden oder das Überleben sichern konnten.

Sektion 2 - Death Camps / Sektion 3 - Transit Camps and Deportations

Die zwei folgenden Sektionen lieferten eine Menge detaillierter Informationen zu den einzelnen Lagern und Abläufen vor Ort, sowie zur Rolle der Lager als Gedenkstätten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Leider nur ansatzweise wurde erörtert, inwieweit sich die Berichte von traumatisierten Überlebenden verwenden lassen, um verlässliche Informationen über die Situation der Betroffenen in den Lagern zu erhalten.

Drei übergeordnete Fragestellungen überlagerten des weiteren beide Sektionen:

1.: In welchem Verhältnis standen die nationalsozialistischen Zielsetzungen der "Ausbeutung jüdischer Arbeit" und der "Vernichtung durch Arbeit"? Waren Arbeitslager für Juden eine Chance des Überlebens unter widrigsten Umständen, oder doch nur eine andere Art Todeslager?
2.: Was weiß man über die Zusammensetzung und biographischen Hintergründe des Lagerpersonals?
3. Welche Funktion kam dem bei Deportationen ausgeübten Terror zu? Handelte es sich dabei um unkontrollierte Exzesstaten oder um gezielte Einschüchterungsversuche, die einen "geregelten" Ablauf garantieren sollten?

In den sich an die Sektionen anschließenden Diskussionen wurde deutlich, dass hinsichtlich dieser Themenkomplexe noch erheblicher Klärungsbedarf besteht. Einige Fragen im Bezug auf die Vollstrecker des Holocaust wurden allerdings bereits in der folgenden Sektion näher erörtert.

Sektion 4 - Perpetrators

In dieser Sektion traten einige interessante neue Aspekte zu Tage, wie etwa die Kontinuität zwischen dem Personal der "Euthanasie-Aktion" im Reich und dem der Vernichtungslager der "Aktion Reinhardt" oder die Rolle der "Trawniki-Männer" (der ukrainischen Hilfskräfte in den Vernichtungslagern).

Erste flächendeckende Untersuchungen zum Personal der Sicherheitspolizei im Distrikt Radom anhand von Ermittlungsverfahren westdeutscher Staatsanwaltschaften machten deutlich, dass sich die Exzesse, die sich im Verlauf von Deportationen abspielten, nicht rational erklären lassen. Die Mehrheit der Täter ist hier wohl nicht mit dem Terminus "ganz normale Männer" (nach Browning), sondern als harter Kern überzeugter und passionierter Mörder zu charakterisieren.

Die Verfolgung von Kriegsverbrechern in Nachkriegspolen stieß aufgrund der Dimension der Verbrechen und der Tatsache, dass weite Kreise der polnischen Eliten im Verlauf der Besatzung umgebracht worden waren, auf erhebliche Probleme. Es ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass demnächst eine Dokumentation zu diesem Themenkomplex vom polnischen Institut des Nationalen Gedenkens veröffentlicht werden wird. Insgesamt erwies sich, dass Fragen des Dienstverhältnisse, des Zusammenhalts einzelner Gruppen und des Besatzungsklimas wohl eine größere Bedeutung zukommt als biographischen Faktoren. Rationale Deutungsmuster der radikalen Vorgehensweise im deutsch besetzten Osten - wie Versorgungsengpässe oder Sicherheitsdenken - spielten ohne Zweifel eine Rolle, vermögen aber das Phänomen des "eliminatorischen Antisemitismus'" nicht hinreichend zu erklären.

Sektion 5 - Poles and Jews in the Face of the Holocaust

Die letzte Sektion wurde von zwei Themen dominiert: Der Frage des jüdischen Widerstandes und der des polnisch-jüdischen Verhältnisses unter deutscher Besatzung. Beide Aspekte waren in der Vergangenheit Gegenstand zum Teil heftiger Kontroversen. Den unterschiedlichen Überlebensstrategien - Flucht aus dem Ghetto auf die "arische Seite", Familiencamps in den Wäldern, bewaffneter Widerstand in Partisaneneinheiten - wird daher in Zukunft mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden müssen.

Anhand von Aufzeichnungen christlich-polnischer Intellektueller wurde erstmals eine dritte Sicht jenseits der Opfer- und Täterperspektive (hinsichtlich des Holocaust) präsentiert, die weiter zu verfolgen ebenfalls als lohnenswert erscheint.

Ein Exkurs über die Rolle von Juden im Exil ("helpless observers") fiel wenig rühmlich für den Jewish World Congress und die polnische Exilregierung aus, die sich trotz detaillierter Erkenntnisse über die Vernichtungsaktionen in Polen eher von Überlegungen zur internationalen politischen Konstellation als der Notwendigkeit direkten Eingreifens leiten ließen.

Fazit

Das Konferenzkonzept ging auf und stieß beim Publikum auf spürbare Zustimmung: Die Vorträge waren aufgrund der notwendigerweise auf 10 Minuten begrenzten Redezeit der Referenten prägnant formuliert. Die Konferenz versammelte hochkarätige Holocaustforscher aller Generationen - von Zeitzeugen und Nestoren der Holocaustforschung über Experten nachfolgender Generationen bis hin zu jungen Nachwuchswissenschaftlern - an einem Tisch und ermöglichte in einer außergewöhnlich dichten Form einen umfassenden Austausch über die "Aktion Reinhardt", wobei neben bereits häufig erörterten viele neue Themenkomplexe zur Sprache kamen. Eine Konferenz zur Vernichtung der Juden im Generalgouvernement unter internationaler Beteiligung in Polen abzuhalten war eine gewagte Pionierleistung. Sie leistete ohne Zweifel einen substantiellen Beitrag zur Holocaust-Forschung. Erwartungsgemäß wurden hier mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben werden konnten. Das Zusammentreffen von Zeitzeugen und Nachkommen der Täter- und Opfergesellschaften an einem Ort, der wie kaum ein anderer symbolisch für die Vernichtung der Juden im Generalgouvernement steht, ließ sie zu einem für alle Beteiligten einmaligen Erlebnis werden.

Die geplante Veröffentlichung der Beiträge in Kooperation des Deutschen Historischen Instituts Warschau mit dem polnischen Institut des Nationalen Gedenkens und dem israelischen Holocaust-Forschungszentrum Yad Vashem in polnischer, englischer und deutscher Sprache wird demnächst die äußerst heterogenen Forschungsansätze einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Als vielleicht wichtigste Erkenntnis nach drei Tagen intensiver Diskussion gilt es festzuhalten, dass wir hinsichtlich der Erforschung der Mechanismen und Implikationen des Holocaust in Polen noch heute einen weiten Weg vor uns haben.

GEHALTENE REFERATE:

Sektion 1 - ORIGINS OF "AKTION REINHARDT"

Israel Gutman, "Aktion Reinhardt" in Historiography

Bogdan Musial, Planning and Organization of Genocide: Origins of "Aktion Reinhardt"

Dieter Pohl, The Role of the Lublin District in the Genocide

David Silberklang, The Beginning of "Aktion Reinhardt": Liquidation of the First Ghettos in the Lublin District

Feliks Tych (Commentator)

Sektion 2 - DEATH CAMPS

Peter Witte, Functioning of the Death Camps in Belzec and Sobibór

Edward Kopówka, The Death Camp in Treblinka

Tomasz Kranz, The Role of the Majdanek Concentration Camp during "Aktion Reinhardt"

David Silberklang (Commentator)

Sektion 3 - TRANSIT CAMPS AND DEPORTATIONS

Robert Kuwalek, Transit Ghettos in the Lublin District (Izbica, Rejowiec, Piaski, Trawniki)

Janina Kielboñ, Deportations of Jews to the Lublin District (from Germany, Austria, Slovakia, the Protectorate, Holland, France etc.)

Andrzej Zbikowski, Katzmann's Report and Extermination of the Galician Jews

Sara Bender, "Aktion Reinhardt" in the Bialystok Region

Jacek Andrzej Mlynarczyk, "Aktion Reinhardt" in the Radom District

Felicja Karay, Work Camps for Jews during "Aktion Reinhardt"

Tomasz Kranz (Commentator)

Sektion 4 - PERPETRATORS

Thomas Sandkühler, Economical Exploitation: Nazi Planning and Direct Implementation

Witold Kulesza, Prosecuting the Perpetrators in Poland - The Polish Administration of Justice

Peter Black, "Trawnikimänner". Non-German Auxiliary Staff During "Aktion Reinhardt"

Patricia Heberer, Continuity in Killing Operations: "T4" Perpetrators and the "Aktion Reinhardt"

Klaus Michael Mallmann, Security Police in the Cracow District

Dieter Pohl (Commentator)

Sektion 5 - POLES AND JEWS IN THE FACE OF THE HOLOCAUST

Shmuel Krakowski, Jewish Resistance in the General Government

Ewa £azoryk, In the hiding on the "arian side" in the testimonies and memoirs

Gunnar S. Paulsson, Polish-Jewish Relations in "Aryan" Warsaw1940-1945

Dariusz Libionka, The Attitude of Gentiles in the Lublin District Toward the Extermination of the Jews

Daniel Blatman, Reactions of the Jewish Organizations to the News from Poland

Andrzej Zbikowski (Commentator)

Kontakt

Jochen Böhler
Deutsches Historisches Institut Warschau
Palac Karnickich
Aleje Ujazdowskie 39
PL 00-540 Warszawa

Tel.: (+48 22) 525 83 12
Fax: (+48 22) 525 83 37

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