Solitäre und Netzwerker. Akteure des kulturpolitischen Konservativismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands

Solitäre und Netzwerker. Akteure des kulturpolitischen Konservativismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands

Organisatoren
Prof. Dr. Erhard Schütz, Institut für deutsche Literatur
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.06.2007 - 09.06.2007
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Von
Jonas Brendebach

Unter dem Titel „Solitäre und Netzwerker. Akteure des kulturpolitischen Konservativismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands“ eröffneten die Teilnehmer der internationalen Konferenz am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin eine breite Perspektive auf konservative Denkrichtungen schwerpunktmäßig in den Westzonen des jungen Nachkriegsdeutschlands. Über disziplinäre Grenzen hinweg wurden die Wurzeln und Bezugspunkte der jeweiligen Denkrichtung, die Verflechtungen (Netzwerker) und Abgrenzungen (Solitäre) einzelner Positionen und die unterschiedliche Wirkmacht im intellektuellen Klima der werdenden Bundesrepublik in den Blick genommen.
Im Vordergrund standen Protagonisten wie Gerhard Nebel, Egon Vietta, Margret Boveri, Ernst Jünger, Arnold Gehlen, Hans Egon Holthusen und Friedrich Sieburg. Das Stichwort der Elitenkontinuität nach 1945 wurde an den Beispielen der ehemaligen Signal-Mitarbeiter in der Illustrierten-Presse nach Kriegsende und der Ablösung der UFA- durch die DEFA-Filmproduktion aufgegriffen. Darüber hinaus wurde auf die Möglichkeit eines „Dritten Weges“ sowie die intellektuellen Ausstrahlungen des Konservativismus hingewiesen.

Mit diesem Themenhorizont verstand sich die von PETER UWE HOHENDAHL (Cornell University Ithaca/NY, USA) und ERHARD SCHÜTZ (Humboldt-Universität zu Berlin) geplante Konferenz am Institut für deutsche Literatur als Vertiefung der schon am 1./2. Februar 2006 am Institute for German Cultural Studies, Cornell University, präsentierten Forschungsansätze. Dort hatten PETER UWE HOHENDAHL und WOLF KITTLER (Cornell University) die Tagung „Conservative Thought in West Germany after 1940: Martin Heidegger – Carl Schmitt – Ernst Jünger“ organisiert, die sich in erster Linie auf die drei namentlich genannten Bezugsgrößen des deutschen Konservativismus konzentrierte.

Die Konferenz „Solitäre und Netzwerker“ griff die Ergebnisse der Tagung in Cornell auf und bot gleichzeitig einigen Nachwuchswissenschaftlern die Gelegenheit, ihre Arbeiten zu diesem Themenkomplex vorzustellen. Insgesamt zeigten die Vorträge in ihrer ganzen Bandbreite und die sich anschließenden lebhaften Diskussionen, dass sich der kulturpolitische Konservativismus der Nachkriegszeit nicht als ein Set fest gefügter Ideen formierte. Sein einigendes Moment war die Ablehnung sozialistischer wie liberalistischer Alternativen. Der gemeinsame Ausdruck der konservativen Haltung war ein umfassender Kulturpessimismus, der schließlich auch zu Überschneidungen mit gegengerichteten Bewegungen wie der Frankfurter Schule oder der Gruppe 47 führte. Die Konferenzteilnehmer machten deutlich, dass sich trotz klarer Distinktionsbemühungen einzelner Solitäre gewisse halböffentliche Netzwerke des Konservativismus entwickelten. So konnten im Nationalsozialismus engagierte oder zumindest arrangierte Intellektuelle durch rasche Anpassung an die Bedingungen der Nachkriegszeit Einfluss am intellektuellen Wiederaufbau gewinnen.

Den zeitgeschichtlichen Kontext und die ideengeschichtliche Entwicklung erhellten zwei Vorträge mit historischer Fragestellung. Sie übernahmen gleichzeitig die Eröffnung der Konferenz. CONSTANTIN GOSCHLER (Ruhr-Universität, Bochum) betrachtete „Radikalkonservatives Denken in der frühen Bundesrepublik im Kontext“. Dabei thematisierte er die „Ambivalenzen der scheinbaren Erfolgsgeschichte, als welche der westdeutsche Nachkrieg heute oft erzählt wird“. In der Ablehnung alliierter Schuldzuweisungen, der Delegitimierung der Entnazifizierungsverfahren und einer selbststilisierenden Viktimisierung bildete sich eine radikalkonservative Haltung heraus. Diese trieb ihre Akteure einerseits aus der „lizenzierten Öffentlichkeit“ (Carl Schmitt) in das „Arkanum gleichgesinnter Geister“ (Goschler), andererseits aber spiegelte sie eine allgemeine Befindlichkeit in der deutschen Bevölkerung wider. Erst in den fünfziger Jahren wandelte sich das Profil des konservativen Kulturpessimismus und schloss durch Personen wie Hans Freyer, Arnold Gehlen und Helmut Schelsky „einen Waffenstillstand mit der modernen, pluralistischen Gesellschaft“. Radikalkonservatives Denken geriet an den Rand des konservativen Spektrums. Mit Karl Mannheim argumentierte Goschler, „dass ständige Transformation zum Wesen konservativer Ideologie gehört“. Dennoch habe sich bis heute eine „radikalkonservative Unterströmung“ in der Bundesrepublik fortgesetzt, wie das Beispiel des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann gezeigt habe.

DIRK VAN LAAK (Friedrich-Schiller-Universität, Jena) ging auf „Ideengeschichtliche Elemente in den Grundkonstellationen der frühen Bundesrepublik“ ein. Ausgangspunkt bildete hier die „kollektive Neuausrichtung deutschen ‚Geistes’ in nationalchauvinistischem Stil“ im Kontext des Ersten Weltkriegs, die das Klima der Weimarer Republik prägte und schließlich dem Nationalsozialismus den Weg ebnete. Martin Heidegger oder Ernst Jünger erwiesen sich als Vordenker, die „auf der Höhe der Zeit bzw. sogar ihr jeweils prognostisch voraus“ waren. Rückblickend aber stellten sie sich an die Spitze eines Prozesses, den sie als geschichtlich unvermeidbar deuteten. Schon in der Dynamik seit 1933 diagnostizierte van Laak ein Auseinanderfallen von Gedanken und Tat. Am Beispiel des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg wurde verdeutlicht, wie Intellektuelle zu ideologischen Stichwortgebern der „jungen ‚Tatmenschen’ aus den Kreisen der SS und des SD“ wurden, jede Lenkung aber verloren. Die Entgrenzung ideologischer Impulse zeigte sich in der Gewalt des Krieges oder im Holocaust. Im Nachkriegsdeutschland schließlich zogen sich die radikalkonservativen Intellektuellen in stilisierte Selbstbehauptung zurück und umgingen das Bekenntnis eigener Verantwortung. Lediglich Rudimente radikalkonservativen Denkens vererbten sich an ihre Nachfolgergenerationen.

Ein zentrales Thema der Konferenz bildete die Betrachtung von Journalisten und Publizisten, die sich im Umfeld und der Nachfolge Jüngers ansiedeln lassen. Hierzu sprach GREGOR STREIM (Freie Universität, Berlin) über den „‚Aufbruch zum Sein’. Kulturkritische Positionierung zwischen Jünger und Heidegger: Gerhard Nebel und Egon Vietta“. Beide hatten in der Zwischenkriegszeit bei Heidegger studiert und nahmen in ihrer Essayistik nach 1945 eine Vermittlerrolle ein. Ihren geistigen Ziehvätern, so Streim, teilten sie dabei „die Funktion von Feldzeichen, die die (Neu?)Formierung eines radikalen Konservatismus bzw. einer ‚konservativen Revolution’ im intellektuellen Feld Westdeutschlands markieren sollen“, zu. Während Nebel in seinem mit Jünger geplanten Zeitschriftenprojekt „Pallas“ daran scheiterte, die „metaphysischen, theologischen und seinsphilosophischen Varianten von Nihilismuskritik programmatisch und institutionell zusammenzubringen“, misslang auch Vietta in einer politisierten Literaturkritik „der Versuch einer kulturpolitischen Formierung radikalkonservativer Zeitkritik“. Streim schloss mit der dreifachen Begründung dieses Misslingens in der Abwesenheit politischer Konzepte, der Unvereinbarkeit einzelner Positionen und den solitären Bestrebungen von Jünger, Benn, Heidegger und anderen, sich im intellektuellen Feld der jungen Bundesrepublik zu etablieren.

ROLAND BERBIG (Humboldt-Universität zu Berlin) widmete sich einer speziellen Annäherung der ersten Nachkriegsjahre: „‚Ich stelle Ihr Bändchen in meine Bücher ein.’ Zur Begegnung von Margret Boveri und Ernst Jünger“. Den ersten Versuch der Kontaktaufnahme unternahm die Journalistin und ehemalige Amerika-Korrespondentin Boveri im Sommer 1946. Das von ihr verfasste Büchlein „Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche. Ein Versuch, Unverstandenes zu erklären“ schickte sie mit einem persönlichen Brief an Jünger. In den Zeilen voller bewundernder Verehrung präsentierte sie sich, so Berbig, als „andächtige Schülerin“ Jüngers und wagte sich zu einer Deutung vor, indem sie das jüngersche Werk von „In Stahlgewittern“, über den „Arbeiter“ bis zu den „Mamorklippen“ als Einheit auffasste. Die weitere Beziehung entwickelte sich in drei Schritten: „Der brieflichen Annäherung und der publizistischen Dienstbarkeit folgte im März 1950 der dritte Schritt: die persönliche Bekanntschaft.“ Äußerte sich in der privaten Korrespondenz noch die „Pose der Unterwürfigen“, so leistete Boveris journalistische Arbeit einen beachtlichen Beitrag, Jüngers Werk „von den Überwucherungen zu befreien und ihn in seiner tatsächlichen Gestalt vor das Auge des interessierten Lesers zu stellen.“ Auch wenn der emotionale Reiz nach der persönlichen Bekanntschaft verloren ging, blieb Boveris geistige Gefolgschaft unberührt. Dies, in Verbindung mit Jüngers unterlassenem Schuldbekenntnis nach Kriegsende, ließ Berbig jedoch zu einem zweifelnden Urteil über Boveris Leistung im literarischen Feld kommen.

Diesen Konferenzschwerpunkt erweiterte PETER UWE HOHENDAHL (Cornell University, USA) mit einer intensiven Jünger-Lektüre: „Erzwungene Synthese: Ernst Jüngers Roman ‚Heliopolis’ als theologisch-politisches Projekt“. Er fragte, inwieweit Jüngers utopischer Roman die „ästhetisch-theologische Lösung eines politischen Problems“ anbot. Das in eine unbestimmte Zukunft verlegte Geschehen stellte zunächst zwei mögliche Herrschaftskonzepte gegenüber: „Der Sieg des Landvogts wäre die totalitäre Lösung, wohingegen der Sieg des Prokonsuls die autoritäre Lösung des Bürgerkriegs darstellte.“ Da beide Konzepte notwendigerweise scheiterten, bot Jünger eine doppelte Lösungsstrategie an: Zum einen im „Gebot der Nächstenliebe“ (realisiert durch die Beziehung des Romanhelden Lucius de Geer und dem Verfolgungsopfer Budur Peri) und zum anderen in der „Idee absoluter, aus der Naturerkenntnis abgeleiteter Macht“ (vertreten durch die transzendentale Figur des Regenten). Diese erzwungene Synthese vereinigte „die Kritik der jüngsten Vergangenheit, die Vision einer neuen globalen Ordnung [...] und die Konstruktion einer neuen religiös verstandenen Ethik.“ Der dargestellte geschichtliche Lernprozess der Menschen, so die kritische Schlussfolgerung Hohendahls, entlaste den Menschen von einer Verantwortung für die Geschichte. Ergänzt wurde, dass der Erfolg des Romans ausblieb und sich Jünger später selbst von ihm distanzierte.

ERHARD SCHÜTZ (Humboldt-Universität zu Berlin) widmete sich einem speziellen Motiv in Jüngers literarischer Arbeit und rundete das Thema mit seinem Beitrag „Der Name für Unabhängigkeit. Die Strategien von Ernst Jüngers Waldgang im Kontext“ ab. Von den verschiedenen Implikationen der Waldgänger-Figur ausgehend wurde dargelegt, an welche kulturhistorischen und kulturphilosophischen Debatten der 1951 erschienene Essay anknüpfte und welche literarischen Nachfolger zu finden sind. In das Bild des Waldes „als Rückzugs- und Regenerations-Ort des soldatischen Mannes“ flossen Jüngers eigene Kriegserlebnisse ein; als Metapher für den Menschen im Großstadtviertel, schien Jüngers Gegenwartserfahrung durch. Indem er dieses Motiv mit immer weiteren Assoziationsmöglichkeiten auflädt, wird der Waldgänger „zu einem merkwürdig entrückten und ubiquitären Phänomen.“ Zum einen wurde auf die Rückzugsmöglichkeit des Menschen in den Raum innerer Freiheit hingewiesen, zum anderen aber schloss sich die Diskussion über persönliche Handlungsfreiheit und Schuld an. Schütz sah Jüngers Waldgänger als „Teil seiner Kunst der Niederlage, die kunstvoll Täter und Opfer austauscht und vermischt, sodaß am Ende die Täter zu Opfer werden, unter denen sich solche finden, die – sich opfernd – zu platzhaltenden Tätern werden.“ In mehrfacher Hinsicht für Jüngers Leben und Werk programmatisch fand das Motiv des Waldgängers literarische Anschlüsse etwa in Arno Schmidts Aus dem Leben eines Fauns (1953), Alfred Anderschs Winterspelt (1974) oder auch Reinhard Jirgls Abtrünnig. Roman aus der nervösen Zeit (2005).

Einen weiteren Diskussionspunkt bot das Stichwort der „Elitenkontinuität“, fokussiert in der Frage: „Alte Netze neu?“. RAINER RUTZ (Humboldt-Universität zu Berlin) stellte in diesem Zusammenhang „Die Truppen von Signal – Nachkriegspresse und PK“ vor. Er zeichnete das Ende der zu nationalsozialistischen Propagandazwecken aufgelegten Auslandsillustrierten Signal und das während der Besatzungszeit wieder auflebende Zeitungs- und Illustriertenwesen nach. Vor allem die Personalpolitik der neu gegründeten Christ und Welt sowie der schnell wachsenden Illustrierten Quick und Revue lieferten hier Beispiele konservativer Netzwerke und Eliten-Kontinuität. Hatten sich Reporter wie Harald Lechenperg oder Franz Hugo Mösslang schon in der NS-Propaganda bewährt, so lieferten sie auch nach 1945 für Quick und Revue erfolgreiche Konzepte: „Der Erfolg dieser Blätter beruhte auf der Arbeit von Profis, von geschickten Zeitungs- und Illustriertenmachern“. Mit einer Reihe verschiedener Titelbilder veranschaulichte Rutz, wie die Netzwerker „möglichst an althergebrachte Seh- und Lesebedürfnisse des Publikums anknüpften.“ Eine Art „massenkompatiblen Konservativismus“ und „geschichtsklitternde Abenteuer- und Heroengeschichte“ bediente den Entertainment-Wunsch der Nachkriegsgesellschaft. Doch schon in den sechziger Jahren verflachte der Erfolg und die Konzepte der ehemaligen Signal-Mitarbeiter wirkten überholt.

Mit DAVID BATHRICK (Cornell University, USA) und seinem Beitrag „Von der UFA zur DEFA: Gegenwarts- und Vergangenheitsbewältigung im Berliner Kino 1945-1948“ verlagerte sich das Thema der Kontinuität von den Printmedien in die Filmproduktion. An den Beispielen der Filme Die Mörder sind unter uns (1946) von Wolfgang Staudte und Ehe im Schatten (1947) von Kurt Maetzig stellte Bathrick die Frage: „Was bedeutet Kontinuität im Verhältnis zur Vergangenheitsbewältigung und zur Aufarbeitung der Vergangenheit?“ Er sah in den DEFA-Produktionen der ersten Nachkriegsjahre die „politischen und ästhetischen Verbindungen zwischen Alt und Neu“ und verwies auf die personelle Kontinuität zwischen der UFA und der neu gegründeten DEFA sowie auf die Verwendung filmischer Stilelemente und von Zitaten aus alten UFA-Produktionen. Bathrick deutete diese stilistischen Kontinuitäten psychoanalytisch als Versuch der Neubesetzung aus einer traumatischen Zeit bekannter Zeichen, die in der filmischen Reproduktion zu einem hoffnungsvollen Ende führen und so als „Koordinaten der Erinnerung, des Vergessens, und der Überwindung zu verstehen“ waren.

Weiterhin standen im Zentrum des Interesses drei solitäre Denker und Kritiker, deren Konservativismus sich in erster Linie in der Abgrenzung gegenüber der Frankfurter Schule und weiteren linksintellektuellen Kreisen zeigte. Unter dem Titel „Arnold Gehlen und der technokratische Konservatismus“ beschäftigte sich JENS HACKE (Humboldt-Universität zu Berlin) mit einem „Philosophen, Soziologen und öffentlichen Intellektuellen“, der heute zu den Klassikern zählt. „Einflussreich und repräsentativ für die Vertreter eines technokratischen Konservatismus“ eröffnete Gehlen mit seinen Gegenwartsdiagnosen dem „kulturkritischen Antiliberalismus neue Möglichkeiten, sich in der Industriegesellschaft zu orientieren, ohne auf Radikalisierung setzen zu müssen.“ Stichworte wie „Sachzwang“ und „Daseinsstabilisierung“ (beides Gehlen) dienten der Analyse eines technisierten Gesellschaftsraumes, in welchem große soziale Ideen keine Anwendung mehr fanden. Hacke unterstrich aber, dass Gehlens Rollenverständnis kritischer Intellektueller ihre Bedeutung als „unerlässliche Legitimitäts- und Identitätsressource eines Staates“ verkannte. Er kam zu dem Schluss, dass Gehlens Analysen „einige Motive der Diskussion um die Postmoderne vorweg“ nahmen und bis heute Aktualität bewahren.

„‚Der Nullpunkt und seine Überwindung’: Hans Egon Holthusen“ lautete der Titel einer anderen Perspektive: STEPHEN BROCKMANN (Carnegie Mellon University, Pittsburgh, USA) erinnerte an einen Literaturkritiker, der „die Kontinuität der Welt nach vorne und nach hinten, im Raum und in der Zeit, stets verteidigte“ und ganz im Gegensatz zur Kulturkritik der Frankfurter Schule und zur Theorie der Stunde Null stand. Das 1946/47 in München erfolgreich aufgeführte Stück „Wir sind noch einmal davongekommen“ von Thornton Wilder deutete Holthusen als Ausdruck der deutschen Gegenwart und schrieb: Das „war der Mensch in unserem Kostüm, jetzt und hier und immer, die dichterische Enthüllung unseres Schicksals“ (Holthusen). Brockmann belegte hierin Holthusens auf Kontinuitäten zielendes Geschichtsbild als „die Fortsetzung einer problematischen aber auch beruhigenden – weil oft wiederholten und oft bewältigten – Tradition des menschlichen Scheiterns und Wiederauferstehens“ (Brockmann). Indem Holthusen das „jetzt und hier“ in ein kontinuierliches „immer“ auflöste, nahm er auch dem Nationalsozialismus den historisch singulären Charakter. Der versuchte Brückenschlag zwischen Tradition und Gegenwart, ebenso wie zwischen unterschiedlichen westlichen Kulturströmungen geriet, so Brockmann in seinem Fazit, durch die Politisierung der Kultur im Zeichen des Kalten Krieges in Vergessenheit.

Einen dritten Solitär des konservativen Denkens ergänzte WOLFRAM KNÄBICH (Freie Universität, Berlin) und charakterisierte „Friedrich Sieburgs ‚Auftritt’ nach 1945“. Als „Exponent der konservativen Literaturkritik“ verschaffte sich Sieburg in den 1950er-Jahren eine führende Position im literarischen Feld und etablierte sich als Zeitkritiker. Antrieb seines Schaffens war das „Bemühen, die eigene, idealistisch begriffene Persönlichkeit in einer sich ausdifferenzierenden Lebenswelt ganzheitlich zusammenzuhalten.“ Sein „elitäres und aristokratisches Selbstverständnis“ bewahrte ihm zwar nach Kriegsende einen traditionalistischen Nationenbegriff, aber angesichts der sich konsolidierenden parlamentarischen Demokratie postulierte er das „Ideal des politischen Bürgers als urteilsfähiger Persönlichkeit“. Diese konservative Kompromisshaltung äußerte sich einerseits in der Befürwortung der Demokratie, andererseits aber in kulturpessimistischen „Vorbehalten gegenüber Massendemokratie und Pluralismus als soziokulturellen Faktoren der Nivellierung und des Zerfalls“. Diese ambivalente Positionierung zusammenfassend, sah Knäbich im „Unbehagen an der eigenen Gegenwart auch die notwendige produktive Reibefläche,“ um eine weitere Facette im Feld des Konservativismus zu konturieren.

Neben den vielgesichtigen konservativen Strömungen präsentierte die Konferenz auch den Versuch einer breiten kulturpolitischen Konsensualisierung. SEAN A. FORNER (Michigan State University, USA) skizzierte die „Kehrseite der Kulturkritik. Publizisten eines ‚dritten Weges’“. Wurde nach 1945 davon gesprochen, dass „dieser ‚deutsche Sonderweg’ vom Westen weg und in die Katastrophe hinein geführt“ habe, so definierte sich der „dritte Weg“ der Kulturkritik über das Ziel „das im Kern partizipatorisch-demokratische Potenzial der kulturellen Tradition auf die Politik zu beziehen.“ Für die Vertreter dieses Anspruchs prägte Forner den Begriff der „engagierten Demokraten“. Im Zentrum standen die neu formierten Kulturbünde in Berlin, Frankfurt und Heidelberg, die jeweils auf vorhandene Netzwerke linksintellektueller Denker zurückgriffen. Gemeinsamer Grundstein war die Ansicht, Kultur sei „paradigmatisch für das freie menschliche Handeln schlechthin und betreffe daher auch die Bereiche von Gesellschaft und Politik.“ In ihrem starken öffentlichen Auftreten und der Abneigung gegenüber elitärer Exklusivität unterschieden sie sich fundamental von rechtskonservativen Kreisen. Doch waren zunächst namhafte Persönlichkeiten wie Johannes Becher, Alfred Kantorowicz, Ernst Rowohlt oder Erich Kästner um die Verzahnung der Kulturvereinigungen bemüht, trieben der aufkommende Ost-West-Gegensatz und die zunehmende Ideologisierung das gemeinsame kulturelle Projekt auseinander. Dennoch, so schloss Forner, lasse diese kulturpolitische dritte Kraft im Nachkriegsdeutschland „das Verhältnis zwischen Kultur, Politik und Demokratie in einem neuen Licht erscheinen.“

Ausstrahlungen und Folgeerscheinungen des deutschen Radikalkonservativismus behandelte CASEY SERVAIS (Cornell University, USA). Sein Vortrag bildete den Abschluss der Konferenz und richtete den Blick auf neokonservative Strömungen in Amerika: „Overcoming the Aesthetic: Carl Schmitt and the American Neoconservatives on the Lawless Subject of Modernity”. Vom Beispiel des neokonservativen Magazins „The Weekly Standard“ ausgehend, verfolgte Servais die Tradition neokonservativen Denkens in den USA und konnte zeigen, wie sich die Ideologien vor allem von Carl Schmitt nach 1945 über die Grenzen Deutschlands hinweg verbreiteten. Der große Einfluss des emigrierten Leo Strauss trug dazu bei, dass insbesondere Schmitts Kritik an der ästhetischen Moderne von der Kulturkritik amerikanischer Neokonservativer übernommen wurde. Die Übereinstimmung bestand in der Angst vor der Loslösung des Subjekts von staatlichen und religiösen Werten und dem Verlust überindividueller Autoritäten: „Modern subjectivity is hence constituted by the absence of objective standards of justice and injustice”. Schmitt stellte dieser Verlustangst „the possibility of overcoming the lawlessness of modernity by means of what […] he will call political theology” gegenüber. Während Strauss hierin eher ein staatliches Instrument sah, knüpften spätere kulturpessimistische Diagnosen, etwa von Daniel Bell, vor allem an die grundsätzliche Skepsis gegenüber den wiederkehrenden Erscheinungen einer Avantgarde an.

Im Ergebnis der Konferenz bestätigte sich die Vielschichtigkeit konservativen Denkens im Deutschland der Nachkriegszeit. Trotz seiner in hohem Maße differenten Erscheinungsformen ließen sich verbindende Linien zwischen den Akteuren ziehen, ebenso wie die klare Abgrenzung einzelner Positionen offensichtlich wurde. Nicht zuletzt konnte an einigen Stellen auf die Folgen und Erben jener Denkrichtungen hingewiesen werden.

Das Gelingen der Konferenz leistete nicht nur einen wichtigen Beitrag zu den Perspektiven auf die Ideengeschichte des deutschen Konservativismus, sondern trug auch zur Intensivierung der produktiven Zusammenarbeit zwischen der Cornell University und der Humboldt-Universität und zur Vertiefung gemeinsamer Forschungsziele bei. Besonderer Dank der Veranstalter gilt der Fritz-Thyssen-Stiftung für ihre finanzielle Unterstützung. Es ist geplant, die Vorträge in einem Sammelband zu veröffentlichen.


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